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A mio aviso: Impressionen einer Tedesca in Venedig
Von Claudia Manicolo
Beschreibung
Claudia Manicolo, in München geboren, studierte nach dem Abitur Grafik und Design und arbeitete danach freiberuflich als Illustratorin. Nach einer beruflichen und privaten Neuorientierung verbrachte sie von 2011 bis 2016 einen Teil ihres Lebens in Venedig. Ihre Tagebuchaufzeichnungen und Illustrationen ergaben die Vorlage für das vorliegende Buch. Heute lebt Claudia Manicolo in Südbaden, nahe der Schweizer Grenze.
Über den Autor
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Buchvorschau
A mio aviso - Claudia Manicolo
Inhalt
Vorwort
Am Morgen
Ansichten
Die Venezianer und ihre Sprache
Die Venezianer und ihre Hunde
Am Fenster
»Gott ist groß«
Davide
Sonntagsspaziergang
Venedig – ein Dorf
La Marchesa
La Coppia
La Contadina
Il Nobile
La Donna
Machilista
La Vecchia
Der Gucci-Taschen-Verkäufer
Paralleluniversum
Ratti
Die »Libreria Aqua Alta«
Mori
La Tintoretta
Bambino – Spaccone – Papagallo
Das Miraculi-Kirchlein
Der Kiosk
Ponte delle Tette
Die »Frari«
Santa Maria del Giglio (Santa Maria Zobenigo)
Heilige (Ein-/Vielfalt auf dem »harten Rücken«)
San Sebastiano
San Pantalon
San Trovaso
Homo Touristicus
Mariano Fortuny
Die Biennale
Die Biennale Palazzi
Der Palazzo Merati
Die Stadt und der Müll
Stampatore di Venezia – oder wie ich den Gutenberg von Venedig traf
Scarpe alla Moda
Venedig, ein Trimm-dich-Pfad
Auf dem Vaporetto
Bella Figura
Pronto Soccorso
Aussichten
Nachwort
Vorwort
»A mio aviso« ist Italienisch und bedeutet »meiner Ansicht nach«.
Zahlreiche Streifzüge durch die Stadt Venedig haben mir eine Fülle von »Ansichten« und »Einsichten« beschert, die naturgemäß alle subjektiv sind, von denen ich aber hoffe, dass sie dazu dienen, diese wunderbare und einzigartige Stadt auf unterhaltsame Weise und abseits der bekannten Pfade kennenlernen zu wollen.
Die Zeichnungen, die ich beigefügt habe, sind, sofern es sich nicht um Heilige oder Geistererscheinungen handelt, nach realen Beobachtungen entstanden.
Mein venezianisches Abenteuer begann mit dem Tag, an dem ich Umberto Baumeister kennenlernte. Ich war damals, nach langen erfüllenden Berufsjahren, »verrentet«. Eine Bezeichnung aus dem Wortschatz deutscher Bürokratenkultur, die eher nach »verhaftet« als nach »befreit« klingt. Zwei Ehen waren begonnen, durchlebt und erfolgreich abgeschlossen, ebenso die Renovierung eines alten hübschen Häuschens mit Garten. Zwanzig Jahre hatte ich einen Großteil meiner freien Zeit in die Renovierung gesteckt, hatte geschliffen und poliert, tapeziert und gestrichen, Boden und Wände herausgerissen und neu aufgebaut und aus einem Unkraut überwucherten Grundstück einen Garten nach englischem Vorbild angelegt. Ich stellte mir eine Zukunft vor, in der ich die Früchte dieser Arbeit genießen und allenfalls so viel an Zeit und Arbeit hineinstecken wollte, um den Zustand zu erhalten. Darüber hinaus wollte ich reisen und mehr Zeit mit meinen Töchtern und Enkeln verbringen, die teils in Italien, teils in Süddeutschland lebten.
Da Genießen und Reisen zwei Dinge sind, die zu zweit erheblich mehr Spaß machen, hatte ich mich in einer Internetpartnerbörse angemeldet, wohl einfach, um »mal zu schauen«, ob ich in meinem Alter und mit meinem Eigensinn überhaupt noch einen Partner dafür finden könnte. Nach einigen netten, aber auch skurrilen Begegnungen lernte ich bei Tee und Apfelkuchen Herrn Baumeister kennen. Schnell stellten wir fest, dass unser Blick in die gleiche Richtung ging, wie ich meinte. Mit der Gabe der kolossalen Übertreibung ausgestattet, entwarf mir Herr Baumeister eine mögliche gemeinsame Zukunft, in der viel von Muße und Genuss und »nebenher« von einigen kleineren »Gestaltungsmaßnahmen« für unser gemeinsames Leben in Deutschland und Venedig die Rede war.
