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Ein Seemann von Welt: Roman
Ein Seemann von Welt: Roman
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Ein Seemann von Welt: Roman

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Der satirische Hochseekrimi von P. Howard (i. e. Jenö Rejtö, 1905-1943) ist eine groteske Geschichte voller Verwicklungen und überraschender Wendungen. Die "Honolulu Star" befindet sich auf Fahrt nach Singapur. An Bord verdingt sich der Gangster Jimmy Reeperbahn als Kellner und treibt seinen Schabernack mit den Passagieren: Mit Morphium versetzt er die Leute an Bord in den Tiefschlaf. Da aber geschieht ein Mord: Mr. Gould, der Vormund des vornehmen Mr. Irving, wird mit einer Hutnadel erdolcht. Doch wer ist der Mörder?
LanguageDeutsch
Release dateSep 4, 2018
ISBN9783941184893
Ein Seemann von Welt: Roman

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    Ein Seemann von Welt - P. Howard

    (Druckausgabe)

    Erstes Kapitel

    1.

    »Haben die Herren mein Messer gesehen?«

    »Wo haben Sie’s zuletzt gehabt?«

    »In irgendeinem Matrosen.«

    »Was war das für ein Messer?«

    »Stahl. Schmale Klinge, leicht gebogen. Haben Sie es nicht gesehen?«

    »Nur mal langsam … einen Augenblick, bitte … wie war der Griff?«

    »Muschel.«

    »Aus wie vielen Teilen?«

    »Aus einem Stück.«

    »Dann gibt’s gar kein Problem. Das Messer ist da!«

    »Wo?«

    »In meinem Rücken.«

    »Danke …«

    »Bitte … Der Wirt hat schon erzählt, was für ein schönes Messer in meinem Rücken steckt. Eine Muschel von zwanzig Zentimetern ist eine Seltenheit.«

    »Drehen Sie sich bitte mal um, damit ich es herausnehmen kann …«

    »Durchhalten! Der Wirt sagte, solange kein Arzt kommt, soll ich das Messer drin lassen, weil ich sonst verblute. Der Wirt versteht was davon: Man hat hier auch schon Ärzte umgebracht. Es ist ein altes Restaurant.«

    »Aber ich habe es eilig, bitte! Und wer weiß, wann der Arzt kommt? Ohne Messer kann ich doch nachts nicht nach ­Hau­se.«

    »Der Arzt wohnt hier in der Nähe, und der Wirt holt ihn auf einem Dreirad. Wenn Sie schon an Stechereien teilnehmen, dann tragen Sie auch die Konsequenzen!«

    »Oho! Nur weil man ein Messer in Sie hineinsticht, haben Sie noch kein Recht, es zu behalten. Das ist Selbstjustiz! Zum Glück gibt es noch Gerechtigkeit auf der Welt!«

    »Ich berufe mich ja nicht auf die Gerechtigkeit, sondern auf die Medizin. Der Wirt sagt, das Messer muss drin bleiben. Ärztliche Vorschrift!«

    »Der Arzt soll über seine eigenen Sachen verfügen, das Messer ist mein Werkzeug!«

    »Hm … schwierige Sache …«

    »Wissen Sie was? Ich habe auch ein Herz. Ich will Ihnen helfen. Ich ziehe mein Messer aus Ihnen raus und stecke dafür ein anderes hinein. Das tut’s auch, bis der Sanitäter kommt.«

    »Also gut. Aber das Messer darf nicht kleiner sein, damit es die Wunde gut verschließt, denn die Gesundheit ist wichtiger als alles andere, und Rezept ist Rezept, da kann man nichts machen …«

    »Sie können beruhigt sein. Ich nehme ein großes Küchenmesser.«

    »Das geht in Ordnung.«

    »Drehen Sie sich um … hopp … so …«

    »Jetzt drücken Sie das andere hinein! … Schnell!«

    »Dieses hier im Regal wird gerade recht sein, obwohl es nur einen Holzgriff hat.«

    »Ist es drin?«

    »Einen Dreck! … Ihre Wunde blutet ja kaum. Hier, neben den Knochen ist das Messer eingedrungen, mitten in die Knorpel … So ein Mist, jetzt ist die Spitze stumpf!«

    »Hätten Sie’s ins Fleisch gedrückt, Sie Anfänger!«

    »Warten Sie! Ich lege ein nasses Tuch darauf … Unter Ihrem Sweater wird es nicht verrutschen …«

