Das deutsche Wunder - Aus Trümmern zur starken Demokratie: Ein SPIEGEL E-Book
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Eine einfache Persönlichkeit war Adenauer nicht, häufig handelte er autoritär, fast autokratisch. Bei den Westdeutschen kam das gut an, mehrheitlich legten sie Wert auf Ordnung, Sauberkeit und eine starke, patriarchalische Hand. Dass Adenauer ein großes Herz für ehemalige Nazis zeigte, schadete seiner Popularität gewiss nicht. Die dunklen Seiten seines Charakters bekam auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zu spüren. Nach allen Regeln der Intrige versuchte Adenauer, seinen Parteifreund als Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers zu verhindern – vergebens.
Dieses E-Book versammelt die 32 besten Artikel über die frühe Bundesrepublik aus dem Hause SPIEGEL, über die Bonner Republik und das Grundgesetz, das Wirtschaftswunder, die Kriegsheimkehrer und Vertriebenen, Entnazifizierung, Fresswelle und Reiselust, Alltagskultur, Fußball, Musik, Film und Skandale.
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Das deutsche Wunder - Aus Trümmern zur starken Demokratie - SPIEGEL-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Vorwort
Demokratie und Wirtschaftswunder
Blühende Landschaften
Die Bundesrepublik, eine unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte
Herrscher am Rhein
Architekt der Republik
„Die Lage war sehr gefährlich"
Adenauer-Sekretärin Anneliese Poppinga erinnert sich
Verteilte Macht
Bonn und das Grundgesetz
Fresswelle nach der Fettlücke
Warum das Wirtschaftswunder kein Wunder war
Auferstanden mit Millionen
Wie Daimler-Benz im Krieg für die Zukunft plante
Heimkehr ohne Heim
Wie Kriegsgefangene litten
„Über 80 Prozent für die Todesstrafe"
Demoskopische Einblicke
Amnesie und Amnestie
Warum viele NS-Täter nicht bestraft wurden
Der Mann, der die Nazis jagte
Fritz Bauer, eine Art Held
Von der schnellen Truppe
Anfänge der Bundeswehr
Der Traum vom billigen Strom
Das erste Atomkraftwerk
„Heraus aus der Nato"
SED-Chef Ulbricht in Fahrt
Schlaf der Gerechten
So begann der Mauerbau
Oktopus in Würselen
„Gastarbeiter" als Kunden
Leben in einer neuen Zeit
Fremd unter Landsleuten
Die schwierige Ankunft der Vertriebenen
„Entwurzelte im Land der Täter"
Erinnerungen von Rachel Salamander, aufgewachsen als „Displaced person"
Unchristlicher Streit
Protestanten gegen Katholiken, und umgekehrt
Aufbruch ins Gestern
Frauen mussten viel, aber durften wenig
Die Sorgen des Hauses Krupp
Wer ermordete Rosemarie Nitribitt?
„Der Endsieg"
Das Wunder von Bern
Luftbrücke nach Mallorca
Die Anfänge des Charter-Tourismus
Kultureller Wandel
Sehnsucht nach dem Happy End
Gemütlich und abwaschbar: deutsche Alltagskultur
Sagen, was kommt
Fernsehansagerin gesucht
Unter Halbstarken
Als der Rock 'n' Roll kam
Das Brot der frühen Jahre
Schriftsteller und Architekten suchten neue Wege
Wirrwarr in Rosarot
Viel Bewegung im Design
Saubere Leinwand
Der bundesdeutsche Film und sein erster Skandal
Cola gegen Kommunisten
Billy Wilders Berlin-Satire „Eins, zwei, drei"
Vorboten der Revolte
Schon in den Fünfzigern gärte es im Land
„Ich will Macht"
Adenauers letzte Jahre
Salut am Ufer
Abschied vom Gründungskanzler
Anhang
Impressum
Einleitung
Vorwort
Im Nachhinein lässt sich fast alles erklären, und trotzdem bleibt der Eindruck, dass in den Jahren nach dem Krieg etwas Wunderbares passiert ist: Aus den Trümmern der NS-Diktatur entstand im Westen Deutschlands ein Staat, der friedlicher, stabiler und wohlhabender wurde als alle seine Vorgänger. Großen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte hatte ein Mann, der bereits 73 Jahre alt war, als er den Amtseid als erster Bundeskanzler der neuen Republik ablegte: Konrad Adenauer.
