Einführung in das juristische Denken
By Karl Engisch, Thomas Würtenberger and Dirk Otto
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Book preview
Einführung in das juristische Denken - Karl Engisch
Band 20
Karl Engisch
Einführung in das juristische Denken
Zwölfte, aktualisierte Auflage
herausgegeben und bearbeitet von Prof. Dr. Thomas Würtenberger und Dr. Dirk Otto
Verlag W. Kohlhammer
Zwölfte, aktualisierte Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlag: hace
Print:
ISBN 978-3-17-035180-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-035181-3
epub: ISBN 978-3-17-035182-0
mobi: ISBN 978-3-17-035183-7
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Die 1956 erstmals erschienene »Einführung in das juristische Denken« von Karl Engisch gehört mittlerweile zu den »Klassikern« der rechtswissenschaftlichen Literatur. In acht Kapiteln werden vor allem Grundsatzfragen der Methodenlehre, aber auch der Rechtsphilosophie in Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen des zwanzigsten Jahrhunderts abgehandelt. Zielsetzung dieses Buches ist es, dem Rechtsstudenten wie auch dem interessierten Laien die geheimnisvolle und bisweilen suspekte Logik und Methodik des juristischen Denkens nahezubringen.
Prof. Dr. Thomas Würtenberger, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg; Dr. Dirk Otto, Promotion und Publikationen im Bereich der Staatsphilosophie.
Inhalt
Vorwort zur zwölften Auflage
Vorwort zur neunten Auflage
Aus dem Vorwort zur siebten Auflage
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Kapitel I Einleitung
Kapitel II Über Sinn und Struktur des Rechtssatzes
Kapitel III Die Gewinnung konkreter juristischer Urteile aus dem Rechtssatz, insbesondere das Problem der Subsumtion
Kapitel IV Die Gewinnung abstrakter juristischer Urteile aus den Rechtssätzen.Auslegung und Verstehen der Rechtssätze
Kapitel V Auslegung und Verstehen der Rechtssätze, Fortsetzung: Gesetzgeber oder Gesetz?
Kapitel VI Juristenrecht. Unbestimmte Rechtsbegriffe, normative Begriffe, Ermessen, Generalklauseln
Kapitel VII Juristenrecht, Fortsetzung: Lückenergänzung und Berichtigung fehlerhaften Rechts
Kapitel VIII Vom Gesetz zum Recht, von der Jurisprudenz zur Rechtsphilosophie
Nachwort Zu Leben und Werk von Karl Engisch
Personenregister
Sachregister
Vorwort zur zwölften Auflage
In der zwölften Auflage wurde den zahlreichen Neuerungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur Rechnung getragen. Im Übrigen blieb der bereits klassisch gewordene Text des Bandes unverändert.
Freiburg, Februar 2018 Thomas Würtenberger
Dirk Otto
Vorwort zur neunten Auflage
Karl Engischs »Einführung in das juristische Denken« ist ein Klassiker der juristischen Methodenlehre, der Generationen von Juristen begleitet hat. Seit dem Erscheinen der ersten Auflage 1956 wurde dieses Buch ständig aktualisiert, wobei aber der eigentliche Text in der Substanz unverändert blieb. Nach dem Tode von Karl Engisch im Jahre 1990 stellte sich die Aufgabe, das seit 1977 nicht mehr neu bearbeitete Werk dem heutigen Stand von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Theorie anzupassen. Da der Darstellungsteil im wesentlichen als zeitlos und klassisch gelten kann, wurden hier bewußt nur wenige behutsame Eingriffe vorgenommen, die der aktuellen Gesetzeslage Rechnung tragen; lediglich im Abschnitt zum »Ermessen« bestand eine besondere Notwendigkeit zur Aktualisierung. Beträchtliche Änderungen waren jedoch in dem seit sieben Auflagen stark angewachsenen Anmerkungsteil erforderlich. Dessen Gesamtumfang wurde erheblich reduziert, um den Anmerkungsapparat zu straffen und neuen Hinweisen Raum zu geben; was Engischs zahlreiche Angaben zur älteren Literatur betrifft, so sei der interessierte Leser auf die 8. Auflage von 1983 verwiesen. Zur Vermeidung lästigen Nachschlagens wurden die bisher am Schluß des Buches stehenden Anmerkungen direkt unter den Text gesetzt. Desweiteren wurde der Band um ein Personen- und ein Literaturverzeichnis ergänzt. Die Ausgabe beschließt ein Nachwort zu Leben und Werk von Karl Engisch.
Freiburg, Juni 1996 Thomas Würtenberger
Dirk Otto
Aus dem Vorwort zur siebten Auflage
Eine »Einführung in das juristische Denken« verfolgt andere Ziele als eine »Einführung in die Rechtswissenschaft«, die üblicherweise den Leser nicht nur an die Methoden des juristischen Denkens, sondern auch an das Recht selbst und seine einzelnen Sachgebiete heranführt. In dem hier vorgelegten Buche handelt es sich aber gerade darum, dem Rechtsstudenten und womöglich auch dem interessierten Laien ein wenig die geheimnisvolle und verdächtige Logik und Methodik des juristischen Denkens nahezubringen – unter Beschränkung übrigens auf die zentralen Probleme der Rechtsfindung, unter Absehen also von den Leistungen der »höheren« Dogmatik, wie z. B. der juristischen Konstruktion und Systembildung. Nur unter diesem Gesichtswinkel sind die in die Darstellung einbezogenen sachlichen Rechtsprobleme behandelt. Welche Aufgaben nun der juristischen Logik und Methodenlehre gestellt sind, habe ich näher in der Zeitschrift »Studium generale« 1959, S. 76 ff., dargelegt. Ich hebe jetzt nur folgendes hervor: Die juristische Logik ist eine materiale Logik, die auf der Grundlage und im Rahmen der formalen Logik einerseits und im Verein mit der speziellen juristischen Methodenlehre andererseits zeigen soll, wie man zu »wahren« oder »richtigen« oder wenigstens »vertretbaren« Urteilen in rechtlichen Dingen gelangt. Eine so verstandene juristische Logik und Methodik ist keine »Technik«, die Kunstgriffe lehrt, mit deren Hilfe man dem Rechtsbeflissenen gestellte Denkaufgaben möglichst leicht bewältigt. Sie ist auch nicht Psychologie oder Soziologie der Rechtsfindung, die untersucht, wie man im praktischen Alltag de facto bei der Gewinnung juristischer Ansichten verfährt. Sie ist vielmehr Reflexion auf den nicht leicht zu durchschauenden sachgerechten juristischen Erkenntnisprozeß. Sie strebt nach dem Ziel, (in den Grenzen des menschlicher Erkenntnis Vergönnten) »Wahrheit« zu finden und wohlbegründete Urteile zu fällen.
Juli 1977 Karl Engisch
Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Kapitel I
Einleitung
Scire leges non hoc est verba earum
tenere, sed vim ac potestatem
Celsus, Digesten 1, 3, 17
Wer sich anschickt, die Rechtswissenschaft und das juristische Denken dem Anfänger oder dem Laien näherzubringen, sieht sich dabei im Vergleich mit anderen Wissenschaften mancherlei Hemmnissen und Anzweiflungen ausgesetzt¹. Blickt der Jurist im Kreise der Geistes- und Kulturwissenschaften, denen die Rechtswissenschaft zugezählt wird, um sich, so muss er mit Neid und Beklemmung feststellen, dass die meisten von ihnen extra muros mit sehr viel mehr Interesse, Verständnis und Vertrauen rechnen dürfen als gerade seine Wissenschaft. Zumal die Wissenschaften von der Sprache, der Literatur, der Kunst, der Musik und der Religion faszinieren den bildungsbeflissenen Laien in ganz anderem Maße als die sachlich und auch methodologisch nahe verwandte Wissenschaft vom Recht. Man wird ohne viel Besinnen ein archäologisches oder literarhistorisches Buch auf den Geschenktisch legen, kaum je aber ein juristisches Buch, mag dieses auch an das Wissen des Lesers keine besonderen Anforderungen stellen. Die üblichen Einführungen in die Rechtswissenschaft scheinen mit seltenen Ausnahmen nur dem angehenden Juristen, nicht aber dem Laien etwas zu bieten. Wie oft findet man wohl auch in der Bibliothek des Nichtjuristen ein Gesetzbuch?
Die Gründe für diese Interesselosigkeit des Laien am Recht und an der Rechtswissenschaft sind leicht aufzudecken. Und doch handelt es sich hier um etwas sehr Seltsames. Geht doch kaum ein anderes Kulturgebiet den Menschen näher an als das Recht. So gibt es Menschen, die ohne lebendige Beziehung zur Dichtung, zur Kunst, zur Musik leben können und leben. Aber es gibt keinen Menschen, der nicht unter dem Recht lebt und ständig von ihm berührt und gelenkt ist. Der Mensch wird innerhalb der Gemeinschaft geboren und großgezogen und – von abnormen Fällen abgesehen – niemals aus der Gemeinschaft entlassen. Das Recht aber ist Wesenselement der Gemeinschaft. Es geht uns daher unvermeidlich an. Auch steht der Grundwert, an dem es sich ausrichten soll: das Gerechte, nicht zurück hinter den Werten des Schönen, des Guten und des Heiligen. Ein gerechtes Recht »gehört zum Sinn der Welt«². Warum dennoch so wenig Aufgeschlossenheit für Recht und Jurisprudenz?
Nun wird man einwenden, Recht und Rechtswissenschaft seien zweierlei, verdächtig sei dem Laien nur die Letztere. Aber abgesehen davon, dass sich der Laie auch um das Recht nur insoweit kümmert, als dies praktisches Gebot ist, Recht und Rechtswissenschaft sind