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Wolfsberg erzählt vor seinem Sterben
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Wolfsberg erzählt vor seinem Sterben

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About this ebook

„Wolfsberg ist eines von vier Dörfern, die um achtzehnhundert herum
im Banater Bergland angesiedelt wurden. Heute existieren diese
Dörfer nicht mehr.“
Die Geschichte dieser vier Dörfer und ihrer Bewohner erzählt Josef
Köstner aus der Perspektive von zwei Männern, die einst in diesem
Gebiet heimisch waren und aus den verschiedensten Gründen der
Geburtsstätte den Rücken gekehrt haben. Auf dem Weg zurück in
die alte Heimat begegnen sie nicht nur bekannten und unbekannten
Gesichtern, sondern sehen sich auch mit ihrer eigenen Vergangenheit
konfrontiert.
Im Laufe der Erzählung erhält der Leser Einblick in die Gebräuche
und Lebensweisen der Böhmen, die ein sehr widerstandsfähiges und
stolzes Volk waren. Denn aller Widrigkeiten zum Trotz – seien es
die zwei Weltkriege, die jeweils darauffolgenden Besatzungen oder
aber auch die fest verankerten Spukgeschichten – blieben sie ihrem
Charakter und auch ihrer traditionellen Mundart immer treu.
Mit viel Witz und Charme schafft es der Autor den Leser zum
Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anzuregen und stellt damit
auch die eigene Herkunft und Identität in Frage.
LanguageDeutsch
Release dateOct 12, 2016
ISBN9783837219401
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    Wolfsberg erzählt vor seinem Sterben - Josef Köstner

    978-3-8372-1941-8

    Wolfsberg

    Wolfsberg ist eines von den vier Dörfern, die um achtzehnhundert herum im Banater Bergland angesiedelt wurden. Heute existieren diese Dörfer nicht mehr. Wolfsberg hat zwar überlebt, aber nicht als Böhmerdorf; es hat sich verwandelt, hat sich gemausert. Es ist wie der Franzose Lavoisier sagt: „Es wird nichts verloren, es wird nichts gewonnen, alles verwandelt sich!" Aus Wolfsberg ist ein Kurort geworden – ein gut besuchter Kurort...

    Das Banater Bergland – nicht zu verwechseln mit der Banater Heide – sieht aus der Vogelperspektive so aus wie ein erstarrtes Meer mit Wogen und Wellen. Durch seine geologische Vergangenheit, die scheinbar recht stürmisch verlief, ist die Mannigfaltigkeit der Landschaft sehr groß. Überall sprudeln Quellen, rinnen Bäche, erglänzen Weiher und Seen. Unendlich scheinen die vom Urwald bedeckten Hügel sich auszubreiten bis hinab zur unteren Donau, deren Band man ein Stück erglänzen sieht. Es war also zur Zeit der Böhmen Raum genug für Romantik und Aberglauben. All das wird vom Semenik, dem Stolz des Banater Berglandes, überragt. 1447m. Vom Gipfel des Semeniks kann man weit nach Westen schauen und man sieht bei guter Sicht in der Ferne ein Teilchen der fruchtbaren Ebene der Schwaben, die schon viel früher von der Kaiserin Maria Theresia dort angesiedelt wurden...

    Als man die Böhmen ins Banat brachte, hatten die Österreicher in der Gegend bei einem kleinen Dörflein mit dem späterem Namen Reschitz einen Hochofen gebaut, und da brauchten sie neben der Belegschaft auch Holzschläger und Kohlenbrenner, und die nahm man einfach aus dem Böhmerwald, die kannten sich aus mit Bäumen und Kohle. Man hatte ihnen – wie das so üblich ist – den Himmel auf Erden versprochen, was selbstverständlich bald vergessen war. Da der Boden im Gebirge lange nicht so fruchtbar war wie bei den Schwaben, gestaltete sich das Leben der Siedler karg und hart. Aber für sie war das ja nicht neu, und sie blieben und bauten Häuser; Wolfsberg ward geboren! Bescheiden und genügsam aßen sie das harte Roggenbrot der neuen Heimat und behielten ihre Eigenart. Ihre Sitten und Gebräuche überlebten auch die beiden Wahnsinnskriege, obgleich so viele ihrer Söhne an den Fronten starben und ihre Tränen die Kirche überschwemmten. Auch als nach fünf Jahren weniger als die Hälfte von der Deportierung aus Russland und Sibirien zurückkamen, um in der Heimat mit betonierter Lunge zu sterben, blieben sie ihrem Brauchtum treu, Wolfsberg überlebte. Aber als sich zur Zwangslage der geistige Terror gesellte, da wollten die Böhmen nicht mehr mit, es war zu viel! Sie hatten versucht sich anzupassen, um ihre Heimat zu retten, aber es ging ihnen zu sehr gegen den Strich. Auch dieses Völkchen hatte eine Belastungsgrenze...

