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Die Saubermänner (eBook): Die Tatortreiniger ermitteln
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Ebook256 pages3 hours

Die Saubermänner (eBook): Die Tatortreiniger ermitteln

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About this ebook

Hartmut fährt Taxi, Nadine legt Tarotkarten – eigentlich haben die beiden nur eines gemeinsam: Sie brauchen Geld. Und so schlittern sie nicht nur in den Job als Tatortreiniger, sondern mitten hinein in einen Mordfall. Sie kommen einem grausigen Verbrechen auf die Spur, das schon Jahre zurückliegen muss. Zumindest lässt das der weitgehend verweste Kopf vermuten, den sie am Tatort im Haus einer verwirrten alten Dame finden. An der Polizei vorbei fördert das ungleiche Duo ein dunkles Familiengeheimnis zutage, das bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreicht. Schon bald ist ihnen nicht nur eine Gruppe Neonazis, sondern auch ein weiterer dubioser Verfolger auf den Fersen …
LanguageDeutsch
Release dateMay 6, 2013
ISBN9783747200827
Die Saubermänner (eBook): Die Tatortreiniger ermitteln
Author

Tessa Korber

TESSA KORBER ist promovierte Germanistin und lebt als freie Schriftstellerin in Nürnberg.

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    Die Saubermänner (eBook) - Tessa Korber

    Felicitas

    Inhalt

    1. Ein Morgen im Paradies

    2. Die Aura-Angelegenheit

    3. Idylle mit Idioten

    4. Ein guter Jahrgang

    5. Und was machen wir jetzt?

    6. Der Held und sein Wetter

    7. Leichen versteckt man unter Leichen …

    8. … Und Menschen unter Irren

    9. Ach ja, das Meer

    10. Sherlock oder Marlowe?

    11. Das Wort Gottes in Hartmuts Ohr

    12. Opa wird’s schon richten

    13. Haben Sie zufällig einen Kopf verloren?

    14. Morphogenetik für Einsteiger

    15. An der Wolfsangel

    16. Schattendasein und Schicht

    17. Es zittern die morschen Knochen

    18. Abhängen am Burgberg

    19. Vierzehn Nothelfer

    20. Und sagte kein einziges Wort

    21. Lob der Vernunftehe

    22. Vom metaphorischen Wert der Wollhandkrabbe

    23. Gleichgültige Wahrheit

    24. Sprich, Orakel!

    25. Warum Hartmut nie ursachengerecht behandelt wird

    26. Händchenhalten für fort­geschrittene Idioten

    27. Verschwörungen sind auch was Schönes

    28. Nietzsche und Bienenstich

    29. Ausflug ins Braune

    30. Der Nazi in der Badewanne

    31. Glaubensfragen, geräuchert

    32. Kleiner Prinz für Arme

    33. You are the sunshine of my life

    34. Fahrtenbuch

    35. Das soll ein Finale sein?

    36. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

    37. Ein gelungener Abgang

    38. Ohrwurm und Augenschmaus

    39. Gelb ist Geschmackssache

    40. Besuch mit Milchkännchen

    41. Ich will ja nicht sagen, ich hab’s gewusst

    1. Ein Morgen im Paradies

    Es regnete. Das war das Erste, was Hartmut wahrnahm, als er erwachte. Es regnete, war ja klar. Das triste Prasseln erinnerte ihn daran, dass er gestern seine Taxe rückwärts in den Eingang des Hotels Bayerischer Hof gesetzt hatte. Das war weder dem Wagen noch dem marmornen Eingangsbereich gut bekommen. Jetzt war er wach. Ja, Scheiße.

    Ein Blick zeigte ihm: grauer Himmel, nasse Dächer, nasses Kopfsteinpflaster. Jeder Held bekam eben das Wetter, das er verdiente. Das stand sogar in einem Buch. Hartmut hatte während seines vierten oder fünften Studiums kurz drin geblättert. War der Held in einem Roman verliebt, stand da, dann schien die Sonne, ging die Liebe in die Binsen, regnete es. Fiel Schnee, holla, dann war die ganz große Melancholie angesagt. Kein Wunder, dass sich an Weihnachten so viele Leute umbrachten. Hartmut war ja auch jedes Jahr gefährdet, fragte sich allerdings immer, wo denn die anderen die Energie für einen Suizid hernahmen.

