Booties: Von zweier Männer Lebensgier
Von Alexander Keßler
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Über dieses E-Book
Alexander Keßler
Alexander Kessler, Anwalt zunächst in einer US-amerikanischen Kanzlei, dann einer deutschen Großkanzlei, ab 1996 Unternehmensjurist, ab 2001 selbständige Praxis. Lebt seit 2014 in Minneapolis und Umgebung und widmet sich in Vollzeit dem Schreiben.
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Buchvorschau
Booties - Alexander Keßler
Alle Personen sind erfunden, alle
Handlungen verjährt
Inhaltsverzeichnis
Anzittern
Vorlauf
Zentrum für seelische Gesundheit
Spiele, Urwald, Afrika
Essen, Trinken und Erlebnis
Schiefe Schlachtordnung
Zulauf
Erste Höhepunkte
Elado
Zwischenspiel: Die Fahrt der Chinesen
Felix Austria
Ablauf
Berger Straße
Erfolg
Kapitalgeber
Schwarzenstein
Turmfliegen
Ihr Traum und mein Traum
Ich greife nochmal an
Anzittern
Anderen ihr Leben abzulauschen, durchs Leben zu treiben ohne die Bewegung selbst zu setzen, dabei zu sein ohne die Richtung vorzugeben. Ich hatte das gründlich satt, war der verkorksten Existenz meiner Jugendjahre überdrüssig, hielt mein Leben für randständig, schmarotzerisch, nicht von eigenem Entwurf geleitet, verabscheute es als unauthentisch. Ich ekelte mich vor dem Mief, in den ich in meinen reiferen Jahren hinein zu treiben drohte. Ich nahm es jetzt selbst in die Hände, etwas anzufangen. Vor über fünfzehn Jahren war ich aus Süddeutschland nach Frankfurt gekommen, weil ich davon träumte, als Finanzanalyst ein Großer zu werden. Dabei hatte ich nicht bedacht, dass diese Rolle keine Größe kennt, sich erschöpft im Hinterherlaufen hinter leichenhaften, Zahlen abstrahierten, abgedroschenen Zusammenhängen; dass sie sich abschleift im Wiederhervorwürgen des Gewesenen, in besserwisserischem Nacherzählen und Nach-Bewerten der vitalen Realität, in aufgeblasener Projektion auf der Grundlage von kaum verstandenen Tatsachenfragmenten, sich notwendig verbraucht in einer grauen immer gleichen Anstrengung. Dazu bestimmt ist bestenfalls papierne, auf Zahlen reduzierte Wahrheiten oder gar geschickt gestrickte Lügen zu generieren, und dies tut unerkannten, fremden, jedenfalls unbeeinflussbaren Interessen anderer zuliebe. Es gab dann später die neuen Analysten, die Fernsehstars wurden, Menschen mitzogen, Ausstrahlung hatten. Das traute ich mir nicht zu. Diese Wirkung auf andere, das hatte ich nicht in mir, das wusste ich. Alle Berater, die ich kennen gelernt hatte, führten derart abgeleitete Existenzen. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst war, nahm ich auch manchen meiner Freunde gegenüber immer noch eine hinterherlaufende Rolle ein. Aber vieles hatte sich geändert in meinem Leben. Ich hatte erkannt, ich konnte mich aus den Spinnweben meiner Sekundärexistenz befreien. Einer, der selbst handelt, der nicht eine Zuschauerexistenz abspult, als elektronischer Eckensteher im ubiquitären Wort- und Bildergeflirre des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts, sondern einer, der sich der Beurteilung durch andere nicht ausliefert, der sich nicht in wohl präparierte Meinungsräume einordnet, der eigene Interessen verfolgt ohne Rücksicht auf fremd gestrickte Zusammenhänge, einer, der die Welt neu ordnet, seine eigene Existenz schafft. So einer wollte ich sein. Ich leitete jetzt mein eigenes Unternehmen, ich rannte, mein Herz vibrierte, zitterte, selbst wenn ich ruhte. Ich wollte weiter, trieb mein Geschäft voran. Es war nicht einfach gewesen, das Richtige zu finden. Jetzt war ich da, wo sich entschied, ob es erfolgreich weiter ging oder nicht. In einem Augenblick der Schwerelosigkeit würde sich die Richtung der Flugbahn meines Lebens entscheiden. Nächste Woche war der Termin bei Hensel in Wiesbaden, das würde der entscheidende Meilenstein zur Expansion unseres Unternehmens werden. Von da an würde das Projekt groß werden. Etwas bedeuten für das ganze Land. Ich erkannte den Schwebezustand nicht, den toten Punkt der Bewegung, an dem ich mich befand, auf dem Höhepunkt meiner Schicksalsbahn. Aber ich fühlte in der Magengegend, dass der Druck sich änderte, als ob die Atmosphäre die Luft vor einer großen Bewegung wegsaugte.