    »Glauben Sie doch endlich, dass ein Messer reingehört! Der Wirt weiß es. Hier werden täglich Leute umgelegt. Stecken Sie das Messer hinein! Was ist das schon für Sie?«

    »Ich verstehe nichts davon. Für eine Messerstecherei übernehme ich die Verantwortung, aber nicht für eine Operation! Bitten Sie doch einen der Matrosen da um diesen Gefallen! Sie werden schon irgendwann zu sich kommen.«

    »Gut, dass Sie’s erwähnen, mein Herr! Sie haben zwölf meiner Seeleute k.o. geschlagen.«

    »Einen von ihnen hat das Regal mit den Likören unter sich begraben. Dafür kann ich nichts.«

    »Das war der erste Heizer!«

    »Was weiß ein Likörregal davon?«

    »Und dort liegt der Schiffskellner. Wo findet man jetzt noch einen Kellner? Die ›Honolulu Star‹ läuft morgen früh aus, und es gibt keinen Heizer und keinen Kellner, weil Sie alle k.o. geschlagen haben!«

    »Das Recht war auf meiner Seite. Man hat einen Krug nach mir geschmissen, und ein solches Verhalten kränkt mich.«

    »Keiner von denen da hat mit dem Krug nach Ihnen geschmissen. Die sind unschuldig.«

    »Wer war’s dann?«

    »Ich.«

    »Ihr Glück, dass Sie so schwer verletzt sind, sonst würde ich Ihnen den Schädel einschlagen … Guten Tag.«

    »Warten Sie!«

    »Keine Zeit, ich habe es eilig!«

    »Schauen Sie nach, ob nicht doch ein Messer in die Wunde gehört. Einen solchen Stich darf man nicht vernachlässigen. Möglicherweise blutet’s nach innen.«

    »Von innen hat Sie niemand stechen können. Warten Sie auf den Arzt, der hilft Ihnen, wenn er kann. Wenn nicht, dann ruhen Sie in Frieden.«

    »Ich empfehle mich …«

    »Ich bedauere, dass Sie eine so schwache Besatzung angeheuert haben …«

    »Hallo! Junger Mann! Ich begleite Sie. Ich hätte eine Idee, wie Sie zu Geld kommen.«

    »In Ordnung.«

    »Warten Sie! He, Schankbursche! Wenn der Wirt kommt, sag ihm, dass ich mir die Beine vertrete! Er soll sich keine Sorgen machen! Wenn es Probleme gibt, stecke ich ein Mes­ser in die Wunde! Ich passe auf … Na, kommen Sie!«

    2.

    »Ich muss wegen meiner Verletzung vorsichtig sein. In welche Richtung wollen Sie?«

    »Ich weiß nicht. Ich habe weder Geld noch Besorgungen.«

    »Bleiben wir in der Nähe, wegen des Arztes. Zu dumm, jetzt hab ich den Wirt nicht gefragt, ob ich in meinem schlim­men Zustand rauchen darf. Soll ich’s riskieren?«

    »Ganz ruhig. Was kann schon passieren?«

    »Nichts?«

    »Nichts auf der Welt. Schlimmstenfalls sterben Sie. Und das kann so und so vorkommen.«

    »Da haben Sie völlig Recht. Also hören Sie zu! Ich bin Quar­tiermeister auf der ›Honolulu Star‹. Wie heißen Sie?«

    »Jimmy Reeperbahn …«

    »Das ist aber ein blöder Name. Wieso heißen Sie so?«

    »Weil ich angeblich immer lächle und dabei den Mund bis über die Ohren ziehe, wie einer, der ständig ›Reeperbahn‹ sagt.«

    »Na, sie sind ja auch ein richtiges Milchgesicht. Bei einem so großen, knochigen Mann ist das eine Seltenheit. Wie alt sind Sie?«

    »Vierundzwanzig …«

    »Knirps. Verstehen Sie was von Schiffen?«

    »Blöde Frage … Mit Kapitän Byrd war ich zweimal auf Expedition, als ich noch ein junger Bursche war.«

    »Was haben Sie für eine Schrift?«

    »Eine flüssige. Nur kenne ich nicht alle Großbuchstaben. Ich habe von einem Quartiermeister schreiben gelernt!«

