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Jenseits vom Flammenkreuz: Roman
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Jenseits vom Flammenkreuz: Roman

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Der Roman Jenseits vom Flammenkreuz, dessen Urfassung im Jahr 1994 entstand, ist die Geschichte der Schauspielerin Olenka Debus, die bei Dreharbeiten zu einem Wiedertäuferfilm den Aufenthalt in ihrer Heimatstadt Münster/Westfalen dazu benutzt, nach den Spuren ihres Großvaters Dr. Kaplan zu suchen, der dort einst ein bedeutender Arzt war. Sie wird dabei immer tiefer in die Vergangenheit hineingezogen, denn es verdichten sich immer mehr die Hinweise darauf, dass ihr Großvater jüdischer Herkunft war.
In dem Regisseur Harry Schlesinger – zwischen ihm und Olenka entwickelt sich schnell eine intensive Liebesbeziehung – findet sie dabei einen verständnisvollen Freund, der auch dann noch zu ihr hält, als die Situation immer bedrohlicher wird. Es wird immer deutlicher, dass sie bei ihrer Spurensuche auf etwas gestoßen sein muss, was mit allen Mitteln vertuscht werden soll …
LanguageDeutsch
Release dateJun 15, 2018
ISBN9783945597989
Jenseits vom Flammenkreuz: Roman

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    Book preview

    Jenseits vom Flammenkreuz - Hendrik Davids

    Schluss

    Teil I

    Erstes Kapitel

    Das zweite Leben der Olenka Debus

    Olenka schüttete den ganzen Inhalt des Tablettenröhrchens in ein Glas Wasser. Ein kurzes Aufschäumen. Es ist wie ein letztes Aufschäumen meines eigenen Lebenswillens, stellte sie nicht ohne Bitterkeit fest. Noch einmal ließ sie die Stationen ihres gescheiterten Lebens an sich vorbeiziehen, die ferne Kindheit in einer Stadt, die sie nie wiedergesehen hatte, die deutlicheren Schauplätze ihrer Jugendzeit, die wie Durchgangsstationen waren, die Künstlerparty, zu der ein Freund sie mitnahm, die ersten Aufnahmen, die ekstatischen Nächte … und dann die Gnadenlosigkeit des Abstiegs in eine Szene, in der man, um zu überleben, bei Filmangeboten nicht mehr wählerisch war, schließlich die Entziehungskur, die gescheiterte Ehe, das weggenommene Kind … Mit einem Ruck nahm Olenka ihren ganzen Mut zusammen und griff nach dem Glas. Auf einmal fühlte sie in sich eine unbestimmte Sehnsucht, zu Hause zu sein, ohne recht zu wissen, wo das war. Olenka fasste das Glas fester. Schade, dass sie nicht mehr erfuhr, wer da eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, an dem die rote Lampe leuchtete. Vielleicht sollte ich die Mitteilung einsprechen, dass es keinen Zweck mehr hat, eine Nachricht zu hinterlassen, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor. Das erneute Klingeln des Telefons ignorierte sie. Mach endlich Schluss, Olenka, rein mit dem Zeug. Als aber das Telefon zum dritten Mal zu klingeln begann, siegte ihre Neugier. „Ja", rief sie fast ärgerlich, und ihr war, als hörte sie ihre Stimme aus weiter Ferne.

    Eine sonore Männerstimme klang aus dem Telefon. „Hier Schlesinger. Frau Debus, alles in Ordnung?"

    „Alles okay, antwortete sie, und es sollte doppelsinnig sein. „Ich probe gerade die Sterbeszene.

    „Dann rufe ich hoffentlich gerade zur rechten Zeit an, um den Part des Retters zu übernehmen, wenn ich Ihr Retter sein darf, meinte Harry Schlesinger und deutete ein Lachen an, aber es klang etwas gequält. „Frau Debus, um ehrlich zu sein, ich freue mich außerordentlich darauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Diese Gefühlsintensität, mit der Sie sich in Ihre Rolle hineinsteigern – ja, wirklich, als ich den verzweifelten Unterton in Ihrer Stimme hörte, lief es mir kalt über den Rücken – da hatte man richtig das Gefühl, mit einem Menschen zu sprechen, der dem Tod ins Angesicht sieht.

    „Wenn ich aufrichtig sein darf, ich bin auch von den Ereignissen der letzten Tage etwas angegriffen, gestand Olenka, und es gab ihr ein beruhigendes Gefühl, dass sie die Gelegenheit hatte, sich einem Menschen anzuvertrauen, der ihr zuhörte. „Mir ist kotzübel, wenn ich daran denke, dass ich am Montag vor der Kamera stehen soll.