Zu meiner Verteidigung sei gesagt, ich war geblendet und wusste es nicht besser. Bertl (wir nannten uns zu diesem Zeitpunkt bereits beim Vornamen) hatte ein paar Jahre zuvor mitten in Venedig, im Sestiere Castello, eine Wohnung gekauft. Diese Stadt, erläuterte er mit leuchtenden Augen, war sein Traum. Viel Zeit und Kraft hatte er bereits in den Ausbau dieser Wohnung investiert, und es gäbe immer noch »etwas« zu tun, das aber sei nun wirklich nur noch »dem Hobby geschuldet«. In Venedig sei er ein anderer Mensch, da fiele aller Ärger, alle Sorge, alle Anspannung von ihm ab … Ich müsse unbedingt kommen und schauen! Seit fünf Jahren schaue ich nun.
Müßig zu erwähnen, dass »dem Hobby geschuldet« sich als Euphemismus des Jahrhunderts herausstellte. Tatsache ist, dass jeder Aufenthalt von uns den vollen kreativen Einsatz an handwerklichem Geschick, gepaart mit nimmermüdem Optimismus abverlangt. Mit allen Waffen, die uns die Baumärkte zur Verfügung stellen, stemmen wir uns gegen den schleichenden Verfall, der nicht nur unsere Behausung, sondern offensichtlich die ganze Stadt im Klammergriff hat. Entsalzer, Tiefengrund (auch für feuchte Wände) Superhaftprimer und ein von Bertl ausgetüfteltes Verhältnis von verschiedenen Zementmischungen und Abtönfarbe werden dabei über gefühlt hundert Brücken und durch enge Gässchen an den Kriegsschauplatz geschleppt.
Die erste Amtshandlung besteht allerdings darin, den Müll zusammenzuklauben, den überforderte Touristen vor unserer Haustür entsorgt haben in der irrigen Annahme, es handele sich um einen Abfallkorb. Danach werden die Wände inspiziert und zusammengekehrt, was diese in unserer Abwesenheit herausgespuckt haben. Ja, Wände können spucken, und sie machen sogar richtig Krach dabei, es muss sich nur genügend Salz im Mauerwerk gelöst haben!
Dann sinken wir erschöpft in unsere Sessel am Fenster. Eine Gondel zieht vorbei. Das grüne Wasser des kleinen Rios funkelt mit den roten Ziegeln des Palazzo Nicolaj um die Wette. Ach, denken wir, und die altbekannte Freude des Hierseins ergreift uns, ist doch alles gar nicht so schlimm. Und Bertl hat auch wieder eine Idee, wie er dieses Mal die besonders marode Wand zum Schlafzimmer restaurieren kann …
Am Morgen
Der Morgen im Castello beginnt mit dem Geschrei und Gezänk der Möwen. Im Halbschlaf nehme ich sie wahr, bevor mich das Geknatter, Gerumpel und Gedröhne der frühen Boote endgültig wecken. Den Rio Santa Marina fahren sie hinauf und hinunter und hinterlassen klatschende Wellenschläge an der Außenmauer unter unserem Schlafzimmerfenster.
Lautstark werden neueste Nachrichten unter den Bootsführern ausgetauscht, Pfiffe und langgezogene Rufe hallen von den Wänden der eng stehenden Häuser wider, die den Kanal säumen. »Oooiiieee! Ich bin der Erste!« könnte man sie grob übersetzen. Sie sichern die Vorfahrt und dienen als Warnung an die anderen beim Durchfahren unter den engen, niedrigen Brücken und beim Einbiegen aus Seitenkanälen. Die Boote sind vollbeladen. Gemüse, Wasser, Maschinenteile, Möbel, Postpakete. Jedwede Fracht gelangt zuallererst über das Wasser an ihren Bestimmungsort, bevor sie, auf Sackkarren verladen, mit reiner Muskelkraft an ihr endgültiges Ziel verbracht wird, begleitet von lauten Rufen »Attenzione! Attenzione!«, die dafür sorgen, dass bummelnde Fußgänger schleunigst beiseite springen.
