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Wie ein Licht aufzuckt
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Ebook97 pages1 hour

Wie ein Licht aufzuckt

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Ein Zeuge der Hinrichtung von Josef K. kehrt in die Stadt des "Prozesses" zurück und findet die Personen Kafkas in charakteristisch veränderten Verhältnissen vor. Der Autor konfrontiert seinen Protagonisten Grauhammer mit der Situation, dass die Verantwortlichen von damals sich inzwischen in ihrer Schuld komfortabel eingerichtet haben und seinen bedrängenden Fragen nur mit Gleichgültigkeit und Unverständnis begegnen. Die Suche Grauhammers führt schließlich dazu, dass er seine eigene Verstricktheit in die Hinrichtung Josef K.s erkennen muss, eine Erfahrung, die ihn aus dem Gleichgewicht bringt. Der Autor greift die Vorlage von Franz Kafka auf und konfrontiert die Beteiligten aus Kafkas Roman Der Prozess durch seinen Protagonisten Grauhammer mit ihrer Schuld an der Hinrichtung von Josef K.
LanguageDeutsch
Release dateSep 9, 2015
ISBN9783956175015
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    Wie ein Licht aufzuckt - Rudolf Stirn

    K.

    Das Haus am Bahndamm

    Obgleich Grauhammer an der Hinrichtung von Josef K. erwachte und, in seinem Bett emporgerichtet, den Sechsuhrzug vorbeidonnern hörte, sah er noch, in der Erschütterung des Hauses, für einen Augenblick das Messer aufblitzen, bevor es K. ins Herz fuhr. Dann spürte er eine große Scham, die Josef K., welcher in dieser Sekunde erneut starb, ihm hinterlassen hatte.

    Grauhammer erblickte seine Hände, denn sie zitterten. Von den Vorhängen her fiel ein Streifen Licht darüber, dem er sie vor seinem erschrockenen Gesicht langsam entzog. Mit diesen Händen, sagte er, und es wurde ihm kalt.

    Er sah die beiden Herren, Wange an Wange aneinandergelehnt, im Sechsuhrzug sitzen. Das Messer, haben sie es herausgezogen und abgewischt, fragte er sich. Befindet es sich in dem schmalen Aktenkoffer, der über ihnen im Gepäckfach liegt?

    Er verließ das Bett und zog die Vorhänge zurück. Dann öffnete er das Fenster und beugte sich hinaus. Drüben lag die Stadt, und in der Nähe des Hauses, in dem er wohnte, hinter dem Bahndamm, verlassen und öde, wußte er den Steinbruch, um dessentwillen er hierhergekommen war.

    Bei offenem Fenster machte er seine gymnastischen Übungen. Von den Feldern kamen einzelne Vogelstimmen. Mit einem Schaudern erhob er sich, es war noch kühl im Zimmer.

    Er ging wieder zum Fenster und schaute in den Garten hinab. Auf den leeren Beeten lagen Kohlstümpfe, an denen schwärzliche Tautropfen hingen. Vom Bahndamm her kam eine Brise, die nach Asche und Rauch roch. Den Steinbruch konnte Grauhammer von diesem Fenster aus nicht sehen.

    Er schloß es, zog Hose und Hemd an und klingelte. Nach einigen Minuten klopfte es an der Türe und Grauhammer rief: Kommen Sie herein, Frau Grubach, ich bin wach und hungrig. Ich bin auch neugierig, was Sie mir zu sagen haben. Gestern Abend war ich zu müde, um Ihnen mehr als mein Erstaunen auszudrücken. Er hatte sich aufs Bett gesetzt und beobachtete, wie die Frau das Tablett auf dem Tisch abstellte, der die Mitte des Zimmers einnahm.

    Danke, sagte er und trat hinzu. Setzen Sie sich einen Moment, bat er und ließ sich nieder, um zu frühstücken.Die Frau zögerte ein wenig. Es gibt viel Arbeit im Haus, wandte sie ein. Doch dann setzte sie sich.

    Ich kam mit dem Zug, sagte Grauhammer und schenkte sich ein. Ich nehme an, Sie wissen Bescheid.

    Die Frau betrachtete ihn und nickte vorsichtig, als dürfe niemand ein Zeichen des Einverständnisses an ihr wahrnehmen.Was werden Sie tun, fragte sie leise.

    Grauhammer kaute ruhig und schluckte. Er sah ein besorgtes, von Neugier und Spannung bewegtes Gesicht. Sie wartete. Er trank und räusperte sich dann leicht.

