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Und das Meer gab seine Toten wieder: Kriminalroman
Und das Meer gab seine Toten wieder: Kriminalroman
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Ebook270 pages3 hours

Und das Meer gab seine Toten wieder: Kriminalroman

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About this ebook

In der aufgeladenen politischen Situation Anfang der 30er Jahre will Jennifer Stevenson die Hintergründe eines Skandals aufklären. Zwei Polizistinnen sind angeblich freiwillig in den Tod gegangen. Hielten sie die Machtkämpfe innerhalb der "Weiblichen Kriminalpolizei" nicht aus oder wurden sie ermordet? Die Nachforschungen führen Jennifer Stevenson von Hamburg nach Pellworm, wo die Leichen gefunden worden sind. Bald wird ihr klar, dass sie nicht die einzige Fremde auf der Insel ist ...
Der Roman erzählt die wahre Geschichte eines Hamburger Polizeiskandals aus dem Jahr 1931, dessen Umstände nie aufgeklärt wurden.
LanguageDeutsch
Release dateJul 16, 2015
ISBN9783960541035
Und das Meer gab seine Toten wieder: Kriminalroman

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    Hamburg, 1931. Die englische Kriminalbeamtin Jennifer Stevenson soll im Auftrag der 'International Association oft Policewomen' untersuchen, weshalb die über Deutschland hinaus bekannte und renommierte Leiterin der 'Weiblichen Kriminalpolizei' Josephine Erkens vom Dienst suspendiert und deren Abteilung aufgelöst wurde. Auslöser scheint der Selbstmord zweier Mitarbeiterinnen von Frau Erkens aufgrund von Machtkämpfen innerhalb dieses Bereiches gewesen zu sein. Doch Jennifer Stevens stellt bereits kurz nach ihrer Ankunft fest, dass mehr dahinter steckt. Ihre Arbeit wird massiv behindert und ihr wird klar, dass sie sich inmitten eines Geflechts von Intrigen befindet, die weit über diesen Bereich hinausreichen. Mithilfe von Klara Schindler, einer kommunistischen Reporterin der 'Hamburger Volkszeitung', versucht sie die Zusammenhänge zu erkennen und zu veröffentlichen, wogegen die Hintermänner mit allen Mitteln vorgehen.
    Ein reales Geschehen (zwei tote Polizistinnen am Strand von Pellworm) mit einer fiktiven Lösung: Brack gelingt es, eine überzeugende Erklärung für das noch immer ungeklärte Drama zu liefern. Ganz nebenbei vermittelt er uns zudem einen Einblick in eine düstere Zeit, in der ein Funke genügte, das Pulverfass zur Explosion zu bringen: das allmähliche Unterwandern der Behörden durch die Nazis, der Kampf der Kommunisten gegen den immer stärker werdenden Faschismus. Und nicht zuletzt die ersten und schwierigen Versuche der Frauen, Fuß zu fassen in einem Bereich, der bisher ausschließlich Männern vorbehalten war. Selbst eine zarte, auch nur vorsichtig angedeutete Liebesgeschichte fehlt nicht in diesem sachlich und nüchtern erzählten, dennoch überaus spannenden Krimi.
    Marlen Diekhoff gibt diesen Tonfall der erzählenden Jennifer Stevenson glaubwürdig wieder, so dass es schwer fällt, vor dem Ende dieses Romans die Stopp-Taste zu drücken.

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Und das Meer gab seine Toten wieder - Robert Brack

ERSTER TEIL: IM RÄDERWERK

– 1 –

Vor allem roch es nach verbrannter Kohle. Überall Rauch, vermischt mit Nebel, Eisbrocken trieben im schwarzen Wasser, Schneeflocken wirbelten durch die Luft. Durchdringendes Sirenengeheul, doch die Stadt im Dunst blieb unbeeindruckt von unserer Ankunft. Was bildeten wir uns auch ein? Ein zweiter Blick auf den Hafen zeigte uns die massigen Umrisse viel größerer Schiffe. Zwei Schlepper halfen beim Wenden zwischen Frachtern, Fähren und Barkassen. Wir fügten uns bescheiden zwischen zwei Ozeanriesen ein und machten an der Überseebrücke fest. Willkommen in Hamburg.

Eine Ankunft im Morgengrauen. Allein in der Fremde. Eine Mission.