Dieser Tag eine Woche vor dem entscheidenden Termin begann, spannte sich, am Abend vorher, wohl eigentlich am Tage vorher. Er begann sich zu entfalten, das Vorhergegangene gab das Tempo vor, es presste auf den Ablauf, alles, was sich aufgestaut hatte, nicht erledigt und bewältigt war, was besprochen und versprochen war, drückte in ihn hinein. Hetze zu Terminen mit Lieferanten, eine neue Bedienung für das Booties, das Kind abholen, Anna zum Arzt bringen, Apotheke, Bank, Restaurant: Essen holen, Anrufe, Tamara kann heute Abend nicht arbeiten, wieder Anrufe, wer kann einspringen, Rechnungen bezahlt und noch mit den Tageseinahmen von gestern rechtzeitig zur Bank, Gutschrift noch am selben Tag. Um 20.55 Uhr der letztmögliche Zug nach Hamburg, schnell zusammengepackt, unterm Bahnhof geparkt, einen Kalender in der Kaiserstraße gekauft, zurück zum Bahnhof, der richtige Bahnsteig, endlich der Zug, lähmende Müdigkeit, bewusstloses Dahindämmern im Abteil, das lag vor mir.
Die dürren Hände der Alten hatten gezittert als sie mir kurz vor Ladenschluss um 19.50 Uhr den Kalender am Jahresende des Jahres 2002 verkaufte, € 2 kostete er noch, heruntergesetzt. Sie war ehrlich, sagte mir, dass dies kein reines Notizbuch sei, sondern ein Notizkalender für das abgelaufene Jahr. Handschriftliche Notizen sind gegen die Unglücke des Alltags besser gewappnet als das nur elektronisch fixierte. Sie wollte unbedingt welche von den Kalendern verkaufen, nahm mein Geld schnell und ohne es in der Kasse zu registrieren. Wird wohl davon etwas zu Essen gekauft haben, am heutigen Abend. Die schmale, schnelle Altersbehändigkeit der Buchhändlerin vergaß ich nicht. Ich wollte mir im Zug Notizen machen für die Präsentation bei Hensel nach meiner Rückkunft: „Erlebnisgastronomie und Freizügigkeit. Das Booties-Konzept: Erlebnis und Erfüllung". Du bist was Du erlebst, allein Dein Erlebnis ist nicht wiederholbar, das kann Dir niemand nehmen, das macht Dich aus, da stehst Du außerhalb der Verwertungsketten.
Ich wandte mich zur Taunusanlage, ging die Straße hinunter und stieg am Opernplatz in die Strassenbahn zurück Richtung Bahnhof. Eine Taube stürzt sich in die über hundert Jahre alte Straßenschlucht und segelte zwischen Gründerzeitbauten westwärts. Die letzte Sonne schien ihr aus Westen entgegen, die 136m hohe Fassade des noch nicht ganz fertigen Gallileo-Hochhauses gleißte im Hintergrund. Das kleine Federvieh stürzte die gläserne reflektierende Fläche des halb fertigen Hochhausturms hinunter, der Beobachter verwechselte den Flug der Taube leicht mit einem Falkenflug. Der Turm im Hintergrund nahm ihrer Segelbahn die nötige Luft, die verflimmerte vor der Fassade gen Himmel, der Sog akzelerierte den Sturz. Ich drehte den Blick weg von dem Bild und erkannte, dass die Taube nie von dem Turm gekommen sein konnte. So hoch fliegen Tauben doch nicht. Der Straßenschlucht war nach der Jahrtausendwende ein überragendes Element hinzugefügt worden, das der Taube unzugänglich bleiben musste.