    »Blödmann!«

    »Das stimmt! Aber intelligente Quartiermeister sind Mangelware.«

    »Was haben Sie für Dokumente?«

    »Das verbitte ich mir!«

    »Das heißt, Sie haben gar keine Dokumente?«

    »Von der Polizei schon!«

    »Das ist gut.«

    »Dann gibt es ja kein Problem! In Valparaiso habe ich vom Kapitän ein Schreiben bekommen, dass ich mich täglich beim Herrn Inspektor melden muss und nach zwei Uhr nicht mehr auf die Straße darf.«

    »Das ist nicht gut!«

    »Das sagen Sie mir? Deshalb bin ich von Valparaiso weg.«

    »Steht das im Seemannsbuch?«

    »Das muss ich zurückweisen.«

    »Hat man Sie gestrichen?«

    »Und wenn? Was geht es mich an? Mich kennt jeder Schiffer der Welt ohne Buch!«

    »Das befürchte ich auch. Wollen Sie arbeiten?«

    »Nein.«

    »Warum nicht?«

    »Ich habe meine Überzeugung verloren.«

    »Und woher kommt das?«

    »Voriges Jahr habe ich in Neapel einen karierten Überzieher gestohlen, und seitdem habe ich das Gefühl, dass ich der geborene Herr bin. Ich habe beschlossen, nicht mehr zu arbeiten.«

    »Haben Sie vorher gearbeitet?«

    »Nein. Aber mir fehlte die Überzeugung.«

    »Hören Sie … ich brauche einen Heizer und einen Kellner, sonst schmeißt man mich raus, und ich steh ohne Arbeit da.«

    »Macht nichts. Das können wir zusammen machen! Ich ver­stehe was davon.«

    »Halten Sie den Mund … Hier in Suez finde ich bis zum Morgen weder einen Heizer noch einen Kellner. Die ›Honolulu Star‹ läuft aus. Wir sind mitten in der Saison. Also hören Sie zu: Hier sind die Papiere des Heizers und des Kellners. Sie können sie beide ersetzen. Einen Bären wie Sie hab ich selten gesehen.«

    »Mit Schmeicheln erreichen Sie nichts!«

    »Aber vielleicht mit was anderem. Eine doppelte Heuer von hier bis Tahiti ist ein kleines Vermögen. Sie können es ganz allein verdienen … Die eine Hälfte des Tages würden Sie heizen, die andere bedienen. Keiner würde wissen, dass der Heizer und der Kellner ein und dieselbe Person sind.«

    »Und wann schlafe ich?«

    »Nun, wenn wir in Tahiti ankommen. Wenn’s hochkommt, sind’s nur fünf Wochen, und Sie würden das doppelte Gehalt bekommen. Kommen Sie mit? … Schauen Sie, man lichtet schon den Anker.«

    »In Ordnung! Ich nehme an!«

    »Nachts sind Sie Wilson Hutchins, amerikanischer Heizer, tagsüber José Pombio, spanischer Kellner! Merken Sie sich das! Können Sie Spanisch?«

    »Die Namen einiger Vorspeisen, aber das reicht, um mich durchzuschlagen.«

    »Wo haben Sie die Vorspeisensprache gelernt?«

    »Ich war lange in Barcelona tätig, als Transparent im Schaufenster eines Restaurants.«

    »Was soll das sein?«

    »Ich saß im Schaufenster, zwischen Würsten und Fladen, nickte hin und wieder mit dem Kopf, zeigte auf meinen Bauch, darauf folgte ein Grinsen, und das brachte einige Glühbirnen auf meinem Magen zum Leuchten.«

    »Gute Anstellung.«

    »Man braucht nur Verstand und ein vornehmes Auftreten. Und lächeln kann ich fantastisch!«

    »Also?«

    »Wir treten an – alle drei. José Pombio, Wilson Hutchins und Jimmy Reeperbahn!«

    Und schon folgte er seinem Gefährten, der so flink zu den Docks eilte, wie man es bei einem Sterbenden nicht ­erwartet.

    3.

    Jimmy Reeperbahn war ein Mann von Welt vom Scheitel bis zur Sohle. Er gab viel auf sein Äußeres und sein Benehmen, er liebte Musik, besuchte ständig die Filmtheater und hatte saure Bonbons bei sich, wie sich das für Herren der besseren Gesellschaft gehört.

    Sein besonderes Kennzeichen war, dass er sich gerne wusch, was niemand verstand. Zu seiner hageren, breitschultrigen Figur passte nicht das glatte Jungengesicht, das jedoch knochig und breit war, und in dessen Mitte ein beachtlicher Mund und riesige Zähne prangten. Nicht selten hat sein ständiges Grinsen Leute getäuscht, die ihre Mitmenschen leicht­fertig nach ihrem Äußeren beurteilten und den grinsenden Jimmy oberflächlich behandelten oder verspotteten.