Wie kein anderer Deutscher hat er von 1949 an das Land geprägt. In den Adenauer-Jahren ist die Bundesrepublik im Kern so geworden, wie wir sie heute noch kennen: verankert im Bündnis der westlichen Demokratien und pro-europäisch, marktwirtschaftlich und sozialstaatlich, reich und manchmal arrogant. Als der Christdemokrat vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert daheim in Rhöndorf starb, stand dem Land zwar ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel bevor. Aber das politische Fundament war gelegt. Weder die 68er-Bewegung noch die sozialdemokratischen Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt konnten oder wollten daran etwas ändern.
Eine einfache Persönlichkeit war Adenauer nicht, häufig handelte er autoritär, fast autokratisch. Bei den Westdeutschen kam das gut an, mehrheitlich legten sie Wert auf Ordnung, Sauberkeit und eine starke, patriarchalische Hand. Dass Adenauer ein großes Herz für ehemalige Nazis zeigte, schadete seiner Popularität gewiss nicht. Die dunklen Seiten seines Charakters bekam auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zu spüren. Nach allen Regeln der Intrige versuchte Adenauer, seinen Parteifreund als Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers zu verhindern – vergebens. Erhards Zeit als Regierungschef blieb dann eine Episode, anders als seine Ministerjahre. Für den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg sorgte auch eine gute Portion Glück, ohne das weder Erhards ökonomische Leitsätze noch der US-amerikanische Marshallplan so richtig gegriffen hätten.
Zu den besten Geschichten aus dem SPIEGEL und anderen Heften des Verlages, die zum Thema hier versammelt sind, gehören auch Beiträge von Hellmuth Karasek (1934 bis 2015) und Jürgen Leinemann (1937 bis 2013), zwei großen Autoren des deutschen Journalismus. Als Zeitzeugen und kritische Reporter haben sie das muffige Gesicht der Fünfzigerjahre beschrieben (Karasek im Artikel „Sehnsucht nach dem Happy End über die Alltagskultur der Aufbaujahre), aber auch den heraufziehenden Generationenkonflikt (Leinemann im Artikel „Der Endsieg
über die Fußball-WM 1954).
Wir wünschen Ihnen eine fesselnde Lektüre.
Dietmar Pieper
Demokratie und Wirtschaftswunder • Kapitel I
Blühende Landschaften
Unter der Führung des Patriarchen Konrad Adenauer gelang der jungen Bundesrepublik ein politisches und wirtschaftliches Wunder: Aus den Trümmern der Diktatur entstand einer der liberalsten Staaten Europas. Von Klaus Wiegrefe
Die Gründung des erfolgreichsten deutschen Staates aller Zeiten erfolgt in einem umgebauten Turnsaal. Eine schwarz-rot-goldene Fahne sowie die Flaggen der Länder verbreiten ein wenig Pathos. Die Frauen erscheinen in Kostümen, die Männer in dunklen Anzügen, denen allerdings anzusehen ist, dass sie zumeist aus der Vorkriegszeit stammen.
Im letzten Augenblick muss noch das Programm geändert werden. Carlo Schmid von der SPD hat dem Organisten beim Proben zugehört. Der brave Musiker intoniert das Kaiserquartett von Joseph Haydn, die Melodie des Deutschlandliedes. Schmid findet die Hymne mit dem doppeldeutigen Text der ersten Strophe („Deutschland, Deutschland über alles) nicht geeignet für den feierlichen Anlass; schließlich haben die Alliierten das Stück verboten, weil es auch im „Dritten Reich
Hymne war. Man einigt sich auf ein Werk von Georg Friedrich Händel.
