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Schmetterling auf Koreanisch
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Schmetterling auf Koreanisch
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Schmetterling auf Koreanisch

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About this ebook

Vor dem Hintergrund der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 und des wachsenden Antiamerikanismus, der durch einen tödlichen Unfall zweier koreanischer Mädchen genährt wird, erzählt „Schmetterling auf Koreanisch“ die Geschichte dreier Protagonisten aus ihrer jeweiligen Perspektive:

Billie, die junge Möchtegern-Dichterin, ist mit ihrem Freund auf der Suche nach dem großen Abenteuer. So weit weg von den Annehmlichkeiten des American Way of Life beginnt sie jedoch schon bald, ihre Entscheidung zu hinterfragen;  

Moon, der ehemalige Manager einer K-Pop Band, arbeitet nun an der Englischen Schule und versucht, seine Alkoholsucht unter Kontrolle zu halten, um seine Familie zurückzugewinnen;

Und Yun-ji, eine Sekretärin an der Schule, deren aufkeimende Abneigung gegenüber Amerikanern dazu führen könnte, dass sie etwas tut, was sie nie für möglich gehalten hätte.

„Schmetterling auf Koreanisch“ ist eine Geschichte über die Entscheidungen, die wir treffen und die Gründe, warum wir sie treffen.

Letztlich ist es eine Geschichte über die Macht von Liebe und Erlösung.

LanguageDeutsch
PublisherJamie
Release dateJun 22, 2018
ISBN9781547515592
Schmetterling auf Koreanisch

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    Schmetterling auf Koreanisch - Jamie Zerndt

    Jamie Zerndt

    Schmetterling auf Koreanisch

    ––––––––

    übersetzt von Susan Troeger  

    Schmetterling auf Koreanisch

    von Jamie Zerndt

    Copyright © 2018 Jamie Zerndt

    Alle Rechte vorbehalten

    Herausgegeben von Babelcube, Inc.

    www.babelcube.com

    Übersetzt von Susan Troeger

    Einband Design © 2018 Jeroen Ten Berge

    Babelcube Books und Babelcube sind Schutzmarken der Babelcube Inc.

    JUNI 2002

    Billie

    Joe und ich waren komplette Hochstapler. Anders konnte man es nicht nennen. Nicht, dass uns das aufgehalten hätte.

    Wir wurden von einem Mann in einem schwarzen Anzug vom Flughafen abgeholt, der ein Schild mit unseren Namen hochhielt, genau wie im Film. Er erklärte uns, dass er für die Englische Schule arbeite und dass sein Name Moon sei. Er sprach zu uns mit dieser warmen, sanften Stimme, die mich sofort beruhigte. Zu sagen, ich war nervös, wäre eine Untertreibung.

    Als dieser Moon daher anfing, die Leute anzuschreien, die unser Gepäck ins Auto hievten, verschwand schlagartig jegliche Spur dieser Sicherheit, die ich für einen Moment verspürt hatte. Und selbst zu diesem frühen Zeitpunkt spürte ich, dass sich etwas Größeres, Bedeutenderes dahinter verbarg, dass ich diese beiden völlig verschiedenen Facetten unseres Gastgebers bemerkte. Bald schon schienen alle ziemlich nervös zu werden, sie fingen an, sich zu entschuldigen und am laufenden Band zu verbeugen, als wäre dieser Moon irgendein richtig hohes Tier. Um die ganze Aufregung besser verstehen zu können, wäre es vermutlich hilfreich gewesen, wenn wir wenigstens ein paar Worte Koreanisch gekonnt hätten. Aber das hätte bedeutet, dass wir uns vorbereitet hätten. Das hätte bedeutet, dass wir darüber nachgedacht hätten, was wir taten, statt einfach zu packen und abzuhauen. Es hätte bedeutet, dass wir Erwachsene wären. Etwas, in dem Joe und ich uns nicht gerade übertrafen.

    Als wir aus Seoul hinausfuhren, fiel mir auf, dass die koreanische Landschaft aussah wie, sagen wir, Iowa. Nur, dass das Land statt von Getreide von Reisfeldern durchzogen war. Bald kamen wir an etwas vorbei, das wie eine Stadt aus Gewächshäusern aussah, diese weißen halbrunden Zelte, die sich immer weiter und weiter erstreckten, bis sie am Horizont aufprallten. Auch Bauern waren hier und da zwischen den Pflanzenreihen zu erkennen, sich über ihre Arbeit beugend, als würden sie mit Kindern sprechen. Und ich weiß, es war albern, aber ich war enttäuscht, dass es Bauern gab. Ich schätze, ich wollte, dass alles anders war. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Rotes Gras? Lila Bäume? Selbst die Tatsache, dass es Ampeln gab, fühlte sich wie ein Betrug an.