    Vielleicht kann ich den Fall zum Abschluß bringen, da ich Sie gefunden habe.

    Die Frau sagte nichts. Es sah aus, als wolle sie abwarten, was er weiter Vorbringen werde. Für einen Augenblick glaubte Grauhammer, sie werde ihm Schwierigkeiten bereiten.

    Den Fall abschließen, fragte sie jetzt.

    Ja, sagte er. Diesen Vorsatz habe ich gefaßt. Oder glauben Sie, daß ein Jahr zu wenig sein wird?

    Kommt es darauf an, was ich glaube, fragte die Frau. Sie senkte die Stimme, denn die letzten Worte hatte sie zu laut gesprochen.Ich werde hier wohnen, sagte Grauhammer, bis sich in der Stadt etwas Geeignetes findet.

    Hat man Ihnen gesagt, daß Sie hier eine Pension finden, fragte die Zimmerwirtin und erhob sich. Nein, wehrte er ab und fühlte einen großen Widerwillen in sich aufsteigen.

    Das Gericht schickt mir gelegentlich Leute, weil es schwer ist, hier draußen eine Pension zu betreiben. Die Bahnlinie ist laut, das hält die meisten ab, sagte die Frau und warf einen Blick in Richtung Fenster.

    Grauhammer schob das Geschirr zusammen, trat nahe an die Frau heran und berührte ihren Arm, als könne er so leichter Antwort auf seine Frage finden.

    Und sie, wohnt sie auch bei Ihnen?

    Wer, kam es zurück.

    Wer, wer, stöhnte er und stampfte leicht mit dem Fuß. Wer anders als das gute, liebe Mädchen, um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, freundlich, ordentlich, pünktlich, arbeitsam, das Sie in entlegenen Straßen und mit verschiedenen Herren gesehen haben.

    In entlegenen Straßen, hauchte sie betroffen.

    Ja, und mit verschiedenen Herren. Wohnt sie hier?

    Ich erinnere mich nicht, sagte die Frau und zog ihren Arm weg.

    Er starrte sie an und glaubte eine große Angst in ihrem Gesicht zu lesen, die sie vor ihm zu verbergen suchte.

    Als sie sich mit dem Frühstücksgeschirr zur Türe zurückzog, hatte Grauhammer sich bereits abgewendet.

    Kopf und Stein

    Er ging zum Bahndamm. Es war hell. Er hatte die Schrebergärten zur Linken, kleine Hütten mit zerfallenen Bänken davor, staubige Blumenrabatten, am Boden lag eine Hacke.

    Beim Steinbruch ging er langsamer. Grauhammer sah die Rückseite des Hauses, in dem er sich eingemietet hatte. Ein Mensch hatte sich aus dem oberen Stockwerk gebeugt und war Zeuge geworden. Diese Zeugenschaft beschäftigte ihn. Er trug sein Wissen davon mit sich herum.

    Leicht fand Grauhammer die Stelle, an der Josef K. seinen Mördern erlegen war. Vor dem losgebrochenen Stein setzte er sich auf die Erde, rückte mit dem Körper dagegen und legte den Kopf zurück. Er spürte die scharfen Kanten, sah, wie die Bruchwand über ihm in die Höhe stieg. Grauhammer blickte in den wolkenlosen Himmel hinauf.

    Am nächsten Tag verließ er sehr früh das Haus. Nach einer Viertelstunde Weg erreichte er die Station. Bei diesem einzeln stehenden Gebäude bestiegen nur Bauern aus dem nahen Dorf den Zug.

    Der Zug war nicht voll, dennoch lief Grauhammer von Wagen zu Wagen. Er sah die dort Sitzenden an.

    Manchmal trat er nahe an sie heran, als wolle er etwas aus ihren Taschen ziehen. Seine Blicke verliefen sich in vielerlei Augen. Und bei manchem war es ihm, als stoße er auf mörderischen Grund.

    Niemand aber saß mit ihm, Wange an Wange, in einen Mord wie in eiunauslöschliches Ereignis vertieft.

    Der Sog

    Grauhammer ging den kurzen Weg zur Schule hinab. Auf der Schulhaustreppe versank er in ein schützendes Lächeln. Vor dem Direktorzimmer wartete der Direktor und schaute in sich hinein. Seinen Gruß konnte der Blick des Direktors nicht erwidern.Grauhammer sah auf den großen Scheiben zum Hof die Greifvogelsilhouetten stehn und ging

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