Es ist 16.07 Uhr, als ein hochgewachsener älterer Herr namens Konrad Adenauer die Sitzung des Parlamentarischen Rats in der Pädagogischen Akademie zu Bonn eröffnet. Der Versammlungspräsident ist viele Jahre Kölner Oberbürgermeister gewesen und hat zur Feier des Tages ein Tintenfass und eine silberne Ratsherrenglocke aus seiner Heimatstadt entliehen, damit er nicht – wie sonst – mit einer CDU-Kreisparteitagsklingel bimmeln muss.
Fast neun Monate haben die Abgeordneten über die 146 Artikel des Grundgesetzes beraten, wie die Verfassung des neuen Staates genannt wird. Nun ruft Adenauer die anwesenden 68 Damen und Herren einzeln nach vorn, damit sie den Gesetzestext unterschreiben. Anschließend signieren auch die Ministerpräsidenten der Länder und die Landtagspräsidenten das Dokument.
Dann singen die Volksvertreter das alte Burschenschaftslied: „Ich hab mich ergeben, mit Herz und mit Hand, dir Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland."
Man schreibt den 23. Mai 1949, und mit Ablauf dieses Tages erblickt die Bundesrepublik Deutschland das Licht der Welt.
Groß sind die Hoffnungen nicht, die auf der zweiten deutschen Demokratie ruhen. Das Land zerstört, fast jeder sechste Deutsche durch Krieg, Holocaust und Vertreibung umgekommen, und stundenlang verbreitet der Rundfunk die Suchmeldungen des Roten Kreuzes. Männer mit gelben Blindenarmbinden oder beinamputierte Kriegsversehrte in abgenähten Hosen mühen sich durch die Ruinenlandschaften der zerbombten Städte, in denen Millionen Flüchtlinge aus den Ostgebieten ausharren.
Als umso bemerkenswerter empfinden die Zeitgenossen den rasanten Wandel, der schon bald einsetzt und die kühnsten Hoffnungen übertrifft. Von einem „Wunder" ist später die Rede, denn anders können sich viele nicht erklären, wie aus dem verwüsteten Weststaat in einer halben Generation eine angesehene Mittelmacht mit blühenden Landschaften wird.
Die Westdeutschen verdoppeln zwischen 1950 und 1959 das Bruttosozialprodukt. Sie verzehnfachen ihren Exportüberschuss und steigen zur weltweit erfolgreichsten Handelsmacht nach den USA auf. In vielen Städten sind Großbaustellen zu besichtigen, wie der ehemalige amerikanische Diplomat Charles Thayer 1957 beobachtet: „In ganz Deutschland ragen Kräne in den Himmel und sind von früh bis spät in Bewegung, nachts im Glanz gigantischer Scheinwerfer, bei Regen und Schnee, und bauen und bauen auf."
Und dann die Politik, auch sie wirkt wie ein Wunder. Trotz Millionen ehemaliger Nazis, Hunderttausender Mörder, ungezählter Schreibtischtäter etabliert sich in wenigen Jahren eine stabile Demokratie, von Adenauer, inzwischen zum Kanzler gewählt, fest im Westen verankert. Kein Chaos, sondern eine funktionstüchtige Regierung, loyale Beamte, hohe Wahlbeteiligungen, klare Mehrheiten.
Auf solche Gründerjahre hätten Zeitgenossen und Nachwachsende stolz sein können. Doch das fiel schwer, denn auf der Ära von Währungsreform und Westbindung lag zugleich eine bleierne Schwere.
Was für Widersprüche. Arbeitskräfte sind Mitte der Fünfziger knapp, und Frauen stellen ein Drittel der Beschäftigten – aber die Verheirateten unter ihnen benötigen die Erlaubnis des Ehemanns, um arbeiten zu dürfen. Die Bundesrepublik vereinbart mit Israel Wiedergutmachung, und im Kanzleramt zieht Hans Globke die Strippen, der den Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen mitverfasst hat. Adenauer trifft sich mit dem Herrscher des kommunistischen Weltimperiums Nikita Chruschtschow in Moskau, um die letzten deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion nach Hause zu holen. Gleichzeitig riskieren in Hamburg, München oder Düsseldorf die Sympathisanten von Marx und Lenin Hausdurchsuchungen, ihren Job, sogar Haftstrafen.
