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Alarvail: Der Elbenkrieger
Alarvail: Der Elbenkrieger
Alarvail: Der Elbenkrieger
Ebook347 pages4 hours

Alarvail: Der Elbenkrieger

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About this ebook

Ein tragisches Ereignis sorgt dafür, dass der junge Elb Alarvail seine Heimat verlassen muss. Es verschlägt ihn auf die Insel Galathol. Von seinen Verwandten verstoßen, findet sich Alarvail bald im elbischen Heer wieder, wo er zum Krieger ausgebildet wird. Als Soldat des mächtigsten Volkes von Antariksa wird er in ferne Länder geschickt, um den Frieden mit dem Schwert zu erzwingen. Alarvail kämpft mit allem Eifer, denn er träumt davon, eines Tages ein mächtiger Heerführer zu werden. Doch dann beginnt er, die falschen Fragen zu stellen ...
LanguageDeutsch
Release dateMay 25, 2018
ISBN9783752818802
Alarvail: Der Elbenkrieger
Author

Alexander Merow

Alexander Merow schreibt seit 2010 Science-Fiction- und Fantasy-Romane. Bekannt geworden durch seine dystopische Buchserie "Beutewelt", arbeitet Merow inzwischen an mehreren Romanreihen wie etwa "Das aureanische Zeitalter", "Alarvail" oder "Die Antariksa-Saga". Das Erfinden detailreicher und liebevoll ausgearbeiteter Fantasy- und Science-Fiction-Welten betreibt Merow mit großer Leidenschaft, ebenso wie das Verfassen der Romane selbst, was ihm im Laufe der Jahre eine wachsende Anzahl von Lesern beschert hat.

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    Book preview

    Alarvail - Alexander Merow

    Inhalt

    Vorwort

    Alarvail

    Böses Erwachen

    Brennender Ehrgeiz

    Alarvails Feuerprobe

    Erstes Blut

    Der einsame Krieger

    Feldzug in Manchin

    Sterben für Galathol

    Zurück in der Heimat

    Die Orkgefahr

    Der Kampf gegen Bolrugs Horde

    König Snorri

    Wachsende Zweifel

    Bolrugs Rückkehr

    Die Schlacht von Enrasse

    In den Wäldern von Ursien

    Der quälende Marsch

    Das letzte Gefecht

    Vorwort

    Dieser Roman spielt etwa 4200 Jahre vor der Zeit, in der Grimzhag der Ork vom einfachen Häuptling zum Welteroberer aufgestiegen ist. In „Alarvail - Der Elbenkrieger" steht allerdings kein Ork im Mittelpunkt, sondern eines jener spitzohrigen Wesen, die aus der Fantasy nicht mehr wegzudenken sind.

    Früher mochte ich eigentlich keine Elben oder Elfen. Sie gingen mir in sämtlichen Büchern, Rollenspielen und Tabletops regelmäßig auf die Nerven. Als Gegner bei „Warhammer" habe ich sie – und mehr noch meine Orks – manchmal wirklich gehasst. Andererseits sind Spiele gegen ein Volk, das man überhaupt nicht ausstehen kann, oft die spektakulärsten.

    Inzwischen ist meine Abneigung gegen die besserwisserischen Spitzohren aber nicht mehr so groß wie noch vor einigen Jahren. Man wird eben älter und versöhnlicher. Das gilt zumindest für mich. Meine Orks sind da leider deutlich nachtragender und grummeln noch immer im Regal vor sich hin.

    Wer bereits ein wenig Geschmack an meiner Fantasywelt „Antariksa gefunden hat, der darf mir nun in die „alte Zeit folgen. Eine Zeit, in der die Völker Antariksas ganz im Schatten der elbischen Zivilisation standen.

    Ich wünsche euch viel Spaß mit „Alarvail - Der Elbenkrieger", dem ersten Band meiner neuen Fantasyreihe. Antariksa ist groß. Es gibt noch jede Menge zu erzählen.