Es spulte sich die Routine einer spätabendlichen Bahnfahrt ab. Als ich in den Zug kam, setzte sich ein Mann zu mir ins Abteil. Die Großraumwagen waren überfüllt. Der Mitreisende, ein Kahlköpfiger mit Kunststoff-Hartschalenkoffer sagte mir, er sei seit 26 Stunden unterwegs. Ich meinte, ich wolle auch nur schlafen, aber, fügte ich skeptisch hinzu, der Schaffner komme bestimmt im falschen Moment, uns zu wecken. Es kam noch eine Frau mit zwei Taschen, die fragte in den Raum, ob hier noch Platz sei. Laut fügte sie hinzu, sie habe Krebs gehabt und ob hier jemand rauche. Man antwortete. Ja, die Reservierungen seien wohl für die beiden Fensterplätze, aber erst ab Kassel. Nein, niemand rauche. Sie setzte sich ans Fenster, legte eine Hand über die linke Gesichtshälfte, die eine Narben aufwies und weniger Volumen als die rechte Gesichtshälfte hatte. Der Kahlköpfige saß an der Tür, ich gegenüber in der Mitte, so hatte jeder Platz, die Beine aufs gegenüber liegende Polster auszustrecken. Man löschte das Licht, ich döste ein, wachte einmal auf, jemand hatte die Heizung hochgedreht, mein Mund war trocken geworden, die Taschenfrau drehte ihren dicken Hintern ins Bild, hatte Großmama-Unterwäsche an unter der Gabardinehose, ich schlief wieder ein. Ein weiteres mal wachte ich kurz auf, sah die Taschenfrau Kräuterquark in ihren Mund schaufeln, dann döste ich gleich wieder weg. In Kassel ging das Licht an, es kam ein junges Pärchen ins Abteil, mit großen Koffern, Sportausrüstung für den Urlaub auf Sylt. Ich stand auf und half beim Hochhieven und Neuarrangieren des Gepäcks auf der Ablage, ließ den jungen Mann ans Fenster, die junge Frau nahm den Platz der Taschenfrau am Fenster gegenüber ein, die Leute redeten über Crosscountry-Hiking, meine Augen waren bereits wieder geschlossen, ich lächelte in mich hinein, als die Junge aus Kassel meinte, man laufe oder robbe beim Crosscountry-Hiking am besten Oberkörper-frei durch den Parcours weil die Kleidung so leicht verschlamme. Die Kasselerin war ganz sportlich flach. Meine Beine hatte ich in Richtung Kahlkopf quer gelegt, denn die Taschenfrau war mir gegenüber vom Fenster in die Mitte gerückt. Als ich kurz aufsah, schaute die Taschenfrau mir direkt ins Gesicht und sagte laut: „Ich kann es nicht leiden, wenn Männer mir zu nahe kommen. Die Junge aus Kassel war überrascht: „Aber er hat doch gar nichts gemacht
. Da war ich schon aufgestanden, hatte meine Aktentasche genommen und verabschiedete mich kurz mit den Worten „Ich schau mal, ob es im Speisewagen noch was gibt. Dort trank ich einen Tempranillo, sah weg als kurze Zeit später die Taschenfrau, die offenbar nicht wusste, dass der Speisewagen im ICE immer 1. und 2. Klasse trennte, in Richtung 1. Klasse desorientiert an mir vorbei irrte, dann lief sie wieder zurück in die 2. Klasse und verschwand aus meinem Blickfeld. Ein wenig später kam der junge Sportler aus Kassel und sprach mich an: „Sie können wieder kommen. Jetzt war ihr meine Musik zu laut.
„Alles gut, ich schau lieber, ob die hier noch einen anderen Roten haben." Schon als sie ihren Quark geschlungen hatte, hatte ich den Wahnsinn des Taschenweibes gespürt.
