Sabine weiß nicht, wohin: Die Klinik am See 29 – Arztroman
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Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Mit einigen Zeitungen in der Hand trat Benno Mayr auf die Terrasse hinaus. Breite Stufen führten in den Garten, der bis ans Ufer des Sees reichte. In der Nähe des Wassers stand der Liegestuhl, in dem es sich seine Frau bequem gemacht hatte. Er sah kurz zu ihr hin. Er wollte sich setzen, überlegte es sich dann aber anders und ging die Stufen hinunter. Da er nicht über den Rasen ging, sondern auf den Steinplatten, hörte Gudrun Mayr seine Schritte. Sie hob den Kopf, um sich dann etwas mühsam aufzusetzen.»Bleib doch liegen«, meinte ihr Mann. »Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht etwas brauchst. Hast du Durst? Vielleicht ein Glas Limonade?Gudrun wollte schon den Kopf schütteln, dann besann sie sich. Ihr Mann wollte ihr etwas bringen. So fürsorglich war er schon lange nicht mehr gewesen. Sie streckte ihm ihre Hand hin.»Das ist lieb von dir! Ein Glas Limonade würde mir sicher gut tun.« Sie lächelte zu ihm hinauf.Benno ergriff ihre Hand und tätschelte sie. Auch das hatte er schon lange nicht mehr getan.
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Sabine weiß nicht, wohin - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 29–
Sabine weiß nicht, wohin
In der Not ließen sie alle im Stich
Britta Winckler
Mit einigen Zeitungen in der Hand trat Benno Mayr auf die Terrasse hinaus. Breite Stufen führten in den Garten, der bis ans Ufer des Sees reichte. In der Nähe des Wassers stand der Liegestuhl, in dem es sich seine Frau bequem gemacht hatte. Er sah kurz zu ihr hin. Er wollte sich setzen, überlegte es sich dann aber anders und ging die Stufen hinunter. Da er nicht über den Rasen ging, sondern auf den Steinplatten, hörte Gudrun Mayr seine Schritte. Sie hob den Kopf, um sich dann etwas mühsam aufzusetzen.
»Bleib doch liegen«, meinte ihr Mann. »Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht etwas brauchst. Hast du Durst? Vielleicht ein Glas Limonade?«
Gudrun wollte schon den Kopf schütteln, dann besann sie sich. Ihr Mann wollte ihr etwas bringen. So fürsorglich war er schon lange nicht mehr gewesen. Sie streckte ihm ihre Hand hin.
»Das ist lieb von dir! Ein Glas Limonade würde mir sicher gut tun.« Sie lächelte zu ihm hinauf.
Benno ergriff ihre Hand und tätschelte sie. Auch das hatte er schon lange nicht mehr getan. »Ich hole dir sofort ein Glas.«
Mit glücklichem Lächeln sah Gudrun ihm nach, wie er zum Haus zurückging. Ihre Brust hob und senkte sich. Alles war wieder in bester Ordnung. Benno kam jedes Wochenende an den Tegernsee, sie konnten wieder miteinander reden. Unwillkürlich legte sie ihre rechte Hand auf ihren Unterleib. Sie hatte an Umfang zugenommen. Deutlich war zu sehen, daß sie ein Baby erwartete. Sie hielt den Atem an, horchte in sich hinein. Sie war davon überzeugt, bald die ersten Kindesbewegungen spüren zu können. Wie lange hatte sie darauf gewartet! Sie ließ sich zurücksinken, schloß die Augen. Ihr Leben würde sich ändern. Benno würde nicht mehr hinter jeder Sensation herjagen. Es ging auch so, in den letzten Wochen hatte er ihr dies bereits bewiesen. Meistens hatte er sich in München aufgehalten. Er war ein guter Journalist, der auch hinter dem Schreibtisch sehr gute Arbeit leistete. Zwischendurch konnten sie in Paris leben, jedenfalls bis ihr Kind zur Schule kam. Dann mußten sie sich entscheiden, ob sie in München oder Paris leben wollten.
