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Geheimes Schleswig-Holstein: 100 spannende Geschichten aus dem Norden
Geheimes Schleswig-Holstein: 100 spannende Geschichten aus dem Norden
Geheimes Schleswig-Holstein: 100 spannende Geschichten aus dem Norden
Ebook287 pages2 hours

Geheimes Schleswig-Holstein: 100 spannende Geschichten aus dem Norden

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Karl Dahmen, beliebt und bekannt aus der Beitragsreihe "Zeitreise" im NDR-"Schleswig-Holstein Magazin", kennt die geheimsten Geheimnisse des Nordens. In 100 spannenden Geschichten zeigt er nun die versteckten Winkel von Schleswig-Holsteins Geschichte genauso wie ihre größten Momente – war Sissi auch die Kaiserin von Schleswig-Holstein? Gibt es einen Vampir in Lübeck? Und wie hieß Max Planck wirklich?
LanguageDeutsch
Release dateSep 12, 2018
ISBN9783529092589
Geheimes Schleswig-Holstein: 100 spannende Geschichten aus dem Norden

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    Book preview

    Geheimes Schleswig-Holstein - Karl Dahmen

    Gast

    1

    DIE ODYSSEE DER GEMÄLDE

    Der bedrohte Kunstschatz

    Heute ist diese Odyssee fast vergessen, denn die Bilder hängen friedlich an den Wänden der Kieler Kunsthalle und schauen, wie seit Jahrzehnten und Jahrhunderten, »vor sich hin«. Aber es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären geraubt, beschädigt und zerstört worden.

    Es beginnt im Jahr 1937. Die Nationalsozialisten »säubern« deutsche Museen von allem, was sie für entartet halten. Aus Kiel werden Hunderte Bilder geraubt. Einige werden auf einer Ausstellung in München verhöhnt, andere verkauft, einige Bilder verbrannt.

    Kiel ist im Zweiten Weltkrieg eine der ersten Städte, die von britischen Flugzeugen angegriffen wird. In der Fördestadt sind die wichtigsten Werften Deutschlands, ein lohnendes Ziel in den Augen der Alliierten. Bedroht sind auch die Kunstschätze der Kunsthalle. Ihr Direktor und seine Mitarbeiter beschließen daher, die kostbaren Gemälde in Sicherheit zu bringen. Sie werden auf viele Orte verteilt, sie reisen ins Amtsgericht nach Bordesholm, in eine Dorfschenke in Schuby, ins Jagdschloss am Ukleisee. Aber nicht nur Gemälde werden in Sicherheit gebracht, sondern auch Bücher und Akten. Dies scheint keinen Augenblick zu früh passiert zu sein, denn bald greifen immer mehr alliierte Bomberverbände die Werften-Stadt Kiel an – durch einen Bombentreffer wird dabei auch die Kunsthalle in Schutt und Asche gelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Verantwortlichen gedacht, dass die noch verbliebenen, wertvollsten Gemälde in den Bunkern der Stadt gut aufgehoben seien. Nun sehen sie ein, dass sie sich täuschen. Auch Kunstschätze wie das berühmte Porträt Bismarcks von Franz von Lenbach oder »Kaiser Rudolfs ritt zum Grabe« von Moritz von Schwind sollen nun Kiel verlassen. Sie werden nach Wien gebracht und im berühmten Schloss Belvedere gelagert, andere Bilder bringt man auf einige Güter in der Umgebung der Stadt.

    1945 ist der Krieg zu Ende und Deutschland liegt in Trümmern. Die Alliierten durchkämmen das Land auf der Suche nach gestohlenen Kunstschätzen und finden dabei zum Beispiel die Bilder im Jagdschloss am Ukleisee. Die britische Besatzungsmacht bestimmt den Umzug der Gemälde nach Eutin. Das Verpacken und den Transport der Kunstschätze übernehmen britische Soldaten. Es heißt, einer von ihnen soll besonders kunstsinnig gewesen sein, seinen Namen weiß man leider nicht. Acht besonders wertvolle Gemälde werden beim Umzug nach Eutin gestohlen.

    Noch schlimmer aber für die Mitarbeiter der Kieler Kunsthalle ist, dass sich zahlreiche Gemälde in Wien im russischen Sektor befinden. Die Sowjets fordern die Kieler Bilder als Wiedergutmachung für Zerstörungen der Nazis in ihrer Heimat. Ein zähes Ringen beginnt. 1955 unterzeichnet Österreich einen Staatsvertrag mit den alliierten Siegermächten und bekommt seine Unabhängigkeit zurück. Das ist auch für Kiel wichtig, denn somit stellt sich heraus, dass die eingelagerten Kunstwerke nach Kiel zurückkommen dürfen. Als erstes Gemälde atmet das Porträt der »Königin Christine« vom Eiderstedter Maler Jürgen Ovens wieder frische Luft, wie eine Kieler Zeitung schreibt. Über vereiste Straßen mussten die Kunstwerke im März 1956 gefahren werden, damit sie endlich an ihren angestammten Platz gelangen konnten, nach einer langen Odyssee.

    Die Kunsthalle am Düsternbrookerweg 1 auf einer Postkarte, Hermann Edlefsen, um 1900

    2

    JENS MUNGARD UND DIE FREIHEIT

    Der friesische Querkopf

    Am 18. Oktober 1939 liegt Jens Mungard bereits im Krankenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Ein SS-Scharführer stellt eine Anfrage im Namen des Sylter Gefangenen an die Versorgungskammer. Er bittet »dem Pol. 1955 Mungart, Jens, Block 27, leihweise eine Brillenfassung auszuhändigen, da seine eigene zerbrochen ist.« Das ist eine der letzten Mitteilungen von Jens Emil Mungard, der heute als der wichtigste Dichter der friesischen Sprache gilt. Vier Monate später stirbt er mit 54 Jahren im KZ Sachsenhausen. Als Todesursache wird vom Lagerkommandanten Walter Eisfeld »Körperschwäche« angegeben. Der SS-Sturmbannführer gilt als äußerst brutal. Er wird kurz darauf ins KZ Neuengamme versetzt und stirbt dort, zwei Monate nach Mungard, an Lungenentzündung.

    In Sachsenhausen geht das Leben eines widerspenstigen friesischen Dickkopfs zu Ende. Jens Emil Mungard ist ein eigenwilliger Mann und ein freiheitsliebender Friese. Sein »Friesisch-Sein« stellt er über alles. Auf dem Grabstein der Familie in Keitum steht ein Gedicht: »Harki Got, dö rogt, wik nemen – Fuar Hualevhair docht ek en bet, / Jaa, dit jeft rochtlik bluat Fortröt« – »Gehorche Gott, tue recht, weiche niemandem – Denn Halbheit taugt nicht ein bisschen, ja das gibt tatsächlich bloß Verdruss.«

    Mit Halbheiten wollte Mungard nichts zu tun haben. Als Landwirt war er in der Heimatgemeinde auf Sylt angesehen, als friesischer Dichter misstrauten die Nachbarn ihm und feindeten ihn an. 1921 geht der elterliche Hof in Flammen auf. Mungard vermutet Brandstiftung, die Behörden geben sich bei der Aufklärung keine Mühe, es kommt nie heraus, wie das Feuer entstanden ist. Aber auch jetzt gibt Mungard nicht klein bei. Während andere auf der Insel ihr »Deutschsein« betonen, pocht er darauf, als Friese nicht dazuzugehören und schreibt einem Freund, dass er keine Hitlerhymnen schreiben werde, auch wenn es das einzige sei, was noch erlaubt ist und meint schließlich: »Es fehlt nur noch, dass mir die Finger abgehackt werden müssen«.

