Der Gänsjakob: und andere Geschichten aus dem Schwäbischen Wald
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About this ebook
So beginnt das bemerkenswerte Leben des Jakob Strohmeier, genannt "Gänsjakob", einem weithin bekannten Original, der sein viel zu kurzes Dasein als Gänsehirte fristete. Eberhard Bohn erzählt uns diese und viele andere teils anrührende, teils schauerliche und fantastische, oft aber auch amüsante Geschichten, die sich während der vergangenen drei Jahrhunderte und bis in unsere Zeit hinein im Schwäbischen Wald, rund um sein Heimatdorf Kirchenkirnberg zugetragen haben.
Der Autor Eberhard Bohn wurde 1935 in Kirchenkirnberg im Schwäbischen Wald, im damaligen Oberamt Welzheim, geboren. Nach Schul-, Lehr- und Wanderjahren übernahm er den väterlichen Mühlen- und Silobaubetrieb. Seinen Ruhestand verbringt er unter anderem in beratender Tätigkeit bei historischen Mühlen und Wasserrädern und mit Heimatforschung. Außerdem befasst er sich aus Freude am Erzählen mit dem Schreiben von Geschichten aus der Heimat und aus aller Welt.
Eberhard Bohn
Eberhard Bohn (1935 - 2024) wurde in Kirchenkirnberg im Schwäbischen Wald, im damaligen Oberamt Welzheim, geboren. Nach Schul-, Lehr- und Wanderjahren übernahm er den väterlichen Mühlen- und Silobaubetrieb. Seinen Ruhestand verbringt er unter anderem in beratender Tätigkeit bei historischen Mühlen und Wasserrädern und mit Heimatforschung. Außerdem befasst er sich aus Freude am Erzählen mit dem Schreiben von Geschichten aus der Heimat und aus aller Welt. 2018 war Eberhard Bohn in der Endausscheidung für den Sebastian Blau-Preis für schwäbische Mundart.
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Book preview
Der Gänsjakob - Eberhard Bohn
Meiner lieben Frau Ruth gewidmet. Ein echtes Kind des Dorfes und bis ins hohe Alter vielfach engagiert. Wer hat auch nur annähernd so oft in unserer Kirche gesungen wie sie?
Schnurri – 2001-2018
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Der Gänsjakob
Eine Geschichte von treuer Liebe bis zum Grabe
Der Scheintote
„Lottegschichta" - Die Pfarrlotte
Dr alde Raddle vom Hasahof
Die Raddle-Ballade in Prosa für Nichtschwaben
Die Höhl-Chronik
Der Patenbrief
Das Geistloch
Vom Kleemeister, Schinder, Sympatiedoktor, Scharfrichter und Hexenbanner
Das Siebzehner-Gericht in Nardenheim
Die Kleemeister
Das Wassermannzentrum
Der Tod der Buchhofbäurin
Der Waldschrat
Der alte Dietrich
Mysteriöse Geschichten von heute
Die Rehe
Die Spinnen
Der Harlekin
Verschwunden in Heilbronn
Wahrsagen mit Regina
Anhang
Der Autor
Illustrationen
Vorwort
Dieses Buch versammelt wahre Geschichten und mündlich überlieferte, teils fantastische Erzählungen, welche sich in einem abgelegenen, von Wald umgebenen Dorf und in seiner näheren und weiteren Umgebung während der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte tatsächlich zugetragen haben oder mündlich überliefert wurden. Sie sind teils Kirchenbüchern, alten Akten und Zeitungen entnommen, teils wurden sie von inzwischen längst verstorbenen Leuten erzählt, und werden hier erstmals festgehalten.
Es sind Geschichten wie sie sich bestimmt genau so in vielen andern Dörfern und Städten einmal zugetragen haben könnten, und die nur darauf gewartet haben aufgeschrieben und für die Nachwelt erhalten zu werden.
Es scheint als ob sich in all der langen Zeit am Zusammenleben der Menschen sehr wenig geändert hätte: Misstrauen und Gewinnsucht, Missgunst, Lug und Betrug, Rechthaberei und das Gefühl der Unterlegenheit, Unfälle und Morde, Macht und Reichtum, Neid, Hass, Streit und Raub.
Doch wer weiß: vielleicht ist dies alles sogar nötig, damit die Welt überhaupt in Gang gehalten wird? Nur wenn etwas, aus welchen Gründen auch immer auf den Weg gebracht wird – mögen es auch niedrige Instinkte sein – gibt es Weiterentwicklung und Fortschritt.