    Als man sie aus Böhmen gebracht hatte, mussten sie Ungarisch lernen. Nach dem Ersten Weltkrieg waren sie plötzlich in Rumänien, mussten also umschulen, denn nun ging es in Rumänisch weiter. Aber man hatte ihnen ihre Eigenart, ihre Lebensweise gelassen; ihre Religion und ihr Brauchtum. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich in der Heimat wie im ganzen Lande alles. Man versuchte ihnen einzutrichtern, dass allein die kommunistische Partei die richtige Kirche wäre und, dass von nun an keine Nationalität mehr existiere. Zur Sprachschwierigkeit kam jetzt zum Rumänischen noch das Russische als Pflichtlektüre hinzu. Fremde Menschen kamen von irgendwoher und krempelten das Dorf um. Man versuchte, zu kollektivieren, aber das geht dort nicht zwischen Wäldern und Bergen auf kargem Boden, wo weder Weizen noch Mais gedeihen. Der Versuch, auszuwandern wurde wiederholt abgeschlagen und mit Strafen gedroht...

    Als dann der rote Wahnsinn zerrann und der Eiserne Vorhang gelüftet wurde, zogen die Böhmen fluchtartig davon und versickerten unter den 80 Millionen Menschen in Deutschland...

    Wolfsberg erzählt vor seinem Sterben

    Am Semenik

    Man schrieb das Jahr 1989. Es war ein klarer Sommermorgen. Der Semenik, ein bescheidener Tausendvierhunderter, und ungefähr in gleicher Höhe seine beiden Brüder Gosna und Nedea, also das Semenikgebirge, der Stolz des Banater Berglands, lag noch im Tau, der über Nacht reichlich gefallen war. Erstes Rot zeigte sich im Osten. Lerchen stiegen schon trillernd auf, als wollten sie am Himmel die ersten Sonnenstrahlen begrüßen. Ein Gemisch angenehmer Düfte umschwebte den Gipfel und ließ die beiden Wanderer, die gerade ankamen, tief einatmen.

    Lang vor Tagesanbruch waren Sepp und Helmut, zwei kurz vor der Pensionierung stehende Fabrikarbeiter, in den rauchigen Reschitz aufgebrochen, hatten die Morgenkühle genutzt, um durch feuchte Auen und Wälder, über Hügel und Höhn, auf romantischen Fußwegen ihr erstes Ziel zu erreichen. Natürlich hätten sie das auch einfacher haben können; der Autobus fährt die Strecke in einer Stunde, wenn alles gut geht und er am Weg nicht hängen bleibt. Kein Wanderer aber würde das Schreiten durch die von Gott gesegnete Morgenfrische mit der Fahrt in einer stinkenden Atmosphäre tauschen! Die beiden waren noch Wanderer vom alten Schlag, die ihre Freizeit benutzten, der sogenannten Zivilisation zu entgehen und die abseits gelegenen Orte aufzusuchen, die von den „Kulturmenschen" und ihren Abfällen noch nicht geschändet waren oder wurden.