    Euer Alexander Merow

    Alarvail

    Ein milder Windhauch schlich durch den blühenden Garten, liebkoste Alarvails Wangen und ließ die Blätter des Baumes, unter dem der junge Elb saß, leise rascheln. Nur selten drang die Hitze der Wüste mit ihrer ganzen Kraft bis nach Caralith vor. Im Herzen der Oase Muina, wo sich die Elbenstadt befand, war man vor ihr geschützt. Hohe Palmen und dichte Rankengewächse schirmten die Behausungen vor den heißen Stürmen der Sandödnis ab wie ein Schutzwall. Seen aus kristallklarem Wasser, gespeist von unterirdischen Strömen, sorgten dafür, dass Muina ein Ort des immerwährenden Blühens blieb. Es war schön und besinnlich in Caralith, einem Ort, dessen zurückhaltende Abgeschiedenheit und Stille ganz dem elbischen Wesen entsprach.

    Alarvail öffnete die Augen. Er unterbrach das Sinnieren, als er die Stimme seines Vaters hörte.

    „Ich muss noch einmal zu Hiran Cleandil. Bitte hilf gleich deiner Mutter, die Yaven in die Vorratskammer zu bringen", sagte die weißblonde Gestalt und war im nächsten Moment schon wieder im Haus verschwunden.

    Alarvail hatte nichts darauf erwidert. Er würde tun, was ihm sein Vater aufgetragen hatte. Das wäre Antwort genug.

    Für einen kurzen Augenblick gab sich der junge Elb noch einmal der gedanklichen Leichtigkeit hin. Mit geschlossenen Augen und langsam atmend konzentrierte er sich auf das Summen einiger Insekten und das Gezwitscher eines buntgefiederten Vogels im Geäst über ihm.

    Dann erhob sich der sechzehn Jahre alte Elbenknabe von seinem Platz und ging ins Haus, um seiner Mutter zu helfen.

    „Ich warte bereits!", bemerkte Valima, Alarvails Mutter, mit tonloser Stimme, während sie ihren Sohn zu sich winkte.

    Dieser gehorchte und kam augenblicklich näher. Die schlanke Elbenfrau von hohem Wuchs bewegte sich mit beinahe tänzelnden Bewegungen durch den Raum, ihr langes Haar wogte dabei hin und her. Alarvail folgte seiner Mutter zu einem Holzkarren, der vor der Eingangstür des Hauses stand. Auf der Ladefläche türmten sich lilafarbene Früchte auf. Sie mussten in den Vorratsraum im Keller.

    „Hier!", sagte Valima, Alarvail einen Weidenkorb in die Hand drückend.

    Wortlos machte sich der junge Elb an die Arbeit. Er füllte den Korb mit einem Dutzend kegelförmiger Yaven und schleppte sie in die Vorratskammer, wo zahlreiche Fässer und mehrere Holzkisten standen. Hier unten war es kühl, es roch nach feuchtem Lehm und altem Holz.

    Den Elben in Caralith mangelte es nicht an Lebensmitteln. Die Oase Muina spendete nicht nur hervorragendes Wasser, sondern bot auch eine Vielzahl von Anbaumöglichkeiten. Das ganze Jahr hindurch wuchsen die Früchte – und das mit atemberaubender Geschwindigkeit. Muina war ein Ort, an dem es sich zu leben lohnte. Nicht umsonst hatten Alarvails Vorfahren gerade hier vor Jahrhunderten eine Stadt errichtet.

    Als der letzte Korb voller Yaven in den Vorratsraum gebracht worden war, schloss Valima die Tür der Kammer zu und ging mit ihrem Sohn zurück ins Haus.

    „Vater ist in den letzten Tagen sehr oft bei Herrn Cleandil gewesen", bemerkte Alarvail, nachdem er sich auf einem Stuhl niedergelassen hatte. Er sah seine Mutter neugierig an, doch diese verhielt sich betont distanziert.

    „Was hat er denn ständig zu bereden?", hakte der Jungelb nach.

    „Das kannst du Dearveo nachher selbst fragen. Vielleicht wird er es dir sagen", antwortete Valima, wobei sie den Eindruck machte, als ob ihr Alarvails Nachfrage unangenehm wäre.

    „Er wirkt irgendwie besorgt auf mich. Etwas bedrückt ihn, das sehe ich in seinen Augen."