Einen großen Unterschied gibt es allerdings: Heutzutage werden alle Geschehnisse aus der ganzen Welt in Windeseile sofort überall verbreitet. Das war früher nicht möglich.
Der Gänsjakob
Das Leben des Jakob Strohmeier, genannt
„Gänsjakob", von der Reute
Am 5. Juni l887 wurde droben in der Reute den Bauerseheleuten Gottlieb und Rosine Strohmeier ein Knäblein geboren. Es war so schwächlich, dass die Hebamme, nachdem sie schon die ganze Zeit bedenklich den Kopf geschüttelt und ihre nötigsten Pflichten getan und ihre Siebensachen zusammengepackt hatte, beim Hinausgehen zur Mutter sagte: „Den wirst du wohl nicht davon bringen. Auf die zaghafte Anfrage der Mutter, ob man nicht den Doktor holen solle, kam die knappe Antwort, die keinen Widerspruch zuließ: „Das rentiert sich nicht!
So eine Hebamme hatte in vielen Häusern wenigstens jedes zweite Jahr zu tun und durfte nicht so zimperlich sein. Sie wusste genau, wie es in der Hauswirtschaft, und was noch wichtiger war: wie trostlos es in den Geldbeuteln der einzelnen Familien aussah. Ja, und eine Krankenkasse, die einsprang und den Doktor bezahlte, gab es damals nicht. Hier bei den Strohmeiers war es immerhin das zehnte Kind, und nach ihrer Meinung waren, wenn dieses armselige Würmchen nicht aufkam, noch genug andere Geschwister da.
Jedoch: die gute Frau hatte sich geirrt. Das Kind überlebte die ersten vierzehn Tage und wurde am 18. Juni in der Kirche zu Kirchenkirnberg auf den damals recht gängigen Namen „Jakob" getauft.
Aber es kommt trotzdem ganz bitter: Gerade vier Wochen, nachdem Gottlieb Strohmeier die Geburt des Jakob in die Familienbibel eingetragen hatte und gerade 14 Tage nach dessen Taufe, muss er wieder zur Feder greifen und schreibt mit derselben Feder und der gleichen Tinte, man kann das gut sehen, etwas zittrig in die Bibel: „Rosine Strohmeier ist gestorben am samstagabend, um 8 Uhr den 2. Juli 1887." Es war seine Ehefrau und Jakobs Mutter.
Wie es bei den Strohmeiers danach weitergegangen ist, konnte ich nicht herausfinden. Ob irgendeine Tante oder Base die Stelle der Mutter eingenommen hat, ob es die damals erst elfjährige Schwester Christine war, oder ob Gottlieb Strohmeier noch einmal geheiratet hat, was aber sehr unwahrscheinlich ist – auf jeden Fall muss eine Frau im Hause gewesen sein, die für Jakob eine ganze und liebe Mutter geworden ist.
Trotz der wenig verheißungsvollen Voraussage der Hebamme und all der widrigen Umstände gedieh der kleine Jakob weiterhin. Zwar blieb er immer etwas schwächlich, aber er blickte mit hellen Augen in die Welt und begann früh zu sprechen. Als er heranwuchs, war er immer da, wo er nicht sein sollte. Er holte die Eier aus den Hühnernestern, kämpfte mit den Gänsen und schlug im Stall heimlich mit einer Rute auf die Kühe ein, obwohl er alle Tiere so gernhatte. Die Kühe schlugen aus und ließen sich nicht mehr melken, die Hühner verlegten ihre Eier, so dass man sie nicht mehr finden konnte. Der Vater ärgerte sich über den nichtsnutzigen Lausbuben und schimpfte, weil er einerseits so wehleidig, auf der anderen Seite so vorlaut und frech war.
Vom Vater bekam Jakob aber auch manche Schläge ab, die eher die Geschwister verdient hatten. Wenn die Mutter protestierte, rechtfertigte er sich mit einem Spruch, der damals als allgemein gültig für die Kindererziehung stand: „Kinder, die der Vater soll ziehn zu allem Guten, die geraten selten wohl ohne Zucht und Ruten". Aber Gott sei Dank war die Mutter da. In ihre Rockfalten flüchtete Jakob, wenn einmal wieder alles gegen ihn war, und er beklagte sich über den Vater, die Gänse, Geschwister und über die ganze Welt. Die Mutter nahm ihr Sorgenkind in die Arme, und schnell war alles wieder in Ordnung.
