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Sturmvögel: Aus der Geschichte der russischen Arbeiterbewegung
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Sturmvögel: Aus der Geschichte der russischen Arbeiterbewegung

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Der Verfasser dieses Buches, L. Ostrower, ist ein russischer Arbeiter-Schriftsteller. Er gestaltet die Geschichte seiner Klasse. Die vier "Sturmvögel", über die Ostrower schreibt, sind Künder des gewaltigen Sturms, der sich aus der russischen Arbeiterklasse erheben und die Geschichte unserer Zeit in neue Bahnen lenken sollte.
Die vier Erzählungen dieses Buches schildern Erfolge und Siege in den revolutionären Kämpfen, aber auch die bitteren Niederlagen, die die vier "Sturmvögel" erleiden.
Das Buch versetzt uns in die düstere Zeit der zaristischen Selbstherrschaft der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft setzte auch in Rußland eine rasche Entwicklung des Kapitalismus ein. W.I. Lenin schrieb darüber: "Das Rußland des Hakenpfluges und des Dreschflegels begann sich schnell in das Rußland des Pfluges und der Dreschmaschine, der Dampfmühle und des Dampfwebstuhles zu verwandeln."
Mit dieser Entwicklung war das Aufkommen der Arbeiterklasse und das Entstehen einer Arbeiterbewegung verbunden. Die gemeinsame Arbeit in den großen Fabriken begünstigte den Zusammenschluß der Arbeiterschaft, und der gemeinsame Kampf gegen die Ausbeuter entwickelte in ihnen kämpferische, revolutionäre Eigenschaften.
Die Erzählungen von den vier "Sturmvögeln" lassen ein Stück der frühen Geschichte der russischen Arbeiterbewegung lebendig werden. Wie diese revolutionären Arbeiter in der tiefen Finsternis der zaristischen Selbstherrschaft, unter dem blutigen Tenor der zaristischen Schergen, in dem verwirrenden Gestrüpp kleinbürgerlicher Irrungen ihren Weg fanden, wie sie den revolutionären Kampf aufnahmen und sich organisierten, sind sie leuchtende Vorbilder an Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft im Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus.
LanguageDeutsch
Release dateJul 20, 2018
ISBN9783880215160
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    Sturmvögel - L. Ostrower

    1974

    Der Weber Pjotr Alexejew

    Stürme des Hasses, der Wut toben Über dir, du Land ohne Rechte, Alles Lebende, Gute vernichtend.

    N. Nekrassow

    Unvermutet fielen große, dichte Regentropfen, die heftig auf die Straße schlugen und die Erde in feinen Wasserstaub hüllten. Die Fußgänger eilten unter die Vordächer der Häuser, die Kinder ließen ihr Spielzeug auf den Brettern des Bürgersteiges liegen und drängten sich an die Zäune.

    Aber der Regen hörte genau so plötzlich auf, wie er angefangen hatte, und während es noch von den Dächern tropfte, strahlte der Himmel schon in aller Frühlingsklarheit.

    Ein stämmiger, breitschultriger Arbeiter kam mit schnellen, schweren Schritten aus der Perewedenowskij-Gasse. Sein blasses, pockennarbiges Gesicht hob sich scharf aus dem Rahmen der pechschwarzen Haare hervor. Er hatte einen kleinen, gekräuselten Bart und unter dem Lackschirm seiner Mütze lugte ein dichter Schopf hervor. Vorsichtig wich er den Pfützen aus, trat aber dabei versehentlich auf eine im Wege liegende Puppe.

    Ein hageres Mädchen in schäbigem Mantel lief auf die Puppe zu, zog sie nahezu unter dem Fuß des Arbeiters hervor und brach in Tränen aus.

    „Solch ein Pech, sagte der Arbeiter, indem er sich vor das Mädchen hinhockte. „Kaputt. Was sagst du nu? Sei nicht traurig, Liebes. Wir kaufen uns eine neue Puppe.