    Er kratzte sich und suchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Held – Wetter, richtig: Bei Gewitter wurde es spannend, bei Sturm leidenschaftlich, bei Nebel unübersichtlich in jeder Hinsicht. Dass man für diese Gipfel-Erkenntnis einen Doktortitel kriegte, war doch zum Kotzen, fand Hartmut. Ob sie ihm auch einen verleihen würden für die Zusatzweisheit, dass das Prinzip auch im wirklichen Leben funktionierte? Vermutlich nicht.

    Hartmut räkelte sich und gähnte. Er, Hartmut, würde ewig einer dieser unerkannten, unbelobigten Helden des Alltags bleiben. Ein ganz gewöhnlicher grauer Niesel­regen war genau das Richtige für einen wie ihn, der ein paar mehr oder weniger gewöhnliche Studiengänge abgebrochen hatte und trotz ungewöhnlicher Anstrengungen allenfalls bei ziemlich gewöhnlichen Frauen landen konnte, die am nächsten Morgen wieder los zu sein man sich im Grunde freuen durfte. Und der gewöhnlich Taxi gefahren war.

    Die Betonung lag auf war. Hartmut hatte das Krachen noch im Ohr, ein Geräusch, bei dem er sich unwillkürlich tiefer in die Decke wühlte. Den Aufprall spürte er eh noch im Genick. Vorsichtig tastete er nach. Wenn da mal nichts dauerhaft kaputt war. Er kam ja langsam in das Alter für so was, in das Bandscheiben-Arthrose-Zipperlein-Scheißdreck-Alter. So genau wollte er es gar nicht wissen, deshalb war er auch nicht zum Arzt gegangen. Aber hatte ein Mann deswegen kein Recht auf ein bisschen Mitleid?

    Nee, nee, Arzt verursachte nur Kosten. Und da kamen ohnehin genug auf ihn zu; er kannte doch Stephan, den alten Geizhals. Klar hatte der seine Taxis versichert. Aber er hatte auch ein großes Maul und tausend Einwände und produzierte ein Verdienstausfall- und Versicherungsblabla, dass es einen schwindeln konnte. Vor allem aber: Es waren Stephans Taxen, Ende Argumente, und wenn Hartmut sich je wieder hinter einer ans Steuer setzen wollte, dann würde er blechen müssen, das war so klar, wie der Himmel grau war. Ab heute war er Leibeigener.

    »Scheiße«, begrüßte Hartmut den jungen Morgen und wälzte sich aus dem Bett.

    Draußen glasierte der Regen das Pflaster des Schlossplatzes. Gegenüber bauten sich langsam die rot-weiß gestreiften Stände des Marktes auf; Gemüsekisten wurden herumgetragen, Blumensträuße arrangiert, Schalen mit eingelegten Bio-Oliven umgerührt. Es ging auf zehn Uhr, das Städtchen wurde wach, und eigentlich war es höchste Zeit, die ersten Siemensianer-Gattinnen und Professorenwitwen zu ihren Orthopäden zu fahren. Die Elends-Bettler gingen in Stellung, und fröhliche Rentner-Touristen nahmen Kurs auf die Kaffeehäuser, wo sie Einheimische mit Witzen nervten wie dem, dass Erlangen schon in der Bibel erwähnt sei. »Sie suchten das Himmelreich zu erlangen. Steht wirklich da. Hähä.« Wie oft hatte Hartmut den schon von der Rückbank seiner Taxe gehört.

    Er wohnte inmitten dieses brodelnden Lebens in der Altstadt, die so malerisch war, wie der Sinn von Protestanten für das Barocke es gerade eben zuließ, in einem Altbau, der von außen von Touristen fotografiert wurde, sich im Inneren dagegen vor allem durch eine Raumhöhe von nur 1,80 und Linolböden auszeichnete. Stuck wäre da lebensgefährlich gewesen.

