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Das Leben im Wind: Mit dem Fahrrad durch Südamerika
Das Leben im Wind: Mit dem Fahrrad durch Südamerika
Das Leben im Wind: Mit dem Fahrrad durch Südamerika
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Das Leben im Wind: Mit dem Fahrrad durch Südamerika

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Das Leben im WindReiner Effinger bricht auf nach Südamerika. Sein Fahrrad im Gepäck lernt er in Cusco Spanisch und akklimatisiert sich an die Höhen der Anden, bevor er seinem Traum folgt und Südamerika auf zwei Rädern entdeckt.Aus dem Inhalt:Wie soll es anders sein? Nicht jeden Tag scheint die Sonne, schon gar nicht, wenn man 7.800 Kilometer mit dem Rad durch Südamerika unterwegs ist. Auf dem Rad ist der Regen kälter, die Sonne ist erbarmungsloser, die Gewitter sind furchteinflößender und die Nächte sind einsamer. Reiner Effinger hat seinen Beruf in Deutschland an den Nagel gehängt, hat gekündigt, um seinem Traum zu folgen, alleine mit seinem altgedienten Fahrrad durch Südamerika zu reisen. Aber auch nicht jeden Tag regnet es. Er durchstreift die schönsten Landschaften, übernachtet an magischen Plätzen, hat Wälder, Seen und Berge für sich allein und die Menschen nehmen ihn in ihr Herz auf. Auf dem Rad sind die lachenden Gesichter näher, die blühenden Felder sind prächtiger und das Leben ist abenteuerlicher. Wie soll es anders sein, das Leben im Wind?
LanguageDeutsch
Release dateJan 13, 2012
ISBN9783941796706
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    Book preview

    Das Leben im Wind - Reiner Effinger

    Karte

    Deutschland im September

    Leicht aufsteigender Regennebel hängt in den Baumwipfeln. Nach einem langen Sommer setzt jetzt der Herbst mit Regen und kühleren Temperaturen ein. Die Wege sind abgetrocknet, es sind nur noch einzelne feuchte Flecken zu finden, die ich ignoriere, was mir bald zum Verhängnis werden wird.

    Es ist mein erster Tag. Raus aus dem Arbeitsalltag, der mich jahrzehntelang begleitet hat. Weg von der Herde, der ich stumm gefolgt bin. Vielleicht bin ich übermütig, froh einen anderen Weg, meinen Weg, eingeschlagen zu haben. Vielleicht ist es Vorfreude, was mich in den nächsten Tagen und Monaten alles erwarten wird, vielleicht bin ich einfach nur leichtsinnig. Auf jeden Fall berechne ich eine Kurve falsch, bin viel zu schnell, sehe noch das Gras auf der Fahrbahn liegen, hoffe nur, dass ich nicht rutsche.

    Ich hebe den Kopf, Urmel (mein Fahrrad) liegt wild neben mir. Ich setze mich auf. Mein Gott, meine Hand, was ist passiert? Ich weiß noch, das Vorderrad ging weg, ich konnte mich im Sattel halten, mit dem Erfolg das ich nicht geradeaus in die Wiese rutschte, sondern mit dem Kopf voraus über den Lenker abflog.

    Aufbruch zu einem Leben im Wind

    Bei dem harten Aufschlag spüre ich wie ein Traum unter mir zerquetscht wird. Ich sehe auf meine Hand. Sie ist irgendwie verdreht, schon geschwollen, gebrochen, es wird dunkel um mich herum. Der Nebel, den ich vorhin noch in den Baumwipfeln gesehen habe, hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Er lichtet sich nur langsam.

    Ich höre Stimmen. „Das reinste Trümmerfeld."

    Drei Ärzte stehen vor einer Lichttafel, auf der ein Röntgenbild meinen Arm zeigt.

    „Trümmerfeld?" Eine harte Erkenntnis für einen, der die Welt entdecken will. Unbemerkt lasse ich meinen Kopf auf die Liege zurückfallen, gebe meinen Gedanken freien Lauf.

    „Vorbei, es ist vorbei. Ich träumte einen Traum, war bereit alles dafür zu geben und jetzt? Was mache ich jetzt?"

    Ich starre die kahle Zimmerdecke an, bin allein in meiner Welt, bin den Tränen nahe.

    Meine Benommenheit hält nicht lange an. Jetzt muss ich erst gesund werden, alles andere kommt danach.