    Solche Menschen dachten, nachdem sie genesen waren, oft über die trügerischen Eindrücke des äußeren Scheins nach und beschlossen, in Zukunft nie mehr Folgerungen über jemanden anzustellen, bevor sie sich nicht gründlich informiert hatten.

    Seine besondere Bekanntschaft mit dem Quartiermeister hat­te begonnen, als Jimmy Reeperbahn im »Besorger«, einem renommierten Restaurant von Port Said, sein Abendessen verzehrte und ein Groschenheftchen las. Entsprechend ­seiner Gewohnheit tat er das mit einem verhältnismäßig vornehmen Äußeren, was sich aber nicht auf die fehlenden Knöp­fe seines gelben Mantels, auf sein zerrissenes Wollhemd und auf seine Strümpfe bezieht. Auf die letzteren schon deshalb nicht, weil er einen von ihnen vor vier Jahren in Brüssel gelassen hatte. Dafür schaute aus seiner Brusttasche die Ecke eines seidenen Taschentuchs hervor, und um seinen Hals hing an einer tadellosen, feinmechanischen Fahrradtrans­mission eine Brille mit Griff, ein so genanntes Lorgnon, das nur sehr vornehme und betagte Damen der guten Gesellschaft tragen. Mit einer Hand aß er, mit der anderen hielt er das Lorgnon und das Buch, das er gegen den Krug gelehnt hatte: eine beachtenswerte Leistung, wenn man in Be­tracht zieht, dass Jimmy Reeperbahn ausgezeichnete Augen hatte, das Lorgnon dagegen sehr stark vergrößerte. Aber manch­mal ist man gezwungen, um des vornehmen Scheins wil­len das eine oder andere auf sich zu nehmen.

    Inzwischen prügelten sich im »Besorger« schon seit gut zehn Minuten an die zwanzig Matrosen. Aber Jimmy wurde erst aufmerksam, als ein Krug direkt neben seinem Kopf an der Wand zerbrach. Da stand er auf und würdigte die Gesellschaft seiner kühlen Aufmerksamkeit, indem er durch seine stark vergrößernden Gläser umherblickte.

    »Was meinen Kopf betrifft, bin ich ziemlich heikel, meine Herrn«, sagte er ernst und pedantisch, »ich bitte Sie daher, derartige Sticheleien möglichst zu unterlassen.«

    Er hatte seine Ermahnungen noch gar nicht beendet, als der zweite Krug flog und diesmal seine Schulter streifte.

    »Die Schlägerei ist hiermit zu Ende!«, erklärte er ­entschlossen.

    Den Rest kennen wir … Jimmy Reeperbahn begann, die Streitenden hinauszuwerfen. Als er mit dem Großputz fertig war, lagen ungefähr zwanzig Männer auf dem Boden verstreut. Allein die Mannschaft des Luxusliners »Honolulu Star«, unterwegs nach Tahiti, ließ sich an jenem Tag mit zwölf Mann im Krankenhaus von Port Said vertreten. (Darunter José Pombio, spanischer Kellner, und Wilson Hut­chins, amerikanischer Heizer.)

    Danach bezahlte er sein Abendessen, hob den ohnmächtigen Steuermann von seinem Heftchen hoch und ging. Nur wegen seines Messers war er zurückgekommen, und da traf er den Quartiermeister.

    Und schon am Abend nahm er auf einem Schiff die Arbeit von zwei Männern auf, dafür aber bei doppeltem Gehalt. Er war glücklich.

    Er arbeitete wieder!

    So ergeht es einem, der sich prügelt.

    4.

    Die »Honolulu Star« war aus dem Hafen von New York ausgelaufen und fuhr über Gibraltar und den Suezkanal nach San Francisco, wobei sie Indien und die pazifische Inselwelt streifte. Dieser Luxusliner hatte die längste Route der Welt und verfügte über eine Einrichtung, die den Ansprüchen launischer Millionäre, weltberühmter Filmstars und verwöhnter Falschspieler entsprach.

    Im Salon langweilten sich vornehme, feine Leute den ­ganzen Tag in kleinen Gruppen. Die Abendessen verdankten ihren Glanz dem Aufzug wunderbarer Abendroben und Brillan­ten. Zeremonielle Heiterkeit, höfliches Anfreunden, Bemerkungen über das Wetter, nautische Fachfragen, Maschinen, die Schifffahrt sowie alles, wovon man keine Ahnung hatte: Daraus bestand das gesellschaftliche Leben.

    In der Bar gab es leise, diskrete Jazzmusik, Champagner, holländischen Gin und englischen Whisky. Von den indischen Plantagenbesitzern amüsierte sich zuweilen der eine oder andere Millionär roheren Charakters, das heißt, er brüllte Liedtexte und dirigierte mit einem Sektkübel auf dem Kopf die Kapelle.

    Die anderen erlaubten sich ein negatives Urteil. Sie waren ein bisschen neidisch.

    Dann erreichten sie das Rote Meer, wo die poetische Phase groß angelegter Seekrankheiten begann.

    José, der Kellner, war immer entgegenkommend, stets zu einem kleinen Spaß bereit und liebte es, seine ausgefallene Geschicklichkeit vorzuführen. Dabei hatte er leider nicht immer eine glückliche Hand. Der böse Geist der Jongleure verfolgte ihn. Es kam vor, dass er eine der Damen anlächelte und ohne hinzublicken graziös den Tee eingoss und seltsamerweise nicht merkte, wie der heiße Strahl die Glatze eines älteren Herrn traf. Das gab einen großen Skandal, und einige Gäste verlangten vom Kapitän die sofortige Entlassung des spanischen Kellners. Aber die Familienväter setzten sich mit dem ganzen Gewicht ihrer Respektabilität für ihn ein, nachdem sich die Kinder sehr darüber amüsierten, dass Jimmy Reeperbahn die Passagiere begoss. Und was tun Eltern nicht alles für ihre lieben Kleinen?

    Unten im Kesselraum hingegen schlief Wilson Hutchins (der amerikanische Heizer) manchmal im Stehen, wie die Pferde, und als er aufschreckte, zog er warme Fleischstücke aus seiner Innentasche hervor. Als sie die Bab-el-Mandeb-­Meerenge erreicht hatten, konnte er bereits im Schlafen essen.

    Der Chefmaschinist fürchtete sich vor ihm, da er glaubte, er sei besessen. Ein arabischer Heizer wollte diesem Zustand ein Ende machen und versetzte Hutchins einen Schaufelstich, aber das wird er nicht mehr tun, da seine Nase seitdem wie eine komisch gewachsene Kartoffel aussieht.

    So standen die Dinge, als sie bei Aden waren. Nach Aden war oben im Restaurant die Schläfrigkeit des Kellners José aufgefallen. Der Chefmaschinist, der beim Treppenaufgang des Kesselraumes stand, hörte, wie der erste Offizier dem Kapitän meldete, dass Kellner José ständig schläfrig war.

    Der Maschinist bemerkte daraufhin bescheiden, dass auch Wilson Hutchins, einer der Heizer, ständig schlief, so dass er glaubt, irgendwo auf dem Schiff müsse eine Tsetsefliege sein und diese sporadischen Fälle von Schlafkrankheit verursachen.

    Nach Ansicht des Kapitäns war der Maschinist vom Schnapstrinken blöde geworden, eine Annahme, die auch dem Offizier einleuchtete.

    Mr. Irving, der sonderbarste Passagier des Schiffes, hatte José, den vom Schicksal verfolgten Jongleur und schlafkranken Kellner, aufrichtig ins Herz geschlossen. Mr. Irving konnte nicht älter sein als zwanzig, sah aber noch jünger aus. Und im Smoking hätte er fast ein Mädchen sein können. Seine schönen, runden Augenbrauen, seine staunenden, großen, schwarzen Augen und sein regelmäßiges, feines Gesicht wa­ren auf rührende Art jungenhaft. Er sprach kaum, und auch dann nur leise und höflich, und er verkehrte mit niemandem, außer anlässlich des ersten gemeinsamen Essens, als sich alle vorstellten.

    Er zeigte sich nur in Gesellschaft von Mr. Gould. Diesen Gould hassten die Passagiere von Herzen. Er war ein dicker, riesiger, grauhaariger Mann, und alle hatten das Gefühl, dass er sich gegenüber dem zauberhaften jungen Mann wie ein Tyrann aufführte. Dabei war dieser Junge so still und so traurig vornehm, wie ein Priesterstudent oder ein Trauernder.

