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Herzrumoren: Ein Elli Melder Roman
Herzrumoren: Ein Elli Melder Roman
Herzrumoren: Ein Elli Melder Roman
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Herzrumoren: Ein Elli Melder Roman

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About this ebook

Elli Melder, ehrgeizige Journalistin und kommende Pulitzerpreisträgerin, stößt bei ihren Recherchen im Milieu militanter Tierfreunde auf eine eigenartige Häufung von Todesfällen. Frauen sind es, die auffällig oft und überraschend das Zeitliche segnen. Ihr Verdacht fällt auf einen Heiler, der auf dem Land sein fragwürdiges Unwesen treibt. Und während der Lokalpolitiker Eggenkofler noch selbstgefällig bedeutende Reden schwingt, schreitet Elli zum Äußersten. Mit ihren neuen Freunden, dem Polizeikommissaranwärterpraktikant ADE, Pupsi und Garp Kropp, ey, aber sag nicht Charly zu mir, sowie der unvergleichlichen Margot Schnitzler, Rechtsmedizinerin a. D. und dank glücklicher Fügung Multimillionärin, stellt sie dem verdächtigen Heiler eine Falle und bringt sich selbst in tödliche Gefahr.
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateJul 28, 2018
ISBN9783740701482
Herzrumoren: Ein Elli Melder Roman
Author

Uli Korb

Uli Korb war selbständiger Grafik-Designer. War, denn er hat sich aus der aufreibenden Hektik des Berufsalltags verabschiedet und widmet sich nur noch der Schriftstellerei. Mit Herzrumoren legt er seinen dritten Roman vor. Uli Korb lebt im Allgäu oder auf seinem Bauernhof in Ungarn.

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    Book preview

    Herzrumoren - Uli Korb

    Teich

    1

    Elli

    Ein Hund, oder besser die Überreste von einem Hund, sind mit Kabelbindern am Maschendrahttor des Tierheims festgezurrt. Die Rasse ist nicht zu erkennen, das arme Tier ist völlig verstümmelt. Die Augen sind ausgestochen, Ohren und Schwanz abgeschnitten. Der Leib ist aufgeschlitzt, Herz und Eingeweide herausgerissen. Ein grausiger Anblick ...

    Ich bin unterwegs.

    Ich, das bin ich. Elli Melder. Ich bin eine aufstrebende, ehrgeizige und attraktive Reporterin. Unterwegs auf dem Weg zu Ruhm und Ehre. On the Pulitzer-Road. Angestellt und komplett unterfordert bei einer traurigen Provinzgazette, mit einem Chefredakteur, der sich benimmt, als sei er der Verleger der New York Times und nicht der Einleger von Prospekten mit sensationellen Angeboten an Kränzen in der Friedhofsgärtnerei. Er hat mich losgeschickt. Wieder mal. Losgeschickt ist die vornehme Formulierung für heb deinen Hintern in dein Auto, gib Gas und wieso bist du noch nicht weg!?

    „Darf eine unterbezahlte Lohnsklavin wie ich eventuell, möglicherweise, erfahren, wohin und wieso mit Gas?" wagte ich nachzuhaken.

    Er musterte mich abschätzig, als überlege er, ob er mir gleich einen Arschtritt verpasst oder mich lieber vorher noch eine Stunde auf seiner Plantage Baumwolle pflücken lässt. „Elli", knarzte er wie ein schlecht geölter Ochsenziemer, „ich gebe Anordnungen, damit sie unverzüglich ausgeführt werden. Wenn ich dich losschicke meine ich heb deinen Hintern in dein Auto, gib Gas und wieso bist du noch nicht weg!? Das ist nicht gedacht als Vorschlag, über den du nachdenken sollst. Wenn ich in irgendeinem Zusammenhang deinen Hintern in ein Gespräch einflechte, heißt das nur, dass ich ihn von hinten sehen will, und zwar, wie du ihn zur Türe rauswackelst." Der Chefredakteur ist ein Macho alter Schule und begeistert praktizierender Sexist. Aber er ist der Chefredakteur und wenn er auch nicht viel weiß, so weiß er doch, dass draußen vor der Tür weibliche Nachwuchsjournalistinnen lauern, die allzeit bereit sind, für eine nicht bezahlte Praktikantinnenstelle das mit dem Sexismus und dem Hintern nicht so dramatisch zu nehmen. Ein gutes Trinkgeld geht übern Arsch, frag mal die Kellnerinnen und die Praktikantinnen. Der Chefredakteur hat das voll geschnallt, nützt es schamlos aus und genießt es.

    Jetzt sitze ich auf meinem Hintern im Auto und bin unterwegs zum Schauplatz eines Verbrechens. Was für ein Verbrechen? Keine Ahnung, vorerst. Der Chefredakteur hat die Angewohnheit, viele Dinge nur vage zu erklären, was ihm die Sache erleichtert und mir Überraschungen verspricht.

    Was mit 'nem Viech, war die eher dürftige Auskunft, die viel Raum für Interpretationen ließ. Was mit 'nem Viech kann alles sein. Ein Rindviech gibt keine Milch mehr, Schlagzeile: Milchnotstand, Euter verstopft! Toll! Ein Schmusekätzchen kommt den Gummibaum im Wohnzimmer nicht mehr runter, Schlagzeile: Feuerwehr rettet Wildkatze! Wahnsinn! Regenwurm von schwererziehbarem Minderjährigen mit Klappspaten in zwei Teile getrennt, Schlagzeile: Keiner half dem armen Wurm! Das haut keinen vom Hocker. Da wandert die Zeitung ungelesen zum Altpapier. Die Zeitung, nicht die Prospekte. Die interessanten Schlagzeilen findet man nämlich in den Beilagen. Im Aldi frisch eingetroffen! Paletten voll mit BIO-Schweinekoteletts von garantiert glücklichen Schweinen, der Zentner 3 Euro 50, ohne Knochen. Das ist eine Schlagzeile. Das lesen die Leute. Um das zu toppen, musst du schon mit harten Kalibern aufwarten.