    Nach stummem Betrachten der Umgebung atmete Sepp tief ein und presste wie im Zorn hervor:

    „Verdammte Zeit! Mir wird’s vor den Augen rot, wenn ich daran denke, dass ich es miterleben muss, wie hier alles verwandelt wird. Wie war dieses Fleckchen Erde einst so rein und ursprünglich! Und nun? Sieh dir das nur an, dort auf dem Gosna! Hotels und Restaurants, und alles von Schmutz und Abfällen umgeben – eine moderne Mülldeponie. Denk ich an die Talsperre unter’m Dorf, fasst mich der Ekel! Wie rein es klingt: ‚Die drei Wasser!’ Dabei müsste man die Donau heraufleiten, um den Dreck rund um den Stausee wegzuschwemmen. So mancher wäscht dort seinen Hintern, der das letzte Mal von der Hebamme gebadet wurde. So mancher kommt her, um im See seinen Mist abzuladen. Und hier oben ist es nicht anders, sieh dich nur um..."

    Rasch zog ihn Helmut ein Stück weiter und zeigte auf ein Plätzchen, nicht weit von der Quelle, am Waldrand:

    „Lass’ die Rucksäcke auf den Felsen und komm’! Schau’, da sind Schwarzbeeren geblieben!"

    Schon ging er den wenigen, von den Touristen übersehenen Beeren nach. Die zwei waren hungrig und hatten Durst, aber zuerst wollte Helmut sein Gelüste an den Beeren stillen. Wer weiß, dachte er, ob er heuer noch eine Gelegenheit dazu finden würde.

    Als er sich nach dem Freund umsah, da von dem nichts mehr zu hören war, erblickte er ihn wie schlafend an einem hervorstehenden Felsen gelehnt, das Gesicht dem Dörflein, das weit unter dem Gipfel lag, zugekehrt.

    „He Alter! Bist du müd’? Wird langsam Zeit, dass man dich schont! War nicht die Rede von Schwarzbeeren essen?"

    Unwillig kam es vom Felsen her:

    „Brauchst wohl Hilfe, um diese Überbleibsel zu kauen, du Säugling! Oder soll ich dich vielleicht trockenlegen?"

    Helmut war während des Sammelns ziemlich weit weg gekommen und die Worte drangen nur undeutlich bis zu ihm. Um Sepp zu ärgern, antwortete er in dem schauerlichen Kauderwelsch, in dem die Banater Mundarten versumpften:

    „Geh la dracu, hai freß ach du Hoibeerla!"

    Muttersprache!, dachte Sepp erbost. Muttersprache, süße, traute, meiner Kindheit erste Laute!

    Langsam ließ er sich am Felsen niedergleiten und sah wie träumend auf das Dorf dort unten. Vor zwei Jahrhunderten hatte man sie mit großen Versprechungen hergelockt. Banat gehörte zu Österreich, dann kamen die Ungarn und nach dem Ersten Weltkrieg die Rumänen. Sie aber waren Böhmen geblieben, wie in der Heimat. Immer waren sie für die Obrigkeit fremd, da half ihnen auch das Bürgerrecht nicht viel. Das Klima erlaubte keinen großen Ackerbau. Die Viehzucht beschränkte sich auf zwei Kühe durchschnittlich pro Haus. Mit größter Mühe und Ausdauer konnten sie ihren Lebensunterhalt ohne Nebenverdienste nicht bestreiten. Trotz allen Schwierigkeiten sind ihr Brauchtum, ihre Sprache und ihre Sitten rein geblieben – zweihundert Jahre lang! Nun aber griff eine Gefahr nach diesem Bergvolk, die es samt Sprache und Sitten verschlingen würde. Was keine Krankheit und kein Krieg erreichen konnten, das vollbrachte die politische und wirtschaftliche Unfähigkeit der sogenannten kommunistischen Landesführung. Der Dünkel Ceausescus ging so weit, dass er verbot, die Kinder weiterhin mit deutschen Vornamen zu taufen. Er wollte die Deutschen zwar nicht verlieren, sie galten als musterhaft in allen Bereichen, aber er wollte sie romanisieren. Im Stillen hoffte Sepp, dass es den Böhmen doch noch gelingen würde, wieder nach Deutschland heimzukehren, bevor das Kommunistenchaos sie aufsaugen konnte. Gebe es Gott, an den sie noch glaubten!