Kein Grund, pathetisch zu werden, Jenny. Es war viel zu frostig für große Gefühle und dein Koffer zu schwer für tiefschürfende Gedanken.

»Siehst du«, sagte die kleine Anna, die neben mir über die Reling spähte, »jetzt sind wir nicht mehr grün im Gesicht.«

»Was für ein Glück.«

»Ja, grau siehst du viel besser aus. Tschüss, ich muss jetzt gehen.«

Ein flüchtiger Händedruck, ein angedeuteter Knicks und weg war sie.

Ein Blick über die Bordwand. Die ersten Passagiere betraten vorsichtig die Gangway. Es sind immer die Ängstlichen, die zuerst das Schiff verlassen.

Ich griff nach dem Koffer und ging von Deck.

Draußen auf dem Ponton fühlte ich mich klein als Teil des Auflaufs winziger Menschen neben den hoch aufragenden schwimmenden Stahlwänden. Ein langer eiserner Steg führte an Land.

»… man erwartet Sie gegenüber der Brücke … am Zeitungsstand unter der Hochbahn …«

Automobile fuhren vor und nahmen die wohlhabenden Reisenden auf. Jenseits der Hochbahn eine Tramhaltestelle, dahinter reckten sich mehrstöckige Häuser mit spitzen Giebeln in die Höhe. Ich stellte den Koffer ab, schlug meinen Mantelkragen hoch und schaute mich um. Die Frau im Zeitungsstand rauchte eine Pfeife und musterte mich argwöhnisch. Über mir rumpelten Waggons über die Eisenbrücke. Ein Mann trat auf mich zu, streckte die Hand aus. Er trug nicht mal einen Mantel, nur ein armseliges Jackett, darunter ein schmutziges Baumwollhemd, die Hosen so kurz, dass man die nackten Beine sah.

»Es tut mir leid, ich habe kein deutsches Geld.« Er stolperte vorbei, mit unbewegtem Gesicht. Einer von sechs Millionen Arbeitslosen in Deutschland an diesem Tag, dem 29. Februar, der das Jahr des Elends 1932 um vierundzwanzig Stunden verlängerte.

Ich erkannte die Frau an ihrem Hut. Natürlich trug sie keine Uniform, ihre Dienststelle war aufgelöst worden, es gab keine weiblichen Streifenbeamten mehr, aber der Hut erinnerte mich an meine Kolleginnen in England. Einen solchen Hut trägt eine Frau sonst nicht.

»Good morning«, sagte sie unbeholfen. »My name is Berta Winter.«

»Guten Morgen, Frau Winter. Ich bin Jennifer Stevenson von der International Policewomen’s Association. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

Wir schüttelten uns die Hand.

»Oh, Sie sprechen Deutsch«, stellte sie erleichtert fest.

»Ein bisschen.«

»Ich bin die Einzige bei uns, die etwas Englisch beherrscht … deshalb hat man mich … Lernt man denn bei der englischen Polizei Fremdsprachen?«

»Nein. Eine Tante hat es mir beigebracht. Sie kam aus Hamburg.«

»Ach, dann sind Sie sozusagen eine Landsmännin?«

»Nein, nur die Tante.«

»Ach so.« Sie schaute auf meinen Koffer, offenbar unschlüssig, ob sie ihn tragen sollte. »Wir könnten die Straßenbahn nehmen, nur zwei Stationen … oder …«

»Zu Fuß wäre mir angenehm. Ich kann etwas Bewegung gebrauchen.«

Sie trat auf den Koffer zu. »Soll ich den …?«

»Nein, nein, ich glaube, das schaffe ich schon.« Ich hob mein einziges Gepäckstück an, um zu zeigen, dass es mir keine Mühe bereitete. Sicherlich war ich die Stärkere von uns beiden, wenn auch etwas kleiner als meine deutsche Kollegin, die schmal und schlank gebaut war, weshalb die schweren Schnürstiefel an ihren Füßen und der plumpe Hut nicht recht zu ihr passen wollten.

Berta Winter drehte sich um. Mein Blick fiel auf die Zeitungsverkäuferin. Sollte ich mich verabschieden? Immerhin hatte sie mich die ganze Zeit unverhohlen angestarrt. Ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, sagte sie: »English papers heb wi ook.« Und stieß eine Rauchwolke aus.