Es gab Verspätung wegen Gleisbauarbeiten in Harburg kurz vor Hamburg-Hauptbahnhof, gegen 2 Uhr früh war ich endlich im Hotel am Hauptbahnhof, traumloser, tiefer Schlaf drohte. In tiefster Nacht aufs Bett gefallen, konnte ich doch nicht weiter schlafen. Hatte zu viel oder nicht genug getrunken, schaute fast eine Stunde in das undeutliche Flimmern auf der kleinen schwarzweißen Mattscheibe am Fußende des Bettes bevor mein Bewusstsein wie im Kampf erlosch. Morgens Frühstück im langgestreckten, übers Eck laufenden Frühstücksraum des „Graf Moltke, schwäbische Touristen. Der Blick in die Küche: große Tetrapack-Tüten mit Saft wurden per Hand von Albanerinnen in die gläsernen Karaffen gepresst. Fruchtsaft frisch gepresst stand auf der Karte, auf Hanseatisch frisch gepresst. Dann Regen, der nicht enden wollte, im Regen Taxi Fahrt zu dem Investor, die immer graue Kulisse der Hansestadt. Der Investmentbanker redet ins Fenster: „Hören Sie mal auf zu regnen.
Ohne greifbares Ergebnis zurück gerannt zum Taxistand, wieder ins Hotel. „Reputationsprobleme" würde man hinter mir her telefonieren. Leider kein Engagement möglich.
Ich hatte meinen schönen grauen Alpaka-Schal im Hotel vergessen. Die Filipina, die ihn bringt, strahlt über das € 2-Stück, das ich ihr gebe. Ich strahle zurück, Dankbarkeit, bekomme den nächsten Zug, alter ICE, kein Stecker für den Laptop, Telefonieren in den Tunneln fast unmöglich, früh zurück in Frankfurt. Eine Bewerberin für das Booties stellt sich vor. Sie äußert Zweifel an der Seriosität des Unternehmens, hat etwas in der Zeitung gelesen. Der Druck der Verfolgungsbehörden hat zugenommen. Unmenschliche Verfolgungsstrategie, die ganze schöne räudige Stadt voller selbstgerechter Saubermänner. Schwarzenstein. Widerlich. Zum Kotzen. Aufgeräumt und ausgeräumt, wie ausgeschabt, so wollen die es haben. Mein Geschäft soll das nicht beeinträchtigen. Sollte nicht. Zurück in den Jeep, aufs Land, in die rollenden Hügel der Wetterau, an die Umsatzsteuer, in die Papiere, morgen wieder in die Booties-Bar.
Wie war ich so weit und so hoch gekommen? Ich hatte in meiner Freizeit, in der Nebenbeschäftigung als unabhängiger Researcher und Finanzanalyst, Kontakte geknüpft, und ich hatte, bereits zuvor als angestellter Researcher, wirtschaftliche Aktivität finanzanalytisch bewertet. Wenn ich auch mangels ökonomischer Ausbildung und Kenntnisse die Formeln, die ich anwandte, nicht in allen Einzelheiten verstand, so hatte ich doch gelernt, wie ein erfolgreiches Unternehmen sich aus verschiedenen Grundlagen zusammen setzt. Ich hatte als Researcher die Kennzeichen des Geschäftserfolgs, cash flow, Ergebnis, Ergebnis ohne Abschreibungen genau beobachtet. Wie es zu Erfolg oder Scheitern kam, das war mir nicht klar, ich konnte aber dem Fluss der Zahlen ablauschen, ob sich ein Unternehmen zum Guten oder zum Schlechten wendete. Erfolgreiche Unternehmer, aber auch Männer, deren Schicksal nicht gut ausgegangen war, hatte ich gesehen. Ein Erfolgreicher sagte mir: „Wissen Sie, Wolter, es sind schon viele über die Wupper gegangen mit der richtigen Idee, dem richtigen Produkt, wenn es nur zum falschen Zeitpunkt kam!"