Das neue Deutschland – ein zwischen Aufbruch und Beharrung zerrissenes Land. In Kassel wird die Documenta ins Leben gerufen; auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 präsentiert die westdeutsche Avantgarde leichte Architektur und elegantes Design. Hingegen dominieren Gelsenkirchener Barock und Tütenlampen im „Wohnlokus mit germanischem Hockergrab", wie die kleinen Neubauwohnungen mit Sitzbadewanne verspottet werden.
Und überall die Angst vor dem Unkontrollierbaren, dem Randständigen, der Minderheit. Beinahe jedes zehnte Kind ist unehelich. Aber wer etwa seinem Sohn erlaubt, mit der Freundin im Elternhaus zu nächtigen, riskiert bis zu fünf Jahre Haft – das sieht der Paragraf über schwere Kuppelei vor. Auch Homosexuelle müssen aufpassen, dass sie nicht im Gefängnis landen.
Die Intellektuellen verachten die frühe Bundesrepublik. „Wir hatten die – von Gott geschenkte – Chance, ein Modell zu sein, trauert 1961 der Schriftsteller Wolfgang Weyrauch. Und so empfindet es bald auch die nachwachsende Intelligenz der 68er, die den Älteren „Restauration
vorwirft – ein Label, das lange haftet.
Inzwischen sind die 68er und ihr zeitweilig den Diskurs bestimmendes Geschichtsbild allerdings selbst in die Jahre gekommen. Ihr Konflikt mit den Vätern hat sich längst erledigt, auch Kalter Krieg und deutsche Teilung sind Geschichte, und so verändert sich die Perspektive.
Vorbei die Wortführerschaft derjenigen, die in der frühen Bundesrepublik nur das Fortwirken ehemaliger Nazis sehen oder sie als Kind der Alliierten verächtlich machen. Heute gehen Zeithistoriker der Frage nach, warum ausgerechnet die Bundesrepublik zu einem der liberalsten Staaten Europas geworden ist. Schließlich weisen alle Forschungen der vergangenen Jahrzehnte darauf hin, dass sich viel mehr Deutsche mit den Nazis eingelassen haben als früher angenommen.
Seine Entstehung verdankt der widersprüchliche Wunderstaat dem Elend, in dem seine Bewohner nach 1945 hausen. Die Felder sind verwüstet, der Handel liegt danieder. Einige Scheiben Brot, vielleicht ein Tupfer Margarine, zwei kleine Kartoffeln, etwas Milchsuppe – oft muss das reichen, um über den Tag zu kommen.
Auf Hamsterfahrten zu den Bauern im Umland tauschen die Menschen Pelze, Besteck oder Schmuck gegen Mehl, Kartoffeln oder Eier. Viele haben jeglichen Besitz im Krieg verloren – schon bald gibt es erste Hungertote. Und würden Briten und Amerikaner nicht mit umfangreichen Lieferungen helfen, gäbe es eine Katastrophe.
Die Westalliierten haben das Problem kommen sehen. Weder die vor dem Bankrott stehenden Briten noch die Amerikaner wollen ihren Steuerzahlern allerdings zumuten, wenige Monate nach der Befreiung der Konzentrationslager von Bergen-Belsen oder Dachau die Deutschen zu alimentieren. Sie sollen aber auch nicht krepieren.
US-Präsident Harry Truman und der britische Premierminister Clement Attlee einigen sich deshalb mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin auf der Konferenz von Potsdam im Sommer 1945, Deutschland als „wirtschaftliche Einheit" zu behandeln: Stalin soll Lebensmittel aus den ehemaligen Kornkammern des Reichs in Ostdeutschland in die Westzonen liefern und im Gegenzug demontierte Industrieanlagen, etwa aus dem Ruhrgebiet, erhalten.
Doch der Kremldiktator ignoriert die Vereinbarung, und damit stehen die Amerikaner vor der Alternative, den Feind von einst dauerhaft zu beliefern – oder den Wiederaufbau zu betreiben. Es sei „bedauerlich, aber unvermeidbar, notiert im Mai 1946 der stellvertretende US-Außenminister Dean Acheson, dass man die westlichen Zonen zusammenführen müsse. Die amerikanischen und die britischen Besatzungsgebiete verschmelzen ein knappes Dreivierteljahr später zum „Vereinigten Wirtschaftsgebiet
, der sogenannten Bizone.
