Gib nicht auf, Leona!: Die Klinik am See 27 – Arztroman
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Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Während in der Manege des Zirkus CORVALLI die beiden Clowns ihre letzten humorvollen Faxen trieben, machte sich Leona Pasquale für ihren Auftritt als Kunstreiterin bereit. In wenigen Minuten war sie an der Reihe. Der schwarze Hengst, auf dessen Rücken sie dem Publikum ihre Kunststücke vorführte, stand neben ihr. Einer der Stallburschen hielt das Pferd fest, das an diesem Abend ausgesprochen nervös zu sein schien.»Was hat er nur?« fragte Leona und ordnete zum wiederholten Male ihr kurzes Glitzerröckchen.Draußen in der Manege beendeten in diesem Augenblick die Clowns ihren Auftritt, und Beifall belohnte sie.»Du bist dran!« Der Direktor hastete vorbei und verschwand durch den breiten Vorhang, der die Manege vom Bereitstellungsgang trennte. Mit lauter Stimme kündigte er Leona an.Die sah sich suchend um. »Wo ist Julia?« fragte sie aufgeregt. Seit über einem Jahr schon war sie es gewohnt, sich Sekunden vor ihrem Auftritt, bevor sie sich auf das Pferd schwang, um in die Manege hineinzupreschen, sich von ihrer kleinen Tochter mit einem Kuß zu verabschieden. Diese jeweiligen Verabschiedungen sollten ihr Glück bringen, wie sie sich einredete. Bisher war es auch so gewesen, und ihre nicht ungefährlichen Kunststücke waren immer gut verlaufen. Die Frau des Direktors brachte die kleine Julia stets her.»Wo bleibt sie nur?« stieß Leona unwillig hervor.»Keine Ahnung«, entgegnete der Stallbursche und deutete auf den Hengst.
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Gib nicht auf, Leona! - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 27–
Gib nicht auf, Leona!
Du wirst gesund – und das Glück wartet auf dich
Britta Winckler
Während in der Manege des Zirkus CORVALLI die beiden Clowns ihre letzten humorvollen Faxen trieben, machte sich Leona Pasquale für ihren Auftritt als Kunstreiterin bereit. In wenigen Minuten war sie an der Reihe. Der schwarze Hengst, auf dessen Rücken sie dem Publikum ihre Kunststücke vorführte, stand neben ihr. Einer der Stallburschen hielt das Pferd fest, das an diesem Abend ausgesprochen nervös zu sein schien.
»Was hat er nur?« fragte Leona und ordnete zum wiederholten Male ihr kurzes Glitzerröckchen.
Draußen in der Manege beendeten in diesem Augenblick die Clowns ihren Auftritt, und Beifall belohnte sie.
»Du bist dran!« Der Direktor hastete vorbei und verschwand durch den breiten Vorhang, der die Manege vom Bereitstellungsgang trennte. Mit lauter Stimme kündigte er Leona an.
Die sah sich suchend um. »Wo ist Julia?« fragte sie aufgeregt. Seit über einem Jahr schon war sie es gewohnt, sich Sekunden vor ihrem Auftritt, bevor sie sich auf das Pferd schwang, um in die Manege hineinzupreschen, sich von ihrer kleinen Tochter mit einem Kuß zu verabschieden. Diese jeweiligen Verabschiedungen sollten ihr Glück bringen, wie sie sich einredete. Bisher war es auch so gewesen, und ihre nicht ungefährlichen Kunststücke waren immer gut verlaufen. Die Frau des Direktors brachte die kleine Julia stets her.
»Wo bleibt sie nur?« stieß Leona unwillig hervor.
»Keine Ahnung«, entgegnete der Stallbursche und deutete auf den Hengst. »Los, es wird Zeit«, rief er der Zirkusreiterin zu. »Rauf auf den Schwarzen!« Er hatte damit nicht unrecht, denn in diesem Augenblick intonierte die Zirkuskapelle den für den Einritt in die Manege vorgesehenen Reitermarsch.