    Moon riss mich aus meinen Tagträumen, als sein Gesicht sich plötzlich erhellte und er auf eine Gruppe hoher, weißer Gebäude zeigte.

    „Bundang-gu! Euer neues Zuhause-ah!"

    Es sah aus wie in jeder anderen Stadt, die wir durchquert hatten, Reihen voll durchgeplanter Gebäude, die mit diesen riesigen, bizarren Comicfiguren verziert waren. Wie eine gigantische Stadt aus Lego. Wie von einem Kind gebaut, das nur begrenzte Formen und Größen zur Verfügung gehabt hatte. Und die Comicfiguren fügten dem Ganzen etwas Gruseliges bei. Als wäre jemand hingegangen und hätte überall Smileys rangeklatscht, um alles freundlicher zu machen, was jedoch genau das Gegenteil bewirkte.

    Als Nächstes kamen wir an einer Tirade von Neonlichtern vorbei. Samsung Plaza, wie man uns sagte, das örtliche Riesen-Einkaufszentrum. Ein gigantischer Wirbel aus gelben und roten Lichtern, die pulsierten und am Gebäude entlang hoch und herunter aufblitzten, bevor sie sich auf den Gehweg und die Leute ergossen. Es wimmelte nur so von Lichtern. An einigen der Schaufenster konnte ich ein paar englische Worte entdecken, aber der Rest war ein chaotisches Gewirr aus Farben und tanzenden Werbeanzeigen. Es konnte einem schwindelig davon werden.  

    Fast hätte ich vergessen, dass Joe da war, als er sich über den Rücksitz beugte und sagte: „Irgendwie verrückt, oder?"

    „Irgendwie toll", gab ich zurück.

    Ich fing an, mich in ihn zu verlieben. Oder vielleicht nur mehr in ihn zu verlieben. Sicher hatten wir in der Vergangenheit unsere Probleme gehabt, aber das hier würde alles geraderücken. Ich gebe zu, dass ich in Sachen Vertrauen ein paar Defizite hatte, aber wer hatte die nicht? Ich meine, wenn jemand dieses ganze Ding von wegen Lebendigsein durchzog, musste es doch schließlich Spuren hinterlassen.

    Wir ließen Samsung Plaza hinter uns und nach ein paar Minuten hielt Moon vor einem dreistöckigen Gebäude. Das, so wurde uns erklärt, war die Schule, an der wir im kommenden Jahr unterrichten würden. Kid's Inc. Wir hatten schon Fotos im Internet gesehen und wussten, dass sich die Schule im obersten Stockwerk befand. Was wir nicht gesehen hatten, war das untere Stockwerk. Moon zeigte stolz auf die riesigen Buchstaben, die uns begrüßten.

    T.G.I.F.

    Das hatte definitiv nicht in der Broschüre gestanden.

    Mir wurde schwer ums Herz.

    Nicht gerade die exotische Abwechslung, die wir uns erhofft hatten, als wir einen etwa 5.000 km entfernten Job angenommen hatten.

    Moon

    Moon machte es sich mit seinem Mitternachtssnack auf der Couch gemütlich: mit süßen Bohnen gefüllter Reiskuchen. Es war eines der Lieblingsgerichte seines Vaters gewesen: Chapssaltteok. Als er noch klein war, hatte sein Vater sie immer auf dem Nachhauseweg von der Arbeit mitgebracht und Moon macht es heute genauso.

    Sein Vater hatte bei einer Bank gearbeitet. Ein Salaryman. Er hatte über 40 Jahre lang denselben Anzug getragen und Moon konnte sich nicht daran erinnern, dass er jemals einen Tag gefehlt hätte. Doch sein Vater war ein guter Mann. Moon hatte jedoch lange gebraucht, um das zu erkennen. 

    Er schaute zum Kaminsims über dem Fernseher, zu der Trophäe, die er bei den Golden Disk Awards gewonnen hatte: die Statue einer Frau, die die Saenghwang, ein traditionelles Blasinstrument, spielte. Die Trophäe glänzte. Sie war aus Gold. Und für Moon stand sie längst nicht mehr für alles, was er gewonnen hatte; sie stand für alles, was er verloren hatte.