Im Frühjahr 1893, Jakob war knapp sechs Jahre alt, schien es, als ob die Prophezeihung der Hebamme doch noch eintreffen würde. Irgendwo in der Scheuer maunzten junge Katzen, und das ließ Jakob keine Ruhe. Er stieg die Oberlingsleiter hinauf und suchte im Heu. Da kam ein Teil von dem wenigen Heu, das noch da war, ins Rutschen und fiel mitsamt Jakob hinunter auf die Scheunentenne.
Der Vater saß beim Vesper hörte einen gellenden Schrei und kam in die Scheuer gestürzt: Da lag Jakob auf dem Boden, auf seiner linken Seite, ob tot oder lebendig, das konnte er im Moment nicht feststellen. Er rannte zur Mutter, die draußen auf dem Feld beschäftigt war und erzählte, was passiert war und schimpfte über den Lausbuben, der einem immer und immer Ärger machte, den er jedoch im Grunde so herzlich gernhatte. Er konnte ja nicht zeigen, wie verzweifelt und hilflos er war.
Sie eilten zur Scheune, standen da, und wussten nicht, was sie tun sollten. Die Mutter fing ganz vorsichtig vom Doktor an, aber das kam so wenig in Frage wie bei der Geburt. Wenn bei einem Stück Vieh etwas nicht stimmte, da holte man ab und zu einmal den Tierarzt. Aber für ein Kind war der Doktor zu teuer. Man griff zu Hausmitteln, machte kalte Umschläge und Schnapswickel. Wenn es Gottes Wille war, dass Jakob davonkam war´s gut, wenn es Gottes Wille war, dass er starb, konnte man sowieso nichts machen. Sie trugen ihn in die Kammer und legten ihn ins Bett.
Nach einigen Wochen musste man feststellen, dass der linke Arm steif war und Jakob die Finger der linken Hand nicht mehr ausstrecken konnte. Außerdem war sein linkes Bein nicht in Ordnung. Die Haltung des linken Armes und der linken Hand sowie das Nachziehen des linken Beines war und blieb, so lange er lebte, das unverwechselbare Erkennungszeichen des Jakob Strohmeier von der Reute.
Schulzeit
Über die Schulzeit des Jakob ist in den zur Verfügung stehenden Akten nichts enthalten. Wahrscheinlich kam er im Frühjahr 1894, schon siebenjährig, in die Schule, war er doch das Jahr vorher so schwer verunglückt. Es war noch manches anders als heute: Das Hauptfach war Religion, und da mussten vor allem Bibelsprüche und Choräle auswendig gelernt werden. Der Meerrohrstock regierte im Klassenzimmer. Es gab Tatzen und Hosenriss. Es herrschte Disziplin!
Die Lehrer hatten noch nicht die Ausbildung wie heute. Die Ferien richteten sich nach dem Jahresrhythmus der Landwirtschaft. Sie waren so gelegt, dass die Kinder bei der Heu- und Kartoffelernte zu Hause waren. Der Herr Lehrer - von wegen Lehrerin! - stand hinter seinem Katheder und hatte zum Wischen der Tafel ein „Waschlavor im Klassenzimmer. Die Kinder hatten vielleicht einen Schulranzen auf dem Buckel. Bestimmt nicht alle, dazu fehlte bei den großen Kinderscharen einfach das Geld. Man hatte eine Schiefertafel, öfter auch einmal mit einem Riss, oder es fehlte gleich ein ganzes Stück. Man ging noch nicht so systematisch ans Lesen und Rechnen heran wie heute, und so kam es, dass man im ersten Schuljahr gerade mal gelernt hatte, bis „zehn
zu zählen. Einigermaßen lesen konnte man erst, nachdem man vier Jahre in die Schule gegangen war.
„Auf, ab, auf, Tüpfele drauf, so lernte man den kleinen Buchstaben „i
und zwar in deutscher Schrift. Man hatte nur ein Buch, das war die Fibel. Erst in einer ziemlich höheren Klasse kam noch das Spruchbuch dazu. Musste man, zum Beispiel beim Schönschreiben, doch einmal auf Papier „ins Heft" schreiben, hatte man mit Tinte aus dem Tintenfass und oft mit einer recht widerborstigen Feder zu kämpfen. Da gab es dann öfter eine