    „Dein Vater ist der Erste Berater des Hirans, Alarvail. Es ist nicht ungewöhnlich, dass er auch einmal Sorgen hat. Immerhin trägt er einen Teil der Verantwortung für Caralith und hat immer sehr viel zu tun", erwiderte Valima.

    „Aber seine schlechte Stimmung hat nichts mit dem Vorfall neulich zu tun, oder?"

    Valimas blaue Augen blitzten missmutig auf, dabei erhellte sich ihre Iris. Alarvail spürte die Verärgerung seiner Mutter. Ein derart penetrantes Nachfragen mochte die schöne Elbin überhaupt nicht.

    „Ich werde nicht mehr darüber reden!", zischte sie. Anschließend drehte sie sich um und ließ ihren Sohn allein. Valima schwieg beharrlich, bis Vater wieder zu Hause war. Was Dearveo mit dem obersten Verwalter der Stadt, dessen rechte Hand er war, besprochen hatte, erfuhr Alarvail nicht. Die Elben waren kein geschwätziges Volk. Wenn sie von Sorgen geplagt wurden, dann hatten sie die Angewohnheit, nicht darüber zu sprechen.

    Cleandil `dey Taure, der Hiran der Stadt Caralith, hatte die gesamte Nacht denkend verbracht. Bei den Menschen hätte man ihn als Bürgermeister oder auch Statthalter bezeichnet; er war das Oberhaupt der elbischen Siedler, die im Herzen Muinas lebten. Viele Jahre lang regierte Cleandil schon über die nicht besonders große Elbenkolonie an der Westküste des Kontinents Shaamay, der bei den Menschen Suzlan genannt wurde. Elben lebten seit mehreren Jahrhunderten in der Oase Muina, weitgehend für sich, abgeschieden von den menschlichen Wüstenstämmen im Osten und den mysteriösen Creex in den Dschungeln des Südens.

    Einst hatte es rege Handelsbeziehungen zwischen den Elben von Caralith und den Menschenstädten an der Nordküste Shaamays gegeben, doch diese waren schon seit einiger Zeit eingeschlafen. Inzwischen blieben die Kolonisten, deren Ahnen von der Insel Galathol stammten, unter sich. Muina bot alles, was sie zum Leben benötigten. Allein die fruchtbare Oase war den Bewohnern von Caralith wichtig, die sie umgebenden Völker waren ihnen hingegen gleichgültig.

    „Viele Dinge sind mir bewusst geworden, mein treuer Dearveo. Der Zustand des Denkdämmerns hat mir eine Reihe von Fragen beantwortet, die mir schwer auf der Seele gelegen haben", sagte Cleandil zu seinem Ersten Berater.

    Dieser strich sich mit den Fingerkuppen über sein spitzes Kinn. Dearveo überlegte, welche Antwort er seinem Herrn geben sollte.

    „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein größerer Streit aus der Sache entwickelt, ist meiner Ansicht nach nicht sehr hoch. Es waren Banditen, stinkende Menschenräuber, aber keine Soldaten Halmaths", bemerkte er dann.

    Das schmale Gesicht des Hirans verzog sich, Cleandil setzte ein starres Harlekinlächeln auf. „Mehr als dreißig dieser Kerle sind tot, mein Freund."

    „Es waren Räuber und sie sind in unser Gebiet eingedrungen. Muina gehört den Bewohnern von Caralith, das ist seit langer Zeit so und bisher haben es die Menschen akzeptiert."

    „Bisher!" Cleandil ging zu einem der Fenster seines Arbeitszimmers und sah auf die Straßen von Caralith herab. Zwischen den Dächern, die mit kaminroten Ziegeln bedeckt waren, konnte man Gruppen von Elben in weißen Gewändern erkennen. Gemächlich schlenderten sie durch die Gassen. Ein strahlend blauer Himmel breitete sich über der Stadt aus, die so wunderbar friedlich wirkte. Der Hiran seufzte leise in sich hinein.

    „Hat Euch das Denkdämmern dazu gebracht, zu glauben, dass wir wirklich in Gefahr sind?", wunderte sich Dearveo.