    Die Adresse, die mir der Chefredakteur genannt und zu der mich mein Navi navigiert hat, entpuppt sich als die Adresse des städtischen Tierheims. Und dass da was am Brodeln ist, sehe ich an der aufgebrachten Menge von Leuten, die sich da vor der Pforte versammelt hat. Ich steige aus, zücke meinen Presseausweis und rufe Presse!. Es ist noch gar nicht so lange her, da wirkte das Wunder, da teilte sich so eine aufgeregte Menge wie das Rote Meer vor dir, als wenn du Moses höchstpersönlich wärst. Leider hat sich da einiges geändert. Heute teilt sich da nichts mehr. Der Moses würde mitsamt seinen Followern elendiglich in den Fluten ersaufen.

    Früher hat die Presse noch einen guten Ruf gehabt, da war ein Reporter ein unerschrockener Aufklärer, der furcht- und gnadenlos Missstände aller Art aufgedeckt hat. Da waren Journalisten die Hüter von Moral und Anstand, die ein scharfes Auge auf politisch oder wirtschaftlich verwerfliche Vorgänge hatten. Aber heute wenn du dich als Journalist outest, dann war es das. Ein Journalist ist heute so glaubwürdig wie Pinocchio. Das ist der Lügner mit dem Holzkopf und der langen Nase. Heute bist du als Journalist nicht mehr Sittenwächter, heute bist du sittenwidrig und außerdem ein willfähriges Organ von Politik und Großindustrie. Heute gibt es keinen Markt mehr für Enthüllungen, heute gibt es nur noch den Markt für Vertuschungen.

    Ganz sicher ist das auch die vorherrschende Meinung unter dem Menschenhaufen, der sich vor dem Tierheim wie ein lynchwütiger Mob aufführt. Mir läuft kalter Schauer den Buckel runter. Fehlen nur noch die weißen Klamotten, die spitzen Zipfelmützen mit Löchern drin, ein lodernder Scheiterhaufen und ein brennendes Kreuz. Die Grillparty des Ku-Klux-Klans wäre perfekt.

    „Lassen sie mich doch bitte mal durch", rufe ich.

    Ich hätte genauso gut behandeln sie mich bitte wie Luft schreien können. Die Meute ist fanatisch mit sich und ihrem Zorn beschäftigt, die nimmt keinerlei Notiz von mir.

    „Aufhängen, die Schweine!", schreie ich. Aufhängen die Schweine passt immer, da kann einer nichts falsch machen.

    „Genau, hängt die Schweine auf!, werde ich auch prompt positiv bestätigt. Erste potentielle Lyncher klopfen mir anerkennend auf die Schulter und saugen mich in ihren Kreis ein. „Oder totschlagen! Schlagt die Schweine tot.

    „Genau, juble ich, „schlagt die Schweine tot! Ich finde augenblicklich Gehör und werde als vollwertiges Mitglied der geifernden Rechtschaffenen akzeptiert.

    „Lasst doch mal das Fräulein von der Presse durch, die will doch auch was sehen", höre ich. Tatsächlich bildet sich eine Gasse in der aufgebrachten Horde und ich schreite zum Tatort.

    Ich will tatsächlich was sehen, deswegen bin ich ja hier. Ich will doch sehen, wen es totzuschlagen gilt. Was ich dann sehe, ist grausig und ich schreie: „So Schweine sollte man totschlagen!"

    Mit so einem Anblick habe ich nicht gerechnet und bin entsprechend unvorbereitet. Ist was Neues für mich. Ich bin keine Polizeireporterin, die von Leiche zu Leiche hechelt, die Kamera im Anschlag und unappetitliche Ekligkeiten im Visier. Lieblos abgehackte Gliedmaßen, aufgeplatzte Leibesöffnungen, in denen sich allerlei Gewürm schmatzend um die besten Plätze rangelt, herumkullernde abgetrennte Köpfe, verkohlte rußige Rümpfe. Mein Chefredakteur will mir so etwas ersparen und schickt mich lieber zu weniger aufregenden Ereignissen. Zu der alten Oma, die mit ihrem Elektrorollstuhl auf der Stadtautobahn gegen die Fahrtrichtung unterwegs war, zu dem Exhibitionisten im Einkaufscenter, der sich sein trauriges Anhängsel im Reißverschluss eingeklemmt hat, zu dem dussligen Erpresser, der sich das Lösegeld auf sein Bankkonto überweisen ließ, zu den Schrebergärtnern, die einen Wildpinkler in ihrer Kleingartenanlage verprügelt und kompostiert haben. Aufregungen dieser Art schaden meiner zarten Seele nicht, meint der Chefredakteur und betont ausdrücklich, dass er es gut meint. Schließlich habe er eine Fürsorgepflicht für seine Lohnsklaven. Eine Fürsorgepflicht, wie sie auch der niederbayerische Spargelbauer hat. Der sagt auch, dass er eine Mensa hat, nur weil er seiner osteuropäischen Spargelstecherkolonne mittags eine Dose Ravioli hinstellt. Ohne Öffner. Und Lohnsklaven sagen sie beide nicht, nicht der Chefredakteur und nicht der Spargelbauer. Sie sagen geschätzte Mitarbeiter. Meinen das aber nicht so. Ein geschätzter Mitarbeiter ist einer, der bei minimal Gehalt maximal arbeitet, Sonn- und Feiertag ist gleich Werktag, Überstunden ja gerne, so viele wie möglich und bitte unbezahlt. Wichtig! Nicht vergessen, immer schön danke sagen, dass sie einen als Sklaven halten und von der Straße geholt haben. Aber man soll nicht zu streng sein mit dem Chefredakteur und dem Spargelbauern. Als bekennende Ausbeuter haben die eine Menge um die Ohren und für unternehmerische Maßnahmen, die die Lohnbuchhaltung und die Mitarbeiterführung erleichtern, sollte man schon ein Mindestmaß an Verständnis aufbringen.

    Also zum Tierheim. Da wird meine zarte Seele keinen Schaden nehmen. Wie nett. Dabei braucht ein Reporter Aufregung wie andere ihr täglich Brot. Mit unaufgeregten langweiligen Reportagen holst du keinen Hund hinter dem Ofen vor, der anvisierte Pulitzer verschwindet uneinholbar am Horizont. Als Reporter musst du Aufregung und Drama liefern, nicht Tierheim. Entsprechend angefressen habe ich mich auf den Weg gemacht. Irgendwas mit 'nem Viech, das kann ja heiter werden.

    Aber der Schuss ging gründlich daneben. Am Tierheim ist mächtig Aufregung. Aufregung, die ich so aufregend nun auch wieder nicht haben muss. In meiner rasenden Reporterlaufbahn habe ich zwangsläufig schon vieles gesehen. Unfallopfer, die die Sanis mit dem Spachtel vom Asphalt kratzen mussten, Opfer häuslicher Gewalt beiderlei Geschlechts, bei denen Riesensonnenbrillen und Moltofill Spachtelmasse den Schaden nur unvollständig verdecken können, Demonstranten, denen man den Schädel mit Kopfsteinen gepflastert hat, Fußballfans, die sich bei der Pyroshow abgefackelt haben. Da kommt schon eine Liste zusammen. Ist nicht schlimm, wenn es nur um Menschen geht, Menschen finden immer eine Möglichkeit, sich gegenseitig weh zu tun. Menschen sind so. Das ist deren Natur. Die wollen Spaß. Da kennt die Fantasie keine Grenzen, da heißt es Brutalität ausleben. Scheißegal, solange es einen nicht selber trifft, scheißegal, solange man nicht selber der Neger ist, den gelangweilte Teens nur zum Spaß mit Baseballschlägern durch die Fußgängerzone jagen, scheißegal, solange es nicht die eigene Tochter ist, die von einem guten Onkel begrapscht wird, scheißegal, wenn der klapprigen Oma die Handtasche mit den paar Euro Überlebensrente aus der Hand gerissen wird, scheißegal, muss sie sie halt fester halten.

    Scheißegal!

    Geht alles! Aber was nicht geht, ist was mit 'nem Viech.

    Ein Hund, oder besser die Überreste von einem Hund, sind mit Kabelbindern am Maschendrahttor des Tierheims festgezurrt. Die Rasse ist nicht zu erkennen, das arme Tier ist völlig verstümmelt. Die Augen sind ausgestochen, Ohren und Schwanz abgeschnitten. Der Leib ist aufgeschlitzt, Herz und Eingeweide herausgerissen. Ein grausiger Anblick. Ein Zettel hängt an dem Kadaver. Befestigt mit einem kräftigen Nagel. Fett und mit roter Schrift ist eine Botschaft hinterlassen:

    GEGEN FIFFILAVERS!

    GEGEN BERGE VON KOD!

    GEGEN BEISWUT UND BLUTDURST!

    GEGEN DRECKSTÖLEN!

    DISMAL IST ES NUR EIN KÖTER.

    SCHEISS HUNDEHALTER.

    2

    Elli und Herr Biel

    Ich bin nicht in Tränen aufgelöst, aber neben mir liegt eine Küchenrolle. Extra saugfähig. Zur Sicherheit ist da noch Herr Biels Sweatshirt. Mit ihm drin. An das und an ihn lehne ich mich an. Das brauche ich jetzt und er spürt das. Sanft legt er seine Arme und mich. Die sind nicht bodygebuildet, aber zum Anlehnen reicht es dicke. Alle wichtigen Sachen sind im weichen Leib von Herrn Biel, gut versteckt, aber da. Der Deltamuskel zum Halten, der Trizeps und der Bizeps zum ordentlich zupacken und der Synergist ist auch im Einsatz, weil mir Herr Biel liebevoll das Haar krault und mir über die noch trockenen Wangen streichelt. Gut, dass Herr Biel nicht so hart ist. Zum Kuscheln ist weich besser. Zum Kuscheln braucht es ein weiches Kissen und keine Betonwand. An einem Bodybuilder kann eine Frau nicht kuscheln. Dem legt sie den Kopf an die Brust und hat prompt eine Platzwunde, der nimmt sie in die Arme, drückt sie und hat ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung am Stiernacken, der gibt einer Frau einen leichten Klaps auf den Allerwertesten und die Arme kann sich neue Backen bestellen oder sich die Eingedatschten mit ein paar Hektolitern Botox wieder auswuchten lassen. Sex mit einem Muskelmännle geht auch nicht mehr. Die haben einen hübschen Busen, aber Männer brauchen keinen hübschen Busen, den hat Frau selber. Was Frau nicht hat, ist das Ding welches. Aber das fristet bei den Muckibubis ein erbärmlich verkümmertes Dasein, weil die zum Frühstück nicht ein nährstoffreiches Müsli oder zehn Eier mit Speck spachteln, sondern sich unerschrocken anabole Steroide reinpulvern. Dass dann ihre Eier schrumpfen und die darin hausenden Spermien träge werden oder ihren Geist ganz aufgeben, ist egal, Hauptsache, die Muskelberge füllen den Spiegel gut aus und glänzen ölig. Und hat man es erst mal geschafft, dass das Ding sich samt Sack und schrumpligen Nüssen ins Innere des Körpers verkrümelt hat, was solls. Man liebt ohnehin nur sich selbst.

    Bei Herrn Biel ist das nicht so. Bei Herrn Biel stimmt alles. Oben weich und unten hart. Alles zu seiner Zeit. Aktuell ist weich verlangt.

    „Elli, murmelt er sanft und es klingt, als hätte er seine Stimmbänder mit Weichspüler bearbeitet. „Was ist denn passiert, du bist ganz durcheinander.

    „Aufhängen sollte man so Schweine und dann totschlagen." Ich habe mich noch nicht beruhigt. Wie auch. Auch als Reporter sehe ich nicht alle Tage, was ich da am Eingang des Tierheims gesehen habe. Danach bin ich erst einmal nach Hause, hab mich auf der Toilette weggesperrt und mich vor die Schüssel gekniet, das Gesehene loswerden. Dann habe ich Herrn Biel angerufen und ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass ich ihn unverzüglich bei mir erwarte, weil ich seinen Beistand brauche. Natürlich hat Herr Biel meinem Befehl umgehend Folge geleistet, hat sein Zuchthaus Zuchthaus sein lassen, sich in sein Auto gesetzt und sich vermutlich in gewohnt halsbrecherischer Fahrweise zu mir bewegt. Herr Biel ist der Direktor des hiesigen Zuchthauses, und als Direktor bestimmt er selber über sein Kommen und Gehen. Die ihm Anbefohlenen werden ihn auch nicht vermissen, das hat er mir mehr als einmal versichert. Er als Oberschließer sei nicht sonderlich beliebt, warum auch immer. Verstehen kann er das nicht, meint er dann enttäuscht. Er bekommt ja die Ware nur ins Haus geliefert und sperrt sie weg, schaut, dass die Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder gut versorgt sind, drei Mahlzeiten täglich, jeden zweiten Tag die Möglichkeit einer Dusche mit der Option Analverkehr, falls gewünscht. Wenn nicht gewünscht, dann Analverkehr ungewünscht. Warum sich nicht mal verwöhnen lassen. Dazu viel frische Luft beim Hofgang mit der Option eine in die Fresse, falls gewünscht. Wenn nicht, dann trotzdem eine in die Fresse, weil man die Option eine in die Fresse nicht gezogen hat. Nicht zu vergessen das gerne angenommene Angebot, sich in die gemütliche, heimelige und entspannende Atmosphäre einer Einzelzelle in Sicherheit bringen zu können.