    Noch in der Nacht wird der Bruch gerichtet, schon am nächsten Tag spüre ich, dass der Eingriff gut verlaufen ist.

    Ich arbeite an mir, kann oft am Abend den Arm vor Schmerzen nicht bewegen, sehe aber jeden Tag Fortschritte, plane wieder, hoffe wieder. Ich halte mich mit Laufen fit, sitze nach wenigen Wochen wieder auf dem Rad und weiß, dass ich es wagen werde.

    Alles stelle ich in diesen Wochen in Frage. Bin ich auf dem falschen Weg, so wie mein gesamtes Umfeld meint, auf einem Weg am Leben vorbei? Aber Gefühle täuschen nicht, noch nie in meinem ganzen Leben war ich so sicher, das Richtige zu tun.

    Sechs Wochen nach dem Sturz breche ich auf zu einer Reise in einen anderen Raum unserer Welt, Peru.

    Lima

    „Nichts ist in Peru so sicher, wie die Unsicherheit."

    Zusammen mit zwanzig anderen Passagieren drängle ich mich um den Schalter meiner Fluggesellschaft in Lima. Die Leute sind gereizt und die junge Schalterangestellte bemerkt, dass es ein langer, arbeitsreicher Abend werden wird.

    Es ist ein komisches Gefühl, am Gepäckband zu stehen, an dem ich kurz zuvor von Menschen umringt gar keinen Platz gefunden habe. Alle warten auf ihre Sachen. Immer mehr Leute ziehen glücklich ab, wissen dabei gar nicht einmal, dass sie glücklich sind. Immer dieselben Koffer treiben an mir vorbei. Das Band bleibt stehen, der Funken Hoffnung, der noch in mir keimte, erlischt.

    Das Gedrängel um den Flugschalter beginnt, es scheint, dass einige Gepäckstücke auf der Strecke geblieben sind.

    Was ich so alles in meinem Handgepäck habe ist schon nett. Drei Kameras, über 70 Filme, ein Radhelm, eine Badehose, Bücher, Handschuhe und einen Reiseführer in Spanisch über den Schwarzwald, der als Geschenk für meine Gastfamilie in Cusco gedacht ist. Für einen Kulturbeutel oder frische Unterwäsche hat der Platz nicht mehr ausgereicht.

    Wie befürchtet wird es ein langer Abend, alleingelassen kämpft die Schalterangestellte gegen die Meute von entsetzten, wütenden Kunden. Froh, dass wenigstes mein Rad angekommen ist, halte ich mich zurück. Über drei Stunden dauert der Kampf. Gegen 23:00 Uhr verlasse ich - ohne Gepäck aber mit einem spanischen Reiseführer über den Schwarzwald - das Flughafengebäude von Lima.

    Natürlich ist mein bestelltes Taxi, das mich zum Hotel bringen sollte, schon längst abgefahren und wegen Urmel will mich kein anderes Taxi mitnehmen. Ich soll mit dem Bus in das Zentrum fahren. Nach all den Sicherheitswarnungen, die ich über Lima gelesen habe, ist das nicht gerade das richtige Training für den ersten Abend, oder doch?

    Wieder vergeht viel Zeit. Vincent, ein Flughafenangestellter, kommt auf mich zu. Er wisse eine Möglichkeit und die hört sich auch gut an. Urmel wird in die Gepäckaufbewahrung gebracht und Vincent fährt mich für einen Notfallpreis in die Stadt. Ich bin viel zu müde, viel zu erlahmt, um zu handeln. Der Preis ist mir an diesem Abend gleichgültig. Ich hätte mehr bezahlt, Vincent wäre sicher für weniger gefahren. Wir sind beide zufrieden.

    Mit Vincent durch die Nacht

    Der Weg vom Flughafen in das Zentrum von Lima, bringt mich durch alle Bevölkerungsschichten. Vor der Abfahrt verriegelt Vincent die Autotüren, so ist ein Zugriff von außen nicht mehr so leicht möglich.

    Bauruinen rasen vorbei, von den Straßenlaternen halb beschienen. Häuser oder nur Hütten, irgendwie aufgestellt mit einem Wellblechdach bedeckt. Rauchschwaden treiben durch die dunklen Straßen, irgendwo brennt flakkernd ein Feuer, verbreitet zuckende Schatten. Auf einem Berg aus Müll steht ein Mann, regungslos, vom Rauch umhüllt. Gruppen junger Männer tauchen im Lichtkegel des Autos auf, verschwinden wieder.