    Die Sonne wurde wärmer und der Felsen strahlte die Wärme zurück: Es war ein Wohlgefühl, dass Sepp seine schwarzen Gedanken für kurz vergessen ließ. Sein Blick schweifte seitwärts bis zum fernen Hochgebirge, kehrte um und glitt über Tannen und Buchenwipfel bis an den Bach hinab, dann kletterte er über die Hausgärten hinauf, zu den zwei Häuserreihen, die sich auf einem flachen Hügelrücken dahinzogen, eine einzige lange Gasse bildend. Unterm Dorf, wo die drei Bäche zusammenflossen, hatte man einen Staudamm gebaut – der See hieß „Drei Wasser".

    Das Dorf, eins von den vier Böhmerdörfern, hieß Wolfsberg, und dort in der oberen Hälfte, wo sich jetzt ein Drahtzaun spannte, stand einmal Sepps Vaterhaus – mit Schindeldach, zwei großen Apfelbäumen im Hof und einem hohen Kirschbaum vor den Fenstern. Es waren die besten Kirschen!

    So wie das eben geschieht, war Sepp, ohne an Schlaf zu denken, hinübergeglitten ins Traumland, und da schwebten die Götter der Landschaft schon heran und brachten ihm – wie konnte es anders sein? – die schönste Zeit aus seinem Leben: die Kindheit...

    Es war so ein wohliges Gefühl, über das nichts geht und das nur ein ganz gesunder Körper fühlen kann. Kein Schmerz, keine Sorgen, keine Gedanken um das Morgen. Die Sonne wärmte das Bett zwar, blieb aber angenehm und übertrieb nicht. Der Hunger, der ihn selten so ganz verließ, kam noch nicht an die Oberfläche, noch plagte ihn keine Angst wegen Schule, Hausaufgaben und so weiter. Sein Leben war, wie sein Bett, in Sonne gebadet, in der milden Sonne sorgloser Kindheit. – Lang lag er räkelnd in den angenehmen Strahlen, bis ihm vorkam, es husche etwas über seine geschlossenen Lider. Da öffnete er die Augen – am Fenster tanzte, im zarten Hauch, der Schatten mit dem Licht. Tief atmete er ein und streckte sich ausgiebig. Es war so behaglich und es roch so angenehm – ach ja, die Mutter hatte gestern die Strohsäcke neu gefüllt, darum waren die Betten so hoch und rochen so gut! Er schaute auf die anderen zwei Betten, die im Zimmer standen – sie waren aufgeräumt und so gerichtet wie es der Brauch des Dorfes verlangt, damit sie so wenig Platz wie möglich einnahmen. Hoch aufgetürmt übereinander, so angeordnet: Im einfachen Bettgestell ein prallvoller Strohsack, das aus Lein selbstgesponnene und gewebte Betttuch, darüber vier große Polster aus Gänsedaunen, darauf die Federdecke einmal zusammengelegt wie ein Dach. Diese Federbetten waren das Wichtigste der häuslichen Einrichtung, da die Nächte hier oben sogar im Sommer recht kühl waren. Der Kleine sah sich weiter um; die Stube war sauber und alles war auf seinem Platz – kein Stäubchen wirbelte in den Sonnenstrahlen.

    „Aha! Sie waren fort, die Mutter mit den Schwestern, die waren schon lange fort!"

    Nun war er ganz wach und es kam ihm vor, als rühre sich etwas dort am Fenster. Der Schatten vieler Kirschenblätter bewegte sich auf den blanken Scheiben. Ihm war es als winkten ihm die Sonnenstrahlen zu:

    „Also, was tust du noch im Bett, müssen wir noch lang auf dich warten, Sepperl?"

    „Na, na! Ih kimm schoo!"

    Flugs sprang er aus dem Bett und schlüpfte in die grobleinerne Hose. Dann patschten die nackten Füßchen über den peinlich sauber gescheuerten Bretterboden in die Küche. Der Hunger war nun plötzlich da und ließ vorerst alles andere vergessen.