    Trotzdem mögen die mich nicht, jammert er immer. Und das ist nicht fair. Es sind doch die Bullen, diese Spielverderber, die diese Typen von der Straße holen, um damit die Lebenserwartung von wem auch immer zu steigern. Aber dann heißt es nur lapidar, die machen bloß ihre Arbeit, das geht schon in Ordnung. Ein mörderisches Hobby zu haben birgt das eine oder andere Risiko. Wenn sie dich erwischen, Pech gehabt, das gehört zum Spiel, man gewinnt, man verliert, kein Grund böse zu sein. Aber dann komme ich ins Spiel und das Gezeter geht los. Warum gleich einsperren, warum gleich hinter Schloss und Riegel? Warum nicht erst ein paar Jahre resozialisieren? Oder 5 – 6 Sozialstunden. Das täte es doch auch. Alte Knacker/innen trockenlegen, im Kindergarten aushilfsweise Bauklötze stapeln, Schüler über die Straße lotsen, Obdachlose zudecken, Messis den Müll runtertragen. Es gäbe so viel zu tun im Ehrenamt, aber nein. Habe ich denen lebenslänglich aufgebrummt oder die Richter? Die Herren Schwerverbrecher bringen da gehörig was nicht auf die Reihe. Ich bin doch nur der mit dem Schlüsselbund, schon vergessen. Natürlich vergessen, der Herr Biel, diese Spaßbremse, hat uns das eingebrockt, dass die neue Tapete aus Eisenstäben ist, der Herr Biel muss uns ja gleich auf die ganz harte Tour kommen und uns wegschließen, der Herr Biel ist an allem schuld. Herr Biel kann sich da mächtig aufregen. Dabei bin ich doch der Gute, ich gebe denen doch ein Dach überm Kopf, ich sorge mich um diese schutzbedürftigen armen Seelen, fügt er meistens noch zum Schluss hinzu und dass ihn dabei keine Weinkrämpfe schütteln, grenzt an ein Wunder.

    Ich kenne den Sarkasmus von meinem lieben Herrn Biel, der hat den Sarkasmus erfunden. „In dem Job, den ich habe", meint er dann überzeugend, „wenn du nicht sarkastisch bist, wenn du nicht dem Grauen eine humorige Seite abgewinnen kannst, dann hast du verloren, dann bleibt dir nur der Weg zum Seelenklempner, und den Weg wenn du gehst, hast du doppelt verloren. Weil so ein Seelenklempner pflanzt dir Sachen in die Birne, das glaubst du nicht.

    Da gehst du als ganz einfacher und normaler Durchschnittsbürger rein, denkst an nichts Böses, und dann hörst du, dass du ein verkappter Sexualmörder bist, weil du im zarten Alter von zwei Jahren an deinem Bipfi gespielt hast. Das war ein derart prägendes Erlebnis für dich, dass du ab da praktisch dein Leben lang immer zu sexuellen Ersatzhandlungen gezwungen warst, wie am Bleistiftende lutschen oder mit Frauen schlafen."

    Wenn ich Herrn Biel an dieser Stelle nicht bremse, kommt unweigerlich: „Wir hatten da mal eine bei uns im Zuchthaus ..."

    „Ich weiß, Herr Biel ..."

    „... die hieß Frau Doktor Susanne (Susi) Neubauer und ..."

    „... ich weiß, Herr Biel, die hatte einen Superbusen und einen Superknackarsch ...„

    „... und die war so was von rattenscharf blond. Wenn die im Hause war und in ihrem pinkfarbenen Stofffitzelchen von Stretchmini ihre therapeutischen Kamikaze-Selbstfindungszirkel abgehalten hat, da musste ich präventiv Containerladungen von Gestagenen, Antiandrogenen, Neuroleptika und serotonergen Antidepressiva liefern lassen. Das Zeug gab es dann zum Frühstück als Brotaufstrich, an Stelle von Brombeermarmelade, oder mittags als Leckerli im Pichelsteiner, als Ersatz für Frankfurter Würstchen ... „

    „... ich weiß, Herr Biel, und trotzdem haben die Hausbewohner sich wie brünstige Bonobos aufgeführt und haben ihre Zungen oder Schlimmeres zum Gitter rausgehängt ...„

    „... genau! Genau so wars."

    Herr Biel hat ein überschaubares Verständnis für mörderische Perverslinge jeglicher Art, Herr Biel ist altmodisch, Herr Biel ist da ohne jede Phantasie, Herr Biel hat eine vereinfachte, deswegen leicht verständliche Denkweise. Verbrecher gehören eingesperrt.

    Herr Biel hat auch ein überschaubares Verständnis für Psychiater, Herr Biel hat schlechte Erfahrungen gemacht, Herr Biel kommt da schnell zu einer ultimativen Einschätzung. Psychiater gehören alle auf die Couch.

    Aber sonst ist Herr Biel sehr nett und ich bin immer noch schwer verliebt in ihn.

    „Was war denn so furchtbar, Elli?" fragt er.

    Ich beginne zu erzählen und Herrn Biels Augen werden größer und sein Blick entsetzter.

    „Und?, frage ich. „Was meinst du, Herr Biel?

    „So Schweine sollte man totschlagen! Aber ...", schimpft Herr Biel.

    „Genau, sag ich doch! Wieso aber?" Ein Aber bei Herrn Biel verheißt nichts Gutes.

    „Aber ein Schwein totschlagen, weil es einen Hund totgeschlagen hat? Ich meine, das wäre vorsätzliche Tötung, Strafbestand Mord mit Todesfolge oder grob fahrlässig mit Inkaufnehmen des Schweins, dass es hin ist und würde ..." Herr Biel verknotet sich seine Zunge. Wie er den Knoten wieder aufbringt, das wird spannend.

    „Herr Biel?"

    „Ich meine ja nur. Wer so was macht, ist nicht ganz dicht."