    Sein Vater und seine Mutter hatten früher Duette nach dem Abendessen gespielt. Moon erinnerte sich daran. Obwohl es sich jetzt alles wie ein Traum anfühlte. Wie altmodisch sein Vater ausgesehen hatte, als er auf dieser Matte saß und diese lächerlich primitiven Instrumente spielte, während seine Mutter ihn auf einer Dansoflöte begleitete. Und wenn er seine Flöte nicht spielte, erzählte er immer Geschichten über ihre Vorfahren und erinnerte Moon immer und immer wieder daran, wie wichtig Familie war. Wie wichtig es war, immer daran zu denken, wo er herkam.

    Moon holte sein Handy heraus, suchte nach ihrer Nummer, aber rief nicht an. Er konnte nicht. Er hatte Schande über seine Familie gebracht. Sie würden nur nach Hyo fragen. Fragen, wann sie ihn wiedersehen konnten. Und Moon könnte das nicht ertragen.

    Neben der Statue auf dem Kaminsims stand eine ungeöffnete Flasche Soju. JINRO CHAMISUL. Es war Moons Lieblingssorte gewesen. Der Soju seiner Wahl. Nicht der teuerste, aber er war milder als die anderen. Die Flasche war eine Gedächtnisstütze. Etwas, das Moon hochheben und in seinen Händen spüren konnte. Er mochte es, die Kappe leicht hin und her zu drehen und so zu tun, als würde er das Siegel brechen. Dann schaute er auf das Foto neben der Flasche. Es zeigte ihn, wie er den 12-monatigen Hyo in seinen Armen hielt. Seine Frau stand neben ihm und blickte zu den beiden auf. Sie war stolz. Glücklich. Alles, was sie wollte, stand neben ihr. Der Anblick brachte Moon jedes Mal dazu, die Flasche zurückzustellen.

    Er nahm seinen Reiskuchen und biss hinein. Iss, sagte er zu sich selbst. Iss. Es wird vorübergehen. Das tut es immer. 

    Er schaltete den Fernseher ein. Es wurde über einen Unfall mit einem US-Panzer berichtet. Zwei Mädchen im Mittelschulalter getötet.

    Er legte den Reiskuchen beiseite.

    Yun-ji

    Yun-ji besuchte vormittags Managementkurse und arbeitete bis 6 Uhr abends an der Englischen Schule. Danach ging sie direkt nach Hause zum Abendessen mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Vielmehr, mit ihrer Mutter. Ihr Vater war für gewöhnlich im Restaurant, dem Familienbetrieb. Oder im Soju-Zelt auf der anderen Straßenseite. Man könnte meinen, er hätte zwei Restaurants nach der Zeit zu urteilen, die er dort verbrachte. Nach dem Essen lernte sie drei Stunden lang. Danach sah sie, mit etwas Glück, 30 Minuten fern, bevor sie ins Bett ging. Yoon Do Hyuns Liebesbrief. Oder vielleicht Bad Girls. Je nach Stimmung. Und je nachdem, ob ihre Mutter schlief.

    Das war Yun-jis Leben. Und wenn es nach ihrem Vater ging, würde sie eines Tages das Restaurant leiten. Yun-ji wusste, dass nichts ihn glücklicher machen würde, als sie jeden Tag in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Doch Yun-ji hatte seit sie ein kleines Mädchen war im Restaurant gearbeitet. Wenn es nach ihr ginge, würde sie eines Tages ihr eigenes Geschäft eröffnen.

    Yun-jis Internetcafé für Frauen!

    Es wäre das erste seiner Art in Budang-gu. Vielleicht sogar in ganz Korea. Ihr Internetcafé wäre ein sicherer Platz für alle Mädchen, die in Ruhe und ohne von Jungs abgelenkt zu werden, lernen wollten. Denn egal, was irgendjemand behauptete, Jungs waren eine Ablenkung.

    Für den Moment aber musste sie sich abrackern. 10.500 Won pro Stunde. So viel verdiente sie als eine der Sekretärinnen bei Kids Inc! Etwa 9 US Dollar. Und wofür? Fürs Herumsitzen und den Lehrern dabei zuzuhören, wie sie sich über ihre Arbeit beschwerten. Sie verdienten fünfmal so viel und dachten dennoch, sie hätten es so schwer. Obendrein bekamen sie eine Wohnung gestellt, Freiflüge und einen Bonus, wenn sie ein ganzes Jahr blieben. Und warum? Wegen ihrer Sprache. Englisch. Allein das Wort klang nach Geld. Wo gibt’s denn sowas, dass man für die Sprache engagiert wird, die man zufällig von Geburt an spricht?

    Morgen fingen zwei neue amerikanische Lehrer an. Das bedeutete, dass Yun-ji sie herumführen und ihnen das Händchen halten musste. Hoffentlich waren sie nicht allzu schlimm. Andererseits konnten sie nicht viel schlimmer als der letzte Lehrer sein. Der Kanadier. Was das für ein Desaster war. Sehr zur Überraschung aller, denn die Kanadier wussten sich für gewöhnlich zu benehmen.

    Yun-jis Handy leuchtete auf. Soo. Sie wollte in den Park gehen und reden. Yun-ji war mit ihren Hausaufgaben bereits fertig und ihre Serien konnte sie morgen weiter schauen. Ihre Mutter schimpfte und ermahnte sie zum Lernen, gab aber schließlich nach.

    Yun-ji schrieb zurück: 20 Min?

    Der Youldong Park war nur ein paar Straßenecken von ihrer Wohnung entfernt. Die Luft war kalt und frisch, die Lampen, die den großen See umgaben, waren erleuchtet und schienen hinunter aufs Wasser. Wie immer in Sommernächten war der der Park voll von Paaren, die Hand in Hand spazieren gingen, Familien, Schülerinnen und Schülern, die in fröhlich tratschenden Grüppchen umherliefen.

    Soo war bereits da, zwei Becher Kaffee standen auf dem Tisch bereit.

    „Laufen oder Sitzen?"

    „Laufen, sagte Yun-ji und umarmte ihre Freundin. „Ich könnte ein bisschen Bewegung vertragen.

    Soo hakte sich bei Yun-ji ein und sie liefen los. Sie achteten darauf, auf dem inneren Weg um den See herum zu bleiben, der äußere war für Jogger, Radfahrer und Rollerblader bestimmt. Immer wieder kam es zu Unfällen, weil die Leute auf ihr Handy starrten und nicht darauf achteten, was sie taten. Das war eine von Soos und Yun-jis Regeln: keine Handys! Sie waren sich einig, sie während ihrer Spaziergänge auf Vibration zu stellen und nur im Falle eines Notfalls danach zu sehen.

    Was nur eins von zwei Dingen bedeuten konnte: Freund oder Eltern.

    Für Yun-ji konnte es nur noch eins bedeuten, denn sie hatte keinen Freund mehr. Wie viele Spaziergänge um den See mit der armen Soo hatte es gebraucht, bis sie darüber hinweg gewesen war? Um die tausend? Und wenn sie ehrlich war, war sie noch immer nicht so richtig über ihn hinweg. Yun-ji verstand nicht, wie leicht andere Leute scheinbar von einer Beziehung zur nächsten springen konnten, als wechselten sie nur ihren Internet-Provider.

    Es dauerte ungefähr 45 Minuten, um den See zu umrunden, aber Soo und Yun-ji ließen sich an diesem Abend Zeit. Soo hatte wieder Probleme mit ihrem Verlobten, wobei „Probleme" vielleicht nicht der richtige Ausdruck war.

    „Er arbeitet zu viel. Wir sehen uns nie. Wofür hat man einen Verlobten, wenn man ihn nie sieht? Und ich habe herausgefunden, dass er gestern Abend nach der Arbeit wieder auf dem Golfplatz war. Kannst du das glauben? Um sich Luft zu machen, sagte er. Wortwörtlich, sagte er. Als wäre es eine Art Witz. Als wäre er so unglaublich clever. Manchmal, Yun-ji, ich schwöre dir, manchmal könnte ich... Ach, ich weiß auch nicht, was ich könnte. Ich liebe ihn nur so sehr und kann es nicht erwarten, dass wir heiraten und ein Baby bekommen, dann kannst du rüber kommen und wir können den ganzen Nachmittag quatschen. Wird das nicht toll?"

    Yun-ji kannte das alles schon. Komisch, dass Yun-ji in all diesen zukünftigen Familienszenarien immer Single war, ohne Job und völlig frei, um sich einfach nur am Glück ihrer Freundin erfreuen zu können. Und wahrscheinlich den Babysitter zu spielen.

