Seewölfe - Piraten der Weltmeere 475: Verdammt zum Sterben
By Roy Palmer
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 475 - Roy Palmer
8
1.
Pablo Mendez und José Farina, zwei spanische Seesoldaten, waren am Vormittag des 6. Mai 1595 im Hafen von Havanna mit routinemäßigen Arbeiten an Bord einer der Wachschaluppen beschäftigt. Die einmastigen Schaluppen patrouillierten normalerweise vor der Hafeneinfahrt – jeweils acht, die im achtstündigen Turnus abgelöst wurden. Aufgabe der Besatzungen war es, einlaufende Schiffe zu kontrollieren und ausländische, also „nichtspanische" Segler so lange auf der Reede vor dem Hafen festzuhalten, bis der Gouverneur entschieden hatte, ob die Kapitäne dieser Schiffe die Genehmigung zum Einlaufen erhielten oder nicht.
Hinter dieser offensichtlichen Schikane verbarg sich ein verbrecherisches Komplott. Der Gouverneur von Kuba hatte es darauf angelegt, sich auf schnelle Weise zu bereichern. Deshalb ließ er Handelsfahrer, die nicht unter spanischer Flagge segelten, nachts ausplündern. Die Beute wurde in die Gouverneurs-Residenz an der großen Plaza im Zentrum von Havanna gebracht.
Ein Handlanger des Gouverneurs war der Teniente, der als Flottillenchef der Wachboote fungierte. Dieser Mann kontrollierte die Schiffe auf der Reede und konnte auf diese Weise ausspähen, bei welchen sich ein Fischzug lohnte und bei welchen nicht.
Ferner gehörten zum Kreis der Verbündeten die Küstenwölfe, die nachts mit ihren Booten über die ahnungslosen Opfer herfielen, und die Maultiertreiber, deren Aufgabe es war, die an Land verfrachteten Beutegüter in die Residenz zu transportieren.
Jetzt aber war der Teniente verschwunden. Spurlos – keiner wußte, wo er war. Auch Mendez und Farina hatten keinen diesbezüglichen Verdacht, obwohl sie allerlei ahnten, was die geheimen Aktivitäten des Gouverneurs betraf.
„Paß auf, sagte Mendez halblaut zu Farina, während er ein Tau aufschoß, „das gibt jetzt Verdruß.
„Für wen denn, für uns vielleicht?" fragte Farina, der ein wenig schwerfälliger im Denken war.
„Ach wo, erwiderte Mendez verstohlen grinsend. „Aber für den Gouverneur. Der hat sich eingebildet, so schlau und gerissen wie Don Antonio zu sein. Aber er wird noch einsehen müssen, daß er kein so großer Fuchs ist, wie er glaubt.
„Aber wo, zur Hölle, steckt der Teniente?"
„Vielleicht hat ihm jemand das Maul gestopft, brummte Mendez. „Für immer, meine ich. Vorstellen könnte ich es mir. Er hat seine vorlaute Klappe wieder mal zu weit aufgerissen, und irgend jemandem hat das nicht gepaßt.
„Dem Gouverneur, meinst du?" fragte Farina verblüfft.
„Ach, ich weiß es nicht, entgegnete Mendez. „Vielleicht ist er ja auch in der Residenz, und sie hecken gerade wieder eins ihrer krummen Geschäfte aus.
„Und deswegen fehlt er beim Appell?"
„Frag nicht so blöd! zischte Mendez, dem die Bemerkungen des anderen allmählich auf den Geist gingen. „Ich bin kein Hellseher. Ich kann nur so einiges vermuten.
Immer wieder blickten sie zum Kai. Dort stiefelten die Offiziere der Hafenwachbehörde auf und ab und warteten auf den Teniente, damit die Befehlsausgabe erfolgen konnte. Dazu gehörte auch die Einteilung der Wachtörns für die Schaluppen. Da aber der Teniente nicht erschienen war, lagen die Einmaster vorläufig noch an den Piers.
Auch bei den anderen Seesoldaten herrschte Ratlosigkeit. Wo war der Teniente? Keiner wußte es – auch die Männer der Teniente-Schaluppe nicht. Sie ahnten von den Machenschaften des Tenientes sicherlich mehr als alle anderen, doch wo der Mann abgeblieben war, war auch ihnen nicht bekannt.
Es wurde gemunkelt in Havanna, seit der neue Gouverneur Alonzo de Escobedo im Amt war. Es war erst knapp zwei Wochen her, seit der ehemalige Gouverneur Don Antonio de Quintanilla Havanna verlassen hatte. Don Antonio war an Bord einer Galeone, die zu einem großen Konvoi gehörte, zum Vaterland Spanien unterwegs – denn ihm wurde die große Würde zuteil, von Seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II. höchstpersönlich zum Vizekönig von Neu-Spanien und Neu-Granada ernannt zu werden. Als seinen Nachfolger hatte er de Escobedo eingesetzt, der vormals Hafen- und Stadtkommandant von Havanna gewesen war.
