Teufelssprache
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Book preview
Teufelssprache - Veronika Simoniti
1/2017/LV/143
Veronika Simoniti: Teufelssprache
Originaltitel: Hudičev jezik
Original: © Veronika Simoniti, 2011. Alle Rechte vorbehalten.
Übersetzung: © Slowenischer Schriftstellerverband (DSP), 2017
Übersetzung
Tamara Kerschbaumer
Nachwort
Tanja Petrič
Sprachliche Korrektur
Maike Nedo, Metka Wakounig
Redaktion von Litteræ Slovenicæ
Tina Kozin, Tanja Petrič
Redaktionelle Bearbeitung dieser Ausgabe
Tanja Petrič
Titelfoto
Laura Sozi
Herausgegeben und verlegt vom
Slowenischen Schriftstellerverband (DSP), Ljubljana
Vertreten durch seinen Präsidenten Ivo Svetina
Erste elektronische Ausgabe, Ljubljana 2018
https://litteraeslovenicae.si/
Kataložni zapis o publikaciji (CIP) pripravili v Narodni in univerzitetni knjižnici v Ljubljani
COBISS.SI-ID=296252672
ISBN 978-961-6995-40-5 (epub)
Veronika Simoniti
Teufelssprache
Aus dem Slowenischen von
Tamara Kerschbaumer
Mit einem Nachwort
von Tanja Petrič
DRUŠTVO SLOVENSKIH PISATELJEV
SLOVENE WRiTERS’ ASSOCIATION
LJUBLJANA 2018
Nie wird man wissen, wie das erzählt werden muss, ob in der ersten Person oder in der zweiten, indem man sich der dritten Person des Plurals bedient oder fortwährend Formen erfindet, die sich dann als nicht brauchbar erweisen. Wenn man sagen könnte: ich sahen den Mond aufgehen, oder: uns schmerzt der Grund meiner Augen, und vor allem so: du, die blonde Frau, waren die Wolken, die immer noch vor meinen, deinen, seinen, unseren, euren, ihren Gesichtern dahineilen. Verflixt!
Julio Cortázar, Teufelsgeifer
Übersetz von Rudolf Wittkopf
Ramón de Caballo
Als ich nach mehr als vierzig Jahren nach Santiago de las Vegas zurückkehrte, erwachten die verblassten Traumbilder, die ich bis dahin in mir getragen hatte, grausam und schonungslos zu neuem Leben. Ich besuchte die Biblioteca pública y Archivo, stöberte nach Dokumenten, die bezeugen könnten, dass meine Eltern einst hier gelebt hatten, Wissenschaftler, auf die dieser Ort noch heute stolz sein kann. Ich fand jedoch herzlich wenig, nur einige Vermerke in der lokalen Chronik und ein paar Erwähnungen in den Zeitungen von vor vierzig Jahren. Die Bücher verschwinden, jemand stiehlt sie, sehr geschickt, er lässt sich nicht erwischen, sagte mir der Bibliothekar im grauen Kittel, wahrscheinlich verkauft er sie woanders . Besorgt kratzte er sich am Kopf. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, reichte ihm die Hand und verabschiedete mich.
Ich suchte das alte Haus im Kolonialstil mit dem Patio auf, der Nachbar öffnete mir, er wusste, wer ich war, ganz gebrechlich und krumm war er geworden, und obwohl man sagt, dass sich sehr kleine Kinder an gar nichts erinnern, war auch er mir in Erinnerung geblieben. Es kam mir sogar vor, als sei alles erst gestern zu Ende gewesen, und das bestimmt nicht aufgrund der späteren Erzählungen, sondern wegen der Bilder, die ich von Anfang an in mir trug und die mich schlussendlich an meinen Geburtsort auf der Insel zurückbrachten, meilenweit vom meinem jetzigen Zuhause entfernt.
