Alltagsgeschichten aus Rheinhessen: Das Leben schreibt die besten Geschichten
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Book preview
Alltagsgeschichten aus Rheinhessen - Books on Demand
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Rheinhessen
Familie
Die Großfamilie
Eine Heimat für Viele
Das Geburtstagsgeschenk
Mittagessen mit Überraschungen
In Haus und Hof
Der Fridolin
Hühner und Eier
Schulzeit
Mein erster Schultag
Schulerinnerungen
Das Diktat
Koch- und Handarbeitsunterricht
Im Turnverein
Rassandara, das Riesenweib
Von Dingen, die es einmal gab
Das Milchkännchen
Respektpersonen
Sommerfreuden
Von Dingen, die es einmal gab
Giselas erste Handtasche
Gabriele, darf ich mich vorstellen
Traubenlese
Weinlese
Weihnachtszeit
Weihnachtsdüfte
Weihnachtsplätzchen
Winterzeit
Jahreswechsel
Aufbruchstimmung
R4, ein Auto, ein Lebensgefühl
Zeiten im Umbruch
Vorwort
„Das Leben schreibt die besten Geschichten." Unter diesem Motto findet seit dem Frühjahr 2015 an der Volkshochschule in Alsheim ein biografischer Erzähl- und Schreibkurs statt. Entstanden ist dabei eine Vielzahl heiterer und lebendiger Geschichten, die vom Alltag in Rheinhessen vor etwa 50 Jahren berichten, vom Leben in der Großfamilie, Anekdoten aus dem Dorfleben und von Dingen, die es einmal gab. Es sind wahre Geschichten aus dem Alltagsleben, die uns in amüsanter Form verdeutlichen, wie vieles sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat.
„Das müsstest Du eigentlich mal aufschreiben!" Wie oft fällt dieser Satz, wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen. Die vorliegenden Texte wollen Sie dazu ermutigen!
Maria Schmitz
Rheinhessen
Geboren bin ich in einem kleinen Dorf am Rhein
der Wonnegau mit seiner herrlichen Landschaft
Rheinhessen - jetzt gerade 200 Jahre alt
Weinberge, Felder und kleine Wäldchen
der Wonnegau mit seiner herrlichen Landschaft
mit Wasser, Bäumen und mildem Klima
Weinberge, Felder und kleine Wäldchen
artenreiche Vielfalt ringsum
mit Wasser, Bäumen und mildem Klima
hier gedeihen gute Weine
artenreiche Vielfalt ringsum
Obst und feines Gemüse wächst reichlich
hier gedeihen gute Weine
Weine, die man gerne gemeinsam trinkt
Obst und feines Gemüse wächst reichlich
für Essen und Trinken ist immer gesorgt
Weine die man gerne gemeinsam trinkt
dazu hört man Neues aus der Umgebung
für Essen und Trinken ist immer gesorgt
Gäste sind herzlich willkommen
dazu hört man Neues aus der Umgebung
Geboren bin ich in einem kleinen Dorf am Rhein
Gäste sind herzlich willkommen
Rheinhessen - jetzt gerade 200 Jahre alt.
Marlies Uhrig
Familie
Die Großfamilie
In alten rheinhessischen Bauernhöfen lebten meist mehrere Generationen unter einem Dach, häufig mit einer gemeinsamen Küche, in der sich alles abspielte. Auch bei uns war das so. Auf unserem Hof lebten meine Urgroßeltern, Großeltern, Eltern und wir Kinder. Alle Arbeiten wurden gemeinsam erledigt. Jeder musste etwas leisten.
Diese Art des Zusammenlebens war für Kinder wunderbar. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in meinem Elternhaus allein gewesen zu sein. Für die Erwachsenen war das manchmal schwierig - Meinungsverschiedenheiten waren vorhersehbar und wurden oft lautstark ausgetragen. Mein Urgroßvater war der Hofbesitzer, ein großer stattlicher Mann mit stechenden blauen Augen. Uns Kinder brauchte er nur anzusehen und wir parierten sofort. Er hatte das letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen und saß am Kopfende des Tisches, rechts neben ihm meine Urgroßmutter. Am anderen Kopfende saß meine Großmutter, mein Großvater rechts daneben, er war ein kleiner bescheidener Mann, der gut mit Tieren umgehen konnte und alle Arbeiten sehr geschickt erledigte. Meine Eltern und ich saßen an der gegenüberliegenden Längsseite des Tisches nebeneinander.