    „Ich habe alle Gedankenfragmente zusammengefügt, Erster Berater. Im Grunde ergibt sich dieses Bild", antwortete der Hiran. Dann drehte er sich wieder um.

    Dearveo betrachtete den Herrn von Caralith, jene schlanke, hohe Gestalt, deren weißgraues Haar von mehreren kleinen Zöpfen durchzogen war. Das schmale Gesicht des Ersten Beraters zeigte keine Emotionen, lediglich die sich verdunkelnde Iris seiner Augen deutete auf die unschönen Gefühle hin, die Cleandils Worte in seinem Inneren entfacht hatten.

    „Es hat lange keinen Menschenherrscher wie Halmath

    III. mehr gegeben. Er ist streitbar und aufbrausend. Ein primitiver Barbar, der durch seine brutale Dummheit und unersättliche Gier nur noch gefährlicher wird. Er will Munia besitzen, da bin ich mir sicher", sagte der Hiran.

    Dearveo schloss die Augen, um seine Gedanken zu ordnen, während ihn der Herr von Caralith still musterte.

    „Die Trallaith der Wüsten waren schon immer wild, das ist eben so", gab er nach einem Moment des Zögerns zurück.

    Ein kurzes Aufflackern in den blauen Mandelaugen des Hirans verriet seinem Ersten Berater, dass ihn das abschätzige Wort „Trallaith emotional berührte. Diese Bezeichnung zeigte die tiefe Verachtung, die Dearveo gegenüber den menschlichen Wüstenbewohnern hegte. Das elbische Schimpfwort ließ sich am besten mit „Hässliche Gesichter übersetzen.

    „Unsere Vorfahren haben diesen Nomadenabkömmlingen einst gezeigt, wie man Häuser baut. Ohne uns hätten sie nicht einmal Brunnen und würden nicht anders leben wie ihre Ziegen", ereiferte sich der Elb.

    Cleandil unterbrach seinen Gehilfen mit einem Zischlaut, der für menschliche Ohren kaum hörbar gewesen wäre. Sein Einwand kam einer Verneinung gleich.

    „Es macht wenig Sinn, sich über die Menschen im Osten zu ärgern. Sollen sie tun, was sie wollen, wenn sie uns nur in Ruhe lassen. Das Problem ist jedoch, dass sie zunehmend frecher werden und offenbar glauben, die Oase Muina stände ihnen offen."

    „Demnach war es richtig, dass unsere Stadtwächter diese Banditen mit Pfeilen gespickt haben, antwortete Dearveo, während sein schmales Gesicht zu einer versteinerten Maske wurde und sich seine Augen vor Wut erhellten. Cleandil erhob sich von seinem Platz, dann breitete er die Arme aus. Er kam ein paar Schritte auf seinen Helfer und Gefährten zu, um daraufhin zu sagen: „Unsere Soldaten waren zwar im Recht, aber es ist die Frage, ob wir durch das Töten dieser Wüstenräuber nicht noch mehr Ärger provoziert haben.

    „Diese stinkenden Trallaith haben versucht, unsere Vorräte zu stehlen. Hätten wir sie einfach gewähren lassen sollen, Herr?"

    „Halmath III. steckt dahinter!", meinte Cleandil.

    „Nein, das glaube ich nicht, ehrwürdiger Hiran." Dearveo unterstrich seine Aussage ebenfalls mit einem dezenten Zischlaut. Abweisend hob er die Hände.

    „Und wenn doch?", gab das Oberhaupt von Caralith zu bedenken.

    „Die Hauptstadt dieses Räuberhäuptlings liegt an der Nordküste von Shaamay, also weit weg von Muina. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Halmath III. uns angreifen will. Herr, bei allem Respekt, das Denkdämmern muss Euch auf einen falschen Pfad der Erkenntnis geführt haben."

    „Wenn sich die Nebel des Geistes in der Nachtstille lichten, dann zeigen sie selten die Unwahrheit, alter Freund", erwiderte der Hiran.

    Der Erste Berater riss die Augen auf, während ihn eine gewaltige Welle des Zorns durchfuhr.