    Hartmut mit seinen 1,78 hielt das ja ganz gut aus, obwohl es nach der dritten Zigarette schnell stickig wurde. Gäste bat man auf Sitzsäcke. Für seinen Mitbewohner und Kumpel Uwe war es schon schwieriger, der maß 1,85 und musste sich gebückt rasieren. Da half es auch nichts, dass Hartmut die stete Zugluft poetisch dafür nutzte, sich biegen zu lassen wie das Schilfrohr im Wind.

    »Biegen, aber eben nicht brechen, verstehst du?«, suchte er Uwe diese buddhistische Weisheit nahezubringen.

    Der darauf zu antworten pflegte: »Brechen? Ich kotz gleich«, was meist stimmte. Aber das lag an Uwes Drogenkonsum und war eine andere Geschichte. Als Rettungssanitäter bekam Uwe wohl zu viel mit, um so richtig buddhistisch draufzukommen. Er betäubte den Schmerz des Daseins lieber mit Cannabis und wechselnden Geschäftsideen. Eine so absurd wie die andere. Fand Hartmut.

    Im Moment saß Sanitäter Uwe im Knast, wo er sich mal wieder so richtig strecken konnte. Es war im Grunde keine gute Idee gewesen, sich noch am Unfallort eine Tüte reinzuziehen und den Polizeibeamten auch eine anzubieten, bloß weil die so blass um die Nase aussahen. Aber Uwe war eben ein Menschenfreund.

    Jetzt war die Plantage im Innenhof weg und Uwe auch, und Hartmut hängte den Rasierspiegel tiefer. Starrte lange hinein. Die grünen LED-Lämpchen, die hier drin die Beleuchtung ersetzten, machten es um nichts besser. Von den verklebten Ablagen grinste ihn eine Sammlung Schlümpfe an, die von irgendeinem ihrer Vormieter stammte. Der Held und seine Inneneinrichtung? Dann schon lieber das Wetter.

    Hartmut griff nach dem Rasierschaum.

    In dem Moment klingelte das Telefon, nach dem dritten Mal sprang der Anrufbeantworter an – mit Uwes Geschäftsansage. Dass die noch auf dem Band war. »Hallo?«, fragte eine Stimme in den Äther, räusperte sich und begann, ihren Text in Mitschnitt-Hochdeutsch auf das Band zu drechseln. Fünf Sekunden später war Hartmut am Hörer, Schaum tropfte auf seine nassen Füße, während er »ja«, sagte, »ja« und wiederum »ja«. Mit feuchten Fingern notierte er Name und Adresse. »Auf Wiederhören. Bis gleich.«

    Lange starrte er das Geschriebene an. Er sollte das nicht tun. Es war alles andere als eine gute Idee. Es war bestenfalls ein Strohhalm, an den er sich klammerte; es war vermutlich total illegal und außerdem das Letzte, was er tun wollte.

    Es war seine Chance.

    2. Die Aura-Angelegenheit

    Umständlich schüttelte Nadine ihren Schirm aus und schaute sich um. Die Baumallee vor dem Studentenwerk tropfte vor Nässe. Unter den Bäumen liefen Gruppen aktenordnerumschlingender junger Frauen, die ihre Stöckelschuhe um die Pfützen herum setzten. Der Inhaber des Fahrrad-Reparaturmobils stand mit hochgezogenen Schultern neben einem Kunden, der ihm die Macken an seinem Rennrad erklärte, während von seiner Mütze das Wasser rann. Drei Afrikaner warteten unter dem Vordach, rauchten und palaverten auf Französisch über Wohnheime und das Anatomie-Testat, das auch Nadine nächste Woche noch bevorstand. Die schienen so weit in Ordnung zu sein. Keine Muskelmänner irgendwo.

    Nadine warf einen letzten Blick auf den Langemarckplatz, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken, zog die Tür auf und tauchte ein in den hallenden Lärm des Studentenwerks. Sie durchschritt das Siebzigerjahre-Ambiente, ohne sich weiter umzusehen, und klopfte an die Tür mit der Aufschrift »Arbeitsvermittlung«.