Das, sagte ich mir, könnte dazu gehören, über die Wupper zu gehen, es schreckte mich aber nicht ab. Ich dachte nicht, ich hätte viel zu verlieren. Ich zitterte mich an meine Lebensposition heran. Ich war mir meiner Sache sicher bevor ich wußte, was ich machen würde. So hatte ich es schon früh versucht, zunächst auch ohne meine eigene Schlachtordnung. Ich versuchte etwas, zog mich zurück, ging nochmal ran. Zu Anfang, als ich noch sehr jung war, versuchte ich es alleine, schaute mit wachem Blick, wo sich geschäftliche Möglichkeiten für mich auftun könnten. Ich schreckte vor der Verwirklichung meiner Ideen zurück, robbte mich später an mögliche Mitstreiter heran, versuchte dann, eine Schlachtordnung aufzustellen, wir zuckten zurück, wenn sich ein Vorhaben als undurchführbar erwies. Griffen mit einem neuen Vorhaben wieder an. Die erste Idee, meine Sache mit dem Kunstdünger, die ging gründlich schief, sie kostete mich wegen meiner Unvorsichtigkeit meinen ersten Job, und wenn ich es recht betrachte, kostete sie mich auch die Aussicht auf eine Karriere als Finanzanalyst. Und das obwohl ich den Plan nicht umgesetzt hatte. Es war bei einer Idee geblieben, die ich der Konkurrenz – es handelte sich um meinen damaligen Chef - ungeschickterweise mitgeteilt hatte. Ich versuchte mich danach im internationalen Diamantenhandel. Pete hatte sonntagnachts New Yorker Zeit angerufen, eine Nachricht hinterlassen. Darauf hatte ich sehnlich gewartet: Geschäft, Neugeschäft. Ich ging in mein kleines Heimbüro und rief Pete vom Festnetz aus zurück, kritzelte während des Gesprächs eine DIN-A-4 Seite voll mit Notizen über die geplante Transaktion. Nur langsam kamen dann in der nächsten Zeit weitere Informationen dazu, tröpfchenweise. Alles lief auf einer Zeitschiene, deren Verlauf geradewegs aufs Ziel zusteuern, Fahrt aufnehmen sollte. Pete war eine Bekanntschaft aus dem Anfang meiner Frankfurter Zeit zu Beginn der 1990er Jahre. Ich wusste nicht, warum er weggezogen war, zurück nach Hause, nach New York. Wir hatten wohl an die zehn Jahre nichts voneinander gehört. Pete hatte in Frankfurt für eine New Yorker Anwaltskanzlei gearbeitet, meist war er in Kasachstan oder den anderen ehemaligen GUS-Staaten im Mandantenauftrag unterwegs gewesen, hatte Rohstoffkonzerne beraten. Er war im Rhein-Main-Gebiet gelandet, weil seine Frau, Helga, eine Deutsche, in Marburg arbeitete. Er musste sich dann von seiner Frau getrennt haben. Ich traf Petes Frau (oder Ex-Frau) zufällig vor einer Theatervorstellung wieder. Ich hatte sie zuletzt in ihrer großen modernen Wohnung im Frankfurter Diplomatenviertel gesehen, wo Anna und ich eingeladen waren und sie ihr neugeborene Kind säugte. Helga war bestimmt gut über zweihundertdreißig Pfund schwer, hatte ein angenehmes, hübsches Gesicht, mit wachen hell blauen Augen und Stupsnase, intelligent, wenn auch fühllos schwebte ihr Kopf über dem Fett des massigen Körpers. Säugen ist nicht das richtige Wort, sie gab ihrem Baby die Brust, stillte den Kleinen, riesengroße, vermutlich schwere Brüste hatte sie, Petes Frau, und große, rosige Areolen. Vor dem Papageno-Theater im Palmengarten, wo wir aufeinander trafen, war sie überrascht, immerhin, sie erkannte mich gleich. Mein Sohn Trinidad war vier Jahre jünger als der ihre, Elias hieß der, glaube ich. Ich hatte in der Zeitung über ihre Antrittsvorlesung an der Marburger Uni einen kurzen Artikel gesehen, sprach sie darauf an, ihre Augen funkelten, nur als ich Pete erwähnte