    „Auch wenn dieser Menschenkalif die Wüstenstämme an der Nordküste vereinigt hat und es ihn nach noch mehr Land dürstet, so wird er es niemals wagen, Caralith anzugreifen. Wir sind Elben, Kinder der Sterne. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass dieser Primitive die Macht Galathols herausfordern würde. Oder etwa doch?"

    Cleandils Mundwinkel schoben sich langsam nach unten. Die dünnen, rosafarbenen Lippen des Hirans verwandelten sich in einen blutleeren Strich.

    „Galathol hat Caralith längst vergessen. Hier sind wir auf uns allein gestellt, also rechnet nicht mit Hilfe, die niemals kommt. Aber vielleicht denke ich auch zu weit und mache mir Sorgen, wo es keine geben sollte. Wenn es nur gewöhnliche Banditen der Wüste waren und keine Gefolgsleute Halmaths III., können wir den Vorfall wieder vergessen und uns mit wichtigeren Dingen beschäftigen", sprach Cleandil. Dann verließ er den Raum.

    Valimas sanfte Stimme erzeugte wundervolle Bilder in Alarvails Geist. Die langhaarige Elbin sang ein altes Lied vom Sonnenaufgang am Anfang der Zeit. Dazu spielte sie auf einer kleinen Harfe. Ihr Sohn lauschte den schönen Tönen mit geschlossenen Augen, während er sich ganz in einer Traumwelt aus unendlichem Farbenreichtum und mystischen Visionen verlor. Alarvails Geist flog wie ein Vogel über eisige, von blauen Nebelschwaden umhüllte Berggipfel, tauchte dann wieder hinab, schwebte über Meere aus wogenden Gräsern und über orangefarbene Wälder, die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckten. Die langen Finger seiner Mutter tanzten schon seit Stunden über die Saiten der Harfe, wobei sie nicht müde wurden, magische Klanggewebe zu erzeugen.

    Seit jeher liebten die Elben die Musik, die Kunst und die Poesie. Manche von ihnen verbrachten den größten Teil ihrer meist sehr langen Lebensspanne damit, den Geist zu schulen und zu erweitern. Das Leben wäre eine Kunst, Ästhetik die Essenz desselben, hieß es bei den weisen Elben, die schon lange in dieser Welt verweilten.

    Was den Menschen nach und nach langweilig wurde, wenn sie überhaupt in der Lage waren, derartige Höhen der Geistigkeit zu erklimmen, genossen viele der Elben erst, wenn dabei viel Zeit verstrich. Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein Elb tagelang ein schönes Gemälde betrachtete, ein Gedicht interpretierte oder ein Wunderwerk der Architektur bestaunte. Viele Dinge zeigten sich erst auf den zweiten Blick, manche mussten sogar sehr lange angesehen werden, damit sie ihre Geheimnisse offenbarten.

    Doch diese Zeit nahmen sich die anderen Völker Antariksas nicht, sagten die Elben stets mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton. Die Rastlosigkeit der Menschen, das zweckmäßige Denken der Orks, die raffende Gier der Zwerge oder der Stumpfsinn der Creex; für alle diese Dinge hatte ein Elb wenig übrig.

    „Vater kommt!"

    Alarvail öffnete die Augen, sprang mit der Flinkheit einer Raubkatze auf und drehte den Kopf zur Tür, die sich in der gleichen Sekunde öffnete. Valima stellte die Harfe zur Seite, ihr Blick verriet Freude.

    „Für heute ist es gut", sagte Dearveo, sich ein müdes Lächeln abringend. Der hochgewachsene Elb gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange, seinem Sohn strich er mit der Hand über die Schulter. Dann setzte er sich an den Tisch.

    Draußen war der Tag dabei, der Nacht zu weichen. Ein orangeroter Sonnenuntergang erleuchtete die Häuserdächer von Caralith und versenkte die Welt in seinem wundersamen Schein. Dearveo machte einen erschöpften Eindruck, er war wieder einmal für viele Stunden an der Seite des Hirans gewesen und hatte ihn beraten.

    „Gibt es Anlass zur Sorge?", fragte Valima.