    Wir spurten von einer Ampel zur nächsten. Rot halt, Grün Vollgas auf über 80 km/h, Spurwechsel, Vollbremsung, Rot.

    Je näher am Zentrum, desto besser wird der Baustil, desto mehr muss der eigene Besitz geschützt werden. Die Bauten sind von hohen Mauern umgeben, Haustüren sind doppelt gesichert, Fenster vergittert. Die Tür meines Hotels ist verschlossen, ich muss klingeln, sie ist immer verriegelt Tag und Nacht. Verschlafen macht mir ein Mann die Tür auf, wundert sich über den späten Gast. Nur widerwillig zeigt er mir das Zimmer, bringt mir etwas zu trinken.

    Ich bin alleine, von dem Erlebten aufgewühlt, die Belastung fällt von mir ab. Wie ein Schlag trifft mich die Müdigkeit. Ich ziehe mich nicht einmal aus, sinke auf das Bett. Mit dem Gedanken an mein Gepäck, wie es um die Welt fliegt, schlafe ich ein.

    Hauptstadt

    Wenigstens brauche ich nicht lange zu überlegen, was ich heute anziehen möchte. Ich bleibe einen Tag in Lima, bevor ich nach Cusco weiterfliege. Nachdem ich vergeblich versucht habe, bei meiner Fluggesellschaft anzurufen, mache ich mich auf, die Stadt zu erkunden. In Miraflores ist die Armut ausgesperrt - fast.

    Unsicher bewege ich mich durch die 8 Millionen fassende, Menschen verschlingende Hauptstadt von Peru. Weit entfernt sind die gefährlichen Randgebiete der Stadt, die Armenviertel. Trotzdem sind meine ersten Schritte in einem fremden Land, in einer fremden Stadt, immer von Unsicherheit begleitet. Was erwartet mich?

    Es ist angenehm warm und die Sonne scheint, was Anfang November nicht üblich ist. Ich sitze in einem Café und beobachte die Menschen. Touristen und Einheimische. Arme und Reiche.

    Das Café ist gut besucht, ich glaube den einen oder die andere zu erkennen, die mit mir um die Ankunft ihres Gepäcks gezittert haben.

    Zuerst sehe ich die Gestalt nicht, die halb im Dunkeln in der Nische eines Hauseingangs steht. Auf einen Stock gestützt, der die Last der Jahre nur schwer tragen kann, einen Blechnapf in den Händen haltend. Es ist ein alter Mann, er ist mager und zerlumpt. Er sagt nichts, steht nur stumm da. Nach längerer Zeit nimmt ihm die Wirtin den Napf aus der Hand und verschwindet im Café.

    Den Kopf zur Wand gedreht, halb gesenkt, bleibt der Mann in der Nische stehen. Er weiß gar nicht, wo er hinschauen soll, bei dem vielen Essen, bei so viel Überfluss auf den Tischen, bei so viel Geld, das beim Auftauchen von Touristen immer in der Luft liegt.

    Kurz darauf bekommt er den Blechnapf zurück. Ein Stück Brot liegt obenauf. Wortlos nimmt er das Essen entgegen und verschwindet in einer dunklen Gasse.

    Meine Blicke treffen sich mit denen der Wirtin. Ich nicke ihr zustimmend zu. Eine nette Geste.

    Nicht weit ist es bis zum Pazifik. Ein kräftiger Wind weht mir entgegen, vertreibt den berüchtigten Küstennebel, der vormittags oft das Ufer verschwinden lässt. Nur einzelne Nebelbänke wabern über die gemächliche Dünung des Meeres, bleiben am Kap La Punta hängen, steigen nach oben, werden von der erbarmungslosen Sonne aufgesogen. Zurück bleibt ein fast blauer Himmel. Die Straße habe ich verlassen, befinde mich in einem Park oberhalb der Klippen, die steil zum Meer hin abfallen. Von einer Bank aus beobachte ich Wellenreiter, die vergeblich die heute nur mäßige Kraft der See nutzen wollen. Soweit ich sehen kann, ist die Küste bebaut. Eine Landschaft suche ich vergeblich, die Stadt braucht immer mehr Platz.

