Das Patenkind
By S. Remark
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About this ebook
Teil I: Als Dreizehnjährige lernt Stefanie im konservativ-katholischen Sauerland Pater Konrady kennen und ist von Anfang an fasziniert von ihm. Der wesentlich Ältere vermag ihr zu geben, was sie bei Familie und Freunden vermisst: Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit. Auch er genießt ihre kindliche Begeisterung, den Zauber ihrer Jugend und die Anbindung an ihre Familie.
Mehr und mehr gelingt es ihm, die Heranwachsende in seinen Bann zu ziehen. Intern wird er zu ihrem Liebeslehrer, extern sie zu seinem sogenannten Patenkind. Das Ergebnis: gesellschaftliche Akzeptanz, vor allem im streng-religiösen Elternhaus.
Teil II: Als über Vierzigjährige wird Stefanie erstmals bewusst, was damals mit ihr geschehen ist. Sukzessive stellt sie sich der schmerzhaften Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit.
S. Remark
S. Remark wuchs im Sauerland auf. Nach dem Studium der Germanistik und Theologie lebt sie heute mit ihrer Familie an der Weinstraße.
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Book preview
Das Patenkind - S. Remark
Rot, zerknittert und zart: die Mohnblume.
Sie ist die Blume des Augenblicks: im Sommer
eine wahre Pracht auf den Feldern - wird sie
gepflückt, ist die Herrlichkeit bald vergangen.
Mohn galt schon immer als Zauberpflanze.
Sie symbolisiert einerseits Jugend, Verführung
und Leidenschaft,
andererseits aber auch Rausch, Illusion und
Gedenken.
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil: Jugend, Verführung, Leidenschaft
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Zweiter Teil: Rausch, Illusion, Gedenken
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
ERSTER TEIL: JUGEND, VERFÜHRUNG,
LEIDENSCHAFT
1
1988. Ich war dreizehn, verträumt und lebensfroh. Meine Schule, ein Gymnasium auf einem im Sauerländer Wald idyllisch gelegenen Hügel, nannte man Kloster, weil sie von Patres geleitet wurde. Donnerstagmorgens gab es dort Schulgottesdienste, mehrmals im Jahr sonntags einen Jugendgottesdienst. Dieser wurde von mehreren Schülern und einem der Patres gemeinsam vorbereitet - diesmal mit Übernachtung im ehemaligen Internatstrakt der Klosterschule.
Wir waren in großen Schlafsälen untergebracht, die den Charme der sechziger Jahre versprühten: Grüne, abgeschabte Metallbetten mit durchgelegenen Matratzen standen ordentlich aufgereiht, von bräunlichen Nachttischen durchtrennt, in einem von Neonröhren kaltweiß beleuchteten Raum. Große Waschräume befanden sich gleich nebenan. Das Internat gab es nicht mehr. Diese Form der katholischen Erziehung von Knaben, die auf den Priesterberuf vorbereitet werden sollten, hatte sich überlebt. Mein Vater war auch hier gewesen. Doch hatte er zu früh eine eigene Meinung gehabt, und war deshalb - sehr zum Leidwesen meines Großvaters - nicht als Priester in Frage gekommen.
Ab der achten Klasse durften wir bei der Jugendgottesdienst-Vorbereitung dabei sein und im Kloster übernachten. Abends waren meine Freundin und ich schon früh müde. Wir verabschiedeten uns nach getaner Arbeit von den anderen, um uns im Bett zu unterhalten. Die älteren Schüler blieben noch im Raum sitzen. Für sie begann der gemütliche Teil des Abends erst. „Kommt, ich zeige euch euer Quartier!, bot Pater Konrady freundlich an. Wir folgten ihm und fühlten uns geehrt, als er wiederkam, nachdem wir uns zum Schlafen fertig gemacht hatten. Er schien zu spüren, dass uns die vielen Gänge und Stockwerke, die seit Jahren leer standen, unheimlich waren. „Es ist wohl das erste Mal, dass ihr nicht zu Hause schlaft, oder?
, meinte er. „Wenn ihr wollt, leiste ich euch noch Gesellschaft und erzähle euch etwas über das Internat. Wir nickten begeistert - war es doch eine seltene Gelegenheit, unseren Religionslehrer außerunterrichtlich zu erleben. Es wurde ein lustiger Abend. Wir bekamen vieles über das ehemalige Jungen-Internat erzählt und tauten beide richtig auf. „War das jetzt so ähnlich, wie euch eure Eltern zu Hause auch ins Bett bringen oder habt ihr noch einen Wunsch?