    Eine Schale Milch und ein Kanten Brot, dunkles Roggenbrot, das war schon alles, was er fand, aber er hatte nicht mehr erwartet. Zwar gab es in der Kammer drüben, zwischen Polster und Federdecke, gut mit Leinen umwickelt eine Schüssel mit Nockerln, die dort den ganzen Tag über warm bleiben würden, auch einen irdenen Topf gab es im Keller, voller kalter Sauermilch mit einer dicken Schicht Rahm darauf, aber davon durfte er erst dann essen, wenn die Kirchenglocken Mittag läuten würden. Bis dann war’s noch lang! Und bis Mutter nach Haus’ kam, war’s noch viel länger...

    Kapitel II

    Helmut erhob sich aus dem Schwarzbeerenkraut und schaute um sich, da sah er Sepp noch immer am Felsen sitzen, sein Kopf war nach vorn geneigt. Leise Sorgen um den Freund stiegen auf – „War ihm nicht wohl? Rasch ging er näher. „Herrgott, der schläft ja! Sieh einer an!

    „Hee Sepp, du schläfst? Bist du deswegen heraufgekommen...? Na, meinethalben kannst du weitermachen, nur gib vorher den Rucksack, ich könnt nämlich was essen!"

    Plötzlich war Sepp hellwach. Ja, essen wollte er auch. Er war hungrig, darum hatte er ja vom Essen geträumt.

    Große Auswahl gab es ja nicht in ihren Rucksäcken, aber sie hatten in dieser Hinsicht gelernt, ihre Ansprüche den Möglichkeiten anzupassen. Helmut hatte Glück gehabt, er hatte Tage vorher ein Stück Speck am Schwarzmarkt ergattert und auch ein Stück echten, harten Schafkäse aus den Bergen. Einige Fischkonserven und hartes Schwarzbrot füllten die Lücken, und ihre Zufriedenheit war sicher größer als die der Kommunistenschweine, die solche Zustände im Land verschuldet hatten, selber aber mit goldenen Löffeln fraßen. Wenn die beiden Glück hatten, erwischten sie einmal auch ein Essen in den Gaststätten im Dorf oder bei den „Drei Wassern". Manchmal ließ sich mit einem Trinkgeld extra eine Mahlzeit bekommen. Es wurden ja nur die zugeteilten Gäste bewirtet!

    „Also pack’ das Essen aus, ich bring’ Quellenwasser, das sorgt für eine redliche Verdauung!"

    Helmut lachte spöttisch auf:

    „Ach so! Unser überüppiges Mal braucht einen vorbereiteten Magen, sonst verträgt er die auserlesenen Dinge nicht! Bist wohl der Gescheiteste bei deinem Vater, was?"

    Auch Sepp musste lachen, wenn er an die ausgemusterten Militärkonserven dachte, die nur dann verkauft wurden, wenn ihr Termin abgelaufen war. Gut gelaunt scherzte er:

    „Oh nein, mein Vater hat noch so sieben Stück wie mich! Und dann hat man ihn aufhalten müssen, sonst hätt er noch wer weiß wie viele gezeugt. Nicht alle Männer begnügen sich mit einem, und der nicht ganz ausgearbeitet..."

    Zu spät kontrollierte sich das Hirn Sepps, vergeblich war sein Erschrecken, es war heraus.

    Helmut hatte ein Tuch auf das Gras gebreitet und schön ordentlich das Essen darauf gelegt. Er ordnete alles und legte die besseren Stücke auf die Seite, wo Sepp sitzen würde. Sein Mund war krampfhaft geschlossen und sein Kopf tief nach vorn gesunken.

    Sepp hatte gedankenlos, mit roher Hand an den alten Kummer Helmuts gegriffen und eine Wunde aufgerissen.

    Helmut war – obgleich beide Eltern gelebt hatten – in dürftigen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Großmutter hatte nur eine kleine Rente und seine Eltern vergaßen regelmäßig, der Alten das vorgesehene Geld für seinen Unterhalt zu geben. Die Eltern hatten sehr jung geheiratet und sich geschieden, als er sechs Jahre alt war. Der Vater hatte Helmut, seinen Stolz, sein Alles, mit großer Liebe verwöhnt, und Helmi hatte seinen Vati vergöttert. Als aber die Mutter plötzlich mit einem anderen verschwand, stürzte für Vati eine Welt zusammen; auch die Liebe zu dem Kind. Er glaubte nicht mehr, dass Helmi sein Kind war. Er hatte lange Zeit am Bettlein des Kleinen geweint und versucht, Ähnlichkeit mit sich im Kind zu finden. Dann übergab er Helmi der Großmutter und ließ sich nimmer sehen. Helmi hatte jahrelang um den Vater geweint und es überwunden hat er nie.