    Von mir unbemerkt steht plötzlich Armando neben mir. Über seiner linken Schulter hängt ein grob zusammengenagelter Holzkasten, in der rechten Hand hält er ein schräg zulaufendes Holzbrett, das wie ich später feststellen sollte, als Fußstütze dienen soll. Er ist Schuhputzer. Scheinbar ist er noch nicht lange in der Stadt, den besten Platz, um auf Kundensuche zu gehen, hat er nicht. Seine Lebenslage steht ihm ins Gesicht geschrieben. Mir ist es unmöglich sein Alter zu bestimmen. Die Ärmel seines Pullovers sind ausgefranst, mit grobem Stoff wurden die Knie an seiner Hose ersetzt, seine strumpflosen Füße stecken in ausgelatschten Sandalen.

    Er erklärt mir die Küstenorte, nennt mir die Namen der Häfen in denen ich größere und kleinere Fischerboote erkennen kann. Auf die Bank zu mir will er sich nicht setzen. Natürlich ist mir klar auf was das alles hinauslaufen soll. Ich will mehr über ihn erfahren. Armando wohnt mit seiner Frau und drei kleinen Kindern in einer der vielen sich rasch ausbreitenden Vorstädte, den sogenannten „pueblos jovenes den „jungen Dörfern. Noch immer versucht die Landbevölkerung den schlechten Lebensbedingungen in den Bergen zu entkommen. Sie flüchten in die Städte, wobei es sich herumgesprochen hat, dass Lima nicht unbedingt die erste Wahl für einen neuen Lebensanfang sein muss. Irgendwie wird in den Randgebieten eine Behausung gebaut, aus Kartonwänden, Holzteilen oder Lehmziegeln. Es gibt weder Strom noch Wasser. Vielen geflüchteten Campesinos wird schnell klar, dass der Alltag sich zwar verändert hat, aber dadurch nicht leichter geworden ist. Die Familien benötigen etwas zu essen, das mit allen Mitteln besorgt werden muss. Armandos Geschichte stimmt mich traurig, was von vorne weg in Armandos Sinn lag. Ich gebe ihm ein paar Soles, die er aber nicht geschenkt haben will und meine Schuhe einer gründlichen Reinigung unterzieht.

    Auf dem Weg zurück in die Stadt werde ich noch von vielen anderen Kollegen von Armando angesprochen, sehen die denn nicht, dass meine Schuhe blitzblank sauber sind?

    Auf dem Weg zurück ins Hotel kaufe ich frische Früchte am Straßenrand, die ich auf einer Parkbank, die noch von der Sonne beschienen wird, verzehre.

    Zurück im Hotel stelle ich enttäuscht fest, dass sich von meiner Fluggesellschaft noch niemand gemeldet hat. Erst spät werde ich erlöst. Mitten in der Nacht reißt mich ein schrillendes Telefon aus dem Schlaf. Endlich, sie haben mein Gepäck gefunden. Morgen reise ich nach Cusco weiter, so kann ich meine Sachen in aller Ruhe abholen. Zufrieden lasse ich mich in die Kissen zurückfallen, träume von meinem Gepäck und seiner einsamen Reise.

    Das Erbe der Inkas

    „Es ist nicht die Höhenkrankheit, die dich schwindeln lässt. Es ist die Emotion, dem Himmel so nahe zu sein. Willkommen in Cusco."

    So werden die Gäste auf dem Flughafen in Cusco empfangen

    Es ist früh am Morgen, noch ist es dunkel. Ein Schuss schreckt mich auf, nicht in der Nähe, aber immer noch laut genug, um mich zu wecken. Er muss irgendwo auf der anderen Seite der Stadt abgegeben worden sein. Dort wo die Talsohle endet und die Berge ansteigen. Dort wo es keine, von den Anwohnern bezahlte Sicherheitsleute mehr gibt, die durch die Straßen patrouillieren, um dich und das Haus zu schützen. Der Schuss wurde in dem Stadtteil abgefeuert, in dem die Häuser nicht mit hohen Zäunen umgeben sind, oben mit einem elektrischen Draht gesichert.

    Seit zwei Wochen bin ich in Cusco. Die Zäune und die Wachen erzeugen in mir kein Gefühl der Sicherheit, erzeugen keine Geborgenheit. Eher das Gegenteil ist der Fall, mir ist unbehaglich, ja die Stadt kommt mir sogar bedrohlich vor.