Die Besatzer präsentieren ihren Schritt als provisorische Maßnahme; intern gehen viele in Washington und London freilich schon von der Teilung des besiegten Landes aus, auch wenn der endgültige Bruch erst ein Jahr später erfolgt. Der Kalte Krieg zeichnet sich ab, und Briten wie Amerikaner wollen unbedingt vermeiden, dass Stalin ganz Deutschland seinem Imperium einverleibt. Der britische Außenminister Ernest Bevin notiert 1946 besorgt: „Die russische Gefahr ist inzwischen genauso groß, möglicherweise sogar noch größer als die Gefahr eines wiedererstarkten Deutschlands."
Zu diesem Zeitpunkt haben die Westalliierten bereits erste Länder und sogenannte Provinzen gebildet, zumeist nach historischen Vorbildern. Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe waren schon im Kaiserreich Bundesstaaten, später vereinigen sie sich mit dem Land Hannover zu Niedersachsen; Hessen und Baden sind teilidentisch mit den gleichnamigen Staaten der Weimarer Republik. Fast alle Nordländer sind zu klein. Aber die Niedersachsen haben am armen Schleswig-Holstein kein Interesse, und Hamburg und Bremen fürchten, bei einem Zusammengehen würden Landwirtschaftsinteressen dominieren. So bleibt die Kleinstaaterei erhalten.
Der Einfluss von London, Washington und Paris erweist sich als begrenzt, denn die Vertreter der westlichen Demokratien setzen zumeist auf Überzeugung. Es gelingt ihnen daher weder, das Berufsbeamtentum einzuschränken noch das Juristenmonopol aufzubrechen.
Bei den Medien, immerhin, sind sie erfolgreich. Sie sorgen dafür, dass der Rundfunk – damals Leitmedium – unabhängig bleibt. Fast alle wichtigen Blätter dieses Landes beginnen als „Lizenzzeitungen", auch der SPIEGEL. Sorgfältig überprüfen die Presseoffiziere die Lizenznehmer. Die Entnazifizierung ist vor allem den Amerikanern ein Anliegen.
Die alliierten, später deutschen Spruchkammern und Gerichte fällen über 3,6 Millionen Urteile. Am Anfang werden für kleinere Vergehen teilweise drakonische Strafen verhängt, die schwerwiegenden Fälle hingegen zurückgestellt. Da der Verfolgungselan später – mit dem Ausbruch des Kalten Krieges – erlischt, gehen viele hochrangige Nazis straffrei aus.
Und doch ist die Entnazifizierung kein vollkommener Fehlschlag. Der Historiker Norbert Frei hat zu Recht darauf verwiesen, dass für einen – dem Nationalsozialismus verbundenen – Generaldirektor oder Oberlandesgerichtspräsidenten die Inhaftierung nach Kriegsende „eine brutale soziale und politische Deklassierung" darstellt. Die meisten halten sich nach einer solchen Erfahrung politisch zurück.
Die ersten demokratischen Gehversuche nach zwölf Jahren Diktatur – sie erfolgen in den Landtagen in Hannover, Düsseldorf oder München. Die Alliierten können dabei auf erfahrene Demokraten zurückgreifen: die Männer und Frauen von Weimar. Es sind Politiker, die noch im Kaiserreich geboren und geprägt wurden, wie der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer (bis 1933 Kölner Oberbürgermeister), der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher (bis 1933 Reichstagsabgeordneter), der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (bis 1933 Reichstagsabgeordneter), die den Neuanfang symbolisieren.
Ein „außerordentlicher Lernprozess" (Historiker Konrad Jarausch) beginnt, der von den Alliierten eingeleitet und von den Deutschen aufgenommen wird. Bereits bei den Parteigründungen zeigt sich der Wille, die Chance zu nutzen. Die Wiedergeburt der traditionsreichen SPD ist zwar keine Überraschung. 1946 hat sie wieder über 700 000 Mitglieder. Aber erstmals bildet sich im Land der Religionskriege eine christliche überkonfessionelle Volkspartei: die CDU. Und Adenauer gelingt es, aus den vielen Strömungen eine schlagkräftige Organisation zu formen.