Ich dankte mit einem Kopfnicken und folgte meiner Gastgeberin über die Fahrbahn, durch größere Straßen und verwinkelte Gassen, bis wir vor einem schmalen, vierstöckigen Fachwerkhaus standen.

»Oben unterm Dachboden«, sagte Berta entschuldigend. »Groß ist es leider nicht. Aber ich kann uns Kaffee machen. Aus echten Bohnen.«

»Das gefällt mir gut.«

Über eine steile Stiege gelangten wir in ihre Wohnung. Einige Wände hatten Dachschrägen.

»Es ist ein Zimmer zu viel da … meine Mutter ist im letzten Jahr verstorben …«

Sie zeigte mir eine schlicht eingerichtete Küche, ein Wohnzimmer, das sie erst aufschließen musste, ein Schlafzimmer mit einem düster wirkenden mächtigen Doppelbett und eine Kammer, in der kaum mehr als Tisch, Stuhl, Bett und Kommode Platz fanden. Es ging nach hinten hinaus und hatte nur ein sehr kleines Fenster. An der sonst kahlen Wand ein Bild mit Blumen. Über dem Tisch ein schmales Regal mit Büchern. »Eigentlich war das immer mein Zimmer … aber jetzt …«

Ich stellte meinen Koffer ab. »Es ist schön.«

»Sicher etwas eng.«

Ich trat ans Fenster. Unten im Hinterhof waren lange Bretter aufgeschichtet, Arbeitsgeräte standen herum. Ich hatte das Firmenschild einer Tischlerei am Nebenhaus bemerkt.

»Wenn die da unten zu laut hämmern, muss man schreien, dann kuschen sie schon«, sagte Berta und hob unvermittelt meinen Koffer hoch, um ihn auf das Bett zu werfen.

»Danke«, sagte ich erstaunt.

»Ich mach uns mal einen Kaffee. Die Toilette ist eine halbe Treppe tiefer. Der Schlüssel liegt oben auf dem Türrahmen, damit sich die Kinder nicht andauernd einschließen …«

»Gut, vielen Dank.«

Der Kaffee, den sie mir dann in ihrer kleinen Küche servierte, war bestimmt der Beste, den ich je getrunken hatte. Leider blieb es bei diesem einen Mal.

Wir unterhielten uns über dies und das. Ich erzählte ein bisschen von Tante Elsi, die von meinem Onkel Jack, einem schottischen Matrosen, nach Glasgow gebracht worden war. Er hatte versprochen, mit ihr nach Amerika auszuwandern. Aber dann sind sie in Schottland geblieben. Er trank und sie »verdorrte so langsam«, wie sie sich ausdrückte. Dass sie vom »Hamburger Berg« stammte, wie sie St. Pauli immer nannte, verschwieg ich Berta, obwohl ich annehmen durfte, dass wir als Kolleginnen keine Vorurteile kannten.

»Für Tante Elsi ist Hamburg die schönste Stadt der Welt. Und Glasgow die Hölle«, erzählte ich.

»Warum kommt sie dann nicht zurück?«

»Sie ist verheiratet und mittellos …«

»Sklaverei«, sagte Berta.

»Sie hat mich erzogen, nachdem meine Mutter starb. Seit ich in London bin, schicke ich ihr Briefe. Aber es kommt nie einer zurück.«

»Vielleicht hätten Sie sie mitnehmen sollen.«

Du hast es nicht bemerkt, Berta, aber was du da gesagt hattest, rührte mich sehr. Warum bin ich nie selbst auf diesen Gedanken gekommen?

Nach einer Weile kamen wir endlich auf den Grund meiner Reise zu sprechen.

»Es ist doch längst zu spät«, sagte Berta. »Unsere Dienststelle ist aufgelöst.«

»Mag sein, aber warum?«

Sie legte das Messer beiseite, mit dem sie sich ein Butterbrot geschmiert hatte.