    Ich stehe in meinem Zimmer am Fenster und beobachte die Bergflanke. Das Licht der Straßenlaternen arbeitet sich den Berg hinauf. Nur an den besonders steilen Stellen sind dunkle Löcher entstanden. Die Dunkelheit verschluckt auch einen großen Teil der Häuser, in denen es keinen Strom und kein fließendes Wasser mehr gibt. Wie so oft in Südamerika liegen die ärmeren Stadtteile weit oben am Berg. Dort oben wurde die Waffe abgefeuert.

    Ruhig stehen die Sicherheitsleute vor meinem Haus unter einem Baum. Sie schauen wie ich den Berghang hinauf. Durch pfeifen verständigen sie sich mit dem nächsten Posten, in der Nachbarstraße. Der antwortet sofort, hier ist alles ruhig.

    Es lohnt sich nicht noch einmal ins Bett zu gehen, ich bin viel zu aufgeregt. Nicht wegen des unliebsamen Weckens, sondern weil ich für heute meine erste große Ausfahrt geplant habe. Froh über das Wochenende, an dem ich nicht an die für mich stressige Sprachschule denken muss. Den Standort der Sprachschule, die ich vier Wochen lang besuchen werde, habe ich bewusst ausgesucht. Die Stadt liegt hoch genug in den Anden, so bleibt meinem Körper Zeit, sich an die dünner werdende Luft zu gewöhnen. Cusco gilt als die kulturelle Hauptstadt Südamerikas, die alte Hauptstadt der Inkas.

    Ich möchte nach Ollantaytambo, in das heilige Tal der Inkas, ein erster Härtetest in der dünnen Luft. Und heute wird sich zeigen, wie gut mein Handgelenk verheilt ist.

    Cusco liegt in einem Hochtal, auf 3.450 Meter Höhe, auf drei Seiten von hohen Bergen umschlossen. Natürlich muss ich auf meinem Weg nach Urubamba über die Bergkuppe, es sind nur 350 Höhenmeter, aber für einen, der sich noch lange nicht an die Umgebung gewöhnt hat, ist es fast zu viel.

    Direkt hinter dem Zentrum endet die touristische Infrastruktur, die Gassen werden nicht mehr gepflegt, Müllberge wachsen am Straßenrand, die Lehmhäuser sind nicht mehr verputzt. Der Straßenbelag besteht aus grobem Kopfsteinpflaster, sehr grob, ich hüpfe von einem Stein zum anderen. Bald steigt die Straße an. Die Cusquenos bleiben am Straßenrand stehen, drehen sich nach mir um, winken mir zu. Schon wegen der Leute am Straßenrand darf ich nicht einfach stehen bleiben, egal wie sehr ich auch außer Atem bin. Bald gehen mir die Gänge aus. Die Sonne scheint, in der Straßenmitte gibt es keinen Schatten. Gierig saugt mein Körper die Luft in sich hinein, Zweifel kommen auf, ob das Fahren in so einer Höhe für mich überhaupt sinnvoll ist. Ich komme in größte Atemnot. Schon fast auf der Passhöhe! Kein Mensch außer mir wird den Ort je eine Passhöhe nennen. Schon fast auf der Passhöhe komme ich zur Hauptstraße Richtung Anta. An der Kreuzung befindet sich ein kleiner Markt, ich habe einen Grund um anzuhalten, decke mich mit Früchten und mit Wasser ein.

    Neben der Straße ist ein kleiner Fußballplatz. Fassungslos sehe ich den Indigenas, „den Indios, zu, wie sie über den Platz flitzen. „Das kann man nur, wenn man in so eine Höhe hineingeboren wird, denke ich mir.

    Jetzt verstehe ich auch, wie die Ciencianos, das Fußballteam von Cusco, im Jahr 2004 die Copa Americana gewinnen konnten, die Champions League von Südamerika. Selbst Mannschaften aus Brasilien kamen mit der Höhenlage nicht zurecht, sie mussten ihre Spiele in Cusco verloren geben.

    Die kleine Pause tut mir gut, ich spüre neue Kraft, sehe das Ende des ersten Anstieges schon vor mir. Endlich verlasse ich die Stadt. Weitere Anstiege folgen, die fallen mir aber leichter. Ich lasse es ruhig angehen, halte am Wegesrand. Die Landschaft ist karg und zerfurcht, die Felder sind braun und verbrannt, nur selten sind sie von Bäumen umstanden. Die Äcker sind noch nicht umgearbeitet. Erst der Regen der letzten Tage hat die harte Kruste des Bodens aufgeweicht, so dass er bearbeitet werden kann. Ganze Familien helfen beim Pflügen und der Aussaat mit. Zwei Ochsen ziehen dabei den Pflug, der Campesino, der Bauer, gibt die Richtung vor. Die Anbaumethode hat sich die letzten Jahre nicht viel verändert, nur selten sehe ich einen Traktor und Bauern die moderne Gerätschaften zur Bearbeitung der Felder einsetzen.