    Jens Mungard kann keine Ruhe geben, auch nicht als er das erste Mal in Schutzhaft genommen wird, weil er das Ansehen des Deutschen Reiches im Ausland schädige, wie die Behörden meinen. 1938 bekommt er Schreibverbot. Mungard, beachtet es nicht, wird schließlich wieder verhaftet und diesmal nach Sachsenhausen verschleppt. Zu diesem Zeitpunkt lebt er schon nicht mehr in seiner friesischen Heimat, auf Sylt. Er ist geschieden und hat eine Wohnung in Flensburg – Rote Straße 36 (Rothestraße 36) steht in seinen Akten. Am 13. Februar 1940 stirbt Jens Emil Mungard und der Standesbeamte Griep schreibt als Todesstunde 8 Uhr dazu. Seine Asche wird nach Sylt zur Grabstätte auf den Friedhof von Keitum gebracht. Ein Mann, der lieber zerbrach, als sich zu biegen.

    3

    SISSI, UNSERE LANDESMUTTER

    Eine historische Episode

    Kaum einer hat die Filme nicht gesehen – »Sissi« mit Romy Schneider in der Titelrolle gehört zum Inventar deutscher Fernsehkultur. Ihr Leben als Kaiserin von Österreich rührte Millionen zu Tränen. Und ein bisschen von diesem »Sissi-Glanz« gehört auch den Schleswig-Holsteinern. Elisabeth aus dem Hause Wittelsbach war durch die Heirat mit Kaiser Franz Joseph zur Kaiserin geworden, zugleich wurde sie zur Herzogin von Lothringen, zur Großherzogin der Toskana und Krakau, zur Großfürstin von Siebenbürgen, zur Herrin von Triest und, – streng genommen – 1864 auch zur Herzogin von Schleswig Holstein und Lauenburg.

    1864 besiegen die Preußen und die Österreicher gemeinsam Dänemark, das nun die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an die beiden siegreichen Länder abgeben muss. Die Österreicher und Preußen einigen sich auf ein gemeinsames Kondominium, eine alte Herrschaftsform, deren Name sich aus dem Lateinischen ableitet und in etwa »gemeinsames Eigentum« bedeutet. Die drei Herzogtümer sollen von den beiden deutschen Staaten gemeinsam verwaltet werden. Der Kaiser von Österreich und auch der König von Preußen sind daher nun die Souveräne der drei Herzogtümer. Da es zwischen Österreich und Preußen eine heftige Rivalität um die Vorherrschaft in Deutschland gibt, kann die gemeinsame Verwaltung jedoch nicht lange gutgehen; man einigt sich 1865 darauf, dass offiziell zwar alles gemeinsam für Schleswig und Holstein entschieden wird, aber jeder Staat die Verwaltung für ein Herzogtum übernimmt. Preußen bekommt das Herzogtum Schleswig, Österreich das Herzogtum Holstein zugewiesen. Den Anspruch auf das Herzogtum Lauenburg verkauft Österreich für 2,5 Millionen Dänische Taler an Preußen. Kiel bleibt ein Sonderfall und gehört weiterhin zu beiden, Österreich ist für das Westufer, Preußen für das Ostufer zuständig.

    Kaiserin Elisabeth von Österreich mit Edelweiß-Sternen im Haar, Porträt von Franz Xaver, 1865

    Der Kaiser entsendet Ludwig von Gablenz als Statthalter und Preußen Edwin von Manteuffel als Gouverneur. Von Gablenz hat seinen Sitz in Kiel, von Manteuffel in Rendsburg. Auch wenn beide eigentlich die gleiche Funktion haben, sieht man bei den Bezeichnungen ihrer Ämter doch einen Unterschied: Während ein Gouverneur Leiter eines bestimmten Bereiches ist, vertritt ein Statthalter den Monarchen. Kaiser Franz Joseph I. sieht demnach das Gebiet als seinen Herrschaftsbereich an. Der Österreicher ist nun für die Verwaltung des Herzogtums Holstein zuständig, ob eine Genehmigung für eine neue Mühle oder die Anschaffung einer neuen Ankerkette für die Eiderschifffahrt am Schleswig-Holsteinischen Kanal, die Erlaubnis gab es mit kaiserlichem Stempel. Und wenn auch das verwaltungstechnische und juristische Verfahren insgesamt recht kompliziert ist und Sissi nicht nominell die Kaiserin von Schleswig und Holstein ist – für zwei Jahre ist sie doch zuständig für diese Bereiche und somit gewissermaßen Landesmutter.

    1866 kommt es zum Bruch zwischen den beiden Siegermächten, die sich über die Herzogtümer zerstreiten. Es kommt zu einem neuen Krieg, aus dem schließlich Wilhelm I. von Preußen als alleiniger Herzog von Schleswig und Holstein hervorgeht.

    4

    EIN VAMPIR IN LÜBECK

    Wo Nosferatu wohnte

    »Nosferatu – Symphonie des Grauens« des Regisseurs Wilhelm Friedrich Murnau ist ein Film, der das »Grusel-Genre« bis heute bestimmt, mit einem Schauspieler in der Titelrolle, den sich kein Regisseur besser hätte ausdenken können: Max Schreck. Der Film hat 1922 Premiere in Berlin und gilt als Meilenstein des neuen Mediums »Film«.

    In »Nosferatu« geht es um den jungen Makler Hutter, der in die Karpaten reist, um dem Grafen Orlok ein Haus in seiner Heimatstadt Wisborg anzubieten. Der Graf entpuppt sich als Vampir, der die Pest mit sich bringt. Er sieht ein Medaillon mit dem Bild der Ehefrau des jungen Mannes, Ellen, und reist nach Wisborg, um ihr nachzustellen. Schließlich opfert sich Ellen, um den Vampir zu töten.

    Viele Szenen des Films werden in Schleswig-Holstein gedreht, beispielsweise eine der Reiseszenen. Hutter eilt dem Grafen nach, als dieser nach Wisborg aufbricht, um die Stadt und seine Frau vor dem Grafen zu warnen. Vor einer großen Eiche aber hat seine Kutsche einen Radbruch. Hutter springt heraus und hetzt zu Fuß weiter. Den Baum gibt es heute nicht mehr, aber bis 1932 war er der berühmteste Baum der Hansestadt Lübeck, die Israelsdorfer Eiche. Man nimmt an, dass die Eiche etwa genauso alt wie die Hansestadt selbst war. Kaum ein Baum wurde öfter fotografiert als dieser, das erste Mal bereits 1868. Nach einem Blitzschlag und der darauf folgenden unsachgemäßen Behandlung des Baums musste er 1932 durch die örtliche Feuerwehr gefällt werden. Es wären wahrscheinlich noch viel mehr Lübecker Schauplätze in dem Film vorgekommen, wenn sich nicht die Kirchengemeinde St. Aegidien geweigert hätte, ihre Kirche als Drehort bereitzustellen. So übernimmt die Marienkirche in Wismar diese Aufgabe, auf deren Turm Murnau auch die Anfangsszene dreht. 1960 lässt die DDR-Stadtverwaltung übrigens die Wismarer Marienkirche sprengen.

    Die Israelsdorfer Eiche wurde fast 600 Jahre alt, Foto um 1892

    Der Lübecker Aegidienkirchhof, in direkter Nachbarschaft zur Kirche St. Aegidien, ist jedoch in »Nosferatu« zu sehen. Hier wohnt Hutter mit seiner Frau Ellen. Ihnen gegenüber zieht im Film der unheimliche Graf ein. In Wirklichkeit liegen mehrere hundert Meter zwischen dem Aegidienkirchhof und den Salzspeichern an der Trave, in denen Max Schreck als Graf Orlok seine gruselige Behausung findet. Orlok hat die Pest nach Wisborg gebracht, nun sterben die Menschen an der Krankheit. Ihre Särge werden durch den Straßenzug Depenau gebracht. Heute ist die Straße mit den geduckten Backsteinbauten kaum wiederzuerkennen, denn große Teile Lübecks waren 1942, während des Zweiten Weltkriegs, bei einem britischen Bombenangriff zerstört worden.

    Auch andere Teile des epochemachenden Films drehen die Filmemacher in Schleswig-Holstein, unter anderem am Elbufer in Lauenburg und vor allem auf der Nordseeinsel Sylt. Auf dem »Roten Kliff« sitzt Ellen auf einer Bank und schaut auf das bewegte Meer hinaus. Ihre Schwester, gespielt von Ruth Landshoff, einer Freundin von Klaus und Erika Mann, bringt Ellen einen Brief von Hutter. Fast an gleicher Stelle wird dann 20 Jahre später eine dramatische Szene für »Herrscher ohne Krone« gedreht, in dem O. W. Fischer Johann Friedrich Struensee, den Revolutionär am dänischen Königshof, spielt.

    Nach Lübeck kommen inzwischen Touristen aus der ganzen Welt, um sich die Originalschauplätze aus »Nosferatu« anzuschauen.

    5

    HALBGÖTTER IN WEISS

    Ärzte unter Verdacht

    Das ist nicht nur ein Sturm, das ist ein ausgewachsener Orkan, der 1980 den Ärzten der Kieler Universitätsklinik um die Ohren pfeift. Es geht der Verdacht um, dass an der Kinderklinik der Universität Menschenversuche durchgeführt wurden. »Spiegel«, »Zeit« und andere Zeitungen berichten, und in der »Tagesschau« wird ein Kommentar zu dem Vorwurf gesendet. Haben Professor Claus Simon und sein Team tatsächlich Forschung und Interessen der pharmazeutischen Industrie miteinander verknüpft?

    Angestoßen hatte die Untersuchungen der FDP-Landtagsabgeordnete Martin Schumacher. Er sieht die Ärzteschaft als »Halbgötter in Weiß, die relativ unbehelligt forschen und jede Störung als Behinderung des Wissenschaftsbetriebs empfinden.«

    Die Vorwürfe sind brisant. Haben die Mediziner wirklich Säuglingen Antibiotika gegeben, ohne dass diese tatsächlich krank waren? Die bei der Medikamentengabe erforderlichen Blutuntersuchungen sind zugleich Forschung für die Pharmaindustrie – und diese zahlt gut dafür. Der Jura-Professor Erich Samson meint, es seien zweifellos »Arzneimittelversuche« an lebenden Menschen gemacht worden, die hohe Zahl von Blutentnahmen sei sehr verdächtig. Bis zu 16-mal in sieben Stunden sollen von Säuglingen und Kleinkindern Blutproben genommen worden sein, schreibt der »Spiegel«. Die Öffentlichkeit ist empört. Es gibt internationale Abkommen, die nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus Menschenversuche untersagen, aber trotzdem scheint genau dies in Kiel passiert zu sein. Zuhilfe kommt den Kritikern auch ein Mediziner der Universität – Professor Othmar Wassermann, Vorsitzender der Promotionskommission der Medizinischen Fakultät. Er sagt noch heute, dass das Verhalten einiger Ärzte damals Körperverletzung gewesen sei. Bei jeder Behandlung eines Säuglings müssen die Eltern zuvor aufgeklärt werden, das aber wurde nicht gemacht. Wassermann spricht von Versuchen, die ethisch und juristisch nicht vertretbar gewesen seien. Das Handeln der Kollegen verurteilt er als »gewissenlose Industrieforschung«.

    Kinder als Versuchskaninchen? Die Universität gibt eine Pressekonferenz, in der die Vorwürfe widerlegt werden sollen. Das Hauptargument ist, dass der »normale Mensch« das Handeln der Mediziner sowieso nicht verstehen würde. Es wird behauptet, die Ethikkommission, die fünf Jahre vor dem Vorfall an der Universität eingerichtet worden war, sähe kein Problem bei der Forschung. Stimmen kann dies so nicht, denn die Ethikkommission, die zu jenem Zeitpunkt zwar tatsächlich schon seit fünf Jahren bestand, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zusammengekommen. Schließlich spricht ein Gutachten die Mediziner frei, nicht aus bewiesener Unschuld, sondern weil nicht genügend Beweise zu finden waren. Ein Jahr später setzt der damalige Kultusminister Peter Bendixen eine funktionierende Ethikkommission mit Kontrollfunktion ein. Menschenversuche sind nun tatsächlich nicht mehr möglich.

    Der Verdacht aber, dass jahrelang an der Kieler Kinderklinik Experimente an Neugeborenen und Kleinkindern gemacht wurden, bleibt bis heute – und wurde

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