    Er nahm das Mädchen bei der Hand. Sie gingen zum nächsten Stand in der Krasnoselskaja-Straße, wo sie sich eine große Puppe mit runden Augen aussuchten.

    „Bist du die Einzige deiner Mutti?" fragte der Arbeiter, indem er ihr die Puppe überreichte.

    „Ein Brüderchen hab’ ich noch, erwiderte flink das Mädchen. „Es ist aber noch klein.

    Der Arbeiter erstand eine Klapper.

    „Gib das dem Brüderchen. Sag ihm, Onkel Petja schenke es ihm. Er strich dem Mädchen über den Kopf und schritt schnell einem zweistöckigen Holzhaus entgegen, das ein Schild über die ganze Front trug „Wirtshaus N. P. Popow.

    Im Wirtshaus war es still und kühl. Hinter der Theke, dem Eingang gerade gegenüber, stand neben einem riesigen kupfernen Samowar der würdige alte Wirt. Nur zwei Tische waren besetzt: an einem saß ein Bürger in einem Tuchrock, am anderen Pafnutij Nikolajew. Er aß Schwarzbrot, das er dick mit Salz bestreute.

    Pjotr setzte sich zu Nikolajew und schnitt sich eine Scheibe Brot ab.

    „Hast du Kinder gern, Pafnutij?" fragte er unvermittelt.

    Nikolajew staunte: „Was meinst du damit, Petrucha? Willst du am Ende heiraten?

    Pjotr rückte näher an den Kameraden heran, blickte ihm in die Augen und sagte bitter:

    „Von früh an leben sie im Schmutz, barfuß; ihr Körper ist nur notdürftig bedeckt. Und wenn sie erwachsen sind, was erwartet sie? Ein Joch, Fabrikgestank."

    „Wo willst du hinaus?"

    „Ein kleines Mädchen begegnete mir. Da fiel mir dieses ein. Wieviele solcher Unglücklichen gibt es, er machte eine Handbewegung, als wollte er finstere Gedanken verscheuchen und fragte: „Und du? Warum bist du so niedergeschlagen? Mißerfolge?

    „Woher sollten Erfolge kommen? erwiderte mißmutig Pafnutij. „Die Meister schnüffeln in den Werkstätten, horchen auf jedes meiner Worte. Ständig muß ich damit rechnen, daß sie mich der Polizei ausliefern.

    „Und du hast Angst?"

    „Da kann dir schon bange werden. Kürzlich las ich den Leuten im Abort ein Buch vor. Der Meister platzte hinein. ,Daß dich dieser und jener‘. Ein Glück noch, daß es ein legales Buch war."

    „Und was ist mit Tjurin?"

    „Was soll schon mit Tjurin sein? Er kommt bald, dann kannst du ihn ja fragen. Ich glaube aber, daß es keinen Zweck hat. Die Leute bei Gutschkow sind allzu ungebildet, alles Leute vom Dorf."

    „Und wer bist du denn selbst? fragte Pjotr scharf. „Ein Kaufmannssohn? Oder vielleicht gar ein General? Du bist feige, Pafnutij, daher vermeinst du die Polizei zu sehen, wo sie nicht ist. Wie konntest du nur so etwas sagen?

    „Soll ich etwa meinen Kopf in die Schlinge stecken?" brachte Pafnutij gedehnt hervor.

    „Ja wie denkst du es dir denn? fiel Pjotr lebhaft ein. „Meinst du, die Studenten erkämpfen all’ die Freiheit und präsentieren sie dir dann auf einer goldenen Schüssel? Nein, so ist das nicht. Um das Glück muß man schon selber mitkämpfen, und wenn es darauf ankommt, darf auch die Schlinge nicht schrecken. Die Weber bei Gutschkow sind nicht anders als die in den anderen Fabriken. Oder glaubst du etwa, daß sie aus eigenem Antrieb von fünf Uhr morgens bis acht Uhr abends arbeiten? Glaubst du vielleicht, sie sterben vor Hunger nur, weil sie es so wollen? Sie sind sich nur ihrer Kraft noch nicht bewußt. Du aber mußt ihnen diese Kraft zeigen. Dazu hat man dich geschult, dazu auch zu Gutschkow geschickt. Man hat dir eine „große Sache anvertraut, eine Sache des Volkes. Aber — vielleicht sind dir Zweifel gekommen?