Leona konnte nicht länger warten. Sie schwang sich auf das sattellose Pferd, sah sich noch einmal vergeblich nach ihrer kleinen Tochter um und ritt dann aber sofort im Halbgalopp in die Manege. Es störte sie, daß Julia nicht zur Stelle gewesen war. Doch schon in der nächsten Sekunde verdrängte sie die Gedanken an ihre Tochter und konzentrierte sich auf ihren Auftritt. Konzentration aber brauchte sie jetzt in vollem Maße. Jetzt war sie nur die Reiterin, die dem Publikum ihre Kunststücke vorzuführen hatte. Bruchteile von Sekunden dachte sie daran, daß dies die letzte Vorstellung hier in Rottach-Egern am Tegernsee war, denn schon in aller Frühe sollte der Zirkus CORVALLI weiterziehen – irgendwohin nach Tirol. Sie wußte es nicht genau, in welchem Ort das Zelt errichtet werden sollte. Es war ihr auch gleichgültig, denn für sie war es der letzte Auftritt. Vor einigen Tagen hatte sie die Nachricht von Peter erhalten, daß er sehr bald frei sein würde, daß sein Ziel, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, nun sehr bald erreicht sei. Sie hatten miteinander telefoniert, und er hatte versprochen, sie von Rottach-Egern abzuholen, sie und das gemeinsame Kind. Ein neues Leben sollte dann beginnen – ohne Zirkus und ohne waghalsige Reiterkunststückchen. Morgen schon. Im Hotel SPITZING in Rottach, in dem sie sich am Vormittag ein Zimmer gemietet hatte, wollte sie Peter erwarten. Dem Direktor und seiner Frau hatte sie noch nichts davon gesagt, daß sie aus dem Zirkus ausscheiden würde. Die beiden wußten nur, daß sie mit Julia zwei Tage in Rottach zu bleiben gedachte, um mit dem Vater ihrer Tochter zusammenzutreffen, und dann nachkommen würde. Daran dachte Leona natürlich nicht – an das Nachkommen. Das wollte sie den Corvallis schreiben.
Im doppelten Zeitraffertempo ging ihr das jetzt durch den Sinn, während sie ihre Kunststücke auf dem Rücken des durch das Manegenrund trabenden Pferdes ausführte. Plötzlich zuckte sie unmerklich zusammen. Sie kannte den Hengst und jede seiner Reaktionen. Doch in diesem Augenblick spürte sie eine Bewegung in ihm, die sie irritierte. »Hoch, Zerberus, ruhig, ganz ruhig!« rief sie dem Pferd leise zu und bereitete sich für den riskantesten Teil ihrer Vorführung vor – nämlich auf den Saltosprung durch einen brennenden Reifen, den einer der livrierten Zirkushelfer hochhielt. Hundertmal schon hatte sie diesen Sprung gemacht und war immer wieder präzise mit den Füßen auf dem Rücken des Pferdes aufgekommen. Trotzdem hatte sie die Angst vor diesem Sprung immer noch nicht vollkommen überwunden.
Da kam auch schon der brennende Reifen. Leona richtete sich auf dem Vorderteil des Pferderückens hoch und spannte ihre Muskeln an. Es kam jetzt auf den Bruchteil einer Sekunde an.
Die Zirkuskapelle ließ einen Trommelwirbel hören. Leona ging sprungbereit etwas in die Hocke. Jetzt, befahl sie sich, federte hoch, schlug den Salto durch den brennenden Reifen und – ihre Augen weiteten sich, als der Hengst, durch irgend etwas aus der ersten Reihe der Zuschauersitze erschreckt, vorn hochstieg und eine halbe Drehung nach rechts machte. Zu weiteren Überlegungen kam Leona nicht mehr. Sie landete nicht mit den Füßen auf dem Rücken des Pferdes, sondern stürzte am Pferdeleib vorbei auf den Manegengrund. Ein fürchterlicher Schmerz raste durch ihren Körper, als sie mit Kopf und Nacken aufschlug und ihr die Sinne schwanden. Im nächsten Augenblick spürte sie noch zwei, drei harte Stöße oder Schläge in ihrem Rücken. Daß das die Hinterhufe des herumwirbelnden erschreckten schwarzen Hengstes waren, konnte sie schon nicht mehr wahrnehmen, denn sie verlor in der gleichen Sekunde das Bewußtsein.
