Mein kleines DDR-ABC: Unverklärte Erinnerungen eines kritischen Zeitgenossen an ein vor 25 Jahren verschwundenes Land
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Book preview
Mein kleines DDR-ABC - Arndt Haubold
Der Autor:
Arndt Haubold, in Stalins Todesjahr 1953 in einem Dorf im Chemnitztal (Sachsen) geboren, Mutter Verkäuferin, Vater kaufmännischer Angestellter in einer Papierfabrik, wollte schon als Zwölfjähriger Pfarrer werden und handelte sich damit allerlei Komplikationen, aber auch Freiheiten im Alltag der DDR ein. Besuch kirchlicher Gymnasien in Dahme (Mark) und Potsdam-Hermannswerder, Kirchenabitur. Studium der evangelischen Theologie in Naumburg (Saale), Berlin (Hauptstadt der DDR) und Leipzig. Lehrvikariat in verschiedenen Kirchgemeinden in Karl-Marx-Stadt. Pfarrer 1979 bis 1989 in Altmügeln, 1989 bis 1994 in Leipzig (Nikolaikirche) und seit 1994 in Markkleeberg-West. Vorsitzender des Gustav-Adolf-Werkes in Sachsen e. V. Liest, schreibt, fotografiert, predigt, radelt gern. Liebt eine Frau, vier Kinder, fünf Enkel und manche anderen Menschen. Hat allerlei von der Welt gesehen, liebt besonders Sachsen und Osteuropa.
Arndt Haubold
MEIN KLEINES DDR-ABC
Unverklärte Erinnerungen
eines kritischen Zeitgenossen
an ein vor 25 Jahren verschwundenes Land
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto „DDR-Grenzstein" © Alterfalter (Fotolia)
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
INHALTSVERZEICHNIS
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
A wie Abkürzungen
B wie Braunkohle
C wie Chemie
D wie Demonstrationen
E wie Einkaufen
F wie Freikörperkultur
G wie Gastronomie
H wie Heimatkunde
I wie Intershop
J wie Jugendweihe
K wie Kalender
L wie Leipziger Messe
M wie Mangelwirtschaft
N wie Namen
O wie Opposition
P wie Preise
R wie Russisch
S wie Sozialismus
T wie Trampen
U wie Urlaub
V wie Vokabeln
W wie Westen
Z wie Zugfahren
VORWORT
„Mein kleines DDR-ABC ist keine wissenschaftliche oder leidenschaftslose Darstellung des Alltags in dem vor 25 Jahren untergegangenen Land, sondern meine subjektive Erinnerung. Ich habe sie an für mich typischen Begriffen für den DDR-Alltag wachgerufen. Bei manchen Buchstaben musste ich mich zwischen mehreren sich aufdrängenden Begriffen entscheiden, bei anderen musste ich länger überlegen, was überhaupt passen könnte. Es sind kräftige Prisen Spott dabei, aber kein Hass. Manche werden sagen, es wäre alles ganz anders gewesen. Dank meines DDR-untypischen Berufs als evangelischer Pfarrer und eines entsprechend nichtkonformistischen Lebens habe ich die DDR zugleich als Teil dieser Gesellschaft und als Außenseiter erlebt. Ich habe 37 Jahre lang in der DDR gelebt, habe satt gegessen und getrunken, war nicht obdachlos, hatte Arbeit, habe geliebt, gelacht und Freude, Freunde und Feinde gehabt. Aber ich habe auch die politischen Schikanen der DDR am eigenen Leib, an Frau und Kindern erlitten, bin von der Stasi mehr als nur bespitzelt worden, habe mit Zorn die Lügen des Sozialismus wahrgenommen und habe die Mauer als Bedrückung erlebt – weil Familie und Freunde nicht frei zusammenkommen konnten und meine Sehnsucht nach der Welt an dieser Grenze scheiterte. „Mein kleines DDR-ABC
habe ich für mich und meine eigene Generation geschrieben, um nicht zu vergessen, wie es war, und habe es für die Generation meiner Enkel geschrieben, für die die DDR eine längst versunkene Welt ist, damit sie wissen: auch das war ein Stück Deutschland.