    Ein schlanker Bursche betrat das Wirtshaus, ihm folgte ein flinker, beweglicher Mann mit einem Spitzbärtchen und suchenden, unruhigen Augen.

    Als Pafnutij sie sah, stand er auf.

    „Ich will gehen, Petrucha. Du hast wohl noch viel auf dem Herzen."

    „Geh, erwiderte schnell Pjotr Alexejew, „unsere Unterhaltung ist aber noch nicht beendet. Geh in die Wohnung und sage, daß ich auch bald komme.

    Der Mann mit den unruhigen Augen trat mit seinem Begleiter zu Pjotr Alexejew, begrüßte ihn und erklärte vielsagend:

    „Aus Gribowo sind wir."

    Alexejew blickte belustigt auf den jungen Burschen.

    „Wen bringst du da mit, Tjurin?"

    „Das Artel schickte uns, griff schnell der Mann aus Gribowo das Gespräch auf, „sie beauftragten uns, Einzelheiten zu erfahren.

    Sie setzten sich. Alexejew bestellte Tee und wandte sich dann an den Mann aus Gribowo:

    „Bis du der Führer des Artel?"

    „Nein, ich bin einfaches Mitglied, kann aber lesen und schreiben. Daher schickten sie mich."

    „Arbeitet das ganze Artel bei Gutschkow?"

    „Ja, wir sind Weber und arbeiten schon das zweite Jahr.

    „Und wie ist es in Gribowo? Habt ihr euer Land verlassen? Oder sind eure Familien dort geblieben?"

    „Was sollten wir schon zurücklassen? erwiderte höhnisch lächelnd der Weber. „An Land hat jeder so viel, daß die Eiche keinen Platz findet, ihren Schatten auszubreiten.

    „Und die Leute in Gribowo wissen, wer ihnen das Land nahm?"

    „Warum sollten sie es nicht wissen? Die Gutsbesitzer."

    Alexejew lachte.

    „Demnach seht ihr den Wald vor lauter Bäumen nicht. Greif höher, Mann aus Gribowo. Väterchen Zar nahm euch das Land."

    „Wieso denn das?" staunte der Mann.

    „Sehr einfach, entgegnete ruhig Pjotr Alexejew. „Weißt du, was der Zar dem Staatsrat schrieb? Unternehmt alles zum Schutz der Vorteile der Gutsbesitzer. Merkst du, um wen sich Väterchen Zar sorgt? Um die Gutsbesitzer und nicht um euch, Bauern. Deswegen blieben ich und Tjurin und eure Leute aus Gribowo ohne Land. Hab ich recht, Tjurin?

    „Du hast recht, Pjotr Alexejewitsch, stimmte Tjurin ihm willig zu. „Das sagte ich ihnen auch, sie glauben mir aber nicht, sie sind so eigensinnig.

    Der Mann aus Gribowo rutschte auf seinem Stuhl hin und her und sprudelte böse hervor:

    „Wieso sind wir eigensinnig? Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, daß wir an allem schuld seien. Vertreibt man uns vom Acker, dann tragen wir die Schuld, ist in der Fabrik die Hölle los, so sind wir auch daran schuld. Was sollen wir denn tun? Nehmen wir an, es geschieht, wie du sagst und es kommt ein Pugatschjow. Der wird sich doch nur um die Gutsbesitzer kümmern. Und wer soll mit Gutschkow fertig werden? Was ist zu tun? Es bleibt uns eben nur der Stein um den Hals und das Wasser, ja?"

    „Warum denn? fragte ruhig Alexejew. „Hoffe auf Pugatschjow, handle aber selbst. Zunächst müßt ihr selbst versuchen, Land zu bekommen und Gutschkow abzuschütteln.