Den ganzen Tag und bis in den späten Abend werde ich nun umgeben sein von den wuseligen Alltagsgeräuschen im Castello. Durch das gekippte, geöffnete Fenster im Bad lausche ich während meiner Morgentoilette den Stimmen der Vorbeieilenden. Es wird gescherzt, palavert, telefoniert, geschimpft und gesungen! Das Getrappel großer und kleiner Schuhe, das Scheppern der Rollkoffer und das Klackern der Carellos, der Einkaufswägelchen, die die Stufen an unserer Brücke hinauf und hinunter geschubst werden, bilden die Hintergrundmusik. Jetzt kommen auch die Mamas, Papas und Omas vorbei, die ihre Kleinen in den Giardini d. Bambini am Miraculi-Kirchlein bringen. Ihre Ermahnungen, die hellen Stimmen der Kinder, ein gepfiffener, dann ein gesungener Schlager im schönsten Tenor, dargebracht von einem Mann, der zumindest an diesem Tag gute Laune hat … das alles mischt sich mit dem Plätschern meiner Dusche und dem Gurgeln meines Mundwassers zu meiner Morgenmusik.
Ein schöner Tag beginnt.
Ansichten
Venedig ist eine wunderbare, immer noch schöne und vor allem »menschliche« Stadt. Im 20. Jahrhundert hat man sich komplett von Öl- und Kohleöfen verabschiedet und auf Gas umgestellt, das rückstandslos verbrennt. Freundliche Windrichtungen sorgen dafür, dass auch die Emissionen der Industrie aus Mestre keine Beeinträchtigungen darstellen, zumindest keine wesentlichen. Dafür gibt es nun Kreuzfahrtschiffe die sich fleißig bemühen, mit ihren Dieselmotoren dieses »Manko« auszugleichen, doch davon später.
Tatsache ist, der Mensch per pedes hat in dieser Stadt absoluten Vorrang. Kein Auto lässt ihn am Straßenrand warten oder beleidigt mit Auspuffgasen seine Nase, noch trägt es zum Schaden seiner Lunge bei. Nicht einmal ein Fahrrad schneidet ihm den Weg ab. Und da es keine Ampeln gibt, entstehen auch keine Staus. Selbst in den gefürchteten Sommermonaten, wenn zur Ferienzeit Touristenschwärme in die Stadt einfallen und an manchen Stellen kein Quadratzentimeter Pflaster mehr frei zu sein scheint, gibt es immer Bewegung.
So, zu Fuß, kann der Mensch seinen Blick schweifen lassen, kann sich das Tempo geruhsam anpassen und das Auge sich an den Schönheiten der einstigen »Serenissima« erfreuen. An der unglaublichen Fülle von Malerei, Kunst und den prachtvollen Gebäuden, die Zeugnis ablegen vom Geist und Bürgersinn ihrer einstigen Bewohner. In seinem Buch »Venedig ist ein Fisch« bemerkt der Schriftsteller Tiziano Scarpa (ich zitiere frei): Dieser übervolle Kelch an Schönheit sei eigentlich kaum zu ertragen, deshalb habe man an höherer Stelle (gemeint ist wohl die Verwaltungsbehörde der Stadt) ein paar Scheußlichkeiten eingebaut, um dem überreizten Auge die Möglichkeit zu geben, sich auf ein Normalmaß einzupendeln.
In der Tat, das Gebäude der Sparkasse am Campo Manin erfüllt diesbezüglich alle Erwartungen. Es wundert sich der Besucher, wie es möglich war, dafür eine Baugenehmigung zu erhalten. Wo doch allgemein bekannt ist, dass es in Venedig eine strenge, fast möchte man sagen, nahezu unbewegliche Bürokratie gibt, die über das historische Ansehen der Stadt wacht. Dass eine Stadtverwaltung beschließt, dem eigenmächtigen und unkontrollierten Treiben wildwuchernder Renovierungen Einhalt zu gebieten, ist nachvollziehbar. Man brauchte Stauraum? Dann wurde kurzerhand ein gotisches Fenster zugemauert. Man wollte vermieten? Dann wurde eine Zwischendecke eingezogen, byzantinische Simse und Kannelierungen abgeschlagen und genormte Rechteckfenster eingesetzt. Einen solchermaßen »kulturhistorischen« Schaden kann man unter anderem im Corte del