Die Mitte des Patios zierte ein Garten, eingefasst und mit Pfeilern begrenzt, dort hatte Mama einst ihre Pflanzen gesetzt und jeden Morgen nach ihnen geschaut, sie hielt sich dabei ein Vergrößerungsglas vors Gesicht, sodass ihr Auge monströs aussah. Ich besuchte das Labor meines Vaters, wo er vor vielen Jahren seine Nutzpflanzen seziert hatte, die Töpfe, in denen mein Vater Vanille gezüchtet hatte, standen noch immer da, wenn auch nicht mehr auf den Tischen in den zugedeckten Beeten, sondern schön gegen die Wand geschichtet, mit einer solchen Liebe hatte er sich um sie gekümmert, einer Liebe, die er meiner Mutter niemals entgegenbrachte, und meine Mutter hatte mit einer Hingabe durchs Mikroskop gespäht, die sie meinem Vater niemals zuteilwerden ließ. In so einer Familie bin ich groß geworden, der Sohn eines Agronomen und einer Botanikerin, der Sohn von Ökofreaks.
Doch auch ich selbst liebte eine Pflanze leidenschaftlich, nur eine einzige Pflanze, keine Pflanzenart, sondern nur einen einzigen Baum, den Trophis racemosa in der Mitte unseres Patios. Weil ich damals noch zu klein war, um hinaufzuklettern, blieb „der Pferdeast", Ramón de caballo, unerreichbar für mich. Meine Eltern sprachen über diesen Baum mit einer Leidenschaft, die zwischen ihnen fehlte, mit der wahren kubanischen Nostalgie und der einzigartigen, nur ihrer eigenen Baumsehnsucht. Obwohl ich glücklicherweise die beruflichen und fast krankhaften Neigungen zur Vegetation nicht geerbt hatte, brauche ich nicht extra zu erwähnen, dass ich mich von dieser Baumsehnsucht anstecken ließ, sodass ich später in meinen Teenagerjahren als kläglichen Ersatz die Eiche vor unserem Haus adoptierte, das am anderen Ende der Welt lag, wohin wir nach einigen Jahren auf der paradiesischen Insel zurückkehrten.
Mein Herz schlug nicht für Chlorophyll und Fotosynthese, wie es bei meinen Eltern der Fall war, meine passione war die Fantasie, verfeinert mit Science-Fiction, meine passione waren vergangene Welten und das Sternbild rationaler Erfindungen. Ein Teil des letzteren ist sicherlich auch das Fotosynthese-Erbe meiner Eltern, das meine Hemmungen hemmte, mein Nein, mein Nein, ich will nicht, ich habe gesagt, dass ich auf keinen Fall will, Punkt, mein Nein an jenem Nachmittag, als ich mit zehn Jahren den Teller Schnecken verweigerte, den Conchita, die mit uns aus den fernen exotischen Orten gekommen war, auf den Tisch stellte. Ich wollte diese verdammten Schnecken nicht, die mir Papa und Mama aufzwangen, diese Ökofreaks.
Ich lief aus dem Speisezimmer, geradewegs in den Garten, kletterte auf die Eiche meines Vaters, die mich mütterlich in ihren Ästen aufnahm. Hier bleibe ich, beschloss ich, hier bleibe ich bis ans Ende meiner Tage. Ausdauernd, mit der Sturheit des Jugendlichen, den man in seinen besten Jahren aus dem Paradies entwurzelt hat und gegen seinen Willen dorthin verpflanzt hat, wo das Klima warm, aber auch oft rau ist. Er wehrt sich, weil es im Grunde genommen seine einzige Raison d'Être. Mit dem Widerstand eines Streiters für das Universum hatte ich gesagt, dass ich diese glitschigen Schleimschnecken nicht essen wollte und war auf den Baum geklettert, wo ich mich mit den Brüdern dieser Schnecken unterhalten konnte, zumindest in meiner Vorstellung, und ich wusste, dass ich unsagbar im Recht war und sich die beiden schrecklich irrten. Diese feste Überzeugung verwob sich, je länger ich auf dem Baum saß, mit einem Schuldgefühl, mit Unsicherheit, Stolz und Zweifel „Was-aber-wenn-nicht-alles-so-ist? Was-aber-wenn-sich-dahinter-Dinge-verbergen-die-ich-nicht-verstehe?"