    Vor Penang hatte José ein komisches Erlebnis mit ihm. Aus dem Hafen war ein malaiischer Riese an Bord gekommen. Für einige Cents zerbrach er Handschellen, aß Nägel und ließ seine gewaltigen Muskeln spielen. Später demonstrierte er den Matrosen die Griffe des japanischen Jiu-Jitsu. José rannte mit Erfrischungsgetränken und Torten die Treppen rauf und runter, aber dank einer seiner schlecht ­berechneten, in weitem Bogen graziös ausgeführten Bewegungen plumps­te vom Promenadendeck eine Sahnetorte genau auf den Kopf des Kraftakrobaten.

    Röchelnd kratzte sich der Malaie die Schokosahne vom Schädel, fletschte seine riesigen Zähne, erstickte seine Wut mit einem ritterlichen Lächeln und verkündete, er würde José zermalmen, unterließe dieses jedoch aus Rücksicht auf die vornehme Umgebung.

    Der spanische Kellner rief in einem ziemlich energischen Ton die Namen verschiedener Vorspeisen dem Eingeborenen zu, der davon verständlicherweise in Wut geriet.

    »M’Bisung! Glonga! Bon-Bon!«, röchelte der Malaie.

    »Omelette à la Sevilla!«, brüllte José.

    »Schihungi! Misonga dsur bschefar!«

    »Olla Potrida!«, zitierte der Kellner aus seiner Zeit als Transparent, und rannte hinunter. Da stand er keuchend vor dem Malaien, während die Passagiere, glücklich nach so viel Eintönigkeit, aus allen Richtungen zusammenströmten.

    Oben an der Reling stand Mr. Irving in seiner gewohnten Traurigkeit und blickte mit gelangweiltem, gleichgültigem Gesicht nach unten.

    Der Malaie ließ seine weißen Zähne blitzen. Er lächelte ­wieder.

    »Was dieser schwache Weiße wollen … ich ihn fressen …«

    »Nur mal zu«, sagte José.

    »Ich nicht schlagen! Hindu Selbstverteidigung … Du hinhauen aus ganzer Kraft von dir. Ich nur abwehren.«

    »Das geht nicht gut …«, beteuerte José.

    »Du schlagen! Griff sicher, schnell, sowieso nicht treffen.«

    »Na gut. Kann’s losgehen?«

    »Nur zu!«

    Jimmy Reeperbahn war gespannt auf den Griff. Es war sicher Jiu-Jitsu.

    »Na schlagen!«, drängte der Malaie. »Überraschung wird!«

    Und wirklich, die Sache verlief sehr überraschend. Dass näm­lich jemand von einer einzigen Ohrfeige einen richtigen Salto macht, dabei vier Passagiere und mehrere Tische mit Himbeersaft umwirft, das ist wirklich überraschend.

    Das Blut strömte dem Malaien aus Nase, Mund und ­Ohren, und die Haut war ihm vom rechten Auge bis zum Mund­winkel geplatzt. So keuchte er auf dem Boden ausgestreckt, während ihm vier Passagiere keine Ruhe ließen: Sie wollten unbedingt, dass er endlich von ihnen aufstand.

    Währenddessen schlief José ein wenig. Im Stehen. Wie ein altes Ross. Der Malaie sprang brüllend auf die Beine.

    »Zählt nicht! Du sein Linkshänder! Ich warten Schlag von rechts.«

    José zuckte die Achseln.

    »Man kann nicht neben jede Ohrfeige einen Verkehrspolizisten stellen.«

    »Ich dich schlagen tot …!«

    Er nahm Anlauf. José trat einen Schritt zurück, da sein Kontrahent von Himbeersaft klebte und der Kellner um seine schöne Uniform mit den goldenen Knöpfen fürchtete. Er platzierte einen schnellen Kinnhaken, um die erste Heftigkeit des Angriffs abzubremsen. Dann wich er geschickt ­einer linken Geraden aus und schlug dem Eingeborenen ­mü­he­los das Kinn auf.

    Da traf ihn ein Tritt.

    Ein regelwidriger, frecher, unsportlicher Tritt. Jimmy Reeperbahn wurde von seinen Leidenschaften überwältigt, und es entfuhr ihm ein fürchterlicher Schrei:

    »Insalada fritte à la Escorreal!«

    Da erstarrte in allen Anwesenden das Blut. Es war ihnen klar, dass sie soeben den Fluch der alten maurischen Eroberer vernommen hatten; diesen Fluch verwenden die spanischen Jünglinge nur vor einem Kampf auf Leben oder Tod.

    Und er sprang!

    Er packte den Hals des Malaien mit

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