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Ka'ani - Boten des Todes: Der Henker
Ka'ani - Boten des Todes: Der Henker
Ka'ani - Boten des Todes: Der Henker
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Ka'ani - Boten des Todes: Der Henker

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About this ebook

Als der Leibwächter des Dunklen Prinzen, der sogenannte »Henker«, zunehmend Gefühle für seinen Herrn entwickelt und diese auch erwidert werden, ahnen beide noch nicht, welche Probleme sie damit auf der Dunklen Seite heraufbeschwören. Emotionen wie Fürsorge, Mitleid oder gar Liebe gelten in ihrer kalten Welt als verboten und werden mit Gewalt unterdrückt. Schaffen sie es dennoch, gegen alle Feinde ihres neuen Denkens anzukommen oder gewinnt die alte innere Ethik von Gehorsam die Oberhand zurück?

Der Beginn einer besonderen Liebe, die allen Verboten zum Trotz eine neue Form dieses Begriffes begründet.
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateJan 21, 2019
ISBN9783740739157
Ka'ani - Boten des Todes: Der Henker
Author

Nancy Morgan

Nancy Morgan lebt in Sachsen und kombiniert gern Düsteres mit Fantastischem. Sie trinkt keinen Kaffee, ist tierlieb und verrückt nach Musik.

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    Book preview

    Ka'ani - Boten des Todes - Nancy Morgan

    Kapitel

    - 1. Kapitel -

    »Wo ... wo bin ich?«

    Den Ort um sich herum konnte er absolut nicht zuordnen. Ein riesiges Gebäude mit Säulen und Statuen in altmodischem Stil. Schwarze Gardinen säumten die Fenster, die so mächtig erschienen, dass es schon beinahe erdrückend wirkte. Alles schien fremd und unwirklich, als träumte er.

    »Bin ich tot?«

    Das war die erste Frage, die ihm einfiel, und eigentlich eine berechtigte, denn soweit er sich erinnern konnte, war er doch gerade aus dem 5. Stock gefallen. Oder nicht? Er dachte, er würde sterben. Hatte er das etwa nur geträumt?

    »Oh nein!« Die anderen Gestalten lachten ihm entgegen. »Du bist nicht tot, vielmehr weit davon entfernt.«

    Ein Gesicht tauchte vor ihm auf. Ein Gesicht, dessen Züge er mittlerweile in- und auswendig kannte, so oft hatte er es schon erblicken müssen: Tane. Doch anstelle der gewohnt kalten und Angst einflößenden Miene strahlten ihn zwei warme freundliche Augen an. Ganz so, als wollten sie ihn begrüßen.

    »Hallo Agony«, sprach er sanft auf ihn ein, als könne er ihn mit zu lauten harten Worten verletzen. »Willkommen zu Hause!«

    Der Blonde stand am Fenster und starrte auf das graue Gras. Ein lauer Wind wehte und einige Krähen spielten zwischen den Sträuchern fanger. Ihm war weniger daran gelegen, sich hier wirklich umzusehen. Eigentlich stand er nur da, um klar im Kopf zu werden und die momentane Situation richtig zu verdauen, denn er konnte nicht verstehen, hier zu sein. Verstand nicht, wo er war, wer er war und vor allem nicht, dass er war.

    Dunkle Seite, nannten sie es, das DW-System, wobei »DW« für Dunkle Welten stand. Ein System ähnlich dem Sonnensystem, welches sich wohl durch zwei Seiten, die Helle und die Dunkle, in Waage hielt und er eben auf letzterer landete. Dieser Planet hier galt als deren Zentrum. Sie nannten ihn Dunkle Welt oder in ihrer Sprache: Dark World.