brach sie mitten im Satz ab, als wolle sie nicht, dass ihr Sohn den Vater erwähnt höre. Als wisse der Sohn gar nicht, dass er einen Vater habe. Sie war Politologin, hatte über Frauenförderung in der Wissenschaft habilitiert. Vielleicht haben Söhne feministischer Mütter am besten keine Väter. Offenbar praktizierte Pete nun als Anwalt in New York allein, aber seine Internetseite rühmte, dass er (fast) alles könne, vor allem die Transaktionen, die sonst von großen internationalen Kanzleien durchgeführt werden, für die er früher gearbeitet hatte. Mir schien Pete nicht nur aus der Zeit und seiner Familie gefallen, sondern auch aus seinem Beruf. Pete sprach exzellent deutsch, mit einem nur schwachen amerikanischen Akzent. Ich dachte über Helga und Pete: Pete mag einfach Fette. Pete war selbst klein und auch fett. Aber ich irrte. Im Verlaufe unseres Diamantenprojektes erzählte mir Pete am Telefon, dass Helgas Großvater Polizeichef einer südwestdeutschen Mittelstadt – Pforzheim, glaube ich - in den Dreißiger Jahren gewesen sei, Gründungsmitglied der NSDAP in der Stadt. Er hatte sich mit der Partei verkracht, wurde kaltgestellt, in den Ruhestand versetzt. Obwohl überzeugter Nazi wollte Helgas Großvater nicht dulden, dass die Juden aus seiner unmittelbaren Umgebung umgebracht wurden. Er half, wenn er konnte, unter anderem rettete er Petes Großeltern das Leben. Er versteckte sie, besorgte Pässe, sie reisten in die Schweiz aus, von da nach New York. Das warf ein anderes Licht auf Petes Vorliebe für Deutsches, vielleicht auch auf seine Liebe zu Helga. Die beiden hatten sich zufällig in Harvard kennengelernt, unwahrscheinliche, unwirkliche Liaison der Enkel, die dann nicht gehalten hatte. Ich mochte die erfolgreiche Politikwissenschaftlerin nicht, Angehörige des Tätervolkes wie ich, ich mochte sie nicht wohl wegen ihrer spröden, arroganten Art. Sie stand politisch den alles Besserwissenden nahe, den Öko-Faschisten, wie ich sie für mich nannte. Die erklärten die Welt aus einfachen, landwirtschaftlichen, naturnahen Prinzipien, vertraten vehement feministische Positionen. Für die war das materielle Leben nachhaltig, ihre eigenen Interessen galten alles. Mochten auch die Inhalte zwei Generationen später etwas reformiert sein, der unnachgiebige Umgangston blieb, die Menschen waren nicht andere, Enkelkinder der Heiden eben, selber auch Heiden. Grüne, Braune, Natur- und Erdverbundene, Dreckanbeter. Ich selbst hatte keinen richtigen Beruf, keine Stellung, kein Einkommen, das mich herausgehoben hätte. Ich fühlte mich nicht ernst genommen im Leben, war randständig. Man spürte, ich wich in allem zu sehr ab von dem, an was man glauben konnte. Man ernährte sich richtig, trieb richtig Sport, ging den richtigen Zerstreuungen nach, hatte die richtigen Freunde, war eins mit der Natur, hatte kaum Zweifel. Ich aber hatte Zweifel an vielem, auch an mir. Hier ging es aber jetzt ums Geldverdienen, um einen erfolgverprechenden Anlauf zum großen Glück. Nebenbei erwähnte Pete, dass Helga ihren Elias mittlerweile nach New York geschickt hatte, weil sie mit dem Teenager nicht mehr zu Recht kam. Irgendwann war Helga im Gespräch für eine Staatssekretärsstelle der rotgrünen Bundesregierung in Berlin, aber da machte eine ihrer grünen Schülerinnen das Rennen. Die hatte schon als Studentin bei der Lehrerin abgekupfert, war auch in der Berliner Politik besser vernetzt. Helgas Karriere war an einen Endpunkt gelangt, und Pete war vielleicht ein guter Vater.