    „Wer ist nicht ganz dicht? Das Schwein oder der, der das Schwein, das den Hund gemetzelt hat, totschlägt?"

    Herr Biel kaut mächtig an meinem Satz herum. Er beißt sich schier in den Knoten in seiner Zunge. „Okay, dicht oder nicht dicht, Schwein oder Hund, so was macht man nicht." Herr Biel ist auf der verzweifelten Suche nach den richtigen Worten.

    „Und weiter. Ich höre."

    „Wie soll ich es sagen, Elli, aber es ist nur ein Hund. Da draußen läuft ein durchgedrehter Spinner rum, der mit Hunden nicht viel anfangen kann. Der dann überreagiert, weil ihn so ein Tier anpisst oder anbellt."

    Ich sehe Herrn Biel an und er windet sich unter meinem Blick wie ein Hund, der eben auf den neuen Flokati im Schlafzimmer geschissen hat.

    „Ich höre."

    „Elli, ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll, dass du nicht unsere frisch erblühte liebevolle Beziehung als erledigt abhakst und in den Ausgangskorb legst. Weißt du, ich mag Hunde, ich liebe Hunde, ich vergöttere Hunde in all ihren rassischen Ausformungen. Ich hätte gerne einen Hund, ich habe nur keinen Hund, weil ich keinen Hund habe." Herr Biel gerät ins Schleudern.

    „Ich höre." Ich liebe mich, wenn ich gnadenlos bin.

    „Ich meine, es gibt Schlimmeres wie einen Hund weniger. Viel Schlimmeres! Heute früh, nur als Beispiel dafür, womit man mir den Tag versüßt, bekam ich frische Ware ins Zuchthaus geliefert. Übel, ganz übel. Ein Mann. Die reine Unschuld, wenn du ihn siehst. Aber dann lese mal sein Verhörprotokoll, da wird dein Langmut auf eine extreme Probe gestellt. Wenn du die Aussage von dem liest, dann kommt dir dein Hundeerlebnis vor wie eine Episode aus Pippi Langstrumpfs Taka Tuka Land.

    Da steht es schwarz auf weiß. Der Typ ist aufgestanden, mit dem linken Fuß zuerst, sofort stinksauer, ist ja klar, und nahm sich vor: heute bring ich mein geliebtes Eheweib um. Erzählte der wortwörtlich genau so, ohne mit der Wimper zu zucken. Bis dass der Tod uns scheidet, dass ich nicht lache, dachte er sich, da helfe ich nach, soll ich bis in alle Ewigkeit warten, dass der Heini mit der Sense an der Tür klingelt, da scheide ich doch lieber selber, was du heute kannst besorgen, das verscheide nicht auf Morgen. Und dann ging der Typ, der verkorkste, noch im Schlafanzug in die Garage und holte sich passendes Werkzeug: eine Eisenraspel gröbster Körnung und einen kräftigen Hammer, einen Fäustel. In der Küche, wo ihm seine In-guten-wie-in-schlechten Zeiten-Gattin das Frühstücksei zum abertausendsten Mal zu hart kochte, sagte er dann schelmisch, schau mir in die Augen, Kleines!

    Sie strahlte mich an, hat er ausgesagt, fand meine Freundlichkeit ungewöhnlich, überraschend und deshalb höchst beunruhigend, aber die blöde Kuh dachte sich wahrscheinlich, vielleicht wird ab heute alles anders.

    Wurde es auch, denn er zog ihr mit dem Fäustel eine über den Schädel, dass es nur so krachte und knackte im Oberstübchen und vom Gehirn nur glitschige Pampe übrigblieb und raspelte ihr mit der Eisenraspel die Visage weg. Als Grund gibt er lächelnd an, weil ich diese Visage jetzt schon seit 25 Jahren sehe und die hängt mir so was von zum Hals raus. Ich konnte ihre Fresse einfach nicht mehr sehen. Originalton. So hat er es zu Protokoll gegeben.

    Dann dekorierte er den liebevoll gedeckten Frühstückstisch um, fegte unwirsch das zu Stein gekochte Ei, die Marmelade, die Wurstplatte, den Tee runter vom Tisch in irgendeine Ecke und die Blümchenvase mit dem Grünzeug hinterher. Er ging an den Herd, briet sich in der einen Pfanne Speck aus, in die andere haute er sich sechs Eier. Spiegel- eier machte er sich, und zwar so, wie sie gehören, schön schlotzig und dass das Fett spritzte und den ganzen Herd versaute, war ihm scheiß- egal. Dann machte er sich ein Bier auf, hockte sich mit den Eiern so wie Eier gehören an den müllbereinigten Tisch und widmete sich in der Zeitung den grausigen Schlagzeilen des Tages. Sagt dann noch, dass er den Mist nicht lange lesen kann, weil soviel Schlechtigkeit in der Welt ist. Das hält doch keiner aus."

    Herr Biel macht eine hilfreiche Pause, damit ich kurz durchschnaufen kann. Er blickt mir treuherzig in die Augen und, damit wir bei den Hunden bleiben: Wie ein Bernhardiner, der eben einem Lawinenopfer aus seinem Rumfässchen einen ordentlichen Schluck spendiert.

    „Ich hab jeden Tag von früh bis spät mit unfassbarem menschlichen Wahnsinn zu tun, fährt Herr Biel fort, „da bleibt mir keine Zeit, mich mit Tierquälerei zu beschäftigen. Das mit dem Hund ist abscheulich und fies, extrem fies und gemein. Aber, sind wir doch mal ehrlich, unterm Strich ist es ein Hund weniger.

    Ich spüre, dass es Herrn Biel sichtlich Mühe gemacht hat, nicht unterm Strich ist es nur ein Hund weniger gesagt zu haben.

    Herr Biel spürt auch was. Herr Biel spürt, dass ich sauer werde. Herr Biel reagiert sofort.

    „So Schweine sollte man totschlagen!, entrüstet er sich. „Genau, sag ich doch! Herr Biel hat endlich kapiert. „So Schweine hätten doch eine Katze nehmen können."

    Herr Biel zuckt zusammen, als hätte ich ihm rostige Nägel in seine Ohren getrieben. Dabei bohrt er sich bloß mit den Fingern in seinen Lauschern herum, auf der Suche nach Gehör. „Elli, das ist lustig. Ich habe gerade verstanden, so Schweine hätten doch eine Katze nehmen können."