Diese Szene lief vor meinen Augen ab, als ich Ramón de caballo nach vierzig Jahren wiedersah. Ein Maulbeerbaum, der wesentlich stattlicher als meine Eiche war, ein Baum, der für mich bestimmt war, den ich aber mit drei Jahren verlassen musste, ein Baum, auf dem ich mit Sicherheit mein Recht viel besser durchsetzen hätte können. Er hätte mich in seine Obhut genommen und mir gesagt, so und nicht anders als du denkst, sollst du denken, genau so sollst du Widerstand leisten, genau so, wie du dich entschieden hast, bravo, ¡valvor!, ¡animo!, Junge, so ist’s richtig, zeig’s ihnen!
Zuerst schien es, als ginge es bloß um ein Spiel, das ein, zwei Stunden dauerte. Doch bereits am zweiten Tag, den ich auf der Eiche ausgehalten hatte, war meine Mutter schrecklich in Sorge gewesen, sodass sie mich, ich konnte sie dabei unter dem niedrigsten Ast sehen, bat, ich solle doch ins Haus zurückkommen und mit ihnen essen. Was später geschah, habe ich mehr oder weniger erfolgreich, mehr oder weniger fantasiereich in einem Buch beschrieben, als ich schon längst erwachsen und vernünftiger geworden war und mir solche Spinnereien leider nicht mehr im Kopf herumschwirrten, zum Glück blieben sie mir aber im Herzen erhalten; die Wissenschaftlichkeit, die ich hätte erben sollen, blieb es nicht.
Kurzum, sie säten mich in Kuba aus, und mit drei Jahren entwurzelten sie mich und verpflanzten mich nach San Remo. San Remo, Italien. Das erinnert Sie sicherlich an Schlagermusik, mich jedoch an die Kinderlieder Ninna Nanna Ninna Oh und Ambarabà Ciccì Coccò, Gutenachtlieder, die mir unsere Conchita immer wieder vorsang, auch sie wurde zusammen mit mir von meinen Eltern ans andere Ende der Welt versetzt. Europa! Europa! Diese Fleischmaschine, diese Strohschneidemaschine der Ideen, so verschieden und auf eine seltsame Art jenen ähnlich, die aus den warmen Böden Lateinamerikas aufkeimen und sich dort in der Blüte in Rüschen und Girlanden kräuseln, diese Entsorgungsanlage ungehemmter Ideen, die in den schwülen Gegenden elementar und sinnlich sind, die Hyperboreer aber lauern ihnen auf und verwandeln sie in Kristallwürfel und versuchen, ihnen etwas gehemmtes Leben einzuhauchen. Und dennoch, auf der anderen Seite: Europa! Europa! Seine Kälte zieht das Beste aus dir heraus, du beschränkst dich auf den Verstand und wärmst dich mit Rum in der Kajüte voller Zigarettendunst von den rauchenden Bohémiens, der Freunde des grauen Meeres, auf dem du mit der Kraft des Sentiments in den Segeln fährst. Das dachte ich über diesen alten Kontinent, das Schlechte und das Gute, ich bin Kubaner und Europäer, vor allem aber in beiden Fällen ein Latino, nach der Wiedergeburt kroch ich als Winzling in eine der ältesten europäischen Wiegen, nach Italien, ins alte Italien, das heute allerdings das jüngste Land von allen auf diesem Kontinent ist, Kindsköpfe tummeln sich dort, und von Zeit zu Zeit hinkt und trampelt auf seinem Boden ein Weiser, den alle achten, aber auf den niemand hört.
Eigentlich wollte ich noch etwas erzählen, das sich ereignete, als ich nach vierzig Jahren nach Santiago de las Vegas zurückkehrte, um unser einstiges Haus zu besuchen, das wie durch ein Wunder über all die Zeit leer gestanden hatte. Eines Morgens erblickte ich dort ein Mädchen, es war zu meinem mir nicht bestimmten Maulbeerbaum geschlichen, unter seinem Poncho, der wie ein Umhang aussah, holte es ein Gefäß hervor und streute daraus ein wenig Staub unter meinen Ramón de caballo. Das Erlebnis wäre mir nicht im Gedächtnis geblieben, hätte ich das Mädchen nicht zwei Tage später ein weiteres Mal dabei ertappt. Deshalb rüstete ich mich am nächsten Tag mit einem alten Taschenfernrohr aus, das ich in einer zurückgelassenen Truhe im Haus gefunden hatte und das ich jedes Mal, wenn ich zu Besuch kam, bei mir trug. Die Unbekannte zeigte sich erst nach einer Woche wieder und durch das trübe Fernglas sah ich, dass das Gefäß, aus dem sie das Pulver nahm, einer Urne und der verteilte graue Staub Asche glich.