»Warum? Aber wisst ihr das in England denn noch nicht? Zwei unserer besten Polizistinnen haben … sind ums Leben gekommen!«

»Selbstmord, heißt es.«

»Dann wisst ihr es also doch.«

»Ja, sicher, aber warum wird eine ganze Dienststelle aufgelöst, wenn zwei Beamtinnen sich umbringen?«

»Weil es nicht mehr ging! Unsere Chefin steht doch unter Anklage! Sie darf die Abteilung nicht mehr leiten. Und wer sollte es sonst tun? Thesy, also Therese Dopfer, war ihre Stellvertreterin, aber sie ist ja nun tot. Erst hat der Forster von der Sitte die Leitung übernommen. Aber dann wurden alle auf verschiedene Abteilungen verteilt.«

»Das ist es ja eben, was uns wundert. Josephine Erkens, die international anerkannte Expertin, die Bahnbrechendes auf dem Gebiet der weiblichen Kriminalpolizei geleistet hat, wurde ihres Amtes enthoben und einem Disziplinarverfahren unterzogen. Warum?«

Berta sah mich unglücklich an, vielleicht war ich zu aufbrausend geworden.

»Das … das weiß ich nicht.«

»Macht man sie für den Tod ihrer Untergebenen verantwortlich?«

»Ja … nein … ich weiß nicht. Sie hatte doch immer Scherereien mit den Vorgesetzten.«

»Nur weil eine Beamtin Konflikte mit ihren Vorgesetzten hat, wird doch nicht eine ganze Abteilung aufgelöst!«

Berta blickte verlegen um sich, schaute durchs Fenster in den stahlgrauen Himmel. Aus Schornsteinen quoll gelber Qualm und stieg träge nach oben. Sie zog ein Taschentuch aus dem Ärmel ihres dunkelblauen Kleids, schnäuzte und tupfte sich die Augenwinkel.

»Es ist alles so schrecklich schiefgelaufen. Dabei hatte es wunderbar angefangen.« Sie seufzte. »Es war, wie wenn man unter Freunden arbeitet. Zuerst waren wir ganz wenige, nur fünf Beamte, Frau Erkens und Thesy und Maria Fischer und zwei Männer. Und wir Angestellten – ich habe als Schreibkraft angefangen. Wir hatten die schönste Dienststelle im ganzen Stadthaus. Blumen am Fenster, Blumen auf den Schreibtischen, in der Ecke Kinderspielzeug, Bilderbücher, Stofftiere, Puppen. Wenn Frauen mit Kindern kamen, haben wir uns gekümmert und ihnen was zum Spielen gegeben. Wir haben nicht nur Anzeigen aufgenommen oder Protokolle geführt, wir haben junge Mädchen beraten und Frauen in Not geholfen. Es ging ja nicht nur um Verbrechen … Jeder konnte sich mit jedem besprechen, auch mit den männlichen Beamten. Es herrschte ein großer Gemeinschaftsgeist. Einmal in der Woche gab es großen Kaffeeklatsch.« Sie lächelte wehmütig. »Und Frau Erkens und Thesy Dopfer waren ein Herz und eine Seele. ›Mein Goldschatz‹ hat Frau Erkens immer zu ihr gesagt. Aber irgendwann war dann alles anders. Da sind sie dann aufeinander losgegangen wie die Furien.«

»Aber das kann doch nicht über Nacht gekommen sein.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist einfach passiert und jetzt ist es eben vorbei. Und ganz bestimmt ist Frau Erkens nicht unschuldig an alledem.«

»Ich habe Frau Erkens in London auf einer Tagung kennengelernt. Dort machte sie einen überaus liebenswerten, ernsthaften und kompetenten Eindruck. Sie hat viel Beifall bekommen.«

»Dann hast du dich eben auch von ihr blenden lassen!«, stieß Berta wütend hervor und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. »Entschuldigen Sie bitte.«

»Ist schon gut. Aber ich glaube, wir können ruhig beim Du bleiben.«

Berta lächelte zaghaft. »Nur unter einer Bedingung: Ich muss nichts mehr zu dieser furchtbaren Sache aussagen. Die anderen wissen auch viel besser Bescheid.«

»Ich darf doch gar keine Aussagen offiziell aufnehmen. Aber ich habe die Absicht, eine Menge Fragen zu stellen, und wäre dir sehr dankbar, wenn du mich jetzt zur Polizeizentrale bringen könntest.«

Ich stand auf, nun hatte ich es eilig. Auch nach zwei Butterbroten hatte ich noch Appetit, zu Hause war ich ein anderes Frühstück gewöhnt. Möglicherweise kamen wir auf dem Weg an einer Schlachterei vorbei, wo die berühmten deutschen Würste verkauft wurden.