, fragte Pater Konrady lächelnd. Keck sagte ich: „Manchmal bekomme ich noch eine Rückenmassage! „Kein Problem, Stefanie, das kann ich auch!
meinte er, setzte sich hinter mich auf das alte Internats-Bett und fuhr mit seinen Fingern meinen Rücken auf und ab. Es fühlte sich gut an. Wir unterhielten uns weiter und es war angenehm, seine warmen Hände auf meinem Schlafanzugoberteil zu spüren. Er konnte das wie ein richtiger Masseur: Zuerst knetete er meine vom Sitzen verspannte Nackenmuskulatur, arbeitete sich vor zu meinen Schultern und walkte alle Partien meines Rückens ordentlich durch, während wir uns mühelos weiter unterhielten. „Ist es okay, wenn ich auf der Haut weiter mache? Die Schlafanzugfalten sind immer im Weg", kam es nach einer halben Stunde von hinten. Ich nickte, tat es doch einfach zu gut. Vorsichtig hob er mein Oberteil hoch und schob seine warme, weiche Hand darunter. Leicht kitzelnd arbeitete er weiter und fuhr meinen Rücken behutsam auf und ab. Ich schnurrte wie ein Kätzchen und genoss die Aufmerksamkeit, die ich zu Hause mit zwei kleineren Geschwistern nicht in diesem Ausmaß bekam. Der Schlafanzug war weit und ich spürte genau, wie sich seine Finger in immer kleiner werdenden Kreisen vorwärts bewegten, an meinem Oberarm entlang fuhren und die Konturen meines Rückens genau nachzeichneten. Jetzt war er von hinten fast unter meiner Achsel und glitt langsam an meinen Rippen entlang. Irgendwie hatte ich ein seltsames Gefühl. Unter meinem Schlafanzugoberteil hatte ich nichts mehr an. Seine Hände schienen genau die Grenze zu fühlen, über die ich nachdachte. Sie blieben aber dahinter.
2
In der Zeit danach beobachtete ich ihn. Im Schulgottesdienst fiel mir auf, dass er - im Unterschied zu den anderen Patres - immer abseits vom Altar stand. Wurde er nicht gemocht, nicht integriert von den anderen? Mein Mitleid war geweckt. Ich gab mir besondere Mühe in seinem Unterricht, meldete mich oft, wollte ihn froh machen.
Eines Nachmittags kam eine andere Freundin zu Besuch. Sie hatte ihr Rad dabei und wir kamen auf die Idee, zum Kloster zu radeln. Ob wir den Berg dort hoch schaffen würden? Klar, wir hatten neue Räder mit Gangschaltung bekommen. Meine Eltern erlaubten uns die Tour und so fuhren wir motiviert die vielen Kurven hinauf, die uns morgens im Schulbus gar nicht so steil vorkamen wie nun auf dem Fahrrad. Als wir endlich angekommen waren, hatten wir hochrote, überhitzte Köpfe. So klingelten wir an der Klosterpforte. Ein uns unbekannter Pater öffnete. Er unterrichtete nicht in der Schule und schien sich gestört zu fühlen. Schüchtern fragten wir nach dem Einzigen, der uns in den Sinn kam: „Ist Pater Konrady da? Wir möchten ihn gern besuchen. - „Er joggt gerade. Vielleicht habt ihr Glück und trefft ihn in der Nähe der Turnhalle.
Hinter der Schulturnhalle befand sich ein kleiner, von den Biologielehrern zu Lehrzwecken angelegter Teich. Dorthin schoben wir unsere Räder. Als wir hinter der Halle um die Ecke bogen, stand Pater Konrady tatsächlich da.
Zum ersten Mal sah ich ihn, der sonst nur grau oder schwarz trug, in verwaschenen Blue Jeans und dunkelblauem Polohemd mit Sportschuhen an den Füßen. Unter dem Poloshirt zeichnete sich ein kleiner, sympathischer Bauchansatz ab. Erhitzt waren wir alle: er vom Joggen, wir vom Radfahren. Lächelnd sah er uns an. Seine Augen blitzten. Er freute sich, dass wir ihn besuchten. Scheinbar passierte das nicht oft. „Kommt mit in die Küche! Dort gibt uns die Köchin etwas Kühles zu trinken. Es gab herrlich kalten Sprudel. Tat das gut! „Wart ihr eigentlich schon in der neuen Bibliothek, die von Pater Hermann betreut wird?
, fragte Pater Konrady. Da wir