Frauen zwischen Gestern und Morgen: Report nach der Wende
By Helga Ewert
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So manche Frau in den neuen Bundesländern wird sich mit den Aussagen identifizieren können. Den Frauen in den alten Bundesländern sollen sie helfen. Vergangenheit und gegenwärtiges Denken der "Ossi-Frauen" besser zu verstehen. Mögen die Texte aber auch dazu beitragen, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam mehr Rechte für Frauen und deren Familien zu erkämpfen.
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Book preview
Frauen zwischen Gestern und Morgen - Helga Ewert
2000
Ich öffne mich der neuen zeit
Obgleich ich erst dreiundzwanzig Jahre alt bin und zwei Berufe erlernt habe, gehöre ich zum Heer der Arbeitslosen. Mein Name ist Anja B.. Ich bin Mutter einer Tochter von fast vier Jahren, an der ich viel Freude habe, die ich sehr liebe und gut zu erziehen mich bemühe. Ihr leiblicher Vater kümmert sich fast gar nicht um seine Tochter. Mein jetziger Partner hat ein ausgesprochen herzliches Verhältnis zu ihr. Beide sind sich sehr zugetan. Für sie ist er der Papa.
Ich erlernte den Beruf einer Näherin in den Rostocker Bekleidungswerken„Shanty", ein Betrieb, in dem vorwiegend Frauen, deutsche und vietnamesische, arbeiteten. Das Betriebsklima gefiel mir, mit den Ausländerinnen verstanden wir uns gut. Mit der Wende beendete dieser verhältnismäßig junge Betrieb sein Dasein, so wie viele andere. Damit verloren einige hundert Frauen ihre Arbeit.
Im Jahre 1990 gebar ich meine Tochter Teresa. Als Frühgeburt brauchte sie aufmerksame Pflege. Wir wohnten noch bei meinen Eltern. Meine Mutter und ich sorgten uns gemeinsam um mein Kind. Es wuchs in liebevoller Familie heran und steht in seiner Entwicklung Gleichaltrigen in nichts nach.
Mir gab das Arbeitsamt die Möglichkeit, in einem westdeutschen Bildungsinstitut, das sich in Rostock angesiedelt hatte, zur Speditionskauffrau umzuschulen. Eine Stellung fand ich im neuen Beruf, der allerdings auch gar nicht meinen Neigungen entsprach, trotz einiger Bemühungen nicht. Mein Traum ging dahin, auf künstlerischem Gebiet tätig zu sein, Kunst zu studieren.
Mit diesem Ziel begann ich in einem Einjahreskurs an einer Fachschule, mich auf das Abitur vorzubereiten, das ich in diesem Jahr erworben habe. Den Test an der Fachschule für Angewandte Kunst bestand ich inzwischen und warte nun gespannt auf die Aufnahme in diese Studieneinrichtung in Heiligendamm. Leider erhalte ich nur ein begrenztes Stipendium, und meine Eltern müssen zuzahlen. Von den Eltern abhängig zu sein, halte ich in meinem Alter und mit Kind für eine Zumutung.
Meine Tochter besucht eine Kindertagesstätte, die überfüllt ist. Mich drücken natürlich finanzielle Sorgen, die zu Spannungen in der Familie beitragen. Mit meinem Partner bewohnen wir zu dritt eine Genossenschaftswohnung, für die wir einige tausend Mark als Anteile auf den Tisch legen mußten und die Einrichtung anzuschaffen hatten, was uns nicht leicht fiel, da wir über keine Ersparnisse verfügten. Vorher zahlten wir bereits für eine Wohnung als Nachmieter fünftausend Mark, mußten sie jedoch verlassen, weil ein westdeutscher Investor das Haus kaufte und die Wohnung brauchte.
Über die Zeit in der DDR kann ich nur aus dem Blickwinkel eines Kindes oder einer Jugendlichen etwas sagen. Ich weiß nur, daß unsere Familie in Sicherheit lebte – wir sind vier Geschwister. Meine Eltern arbeiteten beide und wir kannten keine Not.
Die Sicherheit betrachte ich nachträglich als relativ, als „behinderte Sicherheit", da längst nicht alle die Chance hatten, das zu werden, was sie wollten. Nur wenige durften die Erweiterte Oberschule besuchen und damit die Studienvoraussetzung erwerben. In einer Klasse dürften es etwa drei gewesen sein. Diese Schablone wurde zum Glück mit der Einheit Deutschlands beseitigt.