»Vielleicht erwartet man mich ja schon«, fügte ich hinzu, um mein Hungergefühl zu kaschieren.

»Das glaube ich eher nicht«, sagte Berta.

– 2 –

Bis zur Polizeizentrale im Stadthaus war es nicht weit. In einer kleinen Sparkassenfiliale konnte ich deutsches Geld eintauschen. Dann betrat ich zum Erstaunen von Berta einen Fleischerladen und kaufte zwei Wiener Würstchen. »Immer mit fettigen Händen zum Dienst«, lästerten meine Kolleginnen in London manchmal.

Berta war recht einsilbig. Vielleicht war ihr der Gefühlsausbruch am Küchentisch peinlich. Im Stadthaus führte sie mich über Treppen und Korridore zum Büro von Dr. Schlanbusch, dem stellvertretenden Polizeipräsidenten, dem vier Jahre lang die Abteilung der Frauenpolizei unterstellt gewesen war. Der Vorstand der International Policewomen’s Association hatte ihm mein Kommen angekündigt.

Mit jedem Schritt schien Berta langsamer zu werden. Ich machte einen Scherz über die endlosen Flure, unter denen wir auch in London zu leiden hätten, aber sie erwiderte nichts. Schließlich blieb sie stehen, klopfte an eine Tür und trat beiseite. Es war klar, dass sie nicht mit hineingehen wollte.

Eine Frauenstimme rief: »Ja, bitte!«, und ich trat ins Vorzimmer. Eine hübsche Blondine, ein bisschen älter als ich, schaute von ihrer Schreibmaschine auf. Ich stellte mich vor. »Good Morning«, sagte sie lächelnd. Dann hielt sie ratlos inne. Ich beeilte mich, deutsch zu sprechen.

Sie stand auf. In ihrem grauen Kostüm machte sie einen sehr adretten Eindruck. »Herr Dr. Schlanbusch ist wie immer in Eile. Aber ich will mal sehen, ob er schnell Zeit für Sie hat.« Ich hatte mir eigentlich mehr erhofft als nur ein kurzes Gespräch, erwiderte aber nichts. Es war besser, nicht gleich zu hohe Forderungen zu stellen. Die Blonde klopfte an die Tür zum Nebenzimmer, man hörte ein herrisches »Herein!«, und ich bemerkte, wie sie sich duckte, als sie die Klinke drückte. Sie nannte leise meinen Namen.

»Soll reinkommen!«

Und schon stand ich vor seinem Schreibtisch. Dr. Schlanbusch erhob sich. Recht schmale Schultern für seine Körpergröße, aber breite Hände. Offenbar war er sich unschlüssig, ob er sie mir reichen sollte und entschied sich dann, es nicht zu tun. Stattdessen sah er mich nur fragend an.

»Die Dame spricht deutsch«, versicherte die Sekretärin.

»Nun gut.« Er musterte mich eher nachlässig und trat hinter dem Schreibtisch hervor. »Sie haben eine weite Reise gemacht. Sie werden enttäuscht sein. Die Dienststelle, die Sie in Augenschein nehmen wollen, existiert nicht mehr.«

»Das ist doch der Grund, weshalb man mich geschickt hat.« »Man hat Sie geschickt?« Er hüstelte, ging an mir vorbei und tat so, als würde er im Aktenschrank nach etwas suchen.

»Ich bin im Auftrag der International Policewomen’s Association hier. Der Polizeisenator hat uns brieflich Unterstützung zugesagt.«

»Ah!«, rief er gequält und fügte leise hinzu: »Da hat Schönfelder sich wieder von den Blaustrümpfen breitschlagen lassen.« Er warf einen Blick durch die offen stehende Tür zu seiner Sekretärin, die diesen Ausspruch wohl mithören sollte. Sie tat so, als ginge sie das alles nichts an, und wandte sich wieder ihren Papieren zu.

»Die I.P.A. sorgt sich sehr um das Schicksal von Frau Josephine Erkens. Darüber hinaus sind wir bestürzt über die Entwicklungen in Deutschland und fragen uns, wie es zur Auflösung der Frauenpolizei kommen konnte. Die Hamburger Abteilung galt doch bis vor Kurzem international als vorbildlich.«

»Man sorgt sich in England um unsere Polizei?« Schlanbusch tat weiter so, als sei die Suche nach einem Ordner in seinem Schrank wichtiger als das Gespräch mit mir.