    Alles verlief sehr behördlich. Name, Adresse, Studentenausweis. Nach einem Blick auf die überquellende Pinnwand mit Arbeitsgesuchen bedauerte Nadine kurz, keinen Aushang vorbereitet zu haben. Stattdessen schob sie der weißhaarigen Sachbearbeiterin ihre Visitenkarte zu.

    »Herz-Klang«, las die zweifelnd. »Ist das ein Escort-Service? Oder irgendwas mit Telefonsex?«

    Nadine beeilte sich beleidigt zu erklären, dass es sich dabei um Energiearbeit handle, in deren Mittelpunkt das Herzchakra stehe. »Außerdem mache ich Tarot und Aurafotografie«, sagte sie, um ein Lächeln bemüht. »Falls Sie sich mal die Karten legen lassen möchten?« Die Frau warf Nadine einen langen Blick zu, musterte das Mädchengesicht, das mit den großen blauen Augen und der Stupsnase eher harmlos-hübsch als mysteriös wirkte. Vermutlich fand sie, das Transzendente erfordere mehr Mascara.

    »Wir hätten da eine Stelle als Reinigungskraft bei der UB Med«, verkündete die Sachbearbeiterin.

    Nadine schauderte es. »Nein, danke, da laufe ich am Ende meinem Vater über den Weg.« Das war das Letzte, was sie brauchte: ihren Vater, der Fragen stellte. Sie neigte sich vor. »Außerdem bin ich im Putzen nicht so.«

    Die Dame schaute über ihre Lesebrille: »Mit einem Vater bei Siemens, sind Sie sicher, dass Sie da Arbeit suchen?«

    Hast du eine Ahnung, dachte Nadine. Sie brauchte Geld. Und wie sie das Geld brauchte. Sie wollte nicht noch einmal erleben, dass dieser Mensch vor ihrer Tür stand. Nadine war ein geliebtes Kind gewesen. Nie hatte sie auch nur eine Ohrfeige bekommen, und auch später in ihrem Leben war ihr nichts Schmerzhafteres zugestoßen als eine Blinddarm-OP. Vermutlich hatte sie deswegen so lange gebraucht, bis sie begriffen hatte, dass sie sich fürchten sollte. Erst als er sie wieder losließ, hatte sie es verstanden. Und war so dankbar gewesen, als sie die Tür zwischen sich und ihm zudrücken konnte, dass sie es nicht mehr bis zur Toilette geschafft hatte.

    »Wenn Tarot nicht geht, dann eben Altenpflege, hab ich gedacht. Weil ich doch Medizin studiere. Da muss es doch jede Menge geben. So in der Betreuung.« Ihre Stimme wurde flehender. »Es hat ja immer mehr ältere Menschen wie Sie.«

    Die Frau nahm ihre Brille ab. »Wenn Sie nicht mal Räume pflegen können, möchte ich mir nicht vorstellen, wie Sie da Menschen pflegen wollen. Alte, arme, hilflose Menschen. Wie mich.«

    »Na ja«, setzte Nadine an. Sie überlegte, wie sie den Unterschied erklären konnte. Bei Küchen und Klos gab es nur sauber oder schmuddelig, bei Menschen allerdings eine Menge Zwischenstufen, die man als charmant-leger, liebenswert-schusselig, exzentrisch-weltfremd, als zumindest eigenbrötlerisch oder auch interessant-verkommen bezeichnen konnte.

    So in etwa ging ihr das durch den Kopf, als ein Typ das Zimmer betrat, der eindeutig unter »Verfallsdatum überschritten« beziehungsweise »Versager mit Körpergeruch« fiel.

    Dabei roch er gar nicht wirklich schlecht, er sah nur so aus. Axe, dachte Nadine und musste husten. Circa eine halbe Dose. Wieder ein Opfer verfehlter Werbung. Auf den Frauenansturm, wenn er die Achsel entblößte, wartete der arme Irre vermutlich seit zehn Jahren vergebens. Warum nur traten neuerdings lauter Männer in ihr Leben, um die sie früher auf der Straße einen weiten Bogen gemacht hätte? Sie wollte hier raus. Aber erst, wenn sie eine Verdienstmöglichkeit hatte.