    Ich weiß nicht gleich, was er will. Sein Getue mit seinen Ohren, was soll das? Ich sag es ihm nochmal, laut und klar, verständlich für Schwerhörige, Langsamversteher und Herrn Biel: „Eine Katze hätten die nehmen sollen. Von diesen Mistviechern laufen doch genug herum, eine Katze mehr oder weniger, was macht das schon. Ein Katze an die Wand nageln, das ist doch wie ein gutes Werk tun, jeden Tag eine gute Tat." Ich denke, das ist deutlich genug und auch für Herrn Biel zu verstehen.

    Herr Biel sieht mich an und sucht nach dem verborgenen Witz hinter meinen Worten. Herr Biel findet nichts. Seine Gesicht gerät in Schräglage. „Elli ..."

    „Ich mag Katzen nicht, gebe ich Herrn Biel zur Kenntnis. „Ich hasse Katzen, schiebe ich hinterher. Ich kuschle mich in seine Arme und beginne wohlig zu schnurren.

    3

    Am Tierheim

    Am nächsten Morgen stehe ich frühmorgens nach schlecht durchschlafener Nacht vor den Pforten des Tierheims. Der Tatort ist gottseidank gereinigt, alle Spuren des grässlichen Vorfalls beseitigt. Das Tierheim öffnet erst um 9.00 Uhr, die Viecher sind Langschläfer. Ich läute Sturm, habe keine Lust, mir die Beine in den Bauch zu stehen. Ein unglaubliches Gekläffe und Gebelle setzt ein, das müssen tausende Hunde sein, die da auf Abholung oder die End- und Erlösung mittels Spritze warten.

    Wenn nur die Hälfte der inhaftierten Kläffer da drinnen an einer Leitplanke zwischen Helgoland und Salzburg angebunden und vergessen wurde, gab es sicher kaum noch Lücken. Warum müssen die Leute sich aber auch Hunde anschaffen und dann noch in Urlaub fahren. Buchen auf einem Bauernhof in der Steiermark Buttermilch, Speck, Rindviecher, Jodeln und Kuhfladen an den Tretern, alles inklusive, alles sündhaft teuer. Weil die Ösis wissen, wie sie den Landliebe-Piefkes die schwer verdienten Euros aus der Tasche ziehen. Hunde müssen leider draußen bleiben, da geht nichts mehr am Bauernhof, da gibt es schon genug Streichelgetier. Das geliebte Haustier in eine Pflege stellegeben geht auch nicht, weil das Geld für die Pflegestelle schon für die Pflegestelle der Oma draufgeht. Da ist es doch naheliegend, dass man Putzi erst mal einpackt und an irgendeinem Rastplatz wieder entpackt. Der Nachbarschaft sagt man, dass Putzi beim Bergwandern in eine Schlucht gefallen, in einem Gebirgsbach ersoffen oder von einer Reisegruppe Japanern in Flip-Flops totgetrampelt worden ist. Ein paar Tränchen aus den Augen gequetscht, dann passt alles. Man ist glaubwürdig in seiner Trauer und wird in den Arm genommen und getröstet. Im nächsten Urlaub geht es vielleicht nach Ungarn oder Bulgarien. Da ist es billiger und die haben den Dreh mit den Euros noch nicht so raus wie die Ösis. Da holt man sich dann wieder einen Hund für zu Hause, am besten einen armen, flohzerfressenen Straßenköter, je räudiger, desto besser. Die ungarischen und bulgarischen Hundchen führen so ein erbärmliches Leben, dass es einen derbarmt und das schlechte Gewissen ist auch beruhigt. Wegen dem Putzi im letzten Jahr. Das war schon traurig, dass man den am Biebelrieder Dreieck hat anbinden müssen. Und wenn es im nächsten Jahr zu den türkischen Freunden und Mitbürgern nach Antalya geht, da wird sich schon eine Lösung finden, wohin mit dem geliebten Köter. Notfalls muss man Putzi den Zweiten halt über Ungarn oder Bulgarien aus dem Flugzeug schmeißen.

    Jäh werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Am Gitter tut es einen mächtigen Schlag und ich sehe mich Auge in Auge mit einem Monster, einem riesigen, massigen Fleischbrocken auf vier Beinen, wahrlich eine furchteinflößende Erscheinung. Wobei furchteinflößend eine feine Untertreibung ist. Was für ein gewaltiger Schädel, hauptsächlich Zähne. Ein Hundeliebhaber, furchtlos oder verrückt, wahrscheinlich beides, würde sagen, dass dieses Gebiss auf vier Beinen mich anlächelt.

    Ich sage nichts, ich frage: „Beißt der?". Frage ich den Mann, der eben erscheint und dem blutgierigen Riesen einen Tritt in den Arsch gibt.

    „Ey, Pupsi, hau ab, du erschreckst das Mädel."

    Pupsi ist ungeheuer unbeeindruckt von dem Tritt in seinen Arsch und fletscht fröhlich weiter seine Beißer, der Sabber rinnt ihm aus dem Schlund und irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich auf den Moment freut, in dem der Mann die Türe öffnet. Früüühhstüück. Es gibt Elli am Stück, lecker.

    „Der mag sie, ey", kommentiert der Mann, der mich Mädel genannt hat, ungerührt Pupsis Begeisterung.

    „Mag der mich als komplette Mahlzeit oder nur als Häppchen zwischendurch?", frage ich und überlege, ob mir noch die Zeit bleibt, mich von meinen Lieben zu verabschieden, denn wenn die Türe aufgeht und dieses Tier mich begrüßt, braucht es nur ein Schnäppchen und alles, was von mir für die Nachwelt übrigbleibt, ist ein zufriedenes Bäuerchen von Pupsi.

    „Ey, Mädel, mehr als fressen kann der dich nicht, ey, cool", grinst der Mann.

    Den ich mir jetzt genauer anschauen will. Ich stehe vor dem Tor, Auge in Auge mit Pupsi, und verbrauche meine ganze Energie, um mir nicht vor Angst in die Hosen zu machen. Den Kopf abzuwenden ist von den anstehenden Aufgaben eine der schwierigeren, Karnickel vor der Schlange, kennt man vom Fernsehen. Hocken vor dem züngelnden Giftspritzer oder Würger und können ihren stummeligen Arsch nicht mehr rühren. Genau so ist es bei mir. Bis auf den Arsch, der ist alles andere als stummelig. Der ist die wahre Pracht, ein eyecatcher par excellence. Für das gemeine Volk mit Grundschulabschluss und abgebrochener Lehre: ein Hingucker vom Feinsten.