    Beide Eltern hatten wieder geheiratet und andere Kinder füllten ihr Haus und ihr Herz. Für Helmut gab es nur kalte Abweisung. Besuchte er die Eltern, von der Großmutter dazu ermuntert und verpflichtet, wurde er nur wegen Kinderstreichen gerügt und getadelt; hier die Stiefmutter, dort der Stiefvater. Nach einer Zeit hatte er sich ganz einfach geweigert am Glück seiner Geschwister zu leiden, er hatte beide Eltern gemieden, und die hatten das nicht einmal gemerkt.

    Spät hatte er dann geheiratet und war bald ein glücklicher Vater geworden. Nach zwanzig Jahren verließen ihn Frau und Tochter, so dass der Schmerz wieder freie Bahn zu seiner Seele hatte.

    Lang saß Sepp an der Quelle und sann, wie er Helmut fröhlicher stimmen könnte. Er machte sich die größten Vorwürfe und kam zu der Überzeugung, dass es auf Tatsachen beruhte, wenn gesagt wurde, dass Alter lange nicht vor Dummheit schützt. Endlich erhob er sich – da stand Helmut vor ihm und sah in forschend an.

    „Was tust du da so lang? Hast vielleicht was Besonderes entdeckt, oder willst das Wasser im Brünnlein wärmen?"

    Erleichtert ging Sepp auf den Ton ein:

    „A wo denn! Ich hab gerade geopfert. Weißt, ich glaub nämlich noch an Götter; und da ist eine, die heißt Venus …"

    „Wie?, unterbrach ihn Helmut – „Die Nackte mit den abgehackten Armen, die Jungfrau von Milano? Ich dachte, deine Venus heißt Kati und wohnt zurzeit in Reschitz! Hast sie schon wieder g’wechselt?

    „Ach, du! Alles falsch! Das eine heißt nicht Milano, sondern Milo und das andere heißt Kätchen – nicht so ordinär: Kati!"

    „A waß! Ich werd’ doch deiner Göttin zuliebe nicht gleich italienisch lernen, was meinst!"

    „Nein, das brauchst du wirklich nicht! Lern lieber deine Muttersprach, dann hast du’s leichter, wenn du nach Deutschland kommst!"

    „Das will ich ja seit langem schon, aber ich find ja keine junge Professorin..."

    „Eine junge?, wundert sich Sepp. „Eine alte brauchst du – eine junge kostet ja zu viel!

    „Ah geh’, du Schlaukopf! Warum hast du lauter junge? Ist wohl dein Monopol, die Jugend? Komm lieber, essen wir!"

    Sepp wälzte einen Bissen Speck im Mund hin und her, drückte ihn fest an den Gaumen, um ihn dann andächtig zu zerkauen. Langsam, in kleinen Schlucken, damit der Genuss lange dauere, schlang er ihn dann hinunter und sah anerkennend auf Helmut.

    „Ist wunderbar, der Speck da! Ist mit Buchenspäne geräuchert, das spürt man gleich. Wie teuer war er denn?"

    Helmut lachte wegwerfend, wie über eine Nichtigkeit:

    „Wer fragt noch danach? Gibst du nicht den zehnfachen Preis für ein Ei und findest doch keins? Mit dem Speck hatte ich Glück, drei Kilo für einen Wochenlohn..."

    Er unterbrach sich und schaute in die Richtung der Hotels – „Au weh! Ich glaub’, wir kriegen Besuch, da steuert jemand genau auf uns zu... Du, ich erschlag’ dich, wenn du ihn zum Essen einladen solltest!"

    Der Mann kam heran und grüßte in schönem Deutsch. „Grüß’ Gott!" Von wo wusste er wohl, dass sie Deutsche waren? Helmut horchte ein wenig erstaunt. Dann aber fiel ihm ein, dass der Mann ja ein Ausländer sein konnte, der das Rumänisch gar nicht beherrschte. Aufmerksam betrachtete er nun die Kleider des Fremden und war überzeugt, einen Westdeutschen vor sich zu haben. Der Mann gab sich ungezwungen, aber höflich.

    „Ich hoffe nicht zu irren, wenn ich zwei Ausflügler aus Reschitz in euch sehe!"

    Sepp nickte: „So ist es!"

    „Da wär ich gern ein wenig in eurer Gesellschaft, will aber nicht aufdringlich sein! Wisst, ich fühl mich um ein halbes Jahrhundert versetzt, in die Zeit, als ich hier lebte. Mein Name ist Pfaffl, Anton Pfaffl."

    Die beiden Wanderer hatten es nicht gern, wenn man ihre Ruhe störte, um unnützes Geschwätz zu pflegen, aber Sepp war Menschenkenner und konnte sich auf sein Gefühl verlassen: Der Mann da gefiel ihm!

    „Bitte, Herr Pfaffl, suchen Sie sich den besten Platz, und wenn Ihr Gaumen sich nicht sträubt, so greifen Sie zu, Sie sind herzlich eingeladen! Verwöhnt werden wir hier nicht, das werden Sie ja wissen!"

    „Danke, gern!, machte Pfaffl übers ganze Gesicht strahlend. „Das meinte der Dichter wohl, als er schrieb: „Freigebig ist, wer Hunger hat und teilt mit dir sein Brot.

    Sepp fuhr fort, auf Helmut zeigend:

    „Mein Freund da heißt Helmut Knapp! Seit zweihundert Jahren in Reschitz, kommt aus Tirol, Steiermark oder Bayern, wer weiß das noch genau! Mein Urahn wurde von den Habsburgern aus Böhmen hierher verpflanzt. – dort unten, in Wolfsberg, hab ich dann das Licht der Welt erblickt. Mein Name ist Köstner, aber sie nannten meinen Vater Dreher, weil er dieses Handwerk gelernt hatte, und so viele Köstner im Dorf waren, dass jeder mit einen Spitznamen gezeichnet wurde, um sie zu unterscheiden."

    Pfaffl hatte sich auf die Knie niedergelassen und seinen Ranzen geöffnet, dann aber hatte er innegehalten und Sepp angestarrt.

    „Was sagtest du da? Dreher sagtest du? Unwillkürlich gebrauchte er das Du, und man merkte seine Erregung – „Da Drehavatta also? Da kannst du nur der Sepp sein, der älteste seiner Buben!

    Sepp nickte wieder: „Dea bin ih!"

    „Dann freut es mich doppelt, dass ich dich getroffen hab! Ich hielt sehr viel von deinem Vater! In meiner Jugend war ich mit ihm auf mehreren Plätzen im Holzschlag. Das war vor dem Krieg, in der Arbeitskrise, bevor in der Stadt wieder voll gearbeitet wurde. Er konnte gut erzählen, und wenn er auf den Krieg kam, wurde es besonders spannend."

    „Ja – lachte Sepp – „er hat den Ersten Weltkrieg voll mitgemacht und konnte ewig erzählen. Aber ich muss schon zugeben, er konnte gut erzählen! Das war ja mein geheimer Kummer, dass er so wenig Zeit hatte, ich hätt wahrscheinlich Tag und Nacht lauschen können.

    Unwillkürlich fiel Sepps Blick auf Helmut, und da sah er es in seinem Gesicht wieder arbeiten. Rasch versuchte er von dem Gespräch abzulenken:

    „Also, Anton heißt du, Pfaffl! „Toni nennt man mich kurz!

    „Ja Toni, den Namen Pfaffl kannst du schon noch finden da unten. Wahrscheinlich kann man deinen Stammbaum zurückfolgen bis zu jener Wurzel, die noch in Böhmen wuchs. Aber ich bin sicher, dass wir so manchen Zweig von deinem Baum heute in Deutschland finden – es sind schon viele wieder in die Urheimat zurückgewandert."