    »Ich brauche Geld«, erklärte sie. »Und ich brauche es dringend. Bitte«, setzte sie hinzu, als sie den Blick ihrer Gegnerin sah.

    Der Neuankömmling seinerseits ignorierte sie. »Ich suche jemanden für, äh, einen Putzjob. Und möglichst sofort.«

    Die Sachbearbeiterin lächelte hinterhältig. »Die junge Dame hier hat gerade gefragt.«

    »Was?«, entfuhr es Nadine.

    Der Neue warf einen kurzen Blick auf ihren Burberry und den Regenschirm mit den Michelangelo-Putten. »Jemanden, der richtig mit anpacken kann.«

    »Also«, schnappte Nadine beleidigt. »Ich bin schließlich Medizinerin.«

    Die Sachbearbeiterin konterte das mit einem Neigen des Kopfes, das »ach, wirklich« heißen konnte. Oder »was denn nun?« Oder Schlimmeres.

    Der Mann insistierte, ohne Nadine einen weiteren Blick zu gönnen. »Und es wäre wichtig, dass es sofort wäre. Weil …« Er ersetzte die möglicherweise langwierige Erklärung durch eine vage Geste. Lange Reden schienen nicht sein Ding zu sein.

    Die Sachbearbeiterin blieb unbeirrt. »Wenn Sie dann diesen Bogen ausfüllen. Ich werde ihn im Lauf des Tages mit unserem Pool abgleichen und den Interessenten Ihr Angebot per Mail zuschicken. Diese melden sich dann bei Ihnen, wenn sie das Angebot zur Kenntnis genommen haben. Danach kommen Sie mit dem Interessenten hierher und unterschreiben beide unseren Standardvertrag, der dann …«

    »Aber das dauert ja ewig«, unterbrach er sie. Die Sachbearbeiterin schwieg. Er schwieg. Nadine schwieg.

    »Aber …«, begann Nadine.

    »Ich zahle zweihundert den Tag. Kann einen Tag dauern oder zwei.« Es klang widerwillig. Anschauen mochte er sie immer noch nicht.

    »Zweihundert.« Nadine schnappte nach Luft. Das war nicht schlecht für einen Putzjob, gar nicht schlecht. Dazu würde es nur zwei Tage dauern. Danach wäre sie den Typen wieder los. Und ihre Schulden dazu. Und die ganze unangenehme Geschichte wäre Vergangenheit für immer. Sie konzentrierte sich und zwang sich, den Mann intensiv zu betrachten. »Sie haben eine seltsame Aura«, stellte sie fest. »Irgendwie hellgrün.«

    »Dann gibt’s wohl Grund zur Hoffnung, was?« Er grinste so, als wüsste er schon, dass seine Witze meist danebengingen.

    Die Sachbearbeiterin nahm Nadines Visitenkarte und warf sie in den Mülleimer. »Dann wäre das ja erledigt.« Sie schien nicht vorzuhaben, sich mit dieser Angelegenheit weiter die Finger schmutzig zu machen.

    Zögernd streckte Nadine ihre Hand aus. Er nahm sie. »Hartmut«, sagte er. »Hartmut Auer.«

    »Nadine.« Sie hatte keine Lust, diesem Subjekt ihren Nachnamen mitzuteilen. Es schien ihm recht zu sein, denn er nickte. »Also dann.«

    Als sie aus dem Studentenwerk hinaustraten, hatte es aufgehört zu regnen. »Mein Auto steht drüben am Gefängnis«, sagte er.

    Ehe sie überlegen konnte, ob das ein Zeichen war, rief der Fahrradmonteur ihrem Begleiter zu: »He, Hartmut, hab gehört, du hast schon wieder ’nen Schuss gebaut?«

    Hartmut winkte ab. Im Weggehen murmelte er: »Mich kotzt dieses Scheißkaff an, in dem jeder jeden kennt.«

    »Was heißt ›einen Schuss bauen‹?«, fragte Nadine alarmiert, die mit Bombenbau und Waffen ebenso wenig zu tun haben wollte wie mit Drogen.