    Ein kurzer Anstieg hinter Chinchero, der mich mit einer herrlichen Aussicht belohnt. Nicht mehr atemraubend, sondern „atemberaubend". Das heilige Tal der Inkas liegt vor mir. Dicht besiedelt, alles ist grün, von hier oben kommt mir das Tal wie eine Oase vor. Dahinter steigen die schneebedeckten Berge der Cordillera de Vilcanota auf. Ab jetzt fällt die Straße nur noch, 20 Kilometer bergab, herrlich. In Urubamba fülle ich meine Wasservorräte auf. Ohne ersichtlichen Grund ändert der Fluss in dem Ort seinen Namen. Es ist nicht mehr das Vilcanotatal, ich fahre neben dem Urubamba her.

    Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, froh über die erste Pause heute, betrachte den strömenden Fluss und die nahen Berge. Zufrieden setze ich mich auf einen Stein und genieße die Ruhe. Ich beobachte die Bauern, die schwer beladen über die Brücke gehen, die neben mir den Fluss überspannt. Über die Brücke gehe ich zum anderen Ufer, es ist eine andere Welt. Keine Straße, kein Weg schließt sich nach der Brücke an, nur ein Trampelpfad entlang des Bahngleises, der von den Menschen genutzt wird. Ich setze mich auf den Treppenabsatz am Ende der Brücke. Ein Mann, den Hut tief in sein Gesicht gezogen, kommt an den Gleisen entlang, eine große Last auf dem Rücken tragend, die ihn niederdrückt. Er läuft direkt an mir vorbei, sieht mich aber nicht. Meine Anwesenheit geht in der Mühsal des Mannes unter. Rechts neben der Brücke steht ein kleines Haus, noch vor den Gleisen. Eine alte Frau arbeitet im Garten, die Beete sind nicht größer als mein Handtuch. Die Frau versteht mich nicht, verständnislos sieht sie mich mit ihrem tief zerfurchten Gesicht an. Auf dem Land wird Quechua gesprochen, die Sprache der Inkas. Nach dem erfolglosen Versuch einer Unterhaltung, kehre ich zu Urmel zurück, auf die Straßenseite. Es ist wie eine Wanderung in eine andere Zeit, auf der einen Seite des Flusses wie vor Hunderten von Jahren, auf der anderen Seite werde ich von hupenden Autos und Straßenständen empfangen.

    Vom Fahrtwind umspült fahre ich weiter, immer am Fluss entlang.

    Zufrieden mit mir und mit dem Geleisteten sitze ich am Abend in einem kleinen Bistro. Wegen eines aufziehenden Gewitters bin ich in das Lokal geflüchtet. Durch den fortgeschrittenen Abend und durch das Gewitter wird es schnell dunkel, beängstigend dunkel. Meinem Handgelenk geht es gut, natürlich bin ich müde und abgekämpft, aber ich fühle mich sicher und wohl. Das Gewitter hat Ollantaytambo erreicht, lautstark macht es sich bemerkbar, Regen setzt ein.

    Ich bin der einzige Gast in dem Lokal, kaum einer bleibt über Nacht in dem Ort, der einen eigenen Reiz hat. Viele schauen sich im vorübergehen die alte Inka-Festung, die über dem Dorf thront, an und fahren gleich weiter. Sie sehen das Dorf nur als Ausgangspunkt, dabei ist die Ortschaft ursprünglicher als alles in Cusco. Die Wasserkanäle, die frisches Wasser in jedes Haus bringen, dabei das verschmutzte gleich mitnehmen, verlaufen durch jede Gasse, wurden von den Inkas übernommen.

    Wieder ein lautes Gewittergrollen, das von den hohen Bergen, die den Ort umstellen, widerhallt. Lastwagen stampfen auf der Straße vorbei, das Licht erlischt, ich sitze im Dunkeln. Fernando, der Kellner, bringt mir ein Kerze und gleich darauf das Essen. Der ganze Ort liegt im Dunkeln. Nur das Licht der Fahrzeuge, das zwischen den Häuserreihen hindurch huscht, einen kurzen Schein durch die Fenster schickt und diesen über

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