Diva und Angelo: Österreich Krimi
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Theresia und Vinzent lernen sich zufällig in einer Bar in Innsbruck kennen. Gemeinsam nehmen sie am dies honorum - dem Tag der Ehre - an der Universität Innsbruck teil. Doch als der Geehrte seine Rede beginnen will, bricht er leblos zusammen. Als Diva und Angelo beginnen Theresia und Vinzent mit ihren eigenen Ermittlungen, die sie tief in die Vergangenheit des Opfers führt. Unversehens werden die beiden in einen Strudel von merkwürdigen Ereignissen gezogen.
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Diva und Angelo - Brigitte Jaufenthaler
Reinhold
1
Irgendwann zünde ich den Laden an, dachte er, als er die Uni verließ. Eine scheinbar achtlos weggeworfene Zigarette, irgendwo zwischen all den verstaubten Büchern und Manuskripten, brennt sicher wie Zunder.
Aber schon bevor er sich noch so richtig über die Vorstellung freuen konnte, fiel ihm ein, dass man bei dieser Methode, seinen Arbeitsplatz zu vernichten, sicher sofort auf ihn kommen würde. Er war der Einzige, der noch im Büro rauchte. Manchmal hatte er den Eindruck, dass er der Einzige war, der überhaupt noch ungeniert rauchte, ohne sich bei irgendwem dafür zu entschuldigen.
Er überlegte, ob er nach Hause gehen und sich etwas kochen sollte. Aber eigentlich war es noch zu früh, und außerdem wartete dort jede Menge Arbeit.
Dann eben in die Bar. Meistens war um diese Zeit noch wenig los, man konnte sich einen Drink genehmigen und in Ruhe nachdenken. Der Besitzer des kleinen Lokals in der Innenstadt, eigentlich ein Friseur, betrieb im Hinterzimmer einen Barbierladen, stand jedoch auch selbst hinter der Bar und war inzwischen zum Freund geworden. Er hatte ein großes Herz, das er für jeden öffnete, der bei ihm Zuflucht suchte, ohne Ansehen von Herkunft oder Stellung. Wenn man wollte, durfte man sich bei ihm zu Hause fühlen.
Als er jetzt die Straße überquerte, bemerkte er sein Spiegelbild in einer der Scheiben gegenüber. Je näher er kam, um so mehr sah es aus, als würde er mit der Schaufensterpuppe dahinter Hand in Hand gehen. Der kleine Mann und das große Mädchen.
Er blieb vor der Scheibe stehen und betrachtete sich: Er war zart gebaut, seine Hände waren schmal und gepflegt, seine Züge waren fein und wirkten ein wenig traurig.
Na ja, dachte er, kein Womanizer auf den ersten Blick. Dabei fiel ihm ein, dass er eine Einladung zu dieser blöden Feier an der Uni in der Tasche hatte, alle würden da wieder an der Seite ihrer Frauen auftauchen, oder ihrer Freundinnen. Scheiß drauf! Er wollte sich eine anzünden, aber die Schachtel war leer. An der Trafik, die am Weg lag, kaufte er eine Packung Zigaretten und füllte einen Lottoschein aus. Quicktipp, wie immer. Alles wie immer, dachte er, irgendwie beruhigend.
In der Bar waren, wie erwartet, nur wenige Gäste. Sah nach einem gemütlichen Feierabend aus. Er bestellte Campari Soda.
Sein Freund, der Barkeeper, lachte ihn aus: »Campari Soda! Seit wann trinkst du Campari Soda? Tussilimonade!«
Er hatte selbst keine Ahnung, warum er ausgerechnet Campari Soda bestellt hatte. Gerade war noch alles wie immer gewesen, und jetzt? Irgendetwas hatte ihn aus dem Konzept gebracht, oder irgendwer?
Er schaute sich in der kleinen Runde um. Zwei im dunklen Anzug standen am Tresen bei einem kleinen Bier. Daneben lallte einer schon ziemlich angeheitert wieder und wieder den gleichen Satz in den Spiegel, der über ihm an der Decke hing. Hinten in der Ecke saß, wie immer bei einem Glas Whisky, der Maler, dem er hin und wieder ein Bild abkaufte. Durch ihn hatte er die Bar und einige ihrer ungewöhnlichen Stammgäste kennengelernt und Geschmack an abstrakter Kunst gefunden. Außerdem war er ein exzellenter Gesprächspartner, wenn er sich nicht gerade ins geistige Nirwana getrunken hatte. Neben dem Whisky auf der Theke fiel ihm jetzt ein verlassenes Glas Campari Soda auf.