A WIE ABKÜRZUNGEN
Jedes politische System gebiert eine Vielzahl spezieller Abkürzungen. Sie sind, besonders in einer Diktatur, Ausdruck von Macht, Gruppenwissen und Zugehörigkeit. Diese Abkürzungen musste der DDR-Bürger in seinem Alltag verstehen:
B WIE BRAUNKOHLE
„Nein, o nein, kein Schornstein könnte rauchen,
ohne Kohle zu gebrauchen.
Nur mit Kohle, merkt euch das,
gibt es Strom und gibt es Gas …"
Dieses Loblied der Braunkohle lernte ich Anfang der 1960er Jahre in der Schule singen. Darin wurde das Rauchen der Schornsteine noch als Symbol des Fortschritts betrachtet. Ich wuchs, wie alle Kinder in der DDR, mit der Braunkohle auf. Wir heizten unsere Öfen mit ihr, Zentralheizung war noch Luxus. Ende der 1950er Jahre gab es gelegentlich noch Torfbriketts zum Heizen oder auch Steinkohle, doch später nicht mehr, nachdem die geringe Steinkohleförderung im Westerzgebirge eingestellt worden war. Für einige Ofentypen (sogenannte Dauerbrandöfen) brauchte man nach Möglichkeit auch später einen gewissen Zusatz an Steinkohle (man nannte es Anthrazit), der Mangelware war und nicht immer nach Wunsch gekauft werden konnte.
Braunkohle jedoch gab es in Menge, und sie wurde kostengünstig im Tagebau gewonnen. Es gab zwei große Kohlereviere in der DDR: das erste im Leipziger Becken um Borna und Espenhain, Delitzsch und Bitterfeld, Merseburg und Weißenfels, das zweite in der Lausitz um Senftenberg und bei Zittau. Die Brikettzüge rollten Tag und Nacht durch das gesamte Land und versorgten es mit Heizmaterial. Die Eisenbahn fuhr noch in den 1960er Jahren zum großen Teil mit Kohlelokomotiven. Fast der gesamte Strom für die Republik wurde aus Kohlekraftwerken gewonnen. Auch viele Chemikalien wurden aus Braunkohle hergestellt. Als 1964 ein extrem langer und kalter Winter herrschte, brach die Kohleversorgung der Republik teilweise zusammen. Die Bevölkerung sollte es gar nicht spüren, aber Schulen und öffentliche Einrichtungen wurden wochenlang geschlossen. Wir hatten zu unserer Freude reduzierten Schulbetrieb, der im Wechsel vormittags und nachmittags in Betriebsräumen einer Papierfabrik durchgeführt wurde. In diesen Räumen war die Hitze so unerträglich, da es keine Regulierungen für die veralteten Heizungen gab, sodass wir entweder einschliefen oder die Fenster aufgerissen werden mussten und letztlich bei Kohlemangel die Heizenergie vergeudet wurde. Die Folgen der Kohleheizung im ganzen Land waren ein typischer Kohlegeruch in der Luft – den besonders ausländische Besucher wahrnahmen – und eine enorme Luftverschmutzung mit Krankheitsfolgen und ästhetischen Schädigungen. Vor allem in den Großstädten Leipzig und Halle herrschte bei nebligen Wetterlagen Smog. Er schlug sich nieder in Atemwegserkrankungen vieler Menschen, über die es aber keine offiziellen Statistiken oder Mitteilungen gab. Das Thema war in der Presse tabu. Fuhr man mit dem Zug von Karl-Marx-Stadt über Borna nach Leipzig, schlug einem bei Borna ein übler Dauergestank in die Nase, und