    „Ich habe das in der Zeitung gelesen, dass Sie vor den Trümmern Ihres Privatlebens stehen, klang es von weit her an ihr Ohr, während sie auf die einen unbestimmten Lichtreflex werfende Flüssigkeit in dem vor ihr stehenden Glas starrte, in dem sich ein weißes Zeug abzusetzen begann. „Unser Mitgefühl ist bei Ihnen, Frau Debus. Aber Sie müssen spielen! Nichts ist zufällig in diesem Film, auch die Besetzung nicht. Es wäre jammerschade, wenn ich mich nach einer neuen Hauptdarstellerin umsehen müsste.

    „Ja, ich verstehe", erwiderte Olenka und spielte mit dem Glas. Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, das so ruhig und gefasst zu sagen.

    „Wenn ich Ihnen eine Regieanweisung geben darf, die zugleich der Rat eines Freundes ist, auch wenn wir uns nicht näher kennen – um Himmels willen, werfen Sie die Sterbeszene in die Ecke und proben Sie jetzt mal eine Auferstehungsszene, redete Harry Schlesinger ermunternd weiter. „Aber vergessen Sie nicht, um 18 Uhr ins Flugzeug zu steigen. Damit Ihnen die Stunden bis dahin nicht zu lang werden, finden Sie im Briefkasten einen Videofilm, auf dem wir aus Probeaufnahmen einen Trailer zusammengeschnitten haben, um unseren Freunden einen Eindruck von dem Projekt zu vermitteln. Ich überlasse Ihnen die Cassette zur Einstimmung, versteht sich.

    „Yes, Sir", hörte Olenka sich sagen, und sie wunderte sich, dass ihre Stimme einen festen Klang hatte, denn sie wusste, dass die Sekunden nach dem Ende des Telefongesprächs die entscheidenden sein würden, und eine unbestimmte Furcht führte dazu, dass sich ihre Hand unmerklich fester um das Telefon schloss, die Angst davor, die falsche Entscheidung zu treffen.

    „Mir liegt sehr viel an Ihrer Stellungnahme, bekräftigte Harry Schlesinger. „Wie Sie wissen, gehen die Anforderungen der Aufgabe, die Ihnen zugedacht ist, über die Anforderungen einer normalen Filmrolle weit hinaus. Ich nehme an, dass die Reise an den Drehort für Sie zu einer Reise in die eigene Vergangenheit werden wird. In diesem Sinne – bis heute Abend auf dem Flughafen.

    „Ja, bis heute Abend", erwiderte Olenka, und ihre Hand griff mechanisch nach einer Zigarette. Das Glas stand unberührt auf dem Tisch, sollte es noch etwas warten. Bald darauf fand sie sich, auf dem Boden kniend, vor der Videoanlage wieder und starrte mit unbewegten Augen auf eine Reihe zerlumpter, mit grauen Kutten bekleideter Gestalten, die, von berittenen Männern in Landsknechtsuniform getrieben, mit zusammengeketteten Füßen in nicht endender Marschkolonne durch eine Landschaft zogen, die flach und irgendwie endlos war. Irgendwo im Hintergrund schimmerte friedlich das Wasser eines Sees.

    Szenenwechsel. Ein Redner auf einem Podest hielt eine Predigt auf einem öffentlichen Platz und wiegelte das Volk auf, eine Frau zu verbrennen. Die Kamera schwenkte beiläufig durch die Menge und erfasste ein Mädchen, dem die Tränen aus den Augen traten. Als sie den Himmel anflehte, die Hinrichtung nicht zuzulassen, drohte man ihr damit, sie ebenfalls zu verbrennen.

    Da wusste Olenka, dass der Mann am Telefon, den sie nur flüchtig kannte, gewonnen hatte. Entschlossen ergriff sie das Glas und schüttete den Inhalt in die Toilette. Dann wusch sie das Glas aus, immer wieder. Als sie mit den Fingern nachhalf, das Glas von dem schleimigen weißen Tablettenzeug zu reinigen, das zehnmal ausgereicht hätte, ihren Körper zu töten, fiel ihr Blick auf den Spiegel. Irgendwie fand sie das Gesicht mit wirren langen Haaren nicht unhübsch. Er wird sagen: „Ja, Frau Debus, Sie sehen wirklich sehr angegriffen aus", stellte sie fest.