Gudrun öffnete die Augen. Diesmal hatte sie ihren Mann nicht gehört. Durch sein Herankommen war ein Schatten auf ihr Gesicht gefallen. Sie blinzelte.
»Du hast doch nicht etwa geschlafen?« Benno schwenkte das Glas.
»Ich habe geträumt. Nein, es ist kein Traum. Ich habe mir vorgestellt, wo wir mit dem Kind leben werden.«
»Hier!« Benno Mayr ließ seinen Blick wandern. »Mir hat es am Tegernsee immer gefallen.«
Gudrun konnte sich nicht verkneifen zu sagen: »In letzter Zeit bist du kaum hier gewesen.«
»Das stimmt nicht! Die letzten Wochenenden habe ich stets hier verbracht.«
»Ich meine ja auch, bevor…« Sie lächelte, legte beide Hände flach auf den Bauch. »Aber lassen wir das!« Sie erhob sich aus dem Liegestuhl und sah sich ebenfalls um. »Du hast schon recht! Hier ist es schön. Die Luft ist auch besser als in der Stadt. Vielleicht sollte ich die ersten Monate nach der Geburt mit dem Kind hier leben.«
»Das meine ich. Ich werde natürlich so oft wie möglich hier sein, auf jeden Fall jedes Wochenende.«
»Wirklich? Kann ich dir das glauben?«
»Natürlich«, brummte der zweiundvierzigjährige Journalist. »Es ist ja auch mein Kind, und ich habe vor, mich darum zu kümmern.«
Zufrieden nickte Gudrun. Sie würden eine richtige Familie sein.
»Willst du dich nicht wieder setzen?« fragte Benno. Er hielt das gefüllte Glas noch immer in der Hand.
»Vielleicht solltest du nicht so in der prallen Sonne sitzen. Ich trage dir den Liegestuhl gern in den Schatten.«
»Setzt du dich dann zu mir?« bat Gudrun.
»Eigentlich wollte ich in Ruhe Zeitungen lesen.« Er sah die Enttäuschung auf ihrem Gesicht. »Na gut! Dann hole ich mir auch einen Drink.« Er hielt ihr die Limonade hin.
»Danke!« Sie griff danach. »Wir können uns unter die Weide setzen«, sagte sie und zeigte mit der Hand in die Richtung. Dort standen zwei Bänke und ein Tisch. Schon vor zehn Jahren, als sie den Bungalow gekauft hatten, hatten sie dort gestanden. »Ich habe schon gedacht, daß wir dort für den Kleinen einen Sandkasten anlegen könnten«, fuhr sie fort.
»Und wenn es ein Mädchen wird?« fragte Benno lächelnd. Er hätte nichts gegen eine kleine Tochter gehabt.
»Auch Mädchen spielen gern im Sand«, wurde er von seiner Frau belehrt. Er lächelte. Es war schön, sich vorzustellen, daß in zwei Jahren ein kleines Mädchen hier herumlaufen würde. Die ersten Gehversuche hatte es dann schon hinter sich.
Während seine Frau mit dem Glas in der Hand zur Bank hinüberschlenderte, ging er auf das Haus zu. Er hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, Vater zu werden. Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit. Gleich in ihrem zweiten Ehejahr hatte seine Frau aufgehört zu arbeiten. Sie hatten damals die meiste Zeit des Jahres in Paris gelebt. Eigentlich hatten sie sich mindestens drei Kinder gewünscht. Dazu war es jetzt wohl zu spät. Es schien ihm sowieso wie ein Wunder, daß seine Frau in andere Umstände gekommen war.
Als er wieder aus dem Haus kam, sah er sich suchend nach seiner Frau um. Das Glas stand auf dem Holztisch, aber sie saß nicht auf der Bank. Schließlich sah er sie am Ufer. Sie hatte ihre Schuhe abgestreift und stand bis zu den Knien im Wasser.