»Frau Erkens hat eine Pionierleistung vollbracht, sie gilt als Kapazität auf ihrem Gebiet, da ist es doch naheliegend, dass …«

»Pionierleistung, gewiss doch«, sagte er zerstreut. »Natürlich, Sie haben ganz Recht. Es ist durchaus verständlich, dass Sie sich dafür interessieren. Nur kann ich Ihnen leider nicht helfen.« Er zog eine Akte aus dem Schrank und klemmte sie unter den Arm. »Sie wenden sich am besten direkt an Herrn Senator Schönfelder.«

»Aber es war doch Ihre Abteilung, Herr Doktor …«

»Sie sprechen zu Recht in der Vergangenheit, Fräulein Stevenson. Da meine dienstlichen Verpflichtungen, im Gegensatz zu denen von Frau Erkens, dennoch nicht beendet sind, muss ich mich jetzt leider um wichtigere Angelegenheiten kümmern.« Er deutete ins Nebenzimmer, um mir den Vortritt zu lassen.

Die Blonde schaute mich mitleidig an. Einen Moment lang war ich fassungslos. Wie konnte er mich derart abkanzeln? Ich war doch die offizielle Abgesandte einer bedeutenden internationalen Organisation!

»Sagen Sie Campe Bescheid, dass ich auf dem Weg bin«, sagte Schlanbusch zu seiner Sekretärin, die sofort zum Hörer griff.

Zu Hause hieß es immer, »schick Jenny hin«, wenn es darum ging, besonders harte Nüsse zu knacken. Aber hier, im fremden Land …

»Das trifft sich gut«, sagte ich eifrig. »Herrn Campe wollte ich ohnehin aufsuchen.«

Schlanbusch, der schon das Vorzimmer durchquert hatte, wandte sich noch mal um: »Fräulein Stevenson, wenn ich bitte Ihren Dienstgrad erfahren dürfte!«

»Inspector Stevenson, Sir.«

»Fräulein Inspektor, ich möchte Sie dringend bitten, sich Ihrem Rang entsprechend zu benehmen. Sollten Herr Polizeipräsident Campe oder ich die Notwendigkeit sehen, Sie sprechen zu wollen, werden wir Ihnen das mitteilen! Ansonsten kann ich Ihnen nur raten, sich persönlich an den Senator zu wenden. Er trägt die politische Verantwortung.«

Er verließ das Büro und durchmaß mit weit ausholenden Schritten den Korridor, bevor er um die nächste Ecke verschwand.

Die Sekretärin war rot geworden und stammelte: »Das tut mir leid, Fräulein Inspektor.«

»Bei uns geht’s auch nicht anders zu.«

»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte sie.

»Wer kommt denn als Nächstes hinter Schlanbusch in der Hierarchie?«

»Dr. Blecke ist sein Stellvertreter. Sein Büro ist gegenüber.«

»Danke.«

Ich war noch keine zwei Schritte aus Schlanbuschs Vorzimmer getreten, als Berta Winter neben mir auftauchte.

»Fertig?«, fragte sie.

Bis jetzt hatte ich doch noch gar keine Gelegenheit gehabt anzufangen.

»Ich klopfe mal dort drüben an.«

»Ach so.« Berta blieb stehen.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, dass sie mich begleitet. Aber sie zog es vor, weiter im Hintergrund zu bleiben.

Dr. Blecke sprang von seinem Schreibtisch auf, als er hörte, wo ich herkam, und schüttelte mir die Hand. Er war noch recht jung, konnte kaum dreißig Jahre alt sein. Seine Hände waren glatt und manikürt, das Haar allerdings war schon etwas schütter geworden. In fehlerfreiem Englisch bot er mir einen Stuhl an, rückte sich einen zweiten zurecht und machte Konversation. Auf das eigentliche Thema kam er nicht zu sprechen. Wenn ich versuchte, es anzuschneiden, lenkte er ab und fragte mich über meine Arbeit in London aus. Er wand sich wie ein Aal, bis ich es andersherum versuchte. Ich bat ihn, mir einen Termin

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