Die Bürger von Dümpelgrau: Eine Gesellschaftssatire
Von Thomas Richwien
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Über dieses E-Book
Thomas Richwien
Thomas Richwien, 1944 in Erfurt/Thüringen geboren, machte 1964 in München Abitur, studierte Lehramt an der Päd. Hochschule München-Pasing und wurde Ende 1970 als Lehrer für Grund- und Haupt-(Mittel-)schulen in den Bay. Wald/Ldkr. Regen versetzt. An der Grundschule Viechtach konnte er seinen besonderen Neigungen zum Schultheater – auch mit eigenen Stücken –, zu Chor-, Orff- und Flötenstunden nachgehen. Seit über 30 Jahren ist er Mitarbeiter der Lokalredaktion des Viechtacher Bayerwald-Boten (Passauer Neue Presse) und Pressereferent des Kreislehrerverbandes (BLLV) Viechtach. Er beteiligt sich als Chorsänger und Instrumentalist in örtlichen Vereinen und leitet die ›Konzertfreunde Viechtach‹. Über 20 Jahre prägte er als Laienschauspieler die Burgfestspiele Neunussberg mit. Er bereichert viele Vereins- und Geburtstagsfeiern mit Text- und Musikbeiträgen. Als pensionierter Lehrer lebt er heute in Viechtach/Ldkr. Regen.
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Die Bürger von Dümpelgrau - Thomas Richwien
Denkmal
Thomas Richwien
Die Bürger
von Dümpelgrau
Eine Gesellschaftssatire
DIE ANFÄNGE VON DÜMPELGRAU
Anfänglich regt sich kaum etwas in der Einöde. Ringsum Hügel und hier und da ein Stück vor sich hin dämmernder Wald. Einem fremden Wanderer wäre kaum aufgefallen, wie inmitten der buckeligen Landschaft Erdklumpen in regelmäßigen Abständen aufstieben, scheinbar von Geisterhand gelenkt.
Da eine Stimme: »Sie! Passen Sie auf, Sie werfen ja Erde in meine Baugrube!«
Innehalten. Dann ein Kopf, der antwortet: »Hallo, da ist ja noch jemand.«
Die erste Stimme klingt erbost: »Schon gemerkt? Das ging knapp an meinem Kopf vorbei! Na hoppla!«
»Schön, dass ich nicht allein da bin; einen Nachbarn zu haben, ist nie verkehrt. Übrigens: Ich heiße Putz.«
»Angenehm, Aufschnaiter. Ich habe Sie noch nie in dieser Gegend gesehen ...«
»Nun, ich bin ja auch nicht von hier, es hat mich hierher verschlagen.«
»Also ein Heimatvertriebener. Ganz meinerseits«, freut sich Aufschnaiter und fragt: »Wie sind Sie denn zu diesem Bauplatz gekommen?«
»Na ja, ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich nicht wirklich willkommen bin. Schließlich hat sich ein Bauer meiner erbarmt und hat mir und meiner Familie Grund abgetreten, der ihm wertlos erschien. Dann hat er mir eine Schaufel in die Hand gedrückt und gesagt, mehr könne er nicht für mich tun. Und so bin ich nun dabei, für unser zukünftiges Häuschen eine Baugrube auszuheben.«
»Mir ging's ebenso«, erklärt Aufschnaiter. »Auf dem zuständigen Landratsamt in der fernen Kreisstadt hat man sich für meinen Bauplan kaum interessiert.«
»Wahrscheinlich denkt man: Sollen sie doch dahin wursteln, Hauptsache, sie geben Ruhe.«
»Na, denen werden wir schon zeigen, dass wir nicht aus Pappe sind. An die Arbeit, fertig, los!«
Beide Köpfe verschwinden wieder in ihren Baugruben und starten erneut Erdwurfattacken.
