Seewölfe - Piraten der Weltmeere 426: Die Affen-Galeone
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 426 - Davis J.Harbord
8
1.
Anfang Mai 1594, Cartagena.
Diese Hafenstadt an der Nordostküste des Golfes von Darién war 1533 von dem Spanier Don Pedro de Heredia gegründet worden. Ob Don Pedro ein Schlitzohr war, wissen wir nicht, aber er hatte mit sicherem Blick einen guten Platz erkannt – eine Art Drehscheibe oder Umschlaghafen zwischen dem Mutterland Spanien, Neu-Granada, Neu-Spanien und Kuba.
Die Natur hatte dafür gesorgt, daß der Zugang zu Cartagena ziemlich schwierig war. Einerseits lag die Stadt fast am Meer, andererseits jedoch tief in einer nahezu geschlossenen Bucht. Von der Seeseite her war eine Landung oder ein Angriff wegen der felsigen Küste kaum möglich. Östlich der Stadt verwehrte ein Sumpfgebiet das Eindringen, im Süden wurde sie von einer Lagune geschützt, und die Einfahrt – „Boqueron" genannt – sicherte ein Fort. Noch zwei weitere Forts – Sainte Croix innerhalb der Bucht und Saint Lazare auf der gegenüberliegenden Seite – schirmten die Stadt ab.
Wirklich, dieses Cartagena war ein feines Plätzchen, und das war auch die Ansicht von Don Ignazio de Carillo, dem Vizegouverneur von Neu-Granada, der hier seinen Amtssitz hatte.
Die Gründe, warum Don Ignazio die Stadt äußerst wohlwollend betrachtete, hingen nicht unbedingt mit ihrer Wehrhaftigkeit zusammen, nein, das war auch mehr Sache des Stadtkommandanten. Don Ignazio hingegen liebte die Stadt heiß und innig, weil sie ihm eine satte Pfründe bot. Unter Pfründe verstehen wir in diesem Fall ein müheloses Einkommen, mühelos, weil Don Ignazio dafür nicht hart zu arbeiten brauchte.
Dieser schlitzohrige Hundesohn in der Position eines Vizegouverneurs hatte gute und dauerhafte Fäden gesponnen, seit er im Amt war. Diese Fäden verliefen zu den Kapitänen jener Handels-Galeonen, die zwischen Nombre de Dios oder Porto Bello an der karibischen Seite Panamas und Cartagena hin und her pendelten.
Sie übernahmen in Nombre de Dios oder Porto Bello die Schatzgüter, die von Maultiertransporten aus Panama über den Isthmus gebracht wurden, und kehrten, tief geladen, nach Cartagena zurück. Waren genügend Galeonen in Cartagena versammelt, brachen sie gemeinsam im Geleitzug nach Havanna auf, wurden dort noch einmal mit Proviant und Trinkwasser versorgt und gingen dann auf die lange Reise über die Bermudas zurück nach Spanien.
Nun, die guten und dauerhaften Fäden Don Ignazios hatten noch eine andere Eigenschaft: Sie waren klebrig. Die Kapitäne klebten an ihnen, bildlich gesprochen. Don Ignazio hatte die sehr ehrenwerten Schiffsführer so ein bißchen an der Leine. Von dem einen wußte er dies, von dem anderen das, aber was er wußte, war stets eine mehr oder weniger üble Geschichte, mit der er bei den Kapitänen das betreiben konnte, was man gemeinhin mit Erpressung bezeichnet.
Da hatte ein Kapitän die Frau des Stadtkommandanten zum Ehebruch verführt, ein anderer ein Indianermädchen geschwängert, ein dritter war in Spanien verheiratet, hatte aber in Cartagena eine Mätresse – noch dazu eine Mulattin – ein vierter hatte an französische Siedler Waren verkauft, was streng verboten war, kurz, so hielt sich das dran, und Don Ignazio nutzte sein Wissen, diskret, versteht sich.
Zur Ehre Spaniens muß gesagt werden, daß nicht alle Kapitäne so waren, aber Don Ignazio hatte einen sicheren Blick für Sünder und hielt sich im übrigen eine Bande von Spitzeln und Zuträgern, die herumschnüffelten, wo einer Dreck am Stecken haben könnte.
Im Gegensatz zu seinem Gouverneurskollegen in Kuba, dem feisten Don Antonio de Quintanilla, war Don Ignazio kein Genußmensch. Und auch äußerlich hatten sie nichts Gemeinsames. Don Ignazio war dürr und geiergesichtig, schmallippig und hartäugig. Er hatte keine Machtpläne wie Don Antonio, sondern wollte in einigen Jahren nach Spanien zurückkehren, um auf seinen Geldsäcken der Ruhe zu pflegen.
Ein Bruder von ihm saß als hoher Beamter in Sevilla bei der Casa de Contratación, jenem Handelshof, der den Handel und Schiffsverkehr zwischen Spanien und der Neuen Welt kontrollierte, regelte und abwickelte. Diese Marinebehörde war erstens ein Verwaltungspolyp und zweitens durch und durch korrupt. So gewährleistete der Bruder Don Ignazios in Sevilla, daß gewisse Ladegüter aus Cartagena gar nicht erst bei der Casa oder gar bei Seiner Majestät, sondern im Familienschoß der de Carillos landeten, die schon jetzt zu den reichsten Familien Spaniens zählten!
Don Ignazio konnte zufrieden sein – und war es auch. Zwar passierte es, daß Galeonen, denen Don Ignazio gewisse Kisten und Truhen anvertraut hatte, von verdammten Piraten aufgebracht und ausgeplündert wurden, aber das mußte dann eben aufs Verlustkonto geschrieben werden, obwohl es im eigentlichen Sinne gar kein Verlust war, denn den Inhalt der Kisten und Truhen hatte Don Ignazio von den Kapitänen erhalten, die ihrerseits ihren „Anteil" von Ladungen abzwackten, die ihnen zum Transport anvertraut und für die Schatulle seiner Allerkatholischsten Majestät bestimmt waren.
Nein, es war kein Verlust, und ein persönliches Risiko hatte Don Ignazio ebenfalls nicht, denn ihm ging es ja nicht an den Kragen, wenn eine Galeone von den Schnapphähnen geentert wurde. Ärgerlich war in einem solchen Falle nur, wenn auch jener Kapitän dabei über die Klinge sprang, mit dem Don Ignazio seine diskreten Beziehungen angeknüpft hatte. Da mußte er sich wieder einen Ersatz beschaffen – aber zu was hatte er seine Spitzel, nicht wahr?
An diesem Tag im Mai – einem Mittwoch – waren drei Handelsgaleonen aus Cadiz in Cartagena eingetroffen. Sie brachten Leinen, Kleidungsstücke, Schuhe, Wein, Hieb- und Schußwaffen, Brustpanzer, Werkzeuge und Haushaltsgeräte. Klar, daß von den Weinfässern gleich einige für den Gouverneurskeller abgezweigt wurden, diskret wie immer.
Indessen sortierte der Sekretär Don Ignazios, ein spitzbärtiges Männchen, einer Maus nicht unähnlich, die Post, die von der Casa den drei Galeonen für den Vizegouverneur mitgegeben worden war.
Darunter befand sich ein Schriftstück, das mit dem königlichen Siegel versehen war – eine Order für den Señor Vizegouverneur. Der Spitzbart des Männchens begann zu zittern, und seine Hände wurden feucht. Das passierte ihm immer, wenn Briefe mit dem königlichen Siegel eintrafen. Es vermittelte ihm das Gefühl, einen unerhört wichtigen Posten innezuhaben, gewissermaßen Auge in Auge oder Ohr an Ohr mit Seiner Erlauchten Allerkatholischsten Majestät. Ein erhebendes Gefühl, zumal der Maus die Gnade Don Ignazios zuteil geworden war, die königlichen Briefe öffnen zu dürfen.
Er öffnete, aber zuvor wusch er sich die feuchten Hände, ordnete seine Kleidung und polierte die Platte seines Schreibtisches, obwohl die eh wie ein Kinderpopo glänzte. Aber das mußte sein, galt es doch, Seiner Allerkatholischsten Majestät – verkörpert durch Brief und Siegel dort auf dem Schreibtisch – in tiefstem Respekt und untertänigster Würde gegenüberzutreten.
Und die Maus zelebrierte vor dem eigenen Schreibtisch, auf dem Königliches lag, einen Kratzfuß, einen sehr tiefen – und noch einen mit einem Schrittchen voraus.
Das Schrittchen war zuviel, und beim Aufrichten bumste es. Da war die Schreibtischkante im Weg. Ein paar Sternchen blitzten im Kopf des Männchens auf, und es schmerzte sehr. Kanten an Schreibtischen sind nun mal hart.
„Verzeihung", murmelte das Männchen erschrocken, als habe Seine Majestät zugeschaut und sei ob des Bumses unwirsch.
Inzwischen landete ein blauschillernder Brummer auf dem königlichen Schreiben und begann, die Flügel zu putzen. Man bedenke – ein Brummer auf dem Erhabenen! Welch ungeheuerliche Schändung!
„Ksch-ksch! zischte das Männchen und wedelte mit der rechten Hand. „Weg da!
Der Brummer summte beleidigt ab. Drüben im Türmchen des Klosters von Notre-Dame-de-la-Poupe läuteten die Glocken die vierte Nachmittagsstunde ein. Am Hinterkopf des Männchens entwickelte sich eine längliche Beule. Sie wurde mannhaft ignoriert. Es galt, den Brief des Erlauchten zu lesen, Wort für Wort, Satz für Satz – eine königliche Offenbarung, verschnörkelt und mit Girlanden verziert, erhabener Ausdruck des Herrschers über Spanien und seine Kolonien, über Neapel, Mailand, die Freigrafschaft Burgund und die Niederlande.
Und das Männchen las.
Lippen formten unhörbare Worte, Augen wanderten von links nach rechts, sprangen zur nächsten Zeile der majestätischen Verkündigung, Andacht versammelte sich im Gesicht, Denkfalten vertieften die Stirn.
Der Brummer raste im Tiefflug über den Schreibtisch. Das Männchen bemerkte es nicht. Der König von Spanien sprach. Im fernen Escorial weilte er, weit weg über Tausende von Meilen. Von dort aus tat er kund, was er von Seinem untertänigsten Don Ignazio erwünschte – und fürwahr, es war der Wunsch einer königlichen Majestät, angemessen Seiner herrscherlichen Würde, symbolhaft gleichsam.
Zutiefst aufgewühlt las das Männchen den Brief noch einmal von oben bis unten. Dort klammerten sich seine Augen an der königlichen Unterschrift fest. Ah! Dort hatte Seine Hand geruht! Die Augen der Maus schimmerten verzückt.
Der Brummer flog einen Frontalangriff auf die Stirn der Maus, bog im letzten Moment nach rechts und kurvte mit einem bösartigen Summton an die Zimmerdecke.
Da