Natürlich gehörte ich früher der Pionierorganisation und der Freien Deutschen Jugend an. Die Tätigkeit in diesen Vereinigungen bereitete mir Spaß, denn einen politischen Hintergrund nahm ich nicht wahr. Erst später lernte ich Leute kennen, die unter der DDR-Regierung gelitten haben. Damals waren meine Gefühle diesem Land gegenüber positiv. Sie bekamen jedoch Anfang 1989 einen Knacks. Ich sollte Kandidat der SED werden. Demgegenüber bin ich aufgeschlossen gewesen und bat mir Zeit zum Überlegen aus. Das wurde als Zweifel gewertet, und man versuchte, mich zu erpressen: Wenn ich nicht Mitglied der Partei würde, bekäme ich von meinem Betrieb keine Delegierung zum Studium, welches mein größter Wunsch gewesen war.
In meiner Erinnerung an die DDR erkenne ich heute:
-Der Druck war zu stark, wodurch Ängste hervorgerufen wurden.
-Das Leben wurde nach einem bestimmten „Strickmuster" gelebt.
-Eine Selbstverwirklichung nach eigenen Vorstellungen war nicht erreichbar.
-Der Mensch wurde nur als Einheit mit anderen gesehen, nicht als Individuum, was viele zu Duckmäusern erzog.
-Sozialismus an sich betrachte ich als eine gute Sache, vielleicht ist er jedoch nur Theorie, da der Mensch m. E. eher korrupt als sozial ist.
-Die DDR-Regierung war – aus menschlichen Schwächen?
-nicht fähig, die Erkenntnisse von Marx zu verwirklichen.
Als junge Frau und Mutter kämpfe ich mich durch. Meine Absicht besteht darin, das zu erreichen, was mir vorschwebt. Der Aufbruch einer Frau beginnt damit, ihre konventionelle Rolle als „Nur-Mutter und Hausfrau abzuwerfen. Will man sich selbst verwirklichen, müssen die Wertigkeiten im Leben auf Schwerpunkte wie Bildung und Beruf verlegt werden. Die Frauenbewegung wird mit den Jahren anwachsen. Die jetzige Überlastung der Frau innerhalb der Familie wird sich auf beide Partner verteilen müssen. Da Kinder unbedingt zu einer Familie gehören und die Fortpflanzung der Menschheit sichern, läßt sich keine Alternative dazu finden. Männerfeindliche Feministinnen sowie kinderlose Karrierefrauen halte ich jedoch für extreme Vertreterinnen meines Geschlechts. Frauenbewegungen, die solche „Kampfziele
verfolgen, schaden der Gesellschaft. Nur in einem gleichberechtigten Miteinander von Frau und Mann lassen sich vernünftige Ziele erreichen.
In der Politik sind Frauen unterrepräsentiert. Gesetze, die überwiegend von Männern gemacht werden, erleben unseren berechtigten Einspruch. Was tut man sich im Parlament schwer wegen des Paragraphen 218. Mütter werden immer älter. Familien wollen weniger Kinder. Alleinstehende Mütter stehen wirklich allein da, ohne finanzielle Unterstützung des Staates. Daran ist erkennbar, wie wenig man sich um die Bildung und Entwicklung von Frauen Gedanken macht. Hauptsache, die Diäten von Abgeordneten stimmen.
In der DDR wurden viermal mehr Kinder geboren, als es heute geschieht. Warum wohl? Weil die DDR ein frauen- und kinderfreundlicher Staat trotz all seiner Fehler gewesen ist. Ich glaube, als solcher wird er in die deutsche Geschichte eingehen.
Mütter müssen selbst entscheiden können, wie lange sie mit dem Kleinstkind zu Hause bleiben möchten. Ihre Entscheidung dürfte nicht durch finanziellen Druck beeinflußt werden, was aber meistens der Fall ist. Die Habgier mancher Eltern gilt es einzuschränken. Leider fördert der kapitalistische Markt mit seiner nimmermüden Werbung das materielle Denken in den Familien. Alle gesunde Moral wird zerstört. Die Liebe der Eltern und die stärkere Zuwendung zu den Kindern anstelle dauernder neuer Geschenke, mit denen die Sprößlinge protzen und entsprechenden Einfluß auf ihre Freunde ausüben, wären einer gesunden Einstellung dienlicher.
Familie wird in Deutschland mit Ehe assoziiert, was grundverkehrt ist. Es existieren immer mehr Kleinfamilien, bestehend aus Mutter – Kind, Vater – Kind. Kinderlose Ehepaare werden mit Geldern gefördert, die alleinerziehenden Eltemteilen zustehen müßten. Somit wird es immer lukrativer, auf Kinder zu verzichten – völlig unnormal. In unserer Gesellschaft beschäftigt sich die Regierung mehr mit Statusfragen, als sich mit der Förderung des Nachwuchses zu befassen.
Ich sehe für die Frau ganz gute Zukunftschancen, wenn sich immer mehr Frauen auf ihre