    Als Olenka gegen Abend zum Flughafen kam, der erst vor kurzem als Ersatz für München-Riem neu erbaut worden war, regnete es. „Frau Debus, Sie sehen sehr reizvoll aus, wenn Sie etwas angegriffen wirken, bemerkte Regisseur Schlesinger zur Begrüßung und führte sie zur Cafeteria, an der bereits Kollegen versammelt waren. „Die Maskenbildner werden das schon hinkriegen. Heute Abend feiert unser Team erst mal den Einstand. Morgen sehen wir uns Drehorte an. Dann haben Sie auch noch die Gelegenheit, einen Zug durch die 42 Kirchen zu unternehmen – oder durch die 650 Wirtshäuser, wenn Ihnen das mehr zusagt. Er lachte. „Am Montag geht es zur Sache. ‚Viel zu hübsch für den Strang‘, wird der Zuschauer hinterher sagen."

    Das Linienflugzeug war eine schon etwas ältere Propellermaschine, in der es etwas eng wurde. Mit geschultem Blick sah Olenka, einer Gewohnheit folgend, den Bewegungen der Stewardess zu. Eine Stewardessenrolle würde ich auch noch hinkriegen, stellte sie sich vor. Lange holperten sie über endlos erscheinende Zubringerstrecken. Ohne anzuhalten, rollte die Maschine hinaus auf die breite Betonbahn, deren schnurgerades Band sich weit draußen verlor, wo sich Himmel und Erde zu berühren schienen, sofort heulten die Propeller auf und zogen die zweimotorige Fokker 50 durch die Wolken in den blauen Abendhimmel hinein, unter dem die Oberfläche der Wolkendecke weiß wie Watte glänzte, und als der Flugkapitän die Maschine in eine Kurve zog, sah man den Schatten der Tragfläche tief unten. Nach dem Start wurde ein Piccolo serviert. Über die Bordlautsprecher gab der Captain irgendwelche Hinweise zur Reiseroute. Aber das hörte Olenka schon nicht mehr. Was sie in den letzten Tagen durchgestanden hatte, war über ihre Kräfte gegangen. Sie war eingeschlafen, der hübsche Kopf auf die Seite gerutscht, wo das Kabinenfenster war. Die Stewardess räumte leise den Piccolo ab und legte der Schlafenden den Sicherheitsgurt wieder an. Es war der Schlaf eines Menschen, der wieder erwachen will.

    Als Olenka die Augen aufschlug, stieg ihr der würzige Duft von Kaffee in die Nase, den die Stewardess aus einer riesigen, silbrig glänzenden Vorratskanne ausschenkte. „Es war mein ausdrücklicher Wunsch, Sie bis jetzt schlafen zu lassen", erklärte Harry Schlesinger väterlich im Vorbeigehen. Tief unten zogen Kraftwerke und Industrieanlagen vorbei, die riesige Rauchtürme in das leichte, dahintreibende Frühlingsgewölk aufsteigen ließen. Eine Autobahn war zu erkennen, dann wieder Wiesen und Felder. Olenka hatte das Gefühl, dass die Maschine ihre Reisehöhe bereits verlassen hatte. Bald würden am Horizont die Kirchtürme einer Stadt auftauchen, in der sie einmal zu Hause gewesen war, vor langer Zeit, und die sie nie wiedergesehen hatte außer auf verblassten Farbbildern aus ihrer Kindheit.

    Im Sinkflug schwebten sie über eine Landschaft, die von verstreut daliegenden Bauernhöfen, Feldern, Wiesen und Wäldern übersät war. Olenka wartete darauf, dass der Anfang der Landebahn erschien, die sie aufnehmen würde. Es war noch nichts davon zu sehen, aber sie wusste, dass es nicht mehr weit war. Der Pilot erhöhte hin und wieder den Schub, damit sie nicht zu niedrig die Wipfel der Bäume überflogen. Und dann ging es plötzlich steil herunter, ein letztes Abfangen, und da wusste sie, dass gleich ein sanfter Ruck durch die Maschine gehen würde und dass die Reise zu Ende war.

    Es ging die Treppe hinunter und zu Fuß über das Rollfeld in das Flughafengebäude, an dem sich immer noch keine Fluggastbrücken befanden. Da sie nicht durch den Transitbereich zu gehen brauchten, ging alles sehr schnell. Als Harry Schlesinger auf dem Weg durch das Abfertigungsgebäude zur Eingangshalle um eine Ecke bog, prallte er mit einem Reporter zusammen, der ihm ein Mikrofon hinhielt. „Herr Schlesinger, ein kurzes Statement, bitte, zu dem Film, den Sie drehen werden."