Daß Don Antonio Spanien nie erreichen würde, weil er Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, in die Hände gefallen war, wußte in Havanna niemand. Es war nicht einmal den Männern der „Goldenen Henne" bekannt, die inzwischen – nach einigen Widrigkeiten – im Hafen eingetroffen waren. Sie hatten von Arne von Manteuffel nur erfahren, daß der dicke Don Antonio Havanna mit dem Geleitzug verlassen hätte.
Alonzo de Escobedo kannte keine Skrupel, in diesem Punkt glich er Don Antonio. Nur war die Art, nach der er aus allem Kapital zu schlagen trachtete, anders. Don Antonio, der rein äußerlich schon wie der Inbegriff der Korruption wirkte, hatte es auf höchst raffinierte Weise verstanden, sich seine Pfründe zu schaffen und zu erhalten.
De Escobedo war körperlich der Gegensatz des Dicken – ein hagerer Mann. In seiner Gier übertraf er seinen Vorgänger noch, doch in der Wahl der Mittel war er zu ungestüm. Don Antonio wäre es niemals eingefallen, auf der Reede ankernde Schiffe überfallen zu lassen.
Pablo Mendez und José Farina verfolgten, wie auf dem Kai der Subteniente erschien. Er schien zu überlegen, was er tun solle. Dann fiel sein Blick auf die beiden Soldaten.
„Mendez und Farina, sagte er. „Ihr übernehmt als Schaluppenführer unverzüglich zwei Schiffe und lauft zur Reede aus. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.
Die Soldaten zeigten klar.
„Welche Besatzung nehmen wir an Bord?" fragte Mendez.
„Ihr könnt sie selbst zusammenstellen", erwiderte der Subteniente.
„Ja, Señor, sagte Mendez. „Und der Teniente?
„Ich nehme an, daß der Teniente sich zur Zeit in der Residenz des Gouverneurs aufhält, entgegnete der Subteniente. „Ich werde einen Boten hinschicken.
Die Seesoldaten begaben sich kurz darauf an Bord der beiden Wachschaluppen. Mendez und Farina ließen alles zum Ablegen und Auslaufen vorbereiten. Insgeheim fragten sie sich, wie sie auf der Reede wohl der Kapitän der französischen Handelsgaleone begrüßen würde, die dort immer noch vor Anker lag. Der Mann würde inzwischen gewiß vor Wut toben. Aber was sollten sie dagegen unternehmen? Befehl war Befehl, und Dienst war Dienst.
Der Subteniente trat unterdessen auf dem Kai auf einen anderen Soldaten zu und sagte: „Bove, du gehst sofort zur Residenz des Gouverneurs und erkundigst dich, wo der Teniente ist."
Bove, ein stiernackiger Mensch mit rotem, vierschrötigem Gesicht, sah seinen Vorgesetzten ziemlich betroffen an. „Wen soll ich denn fragen, Señor Subteniente?"
„Den Gouverneur persönlich", erwiderte der Subteniente.
„Und wenn er nicht weiß, wo der Teniente ist?"
„Dann kehrst du wieder hierher zurück und meldest mir das, erwiderte der Subteniente ziemlich ungehalten. „Los, beweg dich! Lauf gefälligst!
Bove setzte sich in Bewegung und verschwand in einer der Gassen. Er fluchte leise vor sich hin. Warum mußte er laufen und durfte sich kein Pferd nehmen? So nah war die Plaza, an der der Residenzpalast stand, nun auch wieder nicht. Wer war er denn? Ein Schnelläufer?
Nein, dachte Bove aufgebracht, der letzte Dreck. Er hatte keine Lust, in der einsetzenden Wärme wie ein Verrückter durch die Stadt zu rennen. Lieber hätte er noch ein wenig am Hafen herumgelungert, bis um zwölf Uhr die Ablösung erfolgte. Danach hatte er vor, sich ein gutes Mittagsmahl zu genehmigen und einen ordentlichen Schluck Rotwein dazu zu trinken. Bis zur nächsten Wache hatte er dann noch genug Zeit, Juanita, seine Freundin, zu besuchen.
Aber erst mal scheuchte der Subteniente ihn durch die Gegend. Und wenn der Teniente nicht in der Residenz war und man weiterhin nach ihm suchte, würde die Rennerei kaum ein Ende nehmen. Verdammter Teniente, dachte Bove, zur Hölle mit dir! Daß der Teniente dort inzwischen längst eingetroffen war, konnte er – wie alle anderen – nicht wissen.
Jean Ribault, Renke Eggens und die anderen Männer an Bord der „Goldenen Henne" konnten sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Sie konnten alles genau