    Der Henker wartete ungeduldig hinter ihm, schritt mal nach links und mal nach rechts. Er konnte hören, wie die Stiefel auf den Steinplatten hallten und war froh, nicht ins Gesicht des Kämpfers blicken zu müssen, denn dieses sprach Bände. Tane wusste nicht, wie er sein Verhalten deuten sollte. Er hatte dem Blonden auf geholfen, ihm die Hand gereicht, die dieser nur sehr zögerlich und irritiert ergriff. Eigentlich verständlich, da er ihn ja bis gerade eben noch jagte und nun auf einmal beide zur gleichen Seite zählten. Loc, der alte Berater und Leiter hier, versuchte dann zu erklären, was geschehen war und das alles bedeutete, während Coy und Nia, zwei weitere Anwesende, sich vorstellten.

    Alles erschien dem Menschen so unwirklich und beinahe … phantastisch, dass er immer wieder glaubte, zu schlafen. Doch die anderen schworen stets, es sei real und, dass er nun tatsächlich hier existierte.

    Tane war das nicht gewohnt. Er wusste nicht, wie er mit Jeffray umgehen sollte, wie ihn am besten behandeln, ohne ihn weiter zu verwirren. Ihn hier mit ihm allein zu lassen, machte es nicht besser, auch wenn ihm wohl bewusst war, was der Alte bezweckte. Schließlich sollte er ihn einführen und anlernen. Das konnte kein anderer.

    »Hast du irgendwelche Fragen?« Der Dunkle konnte nicht mehr still dastehen und warten, bis etwas geschah. Diese Geduld besaß er noch nie. »Ist alles in Ordnung mit dir, Agony?«

    »Nenn mich nicht so!«, kam es augenblicklich zurück, denn in Mc-Kens Ohren klang das absolut falsch.

    »Aber das ist dein Name«, entgegnete Tane ernst und schritt auf ihn zu.

    Nun drehte sich der Blonde um und sah ihm direkt in die Augen. »Ich heiße Jeffray.«

    »Nein, tust du nicht«, konterte man sofort. »Diesen Namen haben dir die Menschen gegeben. DU heißt Agony und tief in deinem Herzen weißt du das auch.«

    Der Blonde schüttelte energisch mit dem Kopf. Der Klang dieses Namens würde ihm wohl noch eine ganze Weile komisch vorkommen. »Jeffray McKen«, murmelte er leise zu sich, doch der Dunkle konnte es hören und korrigierte erneut.

    »Jeffray AGONY McKen.« Warme Augen blickten in die hellbraunen des Erben und versuchten ihm ein Gefühl von Richtigkeit zu vermitteln, damit er wenigstens halbwegs hier ankam. Es funktionierte nur nicht. »Du heißt Jeffray Agony McKen und den Namen Jeffray haben dir die Menschen nur gegeben, weil sie mit deinem richtigen Namen nichts anzufangen wussten und vielleicht auch ein wenig, um dich zu schützen.«

    »Hmm«, kam es immer noch wenig überzeugt zurück. Er sah sich kurz um und redete dann weiter. »Und ich bin nicht tot? Ich bin zwar aus dem Fenster gesprungen, aber nicht tot? Ist das richtig?« Irgendwie klang es schon wieder surreal. Man hätte lachen können, aber ihm war nicht nach lachen, denn das war ein ernstes Thema.

    »Nein, nein«, verbesserte ihn der Dunkle und winkte ab. »Du bist nicht gesprungen, sondern gefallen und zwar versehentlich. Das sollte nämlich eigentlich nicht passieren.«

    »Ach so?«

    »Ja, eigentlich solltest du auf eine andere Weise sterben. Ich sollte dich töten.«

    »Du solltest mich töten?« Nun sah er ihn skeptisch an, verschränkte die Arme. »Und du denkst, das hätte mir die Situation verständlicher gemacht?« Tane wusste nicht so recht, was er darauf wieder antworten sollte und schwieg kurz. Einen Augenblick, den der Blonde sofort zu nutzen wusste und weiter nach hakte. »So und wenn du sagst, ich wäre nicht tot, aber du solltest mich töten, ähm … Wie soll ich deiner Meinung nach meinen momentanen Zustand verstