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Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest.: Autobiografische Notizen über Essen und Trinken
Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest.: Autobiografische Notizen über Essen und Trinken
Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest.: Autobiografische Notizen über Essen und Trinken
Ebook393 pages3 hours

Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest.: Autobiografische Notizen über Essen und Trinken

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About this ebook

Inspiriert durch seine Tante Lotti, die einst ausführlich die Ernährung auf dem Bauernhof in ihrer Kinder- und Jugendzeit beschrieben hat, hat Burchard Bösche Geschichten zusammengetragen, die seine Ernährung geprägt haben und die erklären, wie sich diese im Laufe des Lebens grundlegend verändert hat. Die Eckpunkte sind dabei die Kindheit auf dem Bauernhof, die Arbeit als Gemüsehändler, das Leben in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, das Engagement für Slow Food und die Reflexion der auf Reisen gemachten Erfahrungen.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 22, 2018
ISBN9783746075907
Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest.: Autobiografische Notizen über Essen und Trinken
Author

Burchard Bösche

Dr. Burchard Bösche hat sich sein Leben lang mit Nahrungsmitteln beschäftigt: auf dem elterlichen Bauernhof, als Gemüsehändler, bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, als aktives Mitglied bei Slow Food, in der hobbymäßigen Nahrungsmittelherstellung und nicht zuletzt als bewusster Esser und Trinker.

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    Das Fest ist ein Essen - das Essen ein Fest. - Burchard Bösche

    Quintessenz

    1. Aus Kindheit und Jugend

    Tante Lotti (Mitte) nach dem Mittagsmelken

    Tante Lotti gab den Anstoß

    Tante Lotti hat die Sache losgetreten. Als meine Mutter im Krankenhaus lag und sie die Wohnung einhütete, schrieb sie mir einen langen Brief, wie das früher mit dem Hausschlachten so war, denn danach hatte ich sie gefragt. Diesen Brief veröffentlichte ich auf der Internetseite von Slow Food Hamburg, was wiederum Tante Lotti motivierte, ihren Bericht noch mal zu schreiben und doppelt so lang, damit er auch richtig war fürs Internet. Ihre Beschreibungen waren so plastisch, dass ich sie bat, auch etwas über die Milchverarbeitung in ihrer Jugend zu schreiben, was sie mit Begeisterung in kurzer Zeit erledigte. Einmal dabei, stachelte ich sie an, auch etwas über Obst und Gemüse, das Backen und die Nutzviehhaltung auf dem Bauernhof zu schreiben. Bald hatte ich einen Packen handschriftlicher Manuskripte auf dem Schreibtisch und kam mit dem Abschreiben gar nicht mehr nach.¹

    Anne mit ihrer Mutter

    Vieles von dem, was Tante Lotti über das Essen in ihrer Jugend berichtete, war mir aus der Küche meiner Mutter – ihrer älteren Schwester – wohl bekannt. Und so entstand die Idee, zu Tante Lottis Bericht die Fortsetzung zu schreiben, und damit nicht zu warten, bis ich in ihrem Alter (damals 82 Jahre) sein würde. Wer weiß, ob ich es dann noch kann, oder ob mich dann überhaupt noch jemand fragt. Die Geschichten habe ich weitgehend aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Es muss nicht alles stimmen. Wenn nicht, ist es hoffentlich gut erzählt.

    Die geringen Veränderungen in den Essgewohnheiten von meiner Großelternzur Elterngeneration mögen damit zusammenhängen, dass wir zuhause, noch bei meinem Auszug als Siebzehnjähriger, keinen Fernseher hatten. Wir waren damit dem augenscheinlich großen Einfluss der Kochsendungen mit Clemens Wilmenrod nicht ausgesetzt. Anders war es bei meiner Schwiegermutter Inge. Anne berichtet, dass ihre Mutter keine der Wilmenrodschen Kochsendungen verpasst habe und immer mit Block und Bleistift vor dem Fernseher gesessen habe, um die Rezepte mitzuschreiben. Und nach ihnen wurde auch gekocht. Für Toast Hawaii gab es einen speziellen kleinen Grill, der die Zubereitung am Tisch erlaubte. Den Toast gab es öfter, da die Zutaten (Toastbrot, Schmelzkäse-Scheibletten, Dosen-Ananas, Kochschinkenscheiben) günstig bei Aldi zu bekommen waren. Es fehlten jedoch meistens die Kirschen, denn die waren das Teuerste. In der nächsten Generation ist davon allerdings nicht viel geblieben, immerhin Wilmenrods „Arabisches Reiterfleisch" hat Anne gelegentlich gekocht.

    Hausschlachtung in den 20er Jahren

    Tante Lottis Bericht über das Hausschlachten entspricht ziemlich genau auch meinen Erinnerungen. Ich habe noch das Bild vor Augen, wie das Blut aus dem Schnitt im Hals mit kräftigem Strahl in den Eimer strömt und Tante Lotti auf Knien vor dem Schwein mit ihren Arm bis zum Ellenbogen in dem Eimer das Blut rührt, damit es nicht gerinnt. Natürlich waren wir schon als 5jährige Kinder beim Schlachten dabei und fanden es völlig normal, schließlich wollten wir Fleisch und Wurst essen. Als Köstlichkeit habe ich den Bauchspeck in Erinnerung, der am Schlachttag ganz frisch aus dem Kessel gegessen wurde. Und dabei wurde immer des Schweines gedacht, dem wir das zu verdanken hatten. Sprüche wie: „Un wat haa de Söge för schöne blaue Oogen."² machten am Tisch die Runde.

    Jeden Tag Knipp

    Schlachtzeit war Knippzeit. Knipp wurde im großen Waschkessel mit der Wurstbrühe gekocht, mit Hafergrütze, durchgedrehten Schwarten und allerhand sonstigen Schlachtresten, den Pfiff brachten die Gewürze. In meiner Kinderzeit gab es bei uns weder Kühlschrank noch Gefriertruhe, nur eine im Winter recht kühle Speisekammer. Hier lagerte das Knipp in großen Wannen und Bottichen. Oben war es von einer Fettschicht bedeckt, so dass es sich auch ohne Konservierung mehrere Wochen hielt, innerhalb derer es aber aufgegessen werden musste. Wenn es zu lang dauerte oder draußen zu warm geworden war, wurde die Wanne in den Backofen des Heizungsherdes in der Küche gesteckt und noch mal durcherhitzt. Und so gab es wochenlang jeden Tag Knipp: Jeden Morgen zum Frühstück, schön kross gebraten auf einer Scheibe Schwarzbrot, manchmal auch mittags zu Salzkartoffeln und sauren Gurken oder Apfelmus, und gelegentlich abends zu den obligatorischen Bratkartoffeln.

    Knipp ist eine norddeutsche Spezialität mit ziemlich genau gezogenen Grenzen, allerdings gibt es wohl kaum jemand, der insgesamt weiß, wo diese Grenzen verlaufen. In Hamburg gibt es kein Knipp, hier heißt das Pendant Grützwurst, die es grundsätzlich in drei Versionen gibt: hell, mit Blut und mit Rosinen. Die Grenze zwischen Knipp und Grützwurst kreuzt die Autobahn Bremen – Hamburg bei Sittensen. Im Südoldenburgischen bei Vechta gibt es noch Knipp, dort habe ich es auf einem Autohof gegessen.

    Magenwurst – das war mal ein Festessen

    Eine besondere Delikatesse war die Magenwurst, die in den Schweinemagen gefüllt war und zur einen Hälfte aus grob gehacktem gutem Fleisch und zur anderen aus Grütze, Speck, Zwiebeln und Gewürzen bestand und nach dem Räuchern im Winter zu Grünkohl gegessen wurde. Da ein Schwein nur einen Magen hat, gab es die Magenwurst entsprechend der Zahl der Schlachtungen nur ein- oder zweimal im Jahr. Da andererseits die Schweine früher größer waren, wenn sie geschlachtet wurden, war auch die Magenwurst größer, weshalb sie, wie meine Eltern erzählten, oft ein Festessen darstellte, zu dem Freunde und Verwandte eingeladen wurden.

    Allerdings war die Grünkohlkultur bei uns nicht hoch entwickelt, der Kohl war wässrig und reichte bei weitem nicht an die Zubereitungen heran, die ich später in Bremen als „Braunkohl (mit der starken Betonung auf „-kohl) schätzen gelernt habe.

    Butterkuchen in Variationen

    Butterkuchen war der wichtigste Kuchen meiner Kindheit. Es gab drei Arten. Unsere Mutter buk regelmäßig in ihrem Elektroherd zum Wochenende einen Butterkuchen, der entsprechend der Ofengröße klein war. Obwohl ein Hefekuchen, war der Teig sehr fest und hart, wahrscheinlich weil der Teig nicht so lange geruht hatte. Dafür war umso mehr Butter und Zucker drauf, weshalb wir diesen Kuchen liebten. Zu den hohen Festtagen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) oder bei besonderen Familienfesten gab es einen ganzen Butterkuchen vom Bäcker, so etwa im Format 120 x 80 cm. Dieser Kuchen war dicker und lockerer und nicht so üppig belegt. Gelegentlich wurde der Butterkuchen auch in unserem Backhaus gebacken, dann war er fast so groß wie vom Bäcker, in der Konsistenz aber ähnlich dem aus dem Elektroherd.

    Am Abend vor dem Fest gab es zum Abendessen nicht die übliche Milchsuppe, vielmehr „Stuten un Mölk" (Stuten mit Milch). Dafür wurden die Randstücke von dem Butterkuchen abgeschnitten und in heiße Milch getunkt. Ich habe dies als Köstlichkeit in Erinnerung.

    Zum Kaffee wurde der Butterkuchen in Stücke von ca. 5 x 20 cm geschnitten und in 8 bis 10 Lagen auf einen Teller geschichtet. Er wurde in den Kaffee getaucht. Davon konnte ich fast einen ganzen Teller voll essen. Sowieso rankten sich um das Butterkuchenessen viele Geschichten. Dabei ging es um Wettessen und darum, dass ein Mensch allein einen ganzen (Bäcker-)Butterkuchen gegessen habe.

    Getrockneter Butterkuchen für die Nachbarn

    Butterkuchen war in unserer Gegend der klassische Beerdigungskuchen. Nicht, dass es Butterkuchen nicht auch bei anderen Gelegenheiten gegeben hätte, aber bei Beerdigungen war er ein „Muss". Er spielte nicht nur bei der Trauerfeier eine Rolle, wenn die Trauergäste nach der Beerdigung in eine Gaststätte gingen, um sich dort bei Kaffee und Kuchen zu unterhalten und so ins normale Leben zurück fanden. Auf dem Land gab es früher keine Beerdigungsunternehmer, die heute den Hinterbliebenen die meiste Arbeit abnehmen. Früher war das Sache der Nachbarn, die insoweit eine über Generationen festgelegte Rolle einzunehmen hatten. Dazu gehörte auch das Waschen und Einkleiden der Leiche. Dies hatte unmittelbar nach dem Tode zu geschehen; vielleicht war es einfacher, solange noch keine Totenstarre eingetreten war. Jedenfalls wurden die zuständigen Nachbarn sofort benachrichtigt, wenn im Haus ein Todesfall eingetreten war, auch mitten in der Nacht. Bei alten und kranken Leuten war dies nicht unbedingt eine Überraschung. Die Nachbarn kamen dann auch sofort und erledigten ihre Aufgaben.

    Danach gab es reichlich starken Kaffee, Doppelkorn und Butterkuchen. Dieser war natürlich nicht frisch, sondern in weiser Voraussicht gebacken, getrocknet und in einer großen Blechdose eingelagert worden. Essbar wurde er durch Eintauchen in den Kaffee. Bei uns passierte es, dass es unserer Oma sehr schlecht ging, sie „auf den Tod lag". Überraschenderweise erholte sie sich wieder. Und da sie häufiger Hunger verspürte, durchstöberte sie die Speisekammer und fand die Blechdose mit dem getrockneten Butterkuchen. Böse ging sie meine Mutter an, warum sie ihr die Existenz des Kuchens verschwiegen hätte. Was sie natürlich nicht wusste und ihr auch nicht erzählt wurde war, dass der Kuchen zwar für sie bestimmt war, aber für eine andere Gelegenheit.

    Milch von den eigenen Kühen

    Die Milch spielt in meinem ganzen Leben eine große Rolle. Die Kühe waren auf dem Bauernhof meiner Eltern eine wichtige Einkommensquelle. In unserem Niedersachsenhaus standen sie auf der rechten Seite der großen Diele. Sie waren angebunden und hatten, außer dass sie aufstehen und sich hinlegen konnten, kaum Bewegungsspielraum. Umso bemerkenswerter war die Tatsache, dass die Kühe, wenn sie im Sommer tagsüber frei auf der Weide laufen konnten, abends freiwillig wieder in den Stall gingen, sich von selbst an ihren Platz stellten und ihren Kopf hinhielten, um sich wieder anbinden zu lassen. Vielleicht war es das erwartete Futter, vielleicht das stramme Euter und das erwartete Melken, vielleicht war es auch die Gewohnheit und das Vertrauen, zu passender Zeit wieder freigelassen zu werden.

    Unsere Oma Kleinenborstel beim Melken

    Die Kühe gaben Anlass zu mancherlei philosophischer Betrachtung. Auf jeden Fall haben sie den Rhythmus des Lebens auf dem Hof bestimmt, denn ob werk- oder feiertags, Weihnachten oder Ostern, die Kühe mussten jeden Tag versorgt werden. Zweimal am Tag ausmisten, zweimal füttern, zweimal melken. Die Arbeiten waren verteilt. Meine Mutter war zuständig für das Melken. Wir Kinder mussten früh anpacken und das Ausmisten erledigen, mein Vater kümmerte sich um die Fütterung mit Kraftfutter, vor allem Sojaschrot, das genau zugemessen wurde. Wir Kinder fütterten die Kühe mit zerkleinerten Rüben und mussten täglich vom Heuboden das nötige Heu herunterwerfen, um es dann den Kühen abschließend vorzulegen.

    Die Milch wurde durch einen Wattefilter für den groben Dreck in Milchkannen gefüllt, die abends in ein neben dem Haus in den Boden eingelassenes Wasserbassin zum Abkühlen gestellt wurden. Morgens kam die warme Milch zusammen mit der vom Abend auf die Milchbank an der Straße, wo sie schon vor acht Uhr von Jan Holle, dem Milchkutscher abgeholt wurde, der sie mit seinem Pferdewagen zur Martfelder Molkerei brachte. Zwischen 10 und 11 Uhr kam er wieder und brachte die leeren oder für die Schweinemast mit Molke und für die Kälbermast mit Magermilch gefüllten Milchkannen zurück und außerdem regelmäßig eine kleine 5-l-Kanne mit Buttermilch. Er brachte auch entsprechend der morgendlichen Bestellung die Butter mit und Schnittkäse, wobei es sich ausschließlich um jungen Tilsiter handelte, der in der Martfelder Molkerei hergestellt wurde. Anderen Schnittkäse gab es bei uns nicht und habe ich auch erst nach Abschluss meiner Mittelschulzeit kennen gelernt.

    Mein Vater bringt die Milchkannen zur Milchbank an der Straße

    Milch für den Eigenbedarf stand immer in einem 10-l-Eimer in der Speisekammer auf dem Boden, in dem Eimer eine Kelle, mit der sich jeder nach Belieben bediente. Die Milch musste frisch getrunken oder verarbeitet werden, denn eine Kühlung gab es nicht. Auch die oft zahlreichen Katzen und der Hund wurden mit der Milch versorgt, in die oft nur gekochte Kartoffeln gequetscht waren. Es muss gut gerochen haben, denn jedes Jahr im August/September kamen Igel ins Haus zum Katzennapf, um sich dort zu bedienen, was den Katzen durchaus missfiel, sie aber nicht verhindern konnten, so dass sie schließlich einträchtig mit den Igeln aus einem Napf fraßen, wobei meine Mutter selbstverständlich die Portionen so angepasst hatte, dass alle satt wurden.

    Milch wurde im Sommer, immer wenn die Temperaturen es zuließen, und man braucht zur Herstellung schon über 20°, als Dickmilch gegessen. Sie wurde in Glasschalen angesetzt, die einen guten halben Liter fassten und waren mit Frühstücksbrettchen dazwischen in der Speisekammer gestapelt. Die Dickmilch wurde mit Zucker gegessen und wieder mit Schwarzbrot, diesmal aber in kleinen Stückchen über die Dickmilch gebröselt.

    Mit meinem Auszug zuhause verlor die Milch wesentlich an Bedeutung für die Ernährung. Lange habe ich gebraucht, der ich an frische Rohmilch gewöhnt war, mich an die pasteurisierte und homogenisierte so genannte Frischmilch zu gewöhnen. So wie zuhause habe ich die Milch nicht mehr genutzt, sieht man mal ab von Erdbeeren mit Milch, die ja nun einfach zusammen gehören. Gut erinnere ich mich an einen Urlaub im April auf Sizilien, wo es frische Erdbeeren gab und, wie der Zufall es wollte, in der Nähe unseres Quartiers einen Bauern, der zwei Kühe im Stall hielt und frische Milch verkaufte. Dort hatten wir Besuch von einem italienischen Freund, dem wir eine Freude machen wollten und ihm Erdbeeren mit Milch anboten, wovon er sich mit Grausen abwandte. Auch als uns Jahre später ein Freund aus Mailand besuchte, machten wir wieder die gleiche Erfahrung. Er allerdings konterte damit, dass er frische Erdbeeren kaufte und eine Flasche Rotwein, in dem er diese ansetzte, was auch nicht schlecht ist. Aber Erdbeeren mit frischer Milch sind nicht zu toppen, auch nicht durch Sahne statt Milch.

    Täglich Buttermilch

    Mit den vollen Milchkannen wurde immer eine leere 5-l-Kanne zur Molkerei geschickt, die dann mit Buttermilch gefüllt zurückkam. Frische Buttermilch, wie sie direkt aus dem Butterfass kommt, ist eine Delikatesse, die man heute nur ausnahmsweise genießen kann, denn meist wird die Buttermilch mit einem langen Mindesthaltbarkeitsdatum verkauft, was unter mikrobiologischen Voraussetzungen möglich ist, den Geschmacksverlust aber nicht berücksichtigt. Frische Buttermilch ist zunächst ein köstliches Getränk. Dann kann man eine süße Suppe mit Dörrobst daraus kochen, die meine Mutter anders als meine Großmutter aber nicht mochte, weshalb es sie fast nie gab. Dann kann man als Arme-Leute-Gericht Pellkartoffeln mit Buttermilch essen, was im armen ländlichen Holstein früher sehr oft der Fall gewesen sein muss, wie einst der badische Militärarzt Kussmaul als Teilnehmer des Schleswig-Holstein-Feldzuges von 1848 gegen Dänemark ausführlich beklagte. Wenn man denn hat, kann man das erfrischende Gericht gut mit gewürfeltem Schinken aufwerten.

    Zur Buttermilch gehört noch die Geschichte mit dem Buttermilchkäse. Im Krieg und danach bestand für die Bauern Ablieferungspflicht für die Milch und selbstverständlich war es ihnen nicht gestattet, von der aufgerahmten Milch oben die Sahne abzunehmen und daraus Schlagsahne zu machen. Nun gab es in der schlechten Zeit bei uns zu Hause doch ab und zu mal eine Sahnetorte. Damit meine beiden älteren Brüder Hans-Hermann und Hartmut das nicht in der Schule ausplauderten, wurde ihnen erzählt, die Sahne auf der Torte sei „Buttermilchkäse", wogegen ja niemand etwas haben konnte.

    „... denn traant de Kaie de Oogen"

    Wie oft bekamen wir zu hören: „Smeer de Botter nich so dicke, denn traant de Kaie de Oogen. („Schmier die Butter nicht so dick, sonst weinen die Kühe.) In meiner Kinderzeit gab es bei uns auf Brot nur Butter oder Schmalz, aber keine Margarine, denn die musste zugekauft werden, während die Butter von unserer Molkerei zurückgeliefert wurde und Schmalz (vor allem Griebenschmalz) beim Schlachten anfiel. Gelegentlich kaufte unsere Mutter aber doch Margarine, und die haben wir dann mit Genuss auf Brot gegessen, eben mal was anderes als ewig diese eintönige Butter. Ach ja, die Kühe. Sie standen im Kuhstall angebunden, in dem alten Niedersachsenhaus direkt an der Diele, nur wenige Schritte von der Küche entfernt. Einige Male bin ich vom Küchentisch aufgesprungen und zu den Kühen gelaufen, um zu sehen, ob ihnen tatsächlich die Tränen liefen. Aber ich war nie schnell genug, immer waren die Tränen schon wieder getrocknet, wenn ich nachsah. Die Kühe nahmen es offensichtlich nicht übel, wenn man die Butter dick schmierte. Sie waren gutmütig zu uns Kindern und ließen es klaglos zu, dass wir auf ihnen herumkletterten, wenn sie wiederkäuend im Stroh lagen.

    Was uns von klein auf beigebracht wurde, das war der Respekt vor den Nahrungsmitteln. Essbares wurde nicht weggeworfen. Das bedeutete allerdings nicht, dass unsere Mutter die Mahlzeiten nach dem Prinzip regierte: „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt." Was ich nicht mochte, brauchte ich auch nicht zu essen, z.B. Kümmel im Sauerkraut, Milchsuppe mit Haferflocken oder Mehlklößen. Ich glaube, dass dieser fehlende Zwang dazu beigetragen hat, meine Neugier auf unterschiedlichste Speisen zu wecken, wie sie mir heute noch zu eigen ist. Wenn etwas nicht gegessen wurde, wurde es zu Viehfutter, meistens für die Schweine, und was wirklich verdorben war, kam auf den Kompost, genauer auf den großen Misthaufen, und diente als Dünger.

    Der Respekt vor den Nahrungsmitteln hatte manchmal geradezu sakrale Züge. Unsere Mutter sprach vor dem Essen das Tischgebet: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast. Amen." Besondere Bedeutung kam dem Brot zu, das niemals weggeworfen wurde. Wir hatten zuhause eine Brotschneidemaschine mit einer Handkurbel, die meine Mutter bediente. Ich weiß es aber von anderen Familien, und habe es selbst gesehen, dass das Brotscheiden das Privileg des Hausvaters war und mit einem großen Messer am Tisch erfolgte, das Brot dabei im Arm haltend. Und Scheibe für Scheibe wurde das Brot den Tischgenossen zugeteilt.

    Generell gab es damals kaum Müll und eine organisierte Müllabfuhr sowieso nicht. Sie wurde nicht gebraucht. Wenn mal etwas weggeworfen werden musste, z.B. ein verbeulter Topf oder eine zerbrochene Schüssel, dann kam es in die Schuttkuhle an Siemers-Fuhren, das war eine von allen Dorfbewohnern genutzte Grube am Waldrand in einem Ausmaß von vielleicht 5 x 15 m. Diese Kuhle wurde nie ausgeräumt und füllte sich nur ganz langsam. Als Kinder haben wir sie immer wieder durchsucht, um Gegenstände zum Spielen zu finden.

    Der Respekt vor den Nahrungsmitteln macht sich heute vor allem in Erntezeiten bemerkbar. Ich empfinde es irgendwie als Verpflichtung, das, was der Herrgott für uns hat wachsen lassen, zu ernten und zu verarbeiten, und ich bin ganz stolz, wenn ich nach der Ernte die Weckgläser im Keller mit Birnenkompott, Apfelmus, Zwetschen und Kirschen betrachte, manchmal über 100 Stück.

    Kühe mit Hörnern und Schweine mit Schwänzen

    Unsere Kühe hatten noch Hörner. In der modernen Milchviehhaltung werden die Hornstümpfe schon den Kälbern ausgebrannt, so dass sie sich nicht mehr entwickeln können. Dies sei aus Sicherheitsgründen notwendig, wenn die Kühe nicht angebunden gehalten werden, wie es früher üblich war. Angeblich verlangt die Berufsgenossenschaft diese Maßnahme. Ich bin allerdings als Kind viel zwischen frei laufenden Kühen herumgelaufen und bin nie von einem Tier bedroht oder gar angegriffen worden. Das kam nur bei Bullen vor, vor denen man sich in Acht nehmen musste.

    Schwarz-Bunte Ostfriesen mit Hörnern, keine Holstein-Friesian-Turbokühe

    Das Hörnerausbrennen ist für die Kühe ein tiefgreifender Eingriff, keine Lappalie. Kühe, die oft über Jahre in ihrer Herde zusammen bleiben, haben eine ausgeprägte Hierarchie, die auch durch die Seniorität bestimmt wird. Wenn sich eine hochstehende Kuh, was gelegentlich vorkommt, ein Horn abstößt, dann bleibt ein zunächst stark blutender Hornstumpf zurück, der sehr schmerzempfindlich ist. Die Folge ist der Absturz in der Hierarchie, die beispielsweise zu beobachten ist bei der Reihenfolge, in der die Tiere aus einem frisch gefüllten Wasserbottich saufen. Der Hornverlust bewirkt bei den Tieren eine starke seelische Beeinträchtigung. Dabei habe ich allerdings auch Mitgefühl jüngerer Tiere beobachtet, beispielsweise, wenn sich eine jüngere Kuh neben die Wasser saufende ältere mit dem verlorenen Horn stellt, um diese vor den Stößen anderer Kühe zu schützen, die

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