    Dearveo antwortete ihr mit einem leisen Zischen, wobei sich seine Gesichtszüge nicht veränderten. Müde starrte er ins Leere. Alarvail brachte ihm einen Tee an den Tisch. „Wirklich keinen?", schob er nach.

    Sein Vater strich sich eine weißblonde Strähne aus dem Gesicht, sein Blick traf den des einzigen Sohnes, dessen erneute Nachfrage ihn nur noch mehr zu ermüden schien.

    „Nein! Der Hiran macht sich zwar noch immer Sorgen, doch ich sehe die Dinge nicht so wie er. Uns droht meiner Meinung nach keine Gefahr von den Trallaith im Osten", sagte Dearveo.

    Wortlos stand er auf, ging in eines der Nebenzimmer und kam kurz darauf in ein bequemes Hausgewand aus weichem Stoff gekleidet zurück, um sich noch einmal an den Tisch zu setzen. Valima und Alarvail sahen sich an, Dearveo wich ihren Blicken indes aus. Er trank schweigend den Tee, welchen ihm sein Sohn zubereitet hatte, und erhob sich dann erneut von seinem Platz.

    „Ich muss ruhen. Die langen Gespräche und Beratungen haben mich an den Rand meiner geistigen Kräfte geführt. Cleandil kann ein sehr fordernder Elb sein, das könnt ihr mir glauben", merkte Dearveo noch an, bevor er Frau und Sohn im Wohnzimmer zurückließ und in die obere Etage des Hauses ging.

    Alarvail trommelte mit den Fingerkuppen auf der Tischplatte herum. Seine Mutter bat ihn jedoch, damit aufzuhören.

    „Ich bin ebenfalls sehr müde, sagte sie. „Vaters geistige Verausgabung der letzten Tage hat auch an meinen Kräften gezehrt. Ich spüre die Unausgeglichenheit und die zahlreichen Zweifel, die ihn plagen. Es macht dir nichts aus, wenn ich zu ihm nach oben gehe, nicht wahr?

    „Nein!", gab Alarvail zurück.

    „Wir sehen uns morgen. Ich wünsche dir eine geruhsame Nacht, mein Schatz." Valima gab ihrem Sohn einen liebevollen Kuss auf die Stirn; sie verschwand, Alarvail blieb allein auf seinem Stuhl sitzen.

    Er verweilte noch etwas im Schein der kleinen Kerze, die in der Mitte des Tisches stand, und beobachtete nachdenklich das aufgeregte Tanzen ihrer Flamme. Über die Sorgen sinnierend, die den Hiran und damit auch seinen Vater heimsuchten, vergingen noch zwei Stunden, in denen Alarvail jedoch zu keinem Ergebnis kam. Immerhin hatte sich Dearveo beharrlich ausgeschwiegen. Mehr als ein paar bruchstückhafte Andeutungen hatte Vater nicht gemacht, und das war definitiv zu wenig, um sich darunter etwas vorstellen zu können.

    „Es reicht jetzt. Du solltest ebenfalls zu Bett gehen. Morgen ist auch noch ein Tag", flüsterte sich Alarvail wie zur Versöhnung selbst zu. Daraufhin stand er auf und ging in sein Zimmer, um zu schlafen. Auf ihn wartete eine Nacht, die er niemals wieder vergessen sollte.

    Böses Erwachen

    Mit einem lauten Schrei schreckte Alarvail aus dem Schlaf und stieß etwas mit der Hand weg. Er hörte ein hämisches Lachen, während sich ein schmales Elbengesicht mit zwei spitzen Ohren über ihn beugte.

    „Guten Morgen! Heute kommst du von hier weg, Wüstensproß!"

    „Verschwinde!", fauchte Alarvail den schrill kichernden Jungelben mit dem rotblonden Haar an.

    „Uhu!, rief dieser und hob die Hände, als ob ihm alles furchtbar leid täte. „Wollte dich doch nur wecken, Stinkeelb, denn heute ist der große Tag. Heute werden wir dich endlich los.

