Aber ich habe doch so viel für dich getan!: Schluss mit emotionaler Erpressung
By Ina Lingner
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Ina Lingner
Ina Lingner, geboren in den Sechziger Jahren, ist Bürokauffrau und freie Dozentin. Sie hat immer in Berufen gearbeitet, in denen sie mit Menschen zu tun und häufig sogar umfangreiche, psychosoziale Beratung zu leisten hatte. Ihre große Leidenschaft gilt der Psychologie. Neben diversen freiberuflichen Projekten ist sie als Sachbuchautorin tätig.
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Book preview
Aber ich habe doch so viel für dich getan! - Ina Lingner
Inhalt
Emotionale Erpressung in der Beziehung
Emotionale Erpressung – Definition
Wie fühlst du dich?
Sabine und Lukas
Beziehung heute
Egoismus und Achtsamkeit
Bedingungslose Liebe und persönliche Grenzen
Gestörte Persönlichkeiten – und emotionale Erpressung
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
Die paranoide Persönlichkeitsstörung
Die schizoide Persönlichkeitsstörung
Die histrionische Persönlichkeitsstörung
Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline-Typ)
Die dissoziale Persönlichkeitsstörung
Die anankastische Persönlichkeitsstörung
Die dependente Persönlichkeitsstörung
Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
Emotionale Erpressung – die Methoden
Vorwürfe machen: »Du würdest dich niemals so verhalten, wenn du mich wirklich lieben würdest!«
Bedingungen stellen: »Wenn du mich liebst, wirst du das für mich tun!«
Forderungen stellen: »Du musst…sonst bin ich nicht glücklich.«
Moralische Vorwürfe: »So was tut man einfach nicht!«
Stiller Vorwurf mit Leidensmine: »Schau mich an, ich armes Opfer!«
Aufrechnung von Gefälligkeiten: »Und das, obwohl ich so viel für dich getan habe!«
Lucia und Thomas
Andere Menschen involvieren
Susanne und Jürgen
Drohungen: »Ich bringe mich um!«
»Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr.«
»Wenn du nicht…dann verlasse ich dich!«
Die Wahrheit wird verdreht
»Ich meine es doch nur gut mit dir.«
Du bist so egoistisch!
An Verpflichtungen erinnern
An die Opfer erinnern, die man für dich erbracht hat
Beleidigtes Schweigen
Das Verweigern von Nähe und Sexualität
Unangemessene Dankbarkeit erzeugen
Täter und Opfer
Abwertung
Manche haben es anders gelernt
Emotionale Erpressung bei Trennungen
Überprüfe dich selbst!
Wer emotional erpresst, denkt nur an sich selbst
Schlusswort
Über die Autorin
Emotionale Erpressung in der Beziehung
Es ist viele Jahre her, schon fast nicht mehr wahr … aber da stand er vor mir, mein späterer Ex. Ich wollte die Beziehung beenden, denn ich empfand sie als drückend und belastend. Wir hatten nichts gemeinsam, ich konnte nichts von dem tun, was ich tun wollte. Er machte mich runter oder versuchte es zumindest, er zettelte Streit an, wo es nicht mal einen wirklichen Grund gab, nur damit ich mich einzig und alleine auf ihn und seine Belange konzentrierte. Also sagte ich ihm eines Abends, dass ich diese ganze Nummer abhaken werde. Ende und Aus. Was folgte, gab mir ordentlich zu denken. Erst einmal gab es fürchterlichen Streit, bei dem er so laut wurde, dass die Nachbarn begannen, an Zimmerdecke und Wände zu klopfen. Dann brach er weinend zusammen, lag vor mir auf dem Boden, und – was ich schrecklich fand – umklammerte mit beiden Armen meine Füße und weinte. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte. Noch sehr jung und unerfahren damals, fühlte ich mich einfach nur hilflos. »Das hast du aus diesem Mann gemacht«, schoss es mir durch den Kopf. »Der starke Kerl, jetzt liegt er hier und heult und bettelt.«
Er war nicht stark, aber es dauerte noch eine Weile, bis ich das verstand. Er konnte nur sehr laut werden, er konnte sehr beleidigend werden, und vor allem hatte er sehr schnell, vielleicht schon zu Beginn unserer Beziehung, verstanden, dass ich mich (damals) sehr schnell schuldig fühlte. Schuldig für dieses Häufchen Elend, das da vor mir lag, jammerte, bettelte, und mir die tollsten Versprechungen machte. Alles würde anders werden, jawohl. Menschen können sich ändern, jawohl. Behauptete er. Nein, weinte er.
Er begriff überhaupt nicht, oder wollte nicht begreifen, dass der Bogen längst überspannt war. Es ging gar nicht mehr um seine alltäglichen Dramen, die er inszenierte, um mich ans Haus zu binden, damit er mich immer schön unter Kontrolle hatte. Es ging längst nicht mehr darum, dass er sich seine Beleidigungen abgewöhnte, mit denen er mich ständig bedachte. Es ging schlichtweg darum, dass er mich nicht mehr interessierte. Ich liebte ihn nicht mehr, ich wollte nur noch da weg, von ihm weg, ihn am besten nie wieder sehen müssen. Ich hatte überhaupt keine Gefühle mehr für ihn, jedenfalls keine positiven. Seine ganzen Versprechungen auf Veränderung also – die waren mir zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich egal. Ich wollte nicht, dass er sich ändert, ich wollte einfach nur nicht mehr mit ihm zusammen sein. Und da es meine Wohnung war, wollte ich, dass er auszieht.
Es dauerte aber insgesamt noch zwei Jahre, bis ich dieses Ziel erreichte. Immer wieder ließ ich mich weich klopfen, aber nicht aus Liebe, sondern aus einem schlechten Gewissen heraus. Wir hatten oft Trennungsgespräche, denn ich wollte wirklich nicht mehr. Aber da waren dieses Weinen und dieses Betteln, häufig wirklich wie ein Häufchen Elend zu meinen Füßen – und ich fühlte mich schrecklich. Da kam ständig dieses »Ich kann ohne dich nicht leben!« Ich fühlte mich wie der furchtbarste Mensch der Welt. Manchmal fuhr er in solchen Situationen einfach weg, raste mit dem Auto davon und kam stundenlang nicht wieder. Stunden, in denen ich Fingernägel kauend auf dem Sofa saß, voller Angst, er könnte gegen den nächsten Baum rasen, denn meist murmelte er im Rausflitzen noch etwas in dieser Art. Mit der Zeit veränderte sich die Masche und er jammerte und bettelte nicht mehr zu meinen Füßen, weil ich ihm irgendwann sagte, dass das unwürdig ist. Also saß er leise weinend auf der Couch, mit tränenüberströmtem Gesicht, was sich für mich auch nicht besser anfühlte. Letztlich schickte er mir seinen Bruder vorbei, der mir ins Gewissen reden sollte. Seine Mutter, mit der ich mich gut verstand und die mir klarmachen sollte, dass er doch gar kein schlechter Kerl ist. Mehr und mehr bekam ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, nicht leben zu können, wie ich es wollte. Ich ließ mich zwei Jahre lang immer wieder breit schlagen, diese Beziehung, die ich inzwischen hasste wie nichts sonst auf der Welt, fortzuführen. Und das alles nur aus einem schlechten Gewissen heraus.
Und dann, eines Tages, fiel es mir wie Schuppen vor den Augen: Das war emotionale Erpressung. Nicht nur das. Dieser Mann hatte mich vom ersten Tag an emotional erpresst. Schon zu Anfang der Beziehung hatte er geklammert und furchtbar »gelitten«, wenn ich mal was für mich selbst tat und er nicht meine gesamte Aufmerksamkeit bekam. Es störte ihn, wenn ich las. Es störte ihn, wenn ich Besuch von einer Freundin bekam. Es störte ihn, wenn ich eine Freundin besuchte. Es störte ihn, wenn meine Freundinnen und ich abends ausgingen. Es störte ihn, wenn ich einen Film sehen wollte. Wahrscheinlich muss ich nicht erwähnen, dass er davon ausging, dass ich damit klarkomme, wenn er selbst all diese Dinge tut. Es ging ja nur um ihn, und wenn er ausging, saß er ja nicht neben einer lesenden Frau, die ihm keine Aufmerksamkeit schenkte. Wenn er sich mit seinen Kumpels traf, während ich zu Hause saß, wusste er, im schlimmsten Fall lese ich ein Buch oder schaue mir einen Film an, möglicherweise telefoniere ich mit einer Freundin. Aber er selbst, er hatte ja seinen Spaß in solchen Stunden, und das war natürlich in seinen Augen völlig in Ordnung. Um das zumindest teilweise durchzusetzen, war ihm alles recht, was mir ein schlechtes Gewissen verursachte. War ich unterwegs, erzählte er mir vorher noch, er wüsste nicht, was er sich zu essen machen sollte. »Na, dann esse ich eben nichts«, kam dann hier und da mal. Anfangs war ich auf diesen Zug noch voll aufgesprungen, irgendwann sagte ich ihm: »Hallo? Du bist doch ein großer Junge, du kannst dir doch selbst was machen?«
Aber nein, das konnte er natürlich nicht, denn er konnte ja so vieles, aber nicht kochen. Natürlich konnte er sich ein Brot machen, aber nach einem ganzen Tag Arbeit…
Ich kürze das ab. Er hat mir von Anfang an mit den dümmsten Sachen ein schlechtes Gewissen gemacht und ich habe es erst gemerkt, als ich mich trennen wollte, weil ich es nicht mehr aushielt. Dieses drückende Gefühl, das auf mir lastete, dieses Empfinden, als würde ich kaum atmen können, dieser ständige, innere Druck! Ich kann durchaus von einem ständigen, inneren Druck sprechen, denn an dem Tag, als ich diese Nummer durchschaute, wurde mir klar, dass ich tatsächlich rund um die Uhr das Gefühl hatte, unter Druck zu stehen. Egal was in meinem Leben passierte, ich fragte mich ständig, welchen Ärger das nun wieder geben würde, wie er wohl wieder reagieren könnte. Ich erwischte mich sogar dabei, wie ich darüber nachdachte, auf welchem Weg ich ihm schonend beibringen könnte, dass ich am nächsten Wochenende mit meinen Freundinnen eine Pizza essen gehen würde. Damit musste Schluss sein. Ich war stinksauer, als ich durchschaute, dass ich das Opfer emotionaler Erpressung war. Zuerst auf ihn, dann auf mich selbst.
Als er an diesem Abend nach Hause kam, ging auch gleich das Theater wieder los. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, es ist ja mehr als dreißig Jahre her, ich war, wie gesagt, noch sehr jung. An diesem Abend machte ich ein nächstes Mal Schluss – und es war ein letztes Mal. Er versuchte zu diskutieren – eine Unart, die mich in den zwei Jahren davor immer wieder massiv Energie gekostet hatte, denn die Diskussionen drehten sich im Kreis. Als ich darauf nicht einging, fing er an zu heulen. Ich schnappte mir mein Buch und legte mich in die Badewanne. Als ich wieder rauskam, hatte er das Wohnzimmer schön aufgeräumt, wofür er sich normalerweise zu fein war. Ich tat, als merke ich es nicht. Er hatte sogar Kerzen angezündet und kam dann näher herangerückt. Ich wehrte ihn ab und erklärte ihm ein nächstes Mal: »Es ist vorbei, ich möchte dass du ausziehst.« Daraufhin fing er an, still und leise zu weinen. Es ist schwer, sich auf sein Buch zu konzentrieren, wenn da einer sitzt und dicke Krokodilstränen weint. Und natürlich liest man so oder so nicht. Das Buch ist nur ein kleines Helferlein, das ihm signalisieren soll: Es ist vorbei und ich bin nicht mehr gesprächsbereit. Er riss mir das Buch aus der Hand und warf es vom Balkon. Ich schaltete den Fernseher an. »Ich will nicht mehr reden«, sagte ich. »Es ist alles gesagt.«