Wie viele Tote sie wohl in einer Woche bestatten musste, um so viel Material zu erhalten, scherzte ich, als ich Freunden meiner Eltern, der Familie Ochoa, bei der ich während meines Aufenthalts regelmäßig zu Gast war, eines Abends von diesem ungewöhnlichen Erlebnis berichtete. Vielleicht ist sie ja eine Serienmörderin, lachte Vater Rodrigo laut auf. Vielleicht ist ihr Kamin verstopft, meinte Maria Eva. Vielleicht aber …, fing die alte Pilar an, machte dann aber nur eine abfällige Handbewegung.
In der folgenden Nacht konnte ich nicht schlafen, ich weiß nicht, ob es wegen des Mädchens mit der Urne oder wegen des Vollmonds war oder schlichtweg deshalb, weil ich in Santiago de las Vegas nicht gerade viel zu tun hatte und mich, abgesehen von meinem realen oder erfundenen Heimweh, nach einigen Wochen die Langeweile überkam, ich wälzte mich also im Bett hin und her und zerbrach mir den Kopf über das bizarre Verhalten der Kubanerin. Und da ich nicht viel Besseres zu tun hatte, als durch Santiago zu schlendern, bei den Ochoas zu Abend zu essen, in lokalen Bibliotheken und Archiven zu stöbern und das Cafè El Conde zu besuchen, entschied ich mich dafür, dieses, wie ich inzwischen glaubte, schreckliche Geheimnis aufzuklären. Schrecklich … Wie ich es in meinem Müßiggang aufgeschaukelt hatte.
Einige Tage in Folge wartete ich gut versteckt, doch nichts geschah. Am Samstagabend ging ich auf ein Volksfest vor dem Rathaus, ich hoffte, sie dort irgendwo zu entdecken, vergebens. Ich riss mich von der tanzenden Schar Einheimischer los und kehrte zu unserem von Dunkelheit umgebenen Haus zurück, setzte mich auf die verlassene Treppe vor der Eingangstür und zündete mir eine Zigarette an, das Streichholz zischte in der Stille auf, vor dem Hintergrund des in der Ferne spielenden örtlichen Orchesters, das Licht kam aus der Richtung der Akkordeontöne. Ich wartete.
Es raschelte, sie fiel unter meinem Baum auf die Knie und holte aus einer Verpackung ein ovales Gefäß hervor, nahm den Deckel ab und verstreute den bröseligen Inhalt über die Wurzeln.
Ich stand auf, sie hörte mich und blickte erschrocken um sich, doch noch bevor sie ans Weglaufen denken konnte, stand ich bereits vor ihr, entzündete ein neues Streichholz, leuchtete sie an. Sie war nicht schön, war mein erster Eindruck, die dicke Brille machte sie hässlich, sie lächelte mich peinlich berührt an, ¡buenas noches!, grüßte sie verlegen. Was machen Sie da, düngen Sie Ramón de caballo, fragte ich sie. Ramón de caballo, wiederholte sie überrascht, ihre Augen waren unter den dicken Linsen weit geöffnet, und in diesem Augenblick fiel ihr Metallgefäß zu Boden. Und was soll das sein, sieht aus wie eine Menage oder wie die letzte Ruhestätte meiner Mutter, sagte ich und hob den Gegenstand auf, sie entriss ihn meinen Händen, offensichtlich gefiel ihr mein schwarzer Humor nicht. Wer sind Sie, fragte sie mich. Ich verrate es Ihnen, feilschte ich, wenn Sie mir sagen, was Sie hier machen. Wortlos ging sie zur Treppe vor der Eingangstür und setzte sich. Mein Name ist Juanita.