Im Laufe der Zeit kommen immer mehr Buddelwillige und es breitet sich eine Euphorie über das Land aus, die jedem Maulwurf Ehre gemacht hätte. Mehr und mehr nähern sich die Neuankömmlinge einander an, die gemeinsame Arbeit lässt sie miteinander kommunizieren. Man beginnt, zum gleichmäßigen Takt von Spitzhacke und Schaufel zu singen. Schließlich vertreibt der Gesang die Anonymität der Baugruben und schwebt fröhlich kommunizierend darüber. Das Verständnis füreinander wächst gleichlaufend mit dem Ingrimm, mit dem die Erdattacken aus verbissen skandierenden Mündern immer mehr zu einer gemeinsamen Trotzmelodie verschmelzen.
Schließlich trifft man sich auf freier Fläche, um ein gemeinsames Arbeitslied zu kreieren, das sich dem Gleichklang der Tätigkeiten rhythmisch anzupassen hat. Im Laufe der Zeit entsteht folgender Text:
»Zack, schieb weg, mit Stirnes Schweiß den Dreck
Hau, hau, hau – wir schuften für den Bau
Zack, schieb raus, fertig werd'n soll's Haus.
Wir reagier'n empört, wenn uns da jemand stört!«
Doch womit ein Haus bauen, woher Zement und Kalk nehmen? Schließlich erbetteln sich die Neuankömmlinge beides von Baustellen umliegender Dörfer, oft liegen angebrochene Zementsäcke umher. Holz für Türen, Böden und Fensterstöcke holen sich die fleißigen Leute aus dem Wald. Die Siedlung wächst schnell.
Bald leben alle nach dem Motto: Not macht erfinderisch. Und aus dieser Not heraus entsteht eine Gemeinschaft, in der Geben und Nehmen das tägliche Leben regelt. Auf kleinen Märkten bietet man zum Tausch, was man angebaut hat. Die Haustüren stehen für jedermann offen, über Grundstücksgrenzen pflegt man einen freundschaftlichen Plausch.
Eines Tages aber stutzt Herr Gscheidhaferl, einer der letzten Ankömmlinge: Da liegt längs der Grenze zum Nachbargrundstück, genau auf der gedachten Linie, ein Brett. Und schon öffnet sich die Tür zum Nachbarhaus und Herr Geophil tritt in den Rahmen: »Nun, Herr Gscheidhaferl, sehen Sie den großen Tritt in meinem Grundstück? Ihr Schuh passt sicher gut hinein.«
»Herr Geophil, was wollen Sie damit sagen?«
»Nun, das ist doch nicht so schwer zu erraten. Sie sind ein Grenzverletzer, Eigentumsmissachter, ein potentieller Dieb und Unruhestifter!«
»Alles auf einmal?«, ereifert sich Herr Gscheidhaferl. »Gemach, gemach, ich kenne Sie nicht wieder. Bisher waren wir doch eine offene Dorfgemeinschaft. Das Betreten des Nachbarrasens war niemandem verboten, jedem stand die Haustür des anderen offen.«
»Aber Sie haben dieses Recht reichlich überstrapaziert. Das bleibt nicht ohne Folgen!« Geophil dreht sich um und verschwindet im Haus.
In den folgenden Tagen herrscht eine angespannte Ruhe. Nächtliche Geräusche machen aus den Nerven Gscheidhaferls bis zum Zerreißen aufgezogene Sprungfedern. Eines Morgens stellt sich ihm plötzlich beim Verlassen seines Hauses ein Stacheldrahtzaun entgegen, Tage später blockieren Hürden und Oxer das Nachbargrundstück. Schließlich grinsen ihn Echsen-, Hexen- und Teufelsattrappen mit eingebauten Lichtsensoren an. Wochen später legt Geophil sogar einen Brennnesselstreifen an, und auf seinem Dach feixen Hexen mit eingebauten Alarmanlagen und Lichtgewittern. Sie sind miteinander verschlungen im flackernd-gleißenden Hexensabbat-Tanz. Krokodile und Drachen aus Blech fauchen ihren heißen Maschinenatem über den Grund.