Den entsetzten Aufschrei des Publikums hörte sie nicht mehr, ebensowenig wie sie mitbekam, daß ihr Zerberus von zwei herbeigeeilten Stallburschen beruhigt und aus der Manege gebracht wurde.
*
Die Menschen unter dem Zirkuszelt waren aufgesprungen und starrten wie gelähmt in die Manege hinunter. Nur einer ließ sich von dem, was eben geschehen war, nicht lähmen, sondern handelte reaktionsschnell. Er rief dem neben ihm sitzenden etwa 4-5jährigen Mädchen hastig etwas zu und sprang in die Manege, hin zu der ein wenig verkrümmt daliegenden Kunstreiterin, um die sich außer dem Direktor noch ein paar Zirkusleute bemühten, ohne richtig zu wissen, was sie nun tun sollte.
»Tragen wir sie hinaus«, stieß einer hervor.
»Nein«, widersprach ein anderer. »Das könnte riskant sein, denn wir wissen ja nicht, was…«
»Richtig«, ergriff der Direktor die Initiative. »Erst muß ein Arzt her, Einen Arzt«, rief er lautstark.
»Schon hier – mein Name ist Hoff, ich bin Chirurg in der Klinik am See…«
»Gott sei Dank…«
»Gehen Sie bitte zur Seite!« fuhr Dr. Hoff die Zirkusleute an. Er hatte nicht gedacht, daß dieser Zirkusbesuch, den er seiner Tochter Viola versprochen hatte, so einen Verlauf nehmen würde. Er hatte Viola vorhin nur zugerufen, daß sie draußen am Kassenwagen auf ihn warten sollte. »Brechen Sie die Vorstellung ab!« verlangte er von dem Direktor.
Der nickte. »Es war ohnehin die letzte Nummer«, murmelte er und wandte sich lautstark an das Publikum. Nur ein paar Worte sprach er, brach dann aber gleich wieder ab, weil er sehen konnte, daß sich die meisten Besucher bereits auf dem Weg zum Zirkusausgang befanden – bis auf ein paar Sensationslüsterne.
Dr. Hoff kniete sich neben der Kunstreiterin nieder. Vorsichtig tastete er den jungen Frauenkörper ab. Seine Stirn umwölkte sich. Eine genaue Untersuchung hier in der Manege war unmöglich. Er wußte aber jetzt schon, daß die junge Frau schwer verletzt war – am Kopf, in der Nackengegend und am Rücken. »Verständigen Sie sofort die Rettung!« rief er dem Direktor befehlend zu. »Die Frau muß sofort in die Klinik.« Er sah auf die Uhr, und ihm wurde klar, daß er diesmal sicher sehr spät in der Nacht ins Bett kommen würde.
Der Direktor war schon weg, kam aber nach einer Minute wieder. »Der Rettungswagen ist schon unterwegs, Herr Doktor«, sagte er. »Ich habe Ihren Namen genannt. Man kannte Sie…«
Dr. Hoff erwiderte nichts darauf. Er forderte den Direktor nur auf, dem Rettungsarzt die persönlichen Papiere der Verletzten mitzugeben, und blieb bis zum Eintreffen der Rettung, die auch schon nach einigen Minuten zur Stelle war. Dem ihm bekannten Rettungsarzt gab er nur einige kurze Informationen und ein paar Anweisungen und wandte sich mit den Worten »In die Klinik am See also…« zum Gehen. Seine Tochter fand er tatsächlich wartend beim Kassenwagen.
»Ist sie tot?« kam es stockend und leise über die Lippen des Mädchens.
»Nein, Viola, aber sie ist sehr schlimm verletzt.« Dr. Hoff ging mit seiner Tochter zum Wagen.
»Mußt du jetzt noch in die Klinik, Vati?« fragte Viola und setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Ja, das muß ich«, erwiderte Dr. Hoff. »Zuerst aber fahre ich dich…« Er unterbrach sich und sah auf die Uhr. »Nein, ich fahre