    „Ja, sagte Yun-ji und tätschelte den Arm ihrer Freundin, „das wird wundervoll. Ich kann es kaum erwarten.

    Als sie es um die Hälfte des Sees geschafft hatten, kamen sie an eine 45 Meter hohe Plattform. Es gab Menschen, die dafür bezahlten, von dort oben herunter zu springen. Soo liebte Bungeespringen, Yun-ji hingegen wurde schon nervös, wenn sie nur hinsah. Niemals. Nicht in einer Million Jahre. Was die Leute so taten, nur um sich lebendig zu fühlen... War es denn nicht genug zu laufen, zu atmen und die schönen Koi zu beobachten?

    Es hatte sich eine Menschenmenge gebildet, was nur bedeuten konnte, dass jemand gleich springen würde. Die Zuschauer sprachen aufgeregt miteinander und deuteten mit den Fingern auf irgendetwas, aber Yun-ji konnte sich nicht erklären, was die Aufregung sollte.

    „Es ist ein Amerikaner. Ein Megook", flüsterte Soo.

    Wie auf Knopfdruck erschien in diesem Moment ein Mann, der auf das Ende der Plattform zuging. Er war weiß. So viel konnte Yun-ji von unten erkennen. Und verrückt. So wie alle, die sprangen. Yun-ji sprach ein Stoßgebet für ihn aus, bat Gott, über ihn zu wachen, über jeden, der solch leichtsinnige, dumme Sachen machte. Mit ihren Händen, die sie weiterhin um ihre Brust geklammert hielt, ahmte sie mit nur einem Finger ein Kreuz nach. Amen. Sie wusste, dass Soo sich darüber lustig machen würde, wenn sie es sehen würde, sie vielleicht angehende Nonne nennen würde, so wie ihr Exfreund es einmal getan hatte. Es war allerdings nicht wahr. Yun-ji war keineswegs eine Nonne. Sie war allerdings auch nicht so promiskuitiv wie einige andere Menschen, die sie kannte und die gerade neben ihr standen.

    Die Person über ihnen sprang. Oder vielmehr fiel sie. Es sah so friedlich aus, so graziös, dass es schien, als hätte die Menge einmal kollektiv Luft geholt und den Atem angehalten, während der Mann fiel. Es dauerte nur Sekunden, bis er das Wasser erreichte, aber es fühlte sich viel länger, viel langsamer an. Er war mit dem Kopf voraus gesprungen, wie es die Abenteuerlichsten unter ihnen taten, mit dem Seil um die Füße gebunden. Die meisten von ihnen schrien, sobald der Fall Geschwindigkeit aufnahm. Einige weinten. Einige versuchten, etwas Witziges zu rufen. Andere machten einfach zur Unverständlichkeit verstümmelte Laute. Geräusche, von denen sie wahrscheinlich gar nicht wussten, dass sie in der Lage waren, sie hervorzubringen und für die sie sich nachher schämten.

    Von diesem Megook allerdings hörte man nichts.

    Nicht einen Ton.

    Die weiße Gestalt streckte einfach die Arme weit zur Seite, wie bei einer Kreuzigung, und fiel. Genau daran dachte Yun-ji: dass der Mann wie ein wunderschöner Gekreuzigter aussah, als das Seil schließlich anzog und nach oben zurückfederte. Der Kopf des Mannes, nur die oberste Spitze, brach für einen Moment die Oberfläche des Sees, bevor er wieder nach oben geschleudert wurde und eine Wasserfontäne mit sich zog, als wäre er von einem wütenden Gott getauft worden.

    „Er ist süß", sagte Soo als sie weiterliefen.

    „Man konnte ihn doch kaum sehen."

    „Na ja, dann fällt er eben süß."

    „Verschone mich, Soo."

    Sie ließen sich Zeit beim Weiterlaufen und erhaschten noch einige Blicke auf den Mann, der nun aus dem Wasser gezogen und von den Gurten befreit wurde. Er hatte einen rasierten Kopf. Einen Armeeschnitt. Was seltsam war. Normalerweise waren alle Ausländer, die sie in dieser Gegend sahen, Englischlehrer. Vielleicht mochte er es auch einfach, sein Haar kurz zu tragen.

    Der Mann zog sein T-Shirt aus und fing an, es auszuwringen.

    Soo wurde noch ein bisschen langsamer.

    „Guck, hab ich doch gesagt, dass er süß ist."

    Yun-ji

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