Dann geschieht etwas, womit niemand gerechnet hat: Schaulustige Kunstliebhaber versammeln sich vor dem Hause Geophils und feilschen um die ›Kunstwerke‹. Teils durchqueren sie dabei den Grund Gscheidhaferls, um sich einen besseren Blick zu verschaffen. Als dann plötzlich Figuren verschwinden, geraten Gscheidhaferl und Geophil gehörig aneinander. Der eine wirft dem anderen vor, neugieriges Publikum mit seinen Horrorinstallationen angelockt zu haben, das ohne Bedenken auch über seinen Grund gehe. Geophil unterstellt daraufhin seinem Nachbarn, die eine oder andere Figur entwendet zu haben, was dieser natürlich mit dem Hinweis bestreitet, dass diese Horrorinszenarien längst Landkreisgesprächsthema seien und Anlass zu regelrechten ›Kunstausflügen‹ gäben, im Zuge derer für nichts garantiert werden könne. Geophil hält dem entgegen, jeder könne auf seinem Grund ausstellen, was ihm beliebe. Außerdem sei die Grenzverletzung Gscheidhaferls Anlass gewesen für seine Gegenoffensive. Der wehrt sich und bezichtigt Geophil, die Grenzüberschreitung seines Grundes durch neugierige Fremde billigend in Kauf genommen und unhaltbare Unterstellungen in die Welt gesetzt zu haben.
Schließlich kommt diese Auseinandersetzung vor das Landkreisgericht. Der vorsitzende Richter legt den fatalen Wirkungszusammenhang dar und erklärt: Auslöser dieser Schuldzuweisungseskalation war der Abdruck einer Schuhsohle, von dem man nicht zweifelsfrei beweisen könne, dass er von Herrn Gscheidhaferl stammt. »Ich schlage den gegnerischen Parteien eine gütliche Einigung vor«, sagt der Richter schließlich, »die davon auszugehen hat, dass die zu weiteren Irritationen Anlass gebenden Installationen entfernt werden müssen. Diesbezüglich möchte ich auch auf die Gemeindeordnung hinweisen ...«
»Halt!«, unterbricht da Geophil, »wir sind rechtlich doch gar keine Gemeinde, wir haben ja noch nicht einmal einen Namen.«
»Dann ist es höchste Zeit, das in die Wege zu leiten«, erklärte der Richter unbeeindruckt und fährt fort: »Hätten Sie einen Namensvorschlag?«
Gscheidhaferl und Geophil fühlen sich überrumpelt. Geophil aber fängt sich als Erster: »Na ja, wenn man nichts mehr installieren darf, weil es die Nachbarn unter Umständen stören könnte, dann versinkt das Dorf in seinen grauen Urzustand.«
»Jetzt hab' ich's!«, ruft da Gscheidhaferl, »der Name ›Dümpelgrau‹ würde gut dazu passen.«
»Gut«, sagt der Richter, »aber dazu brauchen Sie einen Gemeinderatsbeschluss.«
Gscheidhaferl und Geophil rufen wie aus einem Mund aus: »Oje, wir haben auch keinen Gemeinderat.«
Der Richter entscheidet: »Dann wird auch das Zeit, es gibt viel zu tun ...«
WER WIRD BÜRGERMEISTER VON DÜMPELGRAU?
Die Dümpelgrauer Bürger sind sich einig: Sie müssen jemand finden, der die Richtung vorgibt. In einer großen Scheune versammeln sie sich. Draußen rüttelt der Sturm an den Verschlägen, es wird ziemlich ungemütlich. Alle schlagen den Kragen ihrer Jacken hoch und man klopft sich gegenseitig auf den Rücken. Plötzlich wird das Klopfen rhythmisch, die Bürger skandieren: »Wir frieren so sehr, ein Rathaus muss her!« Windgasser übertönt alle: »Aber wie überall: mit Gemeindesaal!« Alles schreit durcheinander: »Wie soll der aussehen? – Wer soll das bezahlen? – Wer bestimmt?« Batz wiegelt ab: »Jetzt haltet mal euer Maul! Einer unter euch muss bestimmen, wo's langgeht.«
Es folgt ein buntes Durcheinander an Vorschlägen:
»Wie wär's mit Ratzeputz? Was der anpackt, hat Hand und Fuß.«
»Oder mit Schaumschläger, wenn der mal loslegt ...«
»Mit Geophil wird Dümpelgrau ein Zentrum der Künste, ein ›Dümpelgold‹.«
»Vergesst Quertreiber nicht: Er heizt jede Diskussion an!«
Ruhsdorfer geht dazwischen und fordert: »Leute, wie wär's, wenn sich die Kandidaten für's Bürgermeisteramt vorstellen und einen Agenda-Plan vorlegen?« Zustimmendes Gemurmel, Crescendo-Gekläffe, Verwirrung in den hinteren Reihen.
Schaumschläger meldet sich als Erster: »Meine sehr bewährten Mitbürger! Zu Unrecht schauen die umliegenden Gemeinden auf uns Dümpelgrauer herab. Dabei könnten wir, wenn wir wollten! Und wir wollen, wenn wir könnten! Ja, ja, der Wille wird uns immer abgesprochen. Wenn ein Dümpelgrauer eine Schaufel in die Hand nimmt, scheint er sich erst einmal auf dem Stiel auszuruhen. Doch weit gefehlt: Er überlegt in aller Ruhe den ersten Schritt, um so weiter zu machen, dass er den anderen überlegen ist. Auf die innere Konzentration folgt die äußere Explosion. Alles muss so effektiv wie möglich sein. Haben wir nicht beim Ausheben der Baugruben bewiesen, dass wir können, wenn wir wollen? Aber der Wille lässt plötzlich nach, immer wieder lassen wir uns gehen: Als wir endlich in unseren Häusern wohnten, lehnten wir uns zufrieden zurück, und Dümpelgrau versank in einer unerklärlichen Art von Lethargie und dümpelt seitdem vor sich hin. Vielleicht liegt es daran, dass jeder nur noch auf seinen Besitzstand schaut, dem Nachbarn misstraut und ihm missgönnt, was ihm dieser voraus hat. Ich möchte das ändern, möchte, dass wir fortschreiten und uns aus dem Grau unseres Dahindümpelns erheben. Lasst uns zieh’n nach Dümpelgrün! Treffen wir uns dazu oft im zukünftigen Gemeindesaal!«
Da schaltet sich Gscheidhaferl ein: »Ein Dorf, aus dem was werden soll, braucht Geschäfte, Wirtshäuser, Hotels, Arztpraxen. Hierzu muss Grund günstig angeboten werden.«
»Und was ist mit einer Schule? Alle Welt redet heute über Bildung«, gibt Poetorix zu bedenken.
»Haben wir als Aussteiger nicht so viel Grips, dass wir unsere Kinder selbst unterrichten können? Seht sie euch doch an, die heutigen Lehrer! Ist auf sie denn noch Verlass? Am liebsten führen sie Projekte durch und traktieren die Kinder in Lesenächten mit ›Mursi lässt die Biene Maja tanzen‹ oder ›Wie Pippi Langstrumpf in einen Misthaufen fiel‹ oder ›Wie Robinson Crusoe die Einsamkeit verfluchte‹, und zu allem Überfluss mit ›Knalle Blomquists Blindflug über den Dächern von Paris‹. Und statt ihnen Rechnen beizubringen, stellen sie so idiotische Aufgaben wie: ›Bauer Britsch trinkt auf einer Versammlung vier Maß Bier. Wie viele Maß darf er noch trinken, um weiter fahrtauglich zu sein?‹ Nein, Lehrer können wir wahrhaftig selbst spielen.«
Poetorix zögernd: »Na gut, wir könnten’s probieren ... obwohl die Gefahr besteht, dass wir unsere Kinder dann verziehen und diese dann zum Maß aller Dinge werden ...« Und Poetorix fügt hinzu: »Aber eine Kirche, eine Kirche brauchen wir auf jeden Fall.«
Energisch meldet sich Quertreiber: »Hat uns schon einmal ein Pfarrer geholfen und den Bauern ins Gewissen geredet, die Fremde, Aussteiger und Heimatlose wie uns am liebsten ›zum Teufel‹ jagen? Dabei sitzen diese weihrauchgeschwängerten Sturköpfe privilegiert in den Kirchenbänken hinter ihren Namensschildern, um sie kurz vor ihrem Tode abzuschrauben und dem lieben Gott im Himmel unter die Nase