Als mein Urgroßvater starb, war ich sieben Jahre alt. Meine Schwester war gerade geboren worden. Meine Großmutter nahm am Tisch seinen Platz ein – und mein Vater – obwohl nur eingeheiratet - setzte sich ganz selbstbewusst ans andere Kopfende auf den Platz meiner Oma. Von nun an war es ein ständiger Kampf um die Entscheidungsmacht zwischen den beiden, denn es waren sehr starke, ja charismatische Persönlichkeiten.
Meine Oma war sehr gescheit, lebenstüchtig und bodenständig. Alle in der Familie fragten sie um Rat bei wichtigen Entscheidungen, aber sie war auch sehr traditionell, ja konservativ in ihrer Einstellung zu Obrigkeit und Kirche. Es gab Dinge, die tat man einfach nicht. Uns Kindern sagte sie immer: „Ihr dürft alles mache, awer seid ohstännisch," was immer das heißen mochte.
Mein Vater dagegen war ein Mann, der alles wagte, stets das Neue ausprobierte und damit oft Erfolg hatte. Die Meinung „der Leute war ihm völlig egal. Uns Kinder hat er gelehrt immer mutig an alles heranzugehen. „Es werd proviert - wanns net geht - seh mers minanner ein, awer proviert werds!
Und heute kann ich sagen: Meistens ging's.
Marlies Uhrig
Eine Heimat für Viele
Mein Vater war vor einigen Tagen nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Ich war unendlich traurig und kein Wort des Trostes konnte mich erreichen. Mit meiner Mutter saß ich am Küchentisch und sichtete die Kondolenzschreiben, die uns in diesen Tagen in einer überwältigen Fülle erreichten. Still und geduldig wartete sie, bis ich die Karten geöffnet hatte, damit ich ihr den Text und den jeweiligen Absender vorlesen konnte.
Ein Schreiben fesselte sofort meine Aufmerksamkeit. „Es tut mir unendlich leid, dass Ihr Mann und Euer Vater verstorben ist. Mit Ihrem Mann, Eurem Vater ist auch ein großes Stück meiner Kindheit, meiner Jugend gestorben. Man kann auch sagen, ich habe meine zweite Heimat verloren. Mit ihm verbinde ich immer ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit, das ich hatte, wenn wir alle hungrig bei Euch nachmittags pünktlich um 16:00 Uhr in die Küche eingefallen sind und dort so liebevoll mit Kakao und Marmeladenbrot versorgt wurden…"
Ich hielt inne, um den Absender der Karte zu erforschen. Sie war von einem Kinder- und Jugendfreund meines Bruders. Meine Mutter lächelte wehmütig. „Ja, ich erinnere mich sehr gut an ihn. Auch einer von den Kandidaten, die fast jeden Nachmittag unsere Küche bevölkert haben." Wir sollten bald feststellen, dass wir noch sehr viele Karten mit fast identischem Inhalt erhalten hatten.
Gemeinsam gönnten wir uns den Luxus, zurückzugehen in eine Zeit, als meine Eltern noch jung waren und meine Brüder und ich eine fast sorgenfreie und glückliche Kindheit verlebten. Wir wohnten damals in einem kleinen, einfachen Haus, zu dem ein großer Garten und ein Hof gehörten. Viel Platz zum Anbau für Obst und Gemüse und ausreichend Platz für einen Hühner- und Hasenstall. Beides war in der damaligen Zeit unverzichtbar, weil die Haltung des Viehs und der Obst- und Gemüseanbau einen nicht unerheblichen Anteil an unserer Nahrungsversorgung darstellte.
Obwohl wir nicht mit Reichtümern gesegnet waren, führten unsere Eltern ein sehr gastliches Haus. Gäste zum Essen waren jederzeit herzlich willkommen und ich kann mich nicht erinnern, dass