    „Darum brach auch bei uns der Streit mit den Gutschkow-Leuten aus, fügte Tjurin ein. „Ich erklärte ihnen, daß unter einen festliegenden Stein kein Wasser fließen kann, während sie mir . . .

    „Du sagst uns nicht das, was wir wissen wollen! unterbrach ihn der Mann aus Gribowo. „Du liest uns ständig aus Büchern über Popen und über Technik vor. Du solltest uns aber lieber sagen, wie wir unser Joch abschütteln sollen.

    Alexejew schwieg, schenkte nachdenklich Tee in die Becher ein und schnitt den Besuchern Brot ab. Ohne es zu wissen, hatte ihm der Mann aus Gribowo einen Schmerz zugefügt. Wie oft hatte Alexejew den Studenten gesagt, daß sie nicht Bücher lesen, sondern sich an die Arbeit machen sollten. Aber die Studenten wollten zuerst das Volk belehren, ihm die Augen öffnen und sich dann erst an den Umbau machen. Und nun saß ihm ein Mann gegenüber, der dieselben Gedanken hatte.

    „Das Joch willst du abschütteln? fragte schließlich Alexejew. „Und Tjurin sagte dir nicht, wie das zu machen ist?

    „Nein."

    „Nun . . . dann will ich es dir sagen. Gutsbesitzer und Fabrikbesitzer kommen aus einem Sumpf, und der Sumpf muß trocken gelegt werden."

    „Und das soll der neue Pugatschjow machen?"

    „Nein, erwiderte Alexejew ruhig, „auf Pugatschjow brauchst du nicht zu warten. Du selbst bist Pugatschjow. Im Dorf kämpfst du gegen den Gutsbesitzer, in der Fabrik gegen den Fabrikbesitzer.

    „Wie soll ich gegen ihn kämpfen, wenn er so eine große Kraft ist und tun kann was er will? Als wir bei Gutschkow anfingen, zahlte er uns für das Stück festen Zwillichs drei Rubel, mitunter sogar drei Rubel vierzig. In diesem Jahr zahlt er aber nur noch ein Rubel achtzig. Für ein Stück Karusett zahlte er sonst zwei Rubel bis zwei Rubel fünfzig, heute zahlt er nur noch sechzig Kopeken. Wie willst du da gegen ihn an kämpfen?"

    „Weißt du denn auch, warum er das tut? Weil er unsere Kraft nicht sehen kann. In unsern Kämmerlein vergießen wir Tränen und schimpfen auch über den Fabrikbesitzer, können aber nicht unsere Fäuste zeigen. Geht doch nicht zur Arbeit, streikt, laßt die Webstühle rosten, was ist dann schon der ganze Gutschkow? Er ist an dicke Einnahmen gewöhnt, aber wenn ihr die Arbeit niederlegt, gibt es keine mehr. Geh aus der Fabrik wieder ins Dorf zurück und nimm dort den Kampf auf . . .

    „Kämpfen! Womit denn? fiel hitzig der Mann aus Gribowo ein. „Die anderen haben doch die ganze Macht!

    „Nun gut, überlege einmal. Hinter den Gutsherren und den Fabrikbesitzern steht der Zar mit seinen Soldaten und seinen Beamten. Sie sind der ganze Schutz. Wenn du dich nun aber weigerst, deine Steuern zu bezahlen, dann kann der Zar diese ganze Meute nicht mehr füttern."

    „Das ist es, rief der Mann aus Gribowo vorwurfsvoll aus und zeigte mit dem Finger auf Tjurin. „Du hast uns immerfort von der raffiniertesten Mechanik erzählt, aber die richtigen Worte hast du nicht gefunden. Aus! setzte er noch hinzu; nahm das angebissene Brotstück in die Hand und verließ entschlossen den Raum.

    „Ein böser Mensch", sagte, Tjurin, nachdem sich die Tür hinter dem Weber geschlossen hatte.

    „Und es ist gut, daß er böse ist, erwiderte Alexejew. „Je böser die Arbeiter sind, umso eher werden sie ihr Ziel erreichen. Du mußt lernen, diese Wut gegen den Fabrikbesitzer zu leiten. Wie arbeitet bei euch Pafnutij?

    Tjurin sah erstaunt Alexejew an. Ihn wunderte dieser unvermittelte Übergang.

    „Von Pafnutij sprichst du? Was soll ich dir sagen? Er ist ein schlechter Weber und genießt keine Achtung."

    „Und der Zirkel?"

    „Die Leute verlassen ihn."

    „Vielleicht sollte man ihn ablösen?"

    „Wir haben daran gedacht und auch schon einen Burschen in Aussicht. Akulow. Er arbeitet in Serpuchowo, ist ein zuverlässiger Mensch und weiß Bescheid."

    „Dann laßt ihn doch einen Zirkel bilden und löst Pafnutijs Zirkel auf. Vergeßt aber nicht dabei die Leute aus Gribowo. Solchen Menschen braucht man nur den Weg zu weisen, damit sie selbst bis zur Wahrheit Vordringen. Stimmt’s? . . . Na also . . . dann können wir ja von unseren Dingen reden: Wenn du am nächsten Sonnabend kommst, wird hier schon ein anderer Mann sitzen."

    „Und du, Pjotr Alexejewitsch?"

    „Ich fahre weg."

    „Für immer?" platzte der überraschte Tjurin heraus.

    „Wo denkst du denn hin? Warum sollte ich für immer fahren? Ich fahre weg und werde wieder kommen. Aber wenn es auch für immer wäre? Glaubst du etwa, daß die ganze Sache auf mir allein ruht? Wenn ich es nicht tue, so tun es eben andere. Und die werden es schon zu Ende führen."

    Alexejew beugte sich über den Tisch vor, wobei er den würdigen Wirt aufmerksam beobachtete, holte aus seiner Seitentasche ein kleines Bündel hervor und schob es schnell Tjurin zu.

    „Am nächsten Sonnabend bekommst du mehr, sagte er auf die Grimasse hin, die Tjurin schnitt. „Die Nachfrage ist zu groß, und die Druckerei kommt nicht mehr mit.

    Dann verabschiedete sich Pjotr Alexejewitsch und ging hinaus. Er wandte sich nach der Pejewedenowka zu, ging um das Holzkirchlein, ließ das Haus des Titularrates Korsak rechts liegen und kam in einen kleinen Garten. Obgleich der Frühling schon eingezogen war, standen die Bäume noch unbelaubt. Aus der Erde sproß zaghaft das erste Gras. Alexejew zupfte sich einen Grashalm, aus, steckte ihn in den Mund, blickte sich schnell um und betrat Korsaks Haus durch einen Seitenflügel.

    In einem großen Zimmer saß am Tisch Pafnitij Nikolajew.

    „Wo sind denn die Leute?" fragte Alexejew.

    „Sie kommen gleich", erwiderte mürrisch Nikolajew.

    Pjotr Alexejew setzte sich zu dem Kameraden.

    „Bist du eingeschnappt, Pafnutij?"

    „Ich bin doch keine Jungfer."

    „Na also, ging Pjotr auf seinen Ton ein, „obschon auch die Jungfern sich jetzt in den Dingen auskennen.

    „Studentinnen wohl."

    „Warum denn Studentinnen? Unsere Mädchen von der Fabrik. Sagen wir mal solche Mädchen wie Jewdokija Beljankina."

    „Beljankina ist bei Gutschkow die einzige."

    Alexejew wurde böse.

    „Warum verkriechst du dich wie ein Wels unter die Baumwurzel! Womit bist du nur unzufrieden, Pafnutij? Fürchtest du dich? Sag’ es doch. Niemand wird dich mit Gewalt halten. Oder verstehst du etwas nicht? Dann frage. Bei Gutschkow sind sie mit dir auch nicht zufrieden."