»Gudrun!« rief er erschrocken. Er eilte über die Wiese auf sie zu. »Was machst du denn da?«
Sie wandte sich nach ihm um. »Hier könnte man ein Planschbecken anlegen. Zumindest müßte das Ufer aufgeschüttet werden. Noch ein, zwei Schritte, und das Wasser würde mir bis zum Bauch gehen.«
»Komm sofort da heraus!« Er streckte ihr die Hand hin.
Gudrun lachte, dann griff sie jedoch nach seiner Hand und kam ans Ufer. »Das Wasser ist bereits sehr angenehm. Noch so eine schöne Woche, und wir können baden gehen.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage! Willst du dir etwa eine Lungenentzündung holen?«
»Aber Benno, Mitte Mai sind wir schon öfter baden gegangen.«
»Aber nicht in diesem Jahr!« Er zog sie an sich heran. »Wie kannst du nur an so etwas denken?« Vorwurfsvoll sah er ihr nun ins Gesicht. »Gudrun, du mußt auf dich aufpassen!«
»Du würdest mich am liebsten in Watte packen.«
»Wundert dich das?« Seine Augen blickten ernst.
»Es geht mir gut. Ich fühle mich ausgezeichnet. Oft habe ich das Gefühl, daß ich das Baby schon spüre.«
»Gudrun, wir sind uns doch einig?« Er berührte ihre Wange. »Du mußt dich schonen. Du darfst nichts tun, was dem Ungeborenen schaden könnte.«
»Du weißt doch, wie sehr ich mir das Kind wünsche.« Sie legte den Kopf an seine Schulter. Es war schön, daß sie sich wieder so nahe waren.
»Ich mir auch!« Benno legte seiner Frau den Arm um die Schultern. »Und diesmal wird es klappen!« Er führte sie über die Wiese zur Bank »So gut es geht, werde ich dir dabei helfen. Ich habe bereits alle Auslandsreisen abgesagt.«
Zufrieden lächelte Gudrun. Sie hatte ihn nicht darum gebeten, aber sie hatte gehofft, daß er es tun würde. »Es wird aber noch einige Monate dauern«, warnte sie ihn.
Benno nickte. Das war ihm klar. Er hatte vor, hier am Tegernsee zu arbeiten. Selbst nach München wollte er nur fahren, wenn es wirklich notwendig war. Unwillkürlich glitt sein Blick über seine Frau. Konnte er sie hier überhaupt allein lassen? Der Bungalow war nicht allzu groß. Bisher hatte er ihnen auch nur als Wochenend- oder Ferienhaus gedient. Daher hatten sie hier nicht einmal eine Putzfrau. Das mußte sich nun auch ändern.
»Was hast du? Du mußt dir wirklich keine Sorgen machen. Ich bin zwar nicht mehr die Jüngste, aber in der heutigen Zeit ist es kein Problem, in diesem Alter noch ein Kind zu bekommen.«
»Hat Dr. Lindau das gesagt?« fragte Benno. Er sah, wie seine Frau das Gesicht verzog. »Dr. Lindau ist sicher ein ausgezeichneter Gynäkologe«, setzte er hinzu.
»Kann schon sein!« Gudrun zuckte die Achseln.
»Gudrun, ich habe dich überhaupt noch nicht gefragt, was Dr. Lindau gesagt hat.«
Sie wich dem Blick ihres Mannes aus. »Es ist alles in bester Ordnung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Gudrun!« Er griff nach ihrer Hand. »Du wirst doch den Anweisungen des Chefarztes folgen?«
»Natürlich!« Sie lachte, aber ihr Lachen klang unecht in den Ohren. »Ich weiß doch, welche Kapazität unser Dr. Lindau ist.«
»Die Klinik am See hat einen guten Ruf. Die Patientinnen kommen von weit her.« Benno versuchte, seiner Frau noch immer ins Gesicht zu sehen. Ihre Miene war teilnahmslos, man konnte sagen, gleichgültig. »Dr.