Verflixtes Unterbewusstsein, dachte er.
In diesem Augenblick entdeckte ihn der Kunstmaler und winkte ihn zu sich: »Komm, ich muss dir jemanden vorstellen«, rief er, ein wenig zu laut in den kleinen Raum hinein. »Komm schon, sie ist die beste Schauspielerin aller Zeiten!«
Klar, dachte Vinzent, die hat nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet hier in in dieser Bar herumzuhängen. Trotzdem nahm er sein Glas und drückte sich, an den beiden Anzügen vorbei in Richtung hintere Ecke.
Gerade als er angekommen war, ging die Tür auf, die zu den Klos führte, und Vinzent stand Auge in Auge mit der »besten Schauspielerin aller Zeiten«.
Sie sah gut aus, nicht zu gut, aber gut. Irgendwie normal. Auch war sie nicht mehr ganz so jung, wie er es erwartet hatte. Mitte vierzig, schätzte er, vielleicht sogar ein wenig älter, obwohl sie immer noch etwas Mädchenhaftes an sich hatte. Hübsch, dachte er, aber eine mit rot bemalten Fingernägeln, wehenden langen Haaren und hochhackigen Schuhen wäre ihm lieber gewesen. Er wollte sich jetzt nicht unterhalten, er wollte unterhalten werden.
»Das ist ein Freund und Gönner, er ist Jurist«, stellte ihn der Kunstmaler vor. »Und das ist die beste Schauspielerin aller Zeiten, meine Diva«, verkündete er stolz und zog sie gleichzeitig neben sich auf die Bank.
»Lassen Sie sich nichts erzählen! Ich bin weder die Beste, die Größte, noch die Schönste. Einfach Schauspielerin.« Sie lachte von Herzen und um ihre Augen bildeten sich Fältchen. Eitel schien sie nicht zu sein, eher selbstbewusst.
»Freut mich«, sagte sie, indem sie ihr Glas hob und ihm zuprostete.
Er hob sein Glas ebenfalls, und sie lachte wieder von Herzen: »Campari Soda«, sagte sie, »ich hab hier noch nie einen Mann getroffen, der Campari Soda trinkt.« Und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Tussilimonade.«
Er war sich nicht sicher, ob die Situation gerade peinlich wurde, aber es war ein offenes, warmes Lachen ohne jeden Spott, also trank er und zündete sich eine an. Als er ihr auch eine anbieten wollte, lehnte sie ab: »Nein danke, ich rauche nicht.«
»Dann eben nicht«, murmelte er. Nichts war gerade wie immer und doch beunruhigte es ihn nicht.
Er dachte an die Schauspielerinnen, die er aus diversen Fernsehmagazinen kannte, die waren anders, aufgetakelt, richtige Schauspielerinnen eben. Aber vielleicht war sie das ja auch, wenn sie nicht privat unterwegs war.
Eine Idee fuhr ihm ins Hirn wie ein Blitz! Was, wenn er zu der Feier an der Seite einer Schauspielerin kommen würde? Er könnte sie fragen, ob sie sich, gegen Gage natürlich, für so eine Gelegenheit ein wenig »auftakeln« würde, rein professionell. Er, der trockene Jurist, an der Seite einer echten Diva.
»Lust auf eine Feier?«, fragte er und war selbst überrascht, dass er laut aussprach, was er gerade noch gedacht hatte.
»Ja, feiern«, rief der Kunstmaler, inzwischen schon kräftig durchdrungen vom Geist des schottischen Nationalgetränks. »Feiern ist immer gut!«
Sofort ärgerte er sich über seine überstürzte Frage und die ungenaue Formulierung, und wieder spürte er, dass sich alles in eine völlig ungewohnte Richtung entwickelte.
Er wollte sich gerade zurückziehen, da fragte sie: »Wann?«
»Was?«, entgegnete er irritiert davon, dass sie sich tatsächlich angesprochen fühlte.
»Na, die Feier!«, sagte sie. »Wann? Und was wird gefeiert?«
Das wüsste ich auch gern, dachte er bei sich. Laut sagte er und konnte kaum glauben, was da aus seinem Mund kam: »Dies honorum, lauter Magnifizenzen und Spectabilitäten.«
»Ah, Spektakel«, erwiderte sie mit einem Augenzwinkern. »Klingt gut!«
Klingt eindeutig besser, dachte er.