Die Transaktion sollte nach Petes Erklärungen so ablaufen: Leute im Umkreis von Bergbauunternehmen aus einem südafrikanischen Land wollten Gelder aus dem Verkauf von Rohdiamanten ganz oder teilweise in Europa entgegen nehmen. Man strebte Barauszahlungen an, wollte shopping gehen, Party machen, die Anlage der Überschüsse sollte dann im arabischen Raum erfolgen. Die beteiligten Händler, Aufkäufer der Rohdiamanten in Antwerpen, spielten mit, wollten im Finanzbereich jedweden Kontakt zu den USA vermeiden, fürchteten die amerikanische jurisdiction, den Zugriff des US-Imperiums. Daher brauchte Pete einen Europäer. Die Herkunft der Rohdiamanten war vielleicht nah an Kindersoldaten, Bürgerkrieg, Kriegsverbrechen, mit einem Wort: da klebte Blut dran. Wer weiß. Oder, das war wahrscheinlicher, es ging nur ganz banal darum, den Erlös der in öffentlichen Besitz gehaltenen Minen teilweise zu privatisieren, um ganz normale Regierungskorruption also. Pete sagte, darüber wisse er nichts. Mir war die Rolle des Zahlungsvermittlers zugewiesen. Ich sollte die Gelder der Käufer halten und erst dann an die Verkäufer herausgeben, wenn von einer unabhängigen Stelle in Antwerpen, die auf derartige Begutachtungen spezialisiert war, Echtheit und Wert der Rohdiamanten bestätigt worden war. Diese Institution verwahrte auch die Diamanten und würde sie erst nach Zahlungsnachweis an die Käufer herausgeben. Ich, der Mann in der Mitte, konnte den Kaufpreis nach Anweisung aufteilen, ein bisschen an die Minengesellschaften, Mutter Afrika, aber den Großteil, etwa 80%, an die Bergwerksmanager, Politiker, einflussreiche Leute von da unten. Der in der Mitte bewerkstelligte die Abzweigung. Es ging um einen dreistelligen Millionenbetrag, für mich würde da sicher etwas hängen bleiben, jedenfalls etwas Siebenstelliges, stellte Pete mir in Aussicht. Ich wunderte mich, wie Pete in den Kreis der Insider des internationalen Diamantengeschäfts kam. Ich dachte aber nicht weiter über die anderen Beteiligten nach, ich war zu sehr damit beschäftigt, meinen Anteil abzusichern, wollte profitieren, einen großen Sprung nach vorne machen. Meine wichtige Rolle ließ hier keinen Raum für Zweifel.
Vorlauf
Günther Hensel hatte, wie man so sagt, einen Lauf. Er hatte einen phänomenalen, fast acht Jahre währenden Lauf, der ihn ganz weit nach oben führte.
Es ging langsam an, im Hintertaunus.
Hensel vermittelte dort Anfang der 1990er Jahre im Nebenjob den Verkauf von Kapitalbeteiligungen an ausländischen Immobilienfonds auf Provisionsbasis. Dieses Geschäft lief eine ganze Weile gut. Das Geld als Pre-Sales Consultant, seinem Hauptberuf, reichte für die Ansprüche seiner fünfköpfigen Familie hinten und vorne nicht, da war ein Nebenjob für ihn die richtige Lösung. Hensel arbeitete bei Digital Equipment Corporation, DEC, in Wiesbaden. Er war in der Firma nicht zugelassen zu der Welt der Vertriebsleute, die das Blut in die Adern der Unternehmen pumpen, Umsatz, cash flow, Erfolg. Er war aber auch nicht akzeptiert in der Welt der Produkt- und Projektleute, der Bauleute der modernen Welt, die die EDV-Welten, die großen Fabrikationen, die imposanten Konstruktionen der Neuzeit, entwerfen, produzieren und steuern. Er war irgendwo dazwischen tätig, in unbestimmtem Felde, pre Sales, undefiniert, zwischen Baum und Borke, nicht Fisch, nicht Fleisch, ohne Ansehen und ohne Aufstiegsmöglichkeit. Jahrelang kam seine Karriere kein Stück voran.
Steuerberater Klüner vermittelte die Kontakte für den Vertrieb der ausländischen Immobilienfonds, so lernten sie sich kennen. Klüner war damals Ende fünfzig, gut fünfzehn Jahre älter als Hensel, bereits ein wohlhabender Mann, als er Hensel traf. Hensel erzählte dem Älteren von dem entstehenden Markt der neuen privaten Telekommunikationsnetze, die in Konkurrenz treten würden zu den staatlichen Noch-Monopolisten. Er berichtete von dem ersten deutschen Kunden in diesem Markt, Mannesmann, und von seinem Kollegen bei Digital Equipment, Dr. Halkenhäuser. Klüner verstand die technischen Einzelheiten nicht. Aber er begriff, da entstand eine neue, wichtige Industrie. Klüner hatte selbst einen C-Netz-Anschluss, ein teures, schweres Autotelefon, telefonierte damit auf Reisen zu immensen Gebühren, damals war das noch ein Privileg weniger. Es würde in Zukunft private Infrastruktur geben für die große Publikumsdienstleistung Festnetztelefonie, und, neu dazu kommend, für mobile Kommunikation. Klüner konnte sich die Zukunft vorstellen: Man würde viel bequemer und billiger telefonieren. Ein Massenmarkt würde entstehen, ohne staatliches Monopol. Es gab eine geschäftliche Chance, vielleicht eine sehr große. Die Betreiberunternehmen würden gestellt werden von großen Industriekonzernen, die sich zu Konsortien zusammen schlossen und sich um die Netzwerkfrequenzen bewarben, dann die Netze ausbauten. Die neuen Unternehmen mussten ausgerüstet werden. Der Zuliefermarkt würde explosionsartig mitwachsen. Das war Hensels Chance. Klüner wurde Hensels Förderer. Er hatte Kapital, Verbindungen überall hin und eine glückliche Hand, wenn es um Geschäfte ging. Er hatte sich neben seiner Steuerberaterpraxis stets lebhaft geschäftlich betätigt, hatte sich schon zu Zeiten des Kommunismus an Glasbläsereien in Jugoslawien beteiligt, einmal gar mit Tito zu Mittag gegessen, darüber konnte er farbenfroh berichten. Er hatte Bauprojekte im Nachkriegsfrankfurt hochgezogen, wo er freitagnachmittags die Löhne bar auszahlte, eine Pistole hatte er dann stets dabei. Damals war er noch jung. Klüner nannte sich gerne einen Friddberger Bubb, das akzentuierte seine Bodenständigkeit, seine Herkunft aus der Wetterau, die Unbefangenheit im hessischen Dialekt, damit warb er beim Gegenüber darum unterschätzt zu werden. Der Friddberger Bubb wusste, was notwendige Voraussetzung für ein erfolgreiches Geschäft war: ein Markt, ein Produkt, ein guter Vertrieb, und wenn es ein richtiges Unternehmen werden sollte bedurfte es auch eines Unternehmers. Wie jeder Zirkus einen Direktor, jedes Varieté einen Zampano hat, so braucht jeder Laden einen Chef, den mit der geschäftlichen Energie, das persönliche Kraftzentrum. Klüner, so sehr er auch Einfluss ausübte und Geschäftsmann war, er konnte das nicht sein. Geschäftsmann war Klüner, und zwar ein guter, er war ein aufmerksamer, wacher Kerl, Unternehmer dagegen weniger. Menschenführung, der Aufbau von Organisationen, das war nicht sein Metier, er gab Ratschläge, war Mentor, gab Anregungen, dachte in Transaktionszusammenhängen. Seine Unternehmungen waren im Grunde Transaktionsbündel. Hier hatte er aber Glück.
Hensel war unerfahren, aber er würde sich als die herausragende Persönlichkeit erweisen, die niemand, der ihn damals kannte, von ihm erwartet hätte. Niemand sah das in ihm. Dem nie Angekommenen, dem Ungeschickten, dem störenden langen Kerl traute man dort nie etwas Wesentliches zu. Sie machten sich damals gerne lustig über ihn, den verkorksten Riesen. Schon Anfang vierzig, ohne Abitur und akademische Ausbildung, hatte er sich schwer getan, die Karriereleiter bei Digital Equipment zu erklimmen. Behrendt erzählte noch Jahre später, wenn er ein bisschen etwas getrunken hatte, Hensel habe ja Fernmeldemechaniker gelernt, und nur das; er, Behrendt hatte in Volkswirtschaft promoviert. Er fügte dann maliziös hinzu: „Den haben sie gern die Telefonmasten hochklettern lassen, der war ja schon so lang. Hensels Umgebung nannte ihn, den 1.95m großen Mann, meist respektvoll, „den Langen
. Der „Lange" würde sie eines anderen belehren, er würde es ihnen zeigen, er konnte mehr als Telefonmasten erklettern.
Klüner hatte Hensel ermutigt, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen, Hensel seinerseits hatte Dr. Halkenhäuser überzeugen müssen, damit der zusammen mit ihm und Behrendt die Digital Equipment verließ. Für Hensel war das kein einfacher Schritt. Das sichere Familieneinkommen