    Helmut vergaß seinen alten Kummer, als er sah, was Toni aus dem Ranzen holte. Neu war das ja nicht, alle, die aus Deutschland kamen, brachten möglichst viele Geschenke mit. Man wusste doch, dass das Land mit den reichsten Bodenschätzen Europas am Hungertuche nagte. Also waren diese Wunderdinge wenigstens vom Hörensagen bekannt.

    Helmut verstand es, einen guten Bissen zu würdigen; andächtig kaute er an der Märchensalami, auf der – oh Wunder – „Made in Rumänien", geschrieben stand. Als Sepp besorgt fragte:

    „Du, Toni, was machst denn, wenn wir deine Wundersachen wegfressen, du willst doch wandern? In unseren Läden kannst du aber höchstens alte, verdorbene Fischkonserven kaufen!"

    „Keine Sorge! Ich hab da ein Zaubermittel, mit dem ich die versteckten Waren kaufen kann."

    Er griff in die hintere Hosentasche und zog eine Brieftasche voller Markscheine hervor.

    Sepp nickte bejahend:

    „Sicher ist das Mittel unwiderstehlich, verneigen sich doch unsere Hampelmänner, unsere ganze Bonzokratie davor! Also Helmi, du darfst dich ruhig an der Schokolade versündigen! Siehst du nun? Ich hab also nicht vergeblich an der Quelle dort der Venus geopfert! – Toni, du musst nämlich wissen, Helmut liebt einen guten Bissen, und Schokolade ist bei uns genau so selten wie am Südpol die Paranüsse, die du so freigebig verstreust!"

    Helmut nahm die Flasche und brachte Wasser, die Quelle war ja nicht weit. Gönnerhaft hielt er Toni die Flasche hin.

    „Nehme hin und trink, das ist mein Blut! So sagt die Heimat, und es ist alles, was sie neben den Erinnerungen dem verlorenen Sohn bieten kann. Was soll man tun? Nicht überall gibt es Kälber, und manchmal werden die verlorenen Söhne geschlachtet. Ich hoff’ aber, dass solches mit den Heimkehrern in Deutschland nicht geschieht!"

    Und nach einer Pause, da niemand antwortete, fuhr er fort:

    „Sag Toni, wo lebst du nun, in München, Frankfurt, Hannover oder wo? Dass du aus Wolfsberg stammst, hab ich schon gemerkt, auch dass du schon lang fort bist, hab ich erraten. Wahrscheinlich Ostfront und dann in Deutschland geblieben?"

    „Das stimmt – nickte Toni – „wenn du noch Gefangenschaft und Flucht in den Westen dazugibst! Nun leb ich seit vielen Jahren in Hamburg. Hierher kam ich aus irgendeinem Verlangen, ich weiß nicht, was es war. Mich kennt hier niemand, hab keine näheren Verwandten mehr. Nach so vielen Jahren bin ich das erste Mal da, weiß aber, dass es auch das letzte Mal ist. Es gefällt mir nicht mehr, ist nicht mehr das Banat von damals, und der Semenik schon gar nicht! Alles ist aufgewühlt und unordentlich liegen gelassen. Diese Villas und Restaurants passen in die einst so schöne Landschaft wie die Faust auf’s Aug’. Wohin du schaust, hier auf den Wiesen, siehst du Betonpfeiler und Stacheldraht wie in einem Gefangenenlager. Nein – ich danke!

    Sepp machte eine unbestimmte Gebärde, und es kam am Anfang ein wenig gezogen:

    „Na – das ist wohl, denk’ ich – Geschmacksache: Mancher fühlt sich gar wohl. Mir kommt es ja auch zum Kotzen, wenn ich das sogenannte Moderne sehe, und darum umgehe ich den ganzen Mist in großem Bogen. Aber da kommen jene, die noch gestern in einer Kate oder in einem Erdloch hausten, mit engem Rock oder mit Abendkleid und hohen Stöckelschuhen, und finden den Mist hier großartig. Das verlangt der kommunistische Standesdünkel der Neureichen, die neue Aristokratie. Bergfreunde bleiben höchstens über Nacht, wenn’s nicht anders geht, um ein Dach

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