    »Das ist Taxlersprache, es heißt, ich hatte einen Unfall«, gab Hartmut mürrisch zurück.

    »Sie sind Taxifahrer? Aber ich dachte, du suchst eine Putzfrau.«

    Hartmut grinste böse. »Und schon wechselt das Pronomen.«

    »Pro was?«

    Er suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Ironie, entdeckte aber nur ehrliche Verwirrung. Ihre Augen schienen wie dafür gemacht, Verwirrung perfekt zu verkörpern. Und apropos perfekter Körper: Wenn man mal das ganze Drumherum wegließ, das dezente Make-up und die teure Frisur und die Markenklamotten, all den Kram, der einen immer ein wenig unsicher machte, ob eine Frau wirklich schön war oder nur gepflegt. Also, falls man überhaupt bereit war, das wegzulassen, und das war Hartmut nicht, er nahm es ihr im Gegenteil persönlich übel. Mainstream-Kacke nannte er das, und es war ein charakterliches No-Go in seinen Augen. Abgesehen von dem also, wovon Hartmut als Mann mit Prinzipien unmöglich absehen konnte, war Nadine die Sorte Mädchen, an der es nichts auszusetzen gab. Der pure Horror.

    »Pronomen, das ist Taxlersprache für persönliches Fürwort, wenn man wie ich ein paar Semester Sprachwissenschaften studiert hat.« Es hätte ein paar Dinge gegeben, fand er, die sie ihn daraufhin hätte fragen können. Wie das mit seinem Studium gewesen war zum Beispiel. Dann hätte er erzählen können, wie er es diesem bornierten Dozenten damals gegeben hatte, als der den Entwurf zu seiner Magisterarbeit ablehnte, die ja eigentlich fast schon eine Doktorarbeit gewesen war. Sagte jedenfalls Uwe. Und wie er dann zu Ethnologie und Volkskunde gewechselt hatte. Danach hätte sie doch auch fragen können. So ganz harmlos wie: »Und was hast du sonst so gemacht?« Und nach seiner Rolle bei der Studentenrevolte 1986, wo er das entscheidende Manifest mitverfasst hatte, das dann …

    »Und was soll ich dir putzen?«, unterbrach Nadine mit ihrer Frage seine Erinnerungen. »Dein Taxi?«

    »Nee«, sagte Hartmut. »Einen Tatort.«

    3. Idylle mit Idioten

    »Werden wir dafür nicht spezielle Putzmittel brauchen?«, fragte Nadine, während sie auf die zweispurige Straße durch den Ortsteil Büchenbach einbogen. Ihr Blick wanderte wenig hoffnungsvoll über die Hochhaus-Fassaden, die rechts und links vorbeizogen. Hier war sie noch nie gewesen. Wozu auch, hier kam nur her, wer hier wohnen musste, und das war dann schon Pech genug. Brennpunktsiedlung nannte man das wohl, dachte sie. Frauen mit Kopftüchern, Schlüsselkinder und per se verdächtige Tiefgarageneinfahrten, dazwischen Grünflächen, deren trostlos symmetrische Leere nur durch ein wenig Vernachlässigung aufgelockert wurde. Dahinter blinkte der Kanal, ebenfalls trostlos symmetrisch und leer. Nur selten schaukelte ein Frachter die Bäuche der toten Fische. Immerhin rauschte hier und da Schilf für die Gassigeher und Jogger; Schilf machte ja immer was her.

    Kaum dachte sie, dass es ja kein Wunder war, wenn die Leiche hier lag, da bogen sie rechts ab, und auf einmal tauchten wieder Wohnhäuser auf und eingewachsene Gärten, durchsetzt von altem Fichtenbestand. Sie hielten unter einem üppig tragenden Apfelbaum an einem Jägerzaun. Es roch nach Sommer. Eine Rentnerin humpelte vorbei und ließ sich von ihren Yorkshire-Terriern umwuseln. Zwischen den Bäumen schimmerten friedlich die Mauern der Psychiatrie;

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