    Noch im gleichen Augenblick flog die Bettdecke zur Seite und Alarvail sprang mit einem beeindruckenden Satz auf den unliebsamen Besucher zu. Wut flackerte in seinen großen Mandelaugen auf und färbte sie weißblau. Caimon, der junge Elb, der Alarvails Schlaf so unsanft beendet hatte, wich erschrocken zurück.

    „Du hast eine wunderschöne Langnase. Soll ich sie genauso zerschlagen wie die deines Bruders?", knurrte Alarvail in seine Richtung.

    „Vater wird dich dann endgültig…", versuchte dieser halbherzig zu drohen, doch das beeindruckte den Elb aus der Wüste nicht.

    „Was will er denn noch tun? Mich aus eurem Haus hinauswerfen? Das hat er doch bereits getan, Caimon. Also spricht nichts dagegen, auch dir noch zum Abschied die Nase zu brechen", sagte Alarvail mit der Ruhe eines erfahrenen Raubtiers.

    „Du bist vollkommen unerzogen! Wahnsinnig bist du!", stieß sein Gegenüber aus, während er sich hilfesuchend die Hände vor das Gesicht hielt.

    Erschrocken taumelte der weiß gewandete Elb zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand. Dabei fegte er mit der rechten Hand eine teure Porzellanvase von einem Nachtschränkchen. Es ertönte ein lautes Klirren.

    In diesem Moment riss Caimons in die Jahre gekommener Vater die Tür des Schlafraumes auf und stellte sich zwischen die beiden Streithähne. Die in einem langen Gewand aus teurem Stoff steckende Gestalt wandte ihren ernsten Blick zuerst Alarvail zu.

    „Genug! Ich werde unter dem Dach meiner Familie nicht noch einen deiner Gewaltausbrüche dulden! Pack sofort deine Sachen, damit ich dich von hier fortbringen kann!", herrschte der weißhaarige Elb Alarvail an.

    Dieser drehte sich trotzig um, schnappte sich eine Ledertasche, die neben dem Bett auf dem Boden lag, und stopfte einige Kleidungsstücke hinein. Alarvail schlüpfte in seine kniehohen Stiefel aus hellbraunem Leder – die einzigen, die er besaß – und zog sich Hemd und Hose an, um sich schließlich wieder umzudrehen.

    „Ich bin bereit!, sagte er ungerührt. „Bringt mich weg von hier, Herr Emlail.

    „Endlich…", hörte Alarvail Caimon hinter dem sicheren Rücken seines Vaters zischeln. Dann tauchte auch der ältere Bruder des Jungelben, Gelaimon, im Türspalt auf. Leise stahl er sich in den Raum.

    Alarvail schenkte ihm einen höhnischen Blick. Gelaimons schiefe Nase war blutverkrustet und jeder Ästhetik verlustig gegangen. Ein wohlgezielter Faustschlag hatte sie verunstaltet.

    „Auch schon wach, mein Freund?", säuselte ihm Alarvail zu.

    „Hoffentlich schicken sie dich eines Tages zu den Orks", entgegnete Gelaimon bösartig.

    „Es reicht jetzt!", ermahnte Emlail die drei jungen Elben.

    An Alarvail gerichtet sagte er: „Man erwartet dich schon vor dem Haus. Tymail der Hausdiener wird dich zur Festung Chrice nach Falasse bringen."

    Alarvail antwortete ihm nicht, der finstere Blick aus seinen wuthellen Augen war Erwiderung genug. Emlail und seine beiden Söhne gingen wieder aus dem Schlafraum heraus, während ihnen der ungeliebte Gast zornig nachsah. Heute endeten für ihn vier Jahre voller Demütigungen, wurde es Alarvail in diesem Augenblick bewusst. Viel schlimmer als bei diesen entfernten Verwandten, die ihn einst aus reinem Pflichtgefühl gegenüber seinen toten Eltern aufgenommen hatten, konnte es beim elbischen Heer auch nicht sein.

    Als Alarvail schließlich vor dem Eingang des großen Herrenhauses aus weißem Stein stand, kam Tymail schon auf ihn zu. Mit dem alten Hausdiener hatte sich Alarvail immer recht gut verstanden. Doch heute war auch dieser äußerst wortkarg und sprach nur noch das Nötigste mit dem Jungelben, den es loszuwerden galt.