Das Weinen wurde lauter, er fing wieder an zu jammern und zu betteln. An irgendeinem Punkt umklammerte er wieder meine Beine, lag vor mir auf dem Boden und heulte und winselte und versprach, mir die Sterne vom Himmel zu holen. Ich sagte ihm, dass das Ganze würdelos ist, und bat ihn, aufzustehen, meine Beine loszulassen. Er setzte sich, starrte mich minutenlang an und dann erhob er sich mit einem ganz betont schleppenden Gang. Zog seine Jacke über und murmelte: »Ich überlebe das nicht, wenn du mich verlässt. Ich kann ohne dich nicht leben.«
»Du wirst es müssen«, sagte ich. »Und wenn du nicht überlebst, ist das deine Angelegenheit. So oder so bin ich dann wieder frei und kann mein Leben endlich wieder so führen wie ich es führen will.« Daraufhin griff er nach seinen Autoschlüsseln und murmelte irgendwas von »Baum« und »hohe Geschwindigkeit« und »das merkt man wahrscheinlich nicht mal«. Ich ließ ihn ziehen und als er wieder nach Hause kam, lag ich längst im Bett und schlief. Am nächsten Tag verhielt er sich »verletzt«. Er war sehr schweigsam, aber nicht beleidigt schweigsam, sondern schweigsam in tiefer Trauer. Sobald ich das Wort an ihn richtete – wenn man zusammen lebt, spricht man ja auch miteinander – riss er die Augen auf, war sofort voller Aufmerksamkeit ganz bei mir, seine Antworten auf meine Fragen klangen aber tonlos, mutlos und als sei er kurz vor dem Sterben. Ich bemerkte es nicht, jedenfalls nicht offiziell. Das Spiel lief noch ein paar Tage so weiter. Schließlich packte er seine Sachen, ging aber nicht. Nein, er stellte seine Koffer und Kisten in den Flur, setzte sich noch mal mir gegenüber auf das Sofa und zeigte Gesprächsbereitschaft. »Nein«, sagte ich, »wir reden nicht mehr. Es ist genug gesagt worden. Du gehst jetzt und das war es mit uns.«
Daraufhin erklärte er mir mit tieftraurigem Gesicht und vollkommen tonlos: »Ja, keine Sorge, ich bin heute noch weg. Aber heule dann auf meiner Beerdigung nicht rum. Wenn ich aus dieser Tür rausgehe, hast du mich auf dem Gewissen.« Ich schaute ihn nur an und fragte ihn, ob er etwa Krebs hat und ob ich das verursacht habe. Er ging, nicht ohne mich vorwurfsvoll anzuschauen. Wenige Wochen später traf ich ihn mit seiner neuen Freundin und er war die Lebenslust pur. Mir ging es allerdings auch blendend, denn ich hatte mein Leben zurück und konnte wieder atmen.
Warum ich das erzähle? Sollte man nicht glauben, dass ein Coach, der ein Buch über emotionale Erpressung schreibt, weiß, wie man mit solchen Dingen umgeht? Ja, sollte man glauben, darf man auch. Aber auch ein Coach musste irgendwann mal lernen. Man kann nur Dinge weitergeben, die man selbst erlebt, erfahren und verstanden hat. Alles andere halte ich für wenig glaubwürdig.
Ich bin heute noch dankbar für diese Erfahrung, wirklich. Ich habe dadurch schon in sehr jungen Jahren eine wichtige Lektion gelernt. Das soll aber nicht heißen, dass ich nie wieder mit emotionaler Erpressung zu tun gehabt hätte – denn das hatte ich. Emotionale Erpressung kommt auf vielen Wegen daher und sie ist nicht immer so deutlich erkennbar. Emotionale Erpresser sind geschickt, und natürlich sind Menschen individuell und haben ihre eigenen Ziele. Mein erster Freund, mit dem ich zusammenlebte, wollte meine gesamte Aufmerksamkeit, immer wissen wo ich bin, am liebsten wusste er mich stets zu Hause. Er mochte es nicht, wenn ich las oder wenn ich mit anderen Menschen im Gespräch war. Er mochte nichts, was meine Aufmerksamkeit beanspruchte. Der Nächste, mit dem ich zusammen war, hatte mit diesen Dingen überhaupt kein Problem. Ich konnte tun und lassen was ich wollte, dass ich so viel las, fand er toll, dass ich eigene Freunde hatte, fand er auch toll. Was er suchte, war ein günstiges Leben, eines, das vorwiegend von mir finanziert wurde, denn er selbst, er sparte da auf eine für ihn ganz große Sache. Auch da dauerte es ein Weilchen, bis ich dahinter stieg, dass es emotionale Erpressung ist, wenn er sagte: »Na dann, wenn du drauf bestehst, dass ich die Hälfte der Miete übernehme … dann wird es natürlich noch länger dauern, bis ich