Nur Liebe lässt den Menschen sein: Gedichte und Essays
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About this ebook
Gabriele Sachs, Rudolf Winterers Tochter, setzt ihrem 1993 verstorbenen Vater als Herausgeberin einer Auswahl seiner Gedichte ein liebevolles und bewegendes Denkmal, das uns daran erinnert, worauf es im Leben wirklich ankommt!
Rudolf Winterer
Dr. Rudolf Winterer, geb. in Bonndorf, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Waldshut und Freiburg. Er studierte Medizin und ließ sich 1951 als erster Radiologe in Freiburg nieder. Schon als Jugendlicher beschäftigte er sich mit den großen Lebensphilosophien. Er war ein Schöngeist mit tiefen Gefühlen auf der Suche nach seinem Ziel und über allem stand die Liebe. Mit viel Muse und Hingabe ist so ein Dokument über 57 Jahre entstanden. Sein Gedicht „ Das blinde Mädchen“, für die Frankfurter Bibliothek 2015, hat den 1. Preis gewonnen.
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Book preview
Nur Liebe lässt den Menschen sein - Rudolf Winterer
Sein!
Alles drängt zum Werde
„Wir schauen jetzt durch einen Spiegel
im Rätsel, dann aber von Angesicht
zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s teilweise,
dann aber werde ich erkennen, wie ich
auch erkannt bin. Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
das größte aber von diesen ist die Liebe."
(1. Kor. 13, 12-13)
November 1930
Tag der Entscheidung
Erst seit kurzem lebe ich in der Stadt.
Jäh riss mich die Versetzung meines
Vaters aus altgewohntem Landleben,
aus engem Verbundensein mit der Natur, und
namentlich raubte sie mir den Rhein, dessen Rauschen
17 Jahre lang mein Leben durchklungen hatte,
Tag und Nacht. Um keinen Preis wollte ich mich
von all dem trennen; Vater und Mutter
allein fortziehen zu lassen war ich bereit.
Aber was väterliche Autorität nicht vermochte,
das gelang der unermüdlichen Liebe einer
gütigen Mutter.
Jetzt bin ich in Freiburg, für meine Begriffe:
Großstadt. Lange konnte ich mich nicht in
die gegebene Lage hineinfinden: Ich wollte
nicht in die Schule, machte gleichgültig
meine Aufgaben, drückte mich herum, sprach
mit niemandem und weinte nächtelang. Oh, wie
sehnte ich mich nach den grünen Ufern des
Rheins, die unser altes Haus tragen, nach dem
starren Titlis, der abends rosarot vom Süden
herübergrüßt!
Meine Klassenkameraden scheinen mir alle
schrecklich alt und erfahren. Viele hatten einen
so wissenden Zug um den Mund, und sie sprachen
über Dinge, bei denen ich mich schämte für die,
die zuhörten, und die mir die Röte in das Gesicht
trieben: Ich erfuhr von den Gefahren der Stadt.
Und wenn ich mit offenen Augen durch die Straßen
ging, sah ich manches, was mich entsetzte. Ich
dankte – was ich übrigens auch jetzt noch tue –
Gott dafür, dass er mich auf jenem irdischen
Paradies aufwachsen ließ und mir so gute
Eltern gab.
Doch auch manches Schöne bot mir Freiburg
bisher. Ich lernte den Wald lieben und erkannte
den ganz eigenen Reiz des Gebirges mehr als vorher.
Theater, Konzerte, Bibliotheken, Vorträge und nicht
zuletzt der bessere Schulbetrieb gaben mir viele
Bewegungen auf geistigem – zum Teil mir vorher
unbekannten – Gedanken.
In dem halben Jahr, das ich bis jetzt in
Freiburg verbrachte, öffneten sich mir
viele neue Gesichtspunkte. Ich habe das
Gefühl, um Jahre älter geworden zu sein. Ob
alles, was ich Neues lernte oder erfuhr, zu
meinem Vorteil oder Nachteil ist – wer
kann das jetzt entscheiden? Aber dass der Tag
der Versetzung meines Vaters, der zufällig
mein Geburtstag war, mein weiteres
Leben entscheidend beeinflusste, steht außer
Zweifel.
März 1931
Natur und ich
Und frische Nahrung, neues Blut
saug ich aus freier Welt.
Wie ist Natur so hold und gut,
die mich am Busen hält!
Goethe: Auf d. Inn
Hoch oben, fern vom Stadtgetriebe
und dem Getöse moderner Technik