»Warum eigentlich nicht?«, sprach sie weiter. »Und wann?«
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass es kein Zurück mehr gab, seine Fantasien nahmen gerade realistische Formen an. Der Gedanke, wirklich und wahrhaftig am Arm einer aufgetakelten Schauspielerin durch die Reihen seiner honorigen Kollegen zu schreiten, verursachte ihm Schweißausbrüche.
»Keine Sorge«, sagte sie, »ich bin nicht immer so ... normal, ich kann auch kiki sein.«
Diese Aussage verbesserte seinen Zustand keineswegs, im Gegenteil, der Schweiß stand ihm inzwischen schon auf der Stirn.
»Salbeitee«, sagte sie.
»Bitte?«, fragte er zurück.
»Na, Salbeitee ist gut gegen Schweißausbrüche.«
Die Unterhaltung geriet außer Kontrolle. Noch nie hatte er nach gerade einmal zehn Minuten mit einer völlig Fremden eine Verabredung getroffen und dabei noch Tipps zur Vermeidung seiner durchaus höchst intimen Schweißausbrüche bekommen.
»Also, wann?«, fragte sie noch einmal.
»Samstag, neun Uhr dreißig.«
»Samstag, neun Uhr dreißig!« Sie stöhnte. »Wo?«
»In der Aula der Universität.«
»Oh! Tja … am Samstagvormittag ist die Bar geschlossen ... dann also um neun Uhr im Café gegenüber.« Sie schickte ein übermütiges »Kiki« hinterher und prostete ihm zu.
Er hob sein Glas, und aus seinem Mund kam jetzt auch ein überraschend erleichterndes »Kiki«.
2
In den letzten paar Nächten hatte er kaum geschlafen. Auch jetzt lag er wach im Bett und überlegte sich alle möglichen Ausreden, um sich elegant aus der Affäre zu ziehen. Zuerst hatte er an eine schwere Erkältung gedacht, aber er wollte am Wochenende ausgehen, und die Möglichkeit, sich in dieser Stadt über den Weg zu laufen, war groß und hätte ihn möglicherweise verraten. Außerdem hatte er ohnehin keine Telefonnummer, um seine Ausrede anzubringen. Was für eine absurde Situation! Er versuchte sich zu erinnern, ob ihm irgendwann schon etwas Ähnliches passiert war. Aber nein, eine Verabredung mit einer Frau, deren Namen er nicht einmal kannte! Immerhin hatten sie einen gemeinsamen Bekannten, aber was hieß das schon. Gut möglich, dass sie den Maler auch gerade erst kennengelernt hatte und der genauso viel, oder besser so wenig über sie wusste wie er.
Es half nichts, er musste um neun in dem Café auftauchen, dort würde er dann einem heimtückischen Leiden zum Opfer fallen. Ein allergischer Schock kam ihm ideal vor, der konnte ganz plötzlich auftreten und ebenso schnell wieder verschwinden. Allerdings war zu bedenken, dass sie Schauspielerin war und ihn möglicherweise durchschaute, was die Peinlichkeit der ganzen Sache in ein Unmaß steigern konnte.
Zu all dem belastete ihn, dass die Luft in seinem Institut an der Uni immer dicker wurde und er zwischen den sprichwörtlichen zwei Stühlen saß. Genauer gesagt, im mittleren Büro, durch das hindurch alle Streitigkeiten über seinen Kopf hinweg ausgetragen wurden. Es ging immer um Kleinigkeiten, die zu Monstern aufgebläht und dann so lange diskutiert wurden, bis sich eine der beiden Parteien schmollend zurückzog, um unverzüglich nach der nächsten Unwichtigkeit zu forschen, der man sich hitzig widmen konnte. Sein Worst-Case-Szenario war, dass er von beiden Seiten aufgefordert werden könnte, endlich Stellung zu beziehen und Farbe zu bekennen, was er bis jetzt erfolgreich vermieden hatte.
Doch allein die Vorstellung verdarb ihm den Appetit und bereitete ihm Magenschmerzen. Wie war er nur auf die Idee gekommen, auf diese Feier zu gehen, wo er sicher alle Plagegeister treffen würde?
Die Atmosphäre in der Bar hatte ihn verführt. Sein euphorischer Freund, der Maler, diese Schauspielerin, Campari Soda: Das alles hatte ihn in eine Welt eintauchen lassen, nach der er sich immer wieder sehnte, in der er sich befreit fühlte vom bedrückenden Alltagstrott, der ihm Tag für Tag, Woche für Woche das Gleiche abverlangte. Die Diskussionen mit dem Maler hingegen, die oft bis in die frühen Morgenstunden dauerten,