    „Sie steilen verfängliche Fragen. Bin ich denn ein Student, der alles wissen muß?"

    „Schon wieder redest du von Studenten, erwiderte Alexejew gereizt. „Die Studenten verrichten ihre Sache und du mußt nach deinem Verstand handeln. Und das mit den verfänglichen Fragen hast du selbst erfunden.

    „Nein, sie fragen zum Beispiel nach den Aktiengesellschaften und warum es immer mehr solcher Gesellschaften gibt. Sind das etwa keine verfänglichen Fragen?"

    „Nein, durchaus nicht verfänglich. Der Arbeiter will wissen, warum sich diese Gesellschaften nach der Bauernbefreiung so sehr vermehrten, und deine Sache ist es nun, ihm das zu erklären."

    „Woher soll ich es denn aber wissen?"

    Alexejew verbeugte sich vor Pafnutij.

    „Guten Morgen, Schwager! Solange sind wir gefahren und doch nirgends angekommen. Wie oft sprachen wir schon darüber?"

    „Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen."

    „Nicht gesprochen? Kannst du dich noch erinnern, als wir die ,Toten Seelen‘ lasen?"

    „Ja, kann ich."

    „Vielleicht erinnerst du dich dann auch, was ich sagte, als wir das Kapitel über die Gutsbesitzer lasen?"

    „Ja, ich weiß."

    „Nun, wenn du es weißt, warum konntest du es den Arbeitern nicht sagen?"

    Nikolajew sah seinen Kameraden verwundert an.

    „Was sollte ich sagen?"

    „Wir haben das doch besprochen. Wer blieb denn im Dorf, als solche Menschen wie du und ich vom Land vertrieben wurden? Der Gutsbesitzer und seine Leute, sonst niemand. Wir flüchteten in die Stadt, in die Fabriken, um dort Arbeit zu finden. Und wer baut die Fabriken? Die Manilow und die Sobakewitsch, die viel Geld vom Zaren für ihre Wüsteneien erhielten, Es baut auch noch der Bauer-Ausbeuter, der sich an deiner und meiner Not bereicherte. Und aus dem Auslande kommen die Geier geflogen, die witterten, daß man bei uns für Grosdien blanke Taler erwerben kann. Dem Hunger preisgegeben, ist unser Volk bereit, um ein Stück Brot von früh bis spät zu schuften. Immer neue und neue Fabriken werden gebaut, von Sobakewitsch und den Ausbeutern, von Malinow und den Engländern. Solche Gesellschaften sind aus dem Boden geschossen wie Pilze nach dem Regen. Verstehst du?"

    Nikolajew kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben, denn Iwan Dshabadari, Michail Tschekoidze und Sofja Bardina traten in das Zimmer. Die drei waren zwar wie Arbeiter gekleidet, aber ihren Gesichtern und Händen sah man an, daß sie nicht unter Arbeitern aufgewachsen waren.

    Man rückte eine lange Bank an den Tisch und setzte sich hin. Dshabadari, ein hochaufgeschossener junger Mensch mit schwarzen Augen und einer scharfen, langen Nase, legte eine Eisenbahnfahrkarte auf den Tisch.

    „Hier, Petrucha, sagte er in seiner gutturalen Sprechweise, „hier ist eine Fahrkarte nach Iwanowo-Wosnesensk. Du fährst heute abend um 11 Uhr. Auf dem Bahnhof wird es dunkel sein, und das ist günstig für dich. An Büchern haben wir aber nicht viel da. ,Geschichte des französischen Bauern’ . . .

    „Ist das alles?" brummte Alexejew unfreundlich dazwischen.

    „Leider. Aber auch nur zwei Exemplare. Wir haben nicht mehr. Dafür beschafften wir uns einige Exemplare der ,Raffinierten Mechanik’ und die ,Märchen über die vier Brüder’ "

    „Ihr hättet doch wenigstens etwas über die

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