Ich setzte mich zu ihr. Es freut mich, ich heiße C., I.C., sagte ich, die Worte eines großen Spions ungewollt nachahmend, mein Name ist der Name meiner Heimat. Ich habe hier vor mehr als vierzig Jahren gelebt, wir sind fortgezogen, als ich kaum drei Jahre alt war. Das ist mein einstiges Zuhause, ich deutete auf das Haus vor uns, ich weiß nicht, wo ich zuhause bin, welchem Land ich angehöre, dem ersten oder dem zweiten, ich bin eine Pflanze ohne Wurzeln, ein Buch mit zwei Anfängen. Ich wollte sie nicht mit den Europas und Amerikas ermüden. Hm, lächelte sie und schaute dabei auf ihre Urne. Fragend starrte ich sie an. Haben Sie vielleicht mit Büchern zu tun, fragte sie mich herausfordernd. Ich bin Schriftsteller: Sie werden es nicht glauben, antwortete ich ihr ironisch und sie lächelte, und zwar mit einem zynischen Gesichtsausdruck. Wir wussten beide, dass ein Spiel begonnen hatte.
Was schreiben Sie denn, fragte sie mich von der Seite betrachtend. Allerlei Erdichtungen und Einbildungen, sagte ich. Das klingt aber sehr vertraut, entgegnete sie. Und Sie, was machen Sie um diese Uhrzeit mit diesem Topf unter meinem Baum?
Unter Ihrem Baum?
Unter meinem Baum. Unter dem Baum des Widerstands und der Adoleszenz, unter meinem Baum, der mir geholfen hat, die verzerrte Linse auf die Welt zu richten, unter dem Baum der verblassten Traumbilder. Einst lebte hier ein Junge, der keine Schnecken zu Mittag essen wollte und auf die Eiche im Garten kletterte und nicht mehr auf den Boden zurückkehren wollte, alle flehten ihn an, er aber blieb auf dem Baum und …
Und?
Hinter den dicken Augengläsern blitzte Neugierde auf, ich bin ein schlechter Redner, es ist besser, wenn Sie es selbst lesen, der Titel heißt … Ihre Erwartung erreichte den Höhepunkt, ich wusste, dass ich die Oberhand hatte. Ich erzähle es Ihnen, wenn Sie mir erklären, was Sie hier gemacht haben?
Sie biss sich auf die Lippen. Ich habe Asche unter Ihren Ramón de caballo verstreut.
Nicht doch, täuschte ich sichtlich Verwunderung vor. Zwischen uns wuchs eine diffuse Vertrautheit heran, eine düstere Zuneigung. Ich bin sehr wütend, fuhr sie fort, so wütend, dass ich zu einer wahren Pyromanin geworden bin. Ich zündle gerne. Ich zünde gerne Bücher an.
Cristo della Madonna! Tja, irgendein Autor lateinamerikanischer Fiktionen könnte daraus wohl eine Geschichte machen. Es nahm mir den Atem, allerdings konnte ich das gut verbergen. In meinen Gedanken tauchten der Reihe nach Alexandria, die Reichskristallnacht und Fahrenheit 451 auf. Ich wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Bücher? Welche Bücher?
Alle Bücher, die mich wütend machen. Versetzt Sie denn kein Buch in Wut?
Ich war sprachlos.
Es begann mit der Pflichtlektüre im Studium, den Menschen macht ja nichts wütender als die Anmerkungen am Buchende. Mein Ofen war für dieses Unterfangen genau richtig, aber danach musste aufgeräumt werden, mein Vater hätte Verdacht schöpfen können, Sie haben ja keine Ahnung, wie viel Asche sich ansammeln kann! Da habe ich Ihren Baum entdeckt, sehr dienlich, das Haus stand schon jahrelang leer … Und es ist auch ein Ritual notwendig, man braucht eine Urne, man muss achtungsvoll sein, ein Buch ist dennoch ein Buch und man kann es nicht einfach so dem Wind überlassen.
Mit miserablen Übersetzungen ging es weiter, davon gibt es ja auch einige, mit zu klein Gedrucktem, unvollständigen Enzyklopädien … Damals konnte man sie in der Biblioteca pública y Archivo noch ausleihen, mit der Zeit aber haben sie offensichtlich Verdacht geschöpft.
Und was ist mit hässlichen Umschlägen, fragte ich fast mit Begeisterung. Oh, die auch, bestätigte sie mir erleichtert, aber in diesen Fällen habe ich meist nur den Einband verbrannt.