Schon die ersten Kommunal- und Landtagswahlen 1946/47 lassen ahnen, dass es ein weiteres Mirakulum geben wird: das Wahlwunder, wie Historiker das Verhalten der Deutschen an der Urne genannt haben.
Zwar entscheiden die Alliierten über die Zulassungen der Parteien, und wer zu weit rechts steht, hat keine Chance. Doch niemand zwingt 70 Prozent der Bevölkerung dazu, sich zu beteiligen und dann nicht etwa massenhaft ungültig zu stimmen, sondern mit durchschnittlich jeweils gut 35 Prozent für SPD und CDU/CSU zu votieren; FDP und KPD erhalten ungefähr 9 Prozent.
Es ist der Schock der totalen Niederlage, der die Deutschen zwar noch nicht zu Demokraten macht, die meisten jedoch gegen den Nationalsozialismus immunisiert. Historiker wie der Brite Ian Kershaw schätzen, dass in den Nachkriegsjahren lediglich zehn Prozent der Bevölkerung überzeugte Nazis waren. Der Opportunismus der vielen Mitläufer im „Dritten Reich" erweist sich als Vorteil: Man beugt sich auch den neuen Herren.
Die westlichen Alliierten fürchten daher weniger einen zweiten Hitler, sondern vielmehr, dass sich ihre Schützlinge für Stalin begeistern könnten. Die Lebensmittelversorgung ist in der Sowjetischen Besatzungszone nämlich nicht schlechter als im Westen. Und während die SED mit Stalins Hilfe eine Diktatur errichtet (SED-Chef Walter Ulbricht: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten"), präsentiert sich der Kremlherrscher als Anwalt der deutschen Einheit. Amerikaner und Briten müssen hingegen handeln, wenn sie ihren Einflussbereich stabilisieren wollen.
In der Bizone funktioniert zunächst nichts wie geplant. Die Verwaltung ist über Minden (Wirtschaft), Bad Homburg (Finanzen), Frankfurt am Main (Post- und Fernmeldewesen), Stuttgart (Ernährung und Landwirtschaft) und Bielefeld (Verkehr) verstreut. Wer etwas produziert, verkauft es lieber auf dem Schwarzmarkt, als es zu festgesetzten Preisen abzuliefern. Denn die Währung ist ruiniert, weil den Milliarden Reichsmark, die im Umlauf sind, nur ein reduziertes Warenangebot gegenübersteht.
An Verbesserungsvorschlägen aus alliierter oder deutscher Feder mangelt es nicht. Allein über 250 Entwürfe zu einer Währungsreform liegen vor. Besonders populär sind planwirtschaftliche Erwägungen mit einer Vorliebe für die Enteignung von Industriebetrieben und Banken – eine Spätfolge der Weltwirtschaftskrise. Die SPD macht sich dafür stark. Sie stellt fünf Ministerpräsidenten und sogar in allen Ländern der Bizone die Wirtschaftsminister. Selbst in der CDU gibt es einen linken Flügel, der einen christlich geprägten Sozialismus will.
Die Amerikaner spielen auf Zeit. Sie hoffen, dass der Wiederaufbau an Dynamik gewinnt und damit alle Vorbehalte gegen den Kapitalismus ausgeräumt werden. Militärgouverneur Lucius D. Clay interveniert gegen den Sozialisierungsartikel in der hessischen Verfassung und blockiert das Gesetz zur Vergesellschaftung des Kohlenbergbaus in Nordrhein-Westfalen unter dem Vorwand, man dürfe einem zukünftigen Gesetzgeber bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung nicht vorgreifen. Die Taktik geht auf.
Am 5. Juni 1947 verkündet US-Außenminister George Marshall in der Harvard University sein legendäres Hilfsprogramm für Europa. Die psychologische Wirkung ist enorm, denn der Marshallplan signalisiert eine Wende in der amerikanischen Deutschlandpolitik. Auf