    Oben am Fenster standen Emlail, seine Frau und die beiden Söhne. Sie hatten sich nicht einmal von Alarvail verabschiedet – und dieser hatte auch keinen Wert darauf gelegt. Seine Verwandten und er hatten sich vom ersten Tag an nicht verstanden. Somit war diese Trennung zumindest ehrlich. Und es gab weitaus unangenehmere Dinge, sagte sich Alarvail immer wieder. Er hatte in seinen wenigen Lebensjahren schon Schlimmeres erlitten als diese Zurückweisung.

    So schwang sich Alarvail auf das Ross des Hausdieners und hielt sich an dessen Rücken fest, während er sich zugleich bemühte, seine Tasche nicht fallen zu lassen. Er wollte Emlails Familie niemals mehr wiedersehen. Und zweifellos war sein Wunsch auch im Sinne derselben. Dann raste das Elbenross los. Auf Alarvail wartete ein Leben als Soldat Galathols.

    Ein Teil der Festung Chrice ragte über die Steilküste hinaus. Begabte Baumeister hatten die Burg aus weißem Sandstein einst zu einem Kunstwerk der Architektur gemacht. Schlanke Türme, um deren Spitzen Schwärme von Seevögeln kreisten, wuchsen zwischen den erhabenen Mauern Chrices in die Höhe. Ein jedes Gebäude strahlte Perfektion und künstlerischen Ehrgeiz aus; Wandgemälde von bedeutenden Meistern, die niemals zu verblassen schienen; blühende Rankengewächse, die aussahen, als wollten sie mit dem Gestein verschmelzen; kunstvoll verzierte Balken und Säulen. Was andere Völker zweckmäßig hochzogen und aus dem Boden stampften, vollendeten die Elben stets so, dass es ihren hohen Ansprüchen genügte.

    Jetzt war Alarvail hier, in jenem stolzen Bollwerk elbischer Macht, das schon seit Jahrhunderten an der Küste thronte und bereits ungezählte Soldaten in seinem Inneren beherbergt hatte. Der junge Elb aus Caralith war seit genau einem Tag ein Teil des Heeres. Alles um ihn herum war neu, ungewohnt und zugleich auch absolut beeindruckend. Eine Festung von solch unglaublicher Größe und Schönheit hatte Alarvail noch niemals zuvor gesehen.

    „Die niederen Arten, die jenseits des Meeres in hässlichen Städten, dunklen Wäldern und trostlosen Ödländern hausen, verstehen den Kampf lediglich als einen Ausbruch brutaler Gewalt. Dies entspricht ihren einfachen Geistern, die nur wenig Wissen einfangen können. An der Spitze einer barbarischen Menschen- oder Orkhorde steht meistens ein besonders großer Schreihals mit einer dicken Keule. Dem rennt der Rest der Hohlköpfe dann einfach nach", sprach ein elbischer Kriegsmeister, dessen Gesicht von zahlreichen Schmissen und Narben verunstaltet war.

    Alarvail, der zusammen mit knapp dreißig Neuankömmlingen nach Chrice gekommen war, musterte die für elbische Schönheitsvorstellungen grauenhaft hässliche Gestalt. Vor vielen Jahren musste das Antlitz des Kriegers einmal schön und würdevoll gewesen sein, doch inzwischen war jede Anmut herausgeschnitten worden. Quer über das rechte Auge des Elbs zog sich eine riesige, verwachsene Narbe, welche bis zum Kinn hinunter reichte. Das einzig Schöne an dem Kriegsmeister, der ruhig, sachlich, aber dennoch äußerst bestimmt sprach, war die Rüstung, in der er steckte.

    Angefangen von den Beinschienen, die wie blank poliertes Silber in der Sonne aufleuchteten, bis zu dem spitz zulaufenden Helm, den ein hellblauer Haarbusch zierte, glich der Krieger ganz den vielen Marmorstatuen, die man überall im Hof der Küstenfeste bewundern konnte.

    „Ich weiß nicht, warum ihr hier seid, meine jungen Freunde. Vermutlich hat jeder von euch einen

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