    „Es ist klar, erklärte der Regisseur, „dass die Ereignisse, wenn man etwa an die Verführbarkeit der Massen denkt, durch die eine solche Herrschaft des Bösen erst möglich wurde, erschreckende Gemeinsamkeiten mit Vorgängen im 20. Jahrhundert aufweisen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Menschen, die wir zeigen, Menschen des ausgehenden Mittelalters sind. Die Wiedertäufergeschichte der Jahre 1534/35 hat historische Wurzeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen und religiösen Strömungen im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen von denen, von welchen sie in geistiger und politischer Hinsicht hätten geführt werden müssen, und waren offen für die aberwitzigen Irrlehren von Scharlatanen und falschen Propheten. Am Anfang war da eine aus dem Zusammenhang der Reformationsbewegung hervorgegangene Sekte, die wurde von den um die Erhaltung ihrer Macht fürchtenden Herrschenden verfolgt und radikalisierte sich, bis sie zur blutigen und menschenverachtenden Tyrannei entartete. Den Rest kennen Sie. Wir schildern das Ganze aus der Sicht eines Schaustellerpärchens, das in der Stadt Zuflucht gesucht hat und in den Strudel der Ereignisse hineingerät. Harry Schlesinger ergriff seinen Koffer, zum Zeichen, dass er weitergehen wollte. „Nur wenige Jahrzehnte nach der Niederschlagung der Wiedertäuferherrschaft erreichte übrigens ein weiteres furchtbares Kapitel religiösen Wahns seinen grausamen Höhepunkt, nämlich der Hexenwahn, der in dieser Gegend besonders schlimm wütete. – Oh, da kommt ja unsere in einem Lokalblatt als verlorene Tochter der Stadt bezeichnete Hauptdarstellerin."

    „Ich bin zwar keine Hexe, aber ich stehe für ein Interview zur Verfügung, da ich weiß, dass Sie mich sonst bis auf die Toilette verfolgen, sagte Olenka. „Bedienen Sie sich.

    Der Reporter nahm sie auf die Seite. „Hat es eigentlich bei der Besetzung eine Rolle gespielt, dass Sie aus Münster stammen?"

    „Kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe die Stadt nicht mehr wiedergesehen, seitdem ich vierzehn war."

    „Aber Sie werden natürlich Ihren Aufenthalt anlässlich der Dreharbeiten dazu benutzen, die Stätten Ihrer Kindheit wiederzusehen?"

    „Ja, es gibt da zum Beispiel ein paar Gräber, die sicher verwildert sind, von Menschen, denen ich viel bedeutete und die mir viel bedeuteten, sagte Olenka gedankenverloren. Sie kniete bei einem Hund nieder, der von irgendjemandem angebunden worden war, und streichelte ihn. „Ist ja gut, bald bist du nicht mehr allein.

    „Stimmt es, dass Sie einer Menschenrechtsbewegung angehören?"

    Olenka überhörte die Frage und sagte, ohne aufzublicken: „Sehen Sie doch mal, sein Halsband ist viel zu eng."

    Der Reporter ließ nicht locker. „Nach einer Pressemeldung läuft bei Olenka Debus jetzt nichts mehr mit Drogen?"

    Olenka Debus fuhr hoch und sah ihn scharf an. „Wer in seiner Jugend nie Haschisch geraucht hat und nie einen Alkoholrausch hatte, der werfe den ersten Stein."

    Der Reporter grinste. „Man soll nicht einen Stein auf Menschen werfen, die in Wirklichkeit unsere Hilfe brauchen, räumte er ein, „Sie haben gewonnen.

    „Sie sollten die Dame nun mal weitergehen lassen. Die Worte kamen von einem jungen Mann, der sich aus der Passantenmenge schälte und zu ihnen herantrat. Er hatte kurz geschnittenes Haar, einen gepflegt aussehenden dunklen Vollbart und eine schlanke, durchtrainiert wirkende Bodybuilderfigur. „Ich bin der Bruder von Frau Debus.

    Olenka sah ihn überrascht an. „Max?", rief sie, etwas unsicher.

    Max, ihr Halbbruder aus einer ersten Beziehung ihres Vaters. Sie hatten sich nur wenige Male gesehen, zuletzt auf der Beerdigung ihres Vaters vor einigen Jahren.

    „Ja, ich bin es, Schwesterchen." Max reichte ihr die Hand.

    „Schön, dass du gekommen bist, meinte Olenka. „Habe gar nicht damit gerechnet …

    „Ich habe aus den Lokalnachrichten erfahren, dass du in dem Film mitspielst, der in unserer Stadt gedreht werden soll, erklärte Max. „Und es stand für mich sofort fest, dass es mir ein Herzensanliegen wäre, zu deiner Begrüßung hierher zu kommen. Auch wenn wir uns bisher nur selten gesehen haben … ich habe schließlich nur die eine Schwester.

    „Da hast du recht, stellte Olenka fest. „Und es wäre sicherlich schön, wenn wir uns noch mal sehen könnten, solange ich in der Stadt bin. Eine Gelegenheit wird sich schon finden.

    „Ganz meine Meinung, bestätigte Max. „Übrigens hätte ich dir auch nur zu gerne angeboten, dich ins Hotel zu bringen oder wohin du sonst willst. Aber leider ist mein Wagen in der Werkstatt.

    Das rettende Taxi, in dem sich Olenka nach der nervenzerreißenden Fragerei und dem Weg durch das Empfangsgebäude wiederfand, wurde von einem Studenten mit Langhaarfrisur gesteuert, der mitgekriegt hatte, wer sie war, und um ein Autogramm bat. Die Stadt lag im Glanz der letzten Sonnenstrahlen. Und auf einmal fühlte sich Olenka wie von einer unbekannten Macht dazu getrieben, den Fahrer zu einem Umweg zu veranlassen, und sie verließen die breite Durchgangsstraße und bogen in eine uralte Allee ein, die sich durch ein Villenviertel zog. Die Sonne spiegelte sich in den Fenstern der hohen Jugendstilvillen, die aus der Zeit der Jahrhundertwende stehengeblieben waren. Hinter einigen der verschnörkelten schmiedeeisernen Gartenzäune war man mit der Gartenpflege beschäftigt, und es roch nach geschnittenem Gras. Auch das verwilderte Grundstück, auf dem sie einst, in ihrer Kindheit, gespielt hatten, obwohl es streng verboten war, auf Trümmergrundstücken – den ganz wenigen aus dem Krieg noch verbliebenen – zu spielen, war noch da. Ihr Großvater hatte nur selten über das Grundstück gesprochen. Ein unbekanntes Angstgefühl ergriff Olenka, als sie sich vorstellte, dass da vielleicht noch Bomben gelegen hatten, die im Krieg nicht losgegangen waren.

    Das Hotel, an dem die Taxifahrt endete, war ein schlichter Nachkriegsbau aus den Fünfzigerjahren, nicht eine der ganz teuren Nobelherbergen, aber es hatte den Vorteil, direkt am Rand der historischen Altstadt zu liegen, so dass die wichtigsten Drehorte nur ein paar Schritte entfernt waren. Sympathisch wirkte das Hotel außerdem auch deswegen, weil Tiere erlaubt waren. Das Vorrecht, in der teuersten Nobelherberge zu residieren, hatte man nur dem männlichen Hauptdarsteller, einem hochbezahlten internationalen Leinwandstar, zugestanden.

    Olenka bezahlte das Taxi und stürmte in die Hotelhalle. Eine noch jugendlich wirkende Frau am Ende der Dreißiger, vielleicht zehn Jahre älter als sie, saß an der Rezeption. „Julika!, rief Olenka, „dass man dich hier wiedertrifft! Und sie fiel ihr um den Hals.

    „Ich bin seit einigen Jahren die Chefin dieses Hotels, erklärte Julika, nachdem die stürmische Begrüßung vorbei war. „Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Das ist Olenka, ganz wie früher!

    „Was ist aus Pascha geworden, fragte Olenka, ohne Julikas Arm loszulassen, „lebt Pascha noch?

    „Es ist lange her, schon acht Jahre, sagte Julika, plötzlich ernst. „Es dauerte lange, bis ich mir einen neuen zugelegt habe. Tiere sind manchmal treuer als Menschen.

    „Ja, ich weiß", erwiderte Olenka vielsagend und nahm den Schlüssel in Empfang, der zu einer der relativ bescheiden ausgestatteten Suiten gehörte.

    Später, als sie mit den anderen unten zusammensaß und eine kleine Petroleumlampe vor ihr auf der in zarten Blautönen und Altrosa gehaltenen Tafel entzündet wurde, da wurde ihr bewusst, dass diese Olenka, deren Spiegelbild ihr da für einen kurzen

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