    Aber jetzt gilt es. Ich höre nicht auf, Pupsis bedrohlich spitze Zähne zu zählen, den Duft zu inhalieren, den er mir aus seinem Höllenloch von aufgerissenem Maul entgegen hechelt, schaue mir aber zeitgleich, multitasking, bin ja eine Frau, den Mann an, der mich Mädel genannt hat. An sich ja nett. Mädel klingt besser als Tussi, Schnepfe, Schnitte, oder, weil wir ja vorm Tierheim stehen, Mäuschen, Schnecke oder Mieze. Das Hinschauen hätte ich besser bleiben lassen, ich hätte mich wohl besser dem im direkten Vergleich friedlichen uns so vertrauenerweckenden Anblick von Pupsi gewidmet.

    Ich habe grundsätzlich nichts gegen Tätowierungen. Will heißen, dass es mir scheißegal ist, wie die Leute ihre Körper optisch zumüllen, aber! Ich für meine Person mag Tätowierungen nicht! Mein Astralleib ist tattoofreie Zone, mein wundervoller Körper ist makellos. Ich muss nicht mit einem keltischen Druiden-Arschgeweih von einem Schwabbelhintern ablenken, ich muss mir nicht den Namen von dem Bubi, der mir die Unschuld geraubt hat, in SS-Runen auf den Venushügel nadeln lassen. Ich war vierzehn und ich dachte, es ist höchste Zeit, dass da unten Verkehrsbehinderungen weggeräumt werden. Ich brauche auch keine Rosen, Schmetterlinge oder Koi-Karpfen auf meinen 1 A Möpsen, die sind sich selbst Zierde genug. Ich muss mir keine Orangen auf die Oberschenkel stanzen, damit die Cellulite wie gemalt aussieht. Meine Oberschenkel sind von straffer, strammer Qualität. Ich muss auch keine Botschaften an die Welt auf mir verewigen, dass ich Miracoli total geil finde oder E = mc² für einen Geschmacksverstärker in WC-Steinen halte. Ich gehöre auch nicht zu den Schlampen, die die Innenseiten ihrer Schamlippen mit einer bebilderten Navigationshilfe versehen, damit der Lover, so denn er lesen kann, sich auf der Suche nach dem G-Punkt nicht verirrt oder die falsche Einfahrt nimmt.

    Aber der Typ, der mich gerade Mädel genannt hat, ist nicht nur tätowiert, der ist total tätowiert. Total tätowiert heißt, dass der keine Stelle an seinem Schädel hat, die nicht verziert ist. Ich will mir nicht vorstellen, wie sein Restkörper aussieht. Er blinzelt mir zu und ich sehe, dass er sich das Weiße in den Augen hat tätowieren lassen. In schwarz! Es sieht aus, als hätte er schwarze Löcher im Kopf. Das hat schon was, wenn ein Kerl dich mit seinen schwarzen Löchern im Kopf anfunkelt und gleichzeitig einer blutgierigen geifernden Fressmaschine in die Eier tritt und hau endlich ab du Scheißköter sagt. Das bringt einen schon zum Nachdenken, ob die Entscheidung, hier im Tierheim vorstellig zu werden, eine gute ist. Aber nun bin ich schon mal hier und spreche mir Mut zu. Sollte die Reise meines Lebens hier ein Ende finden, Schicksal! Es bleibt auch nicht einmal mehr die Zeit für ein Stoßgebet, denn das tätowierte Mensch öffnet die Gittertür und in einer Geschwindigkeit, die man so einem grauen Ungetüm nicht zutrauen würde, fällt selbiges über mich her und beginnt mich abzuschlecken, was sich anfühlt, als würde mir einer einen nassen Frottee-Bademantel über das Gesicht ziehen. So was von eklig, das brauche ich nicht.

    „Kannst du mal dieses Tier von mir entfernen", keuche ich. Hört sich unter dem Wischmop von Zunge an, als würde ich unter Wasser furzen.

    Das tätowierte Mensch versteht trotzdem, packt dieses Tier, zerrt es von mir weg und strahlt mich begeistert an. „Ey, der mag dich, Mädel, der mag dich echt, krass, ey, ist doch so, oder."

    „Da bin ich aber froh, meine ich und kontrolliere in meinem Gesicht, ob noch alles an Ort und Stelle ist, Nase und so weiter. „Was wäre denn gewesen, wenn der mich nicht gemocht hätte, der Pupsi? Hätte er mir dann die Schädeldecke aufgeknackt und mein Gehirn geschlabbert?

    „Ey Mädel, lacht das tätowierte Mensch und seine Augen glänzen wie feuchte Kohlen, „ich mag dich auch, krass cool du, ey! Ich bin der Garp Kropp, ey, aber, du, sag nicht Charly zu mir.

    Garp Kropp heißt das tätowierte Mensch. Normal ist das eigentlich nicht, Franz Huber oder Michael Müller wäre normaler. Ich habe mich jetzt an die schwarzen Löcher gewöhnt und schaue mir Garp Kropp sag nicht Charly zu mir genauer an.

    Ich habe nichts gegen Piercings. Will heißen, dass es mir scheißegal ist, wie die Leute ihre Körper mit Metall zuschrotten. Aber! Ich für meine Person mag Piercings nicht! Mein Astralleib ist piercingfreie Zone. Warum soll ich mir mein süßes Näschen mit glänzigen Steckern zupflanzen und einen Nasenring durchziehen. Damit es aussieht, als hinge mir Rotz aus der Schnute? Ist das der Sinn? Ist es schick, sich die Ohren mit Stäben, Scheiben, Plättchen auf doppelte Größe aufzuplustern? Höre ich dann besser oder habe ich einfach nur eiserne Lauscher? Oder soll ich mir Ringe mit Glöckchen dran an die Lippen im Tiefgeschoß tackern, damit es beim Schnacksein Jingle Bells bimmelt?

    Das tätowierte Mensch, das Garp Kropp sag nicht Charly zu mir heißt und mich Mädel nennt, ist so mit Schwermetall behängt, dass der Leichenbestatter nach das Garp Kropp seiner Beerdigung ein lukratives Zweitgeschäft als Alteisenhändler aufmachen kann. Vielleicht wird das tätowierte Mensch auch nicht im Sarg zur letzten Ruhe gebettet, sondern kommt in die Schrottpresse.

    „Ey, Garp Kropp, lächle ich ihn an, „hast dir deine Tattoos festnageln müssen, oder? Hast Angst, dass sie der Wind davonweht.

    „Ey, strahlt das vernagelte tätowierte Mensch, „Mädel, bist echt ne krasse Braut. Festnageln, cool. Aber Spaß beiseite, was willst du eigentlich, ey? Suchst nen Hund, nen Hund suchst du, ist doch so, oder?

    „Nee, bin von der Zeitung. Wegen gestern, wegen... „

    „... der Sache am Tor, ey, krass, oder?"

    „Schon, ja. Schon krass. Kann ich dir da ein paar Fragen stellen?"

    „Klar, ey, Fragen. Immer rein in die gute Stube, immer rein zu den Mistviechern, ey, ist doch so, oder."

    Ich gehe rein und das tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir schließt die Tür hinter mir. Dann geht er los Richtung Türe, auf der Büro steht. Ich laufe hinterher, so gut es eben geht, das Laufen. Mit der feuchten Sabberschnauze von Pupsi im Schritt und am Hintern ist nicht gut laufen.

    „Ey, Tee oder was, was anderes, Wasser? Magst du was, Mädel?" Das tätowierte Mensch Garp Kropp versucht sich als Gastgeber.

    „Tee hört sich gut an, aber bitte nicht Kamille oder Pfefferminze. Schwarz auch nicht. Bei Tee bin ich wählerisch. „Grünen, wenn es dir nichts ausmacht.

    „Ey, also ein Wasser, oder. Garp Kropp nimmt ein Glas, füllt es mit Leitungswasser und stellt es vor mich hin. „Ey, du willst wahrscheinlich wissen, ob ich da gestern, krasse Scheiße war das, ob ich da was mitgekriegt habe, wer das war und so. Scheiße Mann, voll abgefahren, aber cool, oder, ist doch so, ey.

    „Wieso cool? Findest du das etwa toll, was da passiert ist?"

    „Ey, claro! Hätts nicht besser machen können. Darf aber so ein Ding, ey, geht voll nicht, so was, Job und so."

    Langsam gewöhne ich mich an die Sprache von das tätowierte gepiercte Garp Kropp sag nicht Charly zu mir. Ich komme ja als Reporterin berufsbedingt mit vielen Menschen ins Gespräch, da sind mir die Niederungen der Ausdrucksweise nicht fremd, die sind eher die Norm. Wenn du mal auf jemanden triffst, der sich in ganzen Sätzen verständlich ausdrücken kann, dann ist das eher exotisch. In der Regel hauen dir die Leute Satz- und Wortfetzen um die Ohren, dass es nur so rauscht. Die brauchst du nur noch zusammensetzen, fertig. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Ist wie ein Puzzle mit 50.000 Teilen ohne Vorlage.

    „Du liebst Tiere und Typen, die so was machen, findest du zum Kotzen, hab ich das richtig verstanden", versuche ich einen erträglichen Sinn aus Garp Kropps Eys zu extrahieren.

    „Ey Mädel, hörst du mir nicht zu, oder was, du hörst mir nicht zu, ist doch so, oder? Pass mal auf, du, red ich hier damit der Mund auf ist, oder was? Gut, bist ne Frau, okay, zuhören Problem, aber pass mal auf du, für dich, zum Mitschreiben. Ich liebe Typen, die so was machen, aber, so Viecher, schon klar, ey, so Tiere find ich zum Kotzen, zum Kotzen sind die, oder!"

    Ich habe was an den Ohren, anders kann ich mir das nicht erklären, oder einen partiellen Gehirnausfall. Wenn im Oberstübchen ein paar Zellen streiken, kann die Wahrnehmung durchaus Schaden nehmen. Ich bin mir sicher, dass ich im Tierheim sitze und mit einem der Angestellten ein Gespräch führe. Soweit ist alles im grünen Bereich, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Angestellte, das gepiercte tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir eben meinte, dass er Tiere zum Kotzen findet. Stillschweigend gehe ich kurz noch mal in mich und schließe die Augen. Mal sehen, was passiert, wenn ich sie wieder aufmache.

    Nicht viel. Ich sitze immer noch im Tierheim. Mir gegenüber sitzt immer noch das gepiercte tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir, das Mensch, das Tiere zum Kotzen findet, aber im Tierheim als Tierpfleger arbeitet. Neben ihm sitzt entspannt das graue Riesenvieh. Es hat seine feuchte Nase nicht mehr in meinem Schritt, da ist geruchstechnisch nicht mehr viel zu holen, mein Schritt ist geruchsneutral, der ist leergeschnuppert. Das Mensch und das monströse Hund beobachten mich gelangweilt. Ob das monströse Hund weiß, dass das gepiercte tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir Tiere zum Kotzen findet?

    „Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe, Garp Kropp, bin ein, ey, du weißt schon, bin nur ein Mädel und klar, als Mädel verlier ich schon mal den Faden nach mehr als drei Wörtern. Verdammt, jetzt rede ich schon wie das. „Hast du eben gesagt, dass du, ey, Tiere zum Kotzen findest? Ich bin gespannt auf das seine Antwort.

    „Ey, voll zum Kotzen, claro, du Schnellcheckerin."

    „Soweit ist das bei mir angekommen. Aber sag mir eins, Garp Kropp. Warum in aller Welt arbeitest du dann in einem Tierheim, wenn du Tiere nicht ab kannst?"

    Das gepiercte tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir spielt verlegen an seinem Nasenring rum. Ich und das graue Riesentier, das angeblich ein Hund ist, schauen ihn erwartungsvoll und neugierig an.

    Das Mensch murmelt etwas.

    Ich und das Monster sagen wie aus einem Mund beziehungsweise Maul: „Hä?"

    „Ey, auf Bewährung", nuschelt das gepiercte tätowierte Mensch Garp Kropp sag nicht Charly zu mir.

    Eggenkoflers Rede im Gemeindesaal Moosampfing

    Das geplante Tätowier- und Piercing-Studio

    Verehrter Bürgermeister Pichler, liebe Parteifreunde, Grüß Gott liebe Moosampfinger,

    du als Bürgermeister lieber Xaver, weißt am Besten, was für einen Grant man kriegen könnte,

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