Flucht vor der großen Liebe: Erika Roman 8 – Liebesroman
By Helga Winter
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Als sie sich kennenlernten, ahnte Prilia Kerksen nicht, daß er verheiratet war. Vieles wäre dann anders gekommen…
Es begann im Theater. Das Mädchen saß auf dem Platz, den ihr die Freundin geschenkt hatte, und nahm anfangs keine Notiz von dem Mann im eleganten Smoking, der neben ihr saß.
Und vielleicht hätten sie sich niemals kennengelernt, wenn ihr nicht das Programmheft vom Schoß geglitten wäre. Dr. Matty Corden bückte sich, bevor sie es greifen konnte und reichte es ihr mit einem Lächeln.
Das Lächeln, das bezaubernde, etwas arrogante Lächeln, erstarrte auf seinem Gesicht, als er zum erstenmal Prilia in die Augen schaute. Er konnte seinen Blick nicht abwenden, so schön, so unendlich rührend und ergreifend war das junge Antlitz unter der Fülle des blonden Haares.
Auch Prilias Lächeln verschwand. Es kostete sie eine gewaltige Anstrengung, den Kopf zu senken. Ihre Hände, die das Programmheft entgegennahmen, zitterten leicht.
»Ich danke Ihnen.« War das überhaupt noch ihre Stimme? Sie klang heiser und belegt.
Ein unsichtbarer Strom ging von Mensch zu Mensch, der sie auf seltsame Weise verband und ihnen verriet, daß sie ihrem Schicksal begegnet waren.
So fing es an. Ganz harmlos und ohne eine Täuschungsabsicht, ganz zufällig.
Matty Corden trug keinen Ring. Als Arzt störte es ihn bei der Arbeit, und Prilias Herz schlug schneller, als sie es bemerkte. Vergeblich versuchte sie sich nach dem Dunkelwerden auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren, es gelang ihr nicht. Sie spürte ein Herz an ihrer Seite fragen und verwünschte ihr eigenes, das antwortete, das bebte und zuckte, wenn sich ihre Arme
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Flucht vor der großen Liebe - Helga Winter
Erika Roman
– 8–
Flucht vor der großen Liebe
Helga Winter
Als sie sich kennenlernten, ahnte Prilia Kerksen nicht, daß er verheiratet war. Vieles wäre dann anders gekommen…
Es begann im Theater. Das Mädchen saß auf dem Platz, den ihr die Freundin geschenkt hatte, und nahm anfangs keine Notiz von dem Mann im eleganten Smoking, der neben ihr saß.
Und vielleicht hätten sie sich niemals kennengelernt, wenn ihr nicht das Programmheft vom Schoß geglitten wäre. Dr. Matty Corden bückte sich, bevor sie es greifen konnte und reichte es ihr mit einem Lächeln.
Das Lächeln, das bezaubernde, etwas arrogante Lächeln, erstarrte auf seinem Gesicht, als er zum erstenmal Prilia in die Augen schaute. Er konnte seinen Blick nicht abwenden, so schön, so unendlich rührend und ergreifend war das junge Antlitz unter der Fülle des blonden Haares.
Auch Prilias Lächeln verschwand. Es kostete sie eine gewaltige Anstrengung, den Kopf zu senken. Ihre Hände, die das Programmheft entgegennahmen, zitterten leicht.
»Ich danke Ihnen.« War das überhaupt noch ihre Stimme? Sie klang heiser und belegt.
Ein unsichtbarer Strom ging von Mensch zu Mensch, der sie auf seltsame Weise verband und ihnen verriet, daß sie ihrem Schicksal begegnet waren.
So fing es an. Ganz harmlos und ohne eine Täuschungsabsicht, ganz zufällig.
Matty Corden trug keinen Ring. Als Arzt störte es ihn bei der Arbeit, und Prilias Herz schlug schneller, als sie es bemerkte. Vergeblich versuchte sie sich nach dem Dunkelwerden auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren, es gelang ihr nicht. Sie spürte ein Herz an ihrer Seite fragen und verwünschte ihr eigenes, das antwortete, das bebte und zuckte, wenn sich ihre Arme zufällig einmal berührten.
Matty Cordens Mund war trocken geworden, während sich die Innenflächen seiner Hände mit kaltem Schweiß bedeckten. Er war verheiratet mit einer reizenden Frau, aber er wußte nicht, was Liebe war. Er mochte Saryn gern, er hatte sie geheiratet, weil er damals mehr für sie empfand als für irgendeine andere Frau, und weil er spürte, daß er für sie alles war.
Er war überzeugt, daß sein eigenes Gefühl Liebe war. Er hätte nur gelacht, wenn ihm jemand prophezeit hätte, daß er sich einmal in ein Mädchen verlieben würde, das er nur einmal anschaute, von dem er gar nichts wußte, als daß es braune Augen und blondes Haar hatte.
Matty schloß die Augen und versuchte seine Gedanken auf Saryn zu konzentrieren. Er versuchte sich vorzustellen, was sie im Moment machte, aber es wollte ihm nicht gelingen.
An Stelle ihres Gesichtes schob sich ein Röntgenbild vor sein geschlossenes Auge, das er heute morgen hatte anfertigen lassen. Er war Lungenfacharzt, er wußte, was die Schatten auf dem Bilde bedeuteten. Sie waren ein Todesurteil. Niemand konnte ihr helfen, den Verfall ihres Körpers zu stoppen. Sie war unrettbar verloren, und nur er wußte es.
Bald würde er frei sein…
Gewaltsam versuchte er diesen Gedanken zurückzudrängen. Er wünschte ihr das Leben, an dem sie hing, er wünschte, daß sie der kleinen Helga erhalten blieb. Und doch wußte er, daß dieser Wunsch niemals in Erfüllung gehen konnte. Nur noch einige Monate…
An seiner Seite saß ein Mädchen, dessen Gesicht das Saryns verdrängte, das er Zug um Zug kannte, obwohl er es nur ein einziges Mal für Sekunden angeschaut hatte. Es war das Bild einer Sehnsucht, die er verborgen in seinem Herzen getragen und von der er bewußt nichts geahnt hatte.
Er begann zu träumen, während die Klänge der Musik an seinem Ohr vorüberrauschten. Er sah die Fremde vor dem Kamin seines Zimmers stehen, sah, wie sie in einem Sessel saß und in einem Buch blätterte… er sah sie in allen Situationen, in denen sich jetzt seine Frau befand…
Noch befand…
Seine Gedanken waren ein Verrat an der Frau, die ihn liebte, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas. Sie hatte ein Recht auf ihn, das größer war als nur der Anspruch durch den Trauschein.
Saryn liebte ihn, sie hatten ein Kind, ein reizendes Mädelchen, aber er saß hier und träumte von einer anderen, die er nicht kannte, die vielleicht ganz anders war, als er dachte.
Prilia schaute nicht zur Seite, als das Licht im Theater wieder aufleuchtete. Sie spürte den Blick des neben ihr sitzenden Mannes auf sich. Eine feine Röte färbte ihre Wangen und verlieh ihrem Gesicht eine Süße, die Matty alle Bedenken vergessen ließ.
War es denn wirklich so schlimm, wenn er an dieses Mädchen dachte? Saryn würde sterben, und niemand konnte von ihm verlangen, daß er ihr ein ganzes Leben lang nachtrauerte. Und Helga brauchte eine Mutter, die sich ihrer annahm, die für sie sorgte, wie es Saryn doch niemals richtig gekonnt hatte.
Seit drei Jahren war sie krank…
Es war trotz allem ein Verrat. Matty Corden verkrampfte seine Hände und erhob sich dann. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, als er sich durch die Reihen in der Pause sitzengebliebener Menschen drängte, und dann holte er sich, ohne die neugierigen Blicke der anderen zu beachten, seine Garderobe.
Er mußte hinaus, er mußte jetzt frische Luft atmen, er mußte versuchen, dieses Mädchen, dessen Anblick eine ganz eigene Saite in seinem Innern berührte, zu vergessen.
Er war doch verheiratet! Und er war kein Schuft! Wenn er auch Saryn nicht so liebte wie sie ihn, so hatte sie doch Anspruch auf sein ganzes Herz. Sie war zu schade, um mit einer gleichgültigen Fremden betrogen zu werden.
Gleichgültig? Matty wußte, daß dieses Mädchen sein Schicksal hätte werden können, wenn er nicht vor ihr die Flucht ergriffen. Ja, es war eine Flucht, wenn er es sich selbst auch nicht eingestehen wollte.
Eine Flucht vor einem Bilde, das er im Herzen trug.
War sie wirklich möglich?
*
Saryns Gesicht strahlte auf, als er, früher als sie geglaubt hatte, ihr Zimmer betrat. Sie erriet seine Verstimmung, ahnte aber nicht im geringsten den wahren Grund.
»Das Theater war heute ja sehr früh aus. Bleibst du noch etwas bei mir? Natürlich nur, wenn du nicht zu müde bist.«
Matty ließ sich auf der Kante ihres Bettes nieder und nahm ihre schlanken Finger in seine kräftige Hand. Unbewußt streichelte er die weiche Haut. Es war, als wolle er durch diese Geste die Gedanken abbitten, die ihn gegen seinen Willen die letzten Stunden beschäftigt hatten.
Frau Saryn schaute entspannt, mit glücklichem Lächeln zu ihm hoch. Matty hatte nur wenig Zeit für ein Familienleben, als Chefarzt des großen Sanatoriums war er mit Arbeit überlastet, aber bisher hatte sie noch kein einziges Mal Ursache gehabt, sich über eine Vernachlässigung zu beklagen.
Wie häufig hatte er ihr Blumen oder eine Schachtel Konfekt mitgebracht, und sie wußte, daß diese kleinen Geschenke nicht nur eine Aufmerksamkeit bedeuten sollten, sondern ein Dank an sie waren.
Heute hatte er allerdings nichts, er war mit leeren Händen eingetreten, aber sie umschlossen dafür ihre Finger, und das war das schönste Geschenk für die stillgewordene junge Frau.
Drei Jahre lag sie jetzt zur Untätigkeit verdammt im Zimmer oder auf dem breiten Balkon im Liegestuhl. Nach zweijähriger Ehe war die Krankheit gekommen und trotz aller Versuche Mattys, sie in der Entstehung zu bekämpfen, war doch alles vergeblich geblieben.
Der Mann schaute auf einen Punkt auf der Bettdecke, während er automatisch die fieberheißen Hände seiner jungen Frau streichelte.
Es war gut, daß sie nicht ahnte, wie schwer krank sie in Wirklichkeit war. Hoffentlich erfuhr sie es auch nicht in den nächsten Monaten. Er wünschte ihr, daß der Tod sie plötzlich und auch schmerzlos überfallen möge.
»Es wäre schön, wenn Helga hier sein könnte«, klang die weiche Stimme Saryns an sein Ohr. »Manchmal kann ich es vor Sehnsucht nach ihr kaum aushalten. Ich weiß natürlich, daß es nicht geht, aber das dumme Herz ist unvernünftig, es sehnt sich trotz allem nach etwas, das nicht erfüllt werden darf.«
Matty schaute auf sie hinab. »Ja, Saryn«, erwiderte er schwer, »das dumme Herz ist ein eigen Ding. Aber wir haben ja Gott sei Dank Verstand genug, um es zu bezwingen.«
Die Frau horchte auf. Ein schmerzlicher Zug lag ganz plötzlich um ihre Mundwinkel, und sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite. Auf dem langen Krankenlager war ihr Ohr geschärft worden für die feinen Zwischentöne in der Stimme eines Menschen.
Matty war unzufrieden, er wünschte sich etwas, das er nicht bekommen konnte. Er war verheiratet und hatte doch eigentlich keine Frau.
Zwei Tränen rannen über ihre Wangen und tropften auf das blütenweiße Kissen. Sie hätte alles für Matty tun können, sie liebte ihn mit einer Kraft der Empfindung, von der er nichts ahnte, und war doch vollkommen hilflos.
Sie konnte gar nichts tun, als nur still liegen und nicht klagen. Ja, das war das einzige, was sie ihrem Mann Liebes tun konnte: nicht klagen.
Und Matty dankte es ihr. Kam er müde und abgespannt über den Flur gegangen, so empfing sie ihn mit einem frohen Lächeln, dem niemand ansehen konnte, wie schwer es ihr fiel. Hier, in seinen vier Wänden, in seinem Heim, sollte er vergessen, daß er eine kranke Frau hatte.
Hier sollte er wirklich ausruhen.
»Du bist eine tapfere Frau, Saryn. Ich bewundere dich, weißt du das?«
Die junge Frau riß sich zusammen. Geräuschvoll putzte sie sich die Nase und wischte dann das verdächtige Naß aus den Augenwinkeln. Matty sagte, daß er sie bewunderte. Ja, das mochte vielleicht wahr sein, er achtete sie, er schätzte sie – nur lieben tat er sie nicht.
Sie zog seine Hand an ihre Wange und ließ sie dort still verharren. Es wäre auch zu viel des Glücks gewesen, wenn dieser Mann sie so liebte wie sie ihn.
*
Am nächsten Morgen galt Matty Cordens erster Blick in seinem Arbeitszimmer wieder den Röntgenaufnahmen, die ihm alles über den Gesundheitszustand seiner Frau verrieten. Lange hielt er sie gegen das helle Tageslicht, und als er sie wieder in den großen gelben Umschlag schob, kam ihm unwillkürlich ein tiefer Seufzer aus der Brust.
Sein Assistent Dr. Winter, ein Mann von dreißig Jahren, mit klugen, energischen Zügen, horchte bei diesem Geräusch auf. Doch als er die Aufschrift auf dem Kuvert sah, ahnte er den Zusammenhang. Er war nicht neugierig, doch trotzdem zog er nach dem Fortgang Mattys den Film ans Licht. Sein Chef war verschlossen, er sprach mit seinen Mitarbeitern nicht über persönliche Dinge.
Seine schlimmsten Befürchtungen wurden noch überboten, als er die Röntgenaufnahmen prüfte. Jetzt verstand er, weshalb der sonst ausgeglichene Corden in den letzten Monaten manchmal so gereizt war, weshalb es ihm sichtlich schwer fiel, stets seine Ruhe und Gelassenheit zu bewahren!
Er lebte an der Seite einer Frau, die dem Tode verfallen war und mußte ihr doch stets ein fröhliches Gesicht zeigen, mußte lächeln und heucheln, während er doch wußte, wie bald der Platz leer sein würde, den sie einnahm. Das Geschehen erschütterte ihn. Wie viele Menschen, die Saryn kannten, hatte er eine tiefe Achtung, die fast an Ehrfurcht grenzte, vor der Frau seines Chefs.
Ob sie ganz ahnungslos war oder vielleicht doch irgendwie spürte… Wenn es nur ein wirksames Heilmittel geben würde!
Bei der Vormittagsvisite forderte Matty ihn ganz nebenbei auf, die Mittagsmahlzeit in seiner Gesellschaft einzunehmen. Das war eine große Auszeichnung, denn Matty liebte die Stunde der Besinnung, die dem Essen zu folgen pflegte.
Dr. Winter kannte jetzt den Grund der Einladung und staunte auch nicht, als sein Chef ihm vorschlug, doch jeden Mittag mit ihnen zu essen. »Meine Haushälterin kocht besser als die große Küche«, gab er als Begründung an, aber Ernst Winter spürte, daß er sich fürchtete, mit seiner Frau allein zu sein.
Es mußte unsagbar schwer sein, an der Seite einer Todkranken zu leben und Fröhlichkeit zu heucheln, ohne daß sie die Täuschung durchschaute. Und bisher war sie noch ahnungslos, das glaubte Winter zu erkennen, als er in ihre gelassenen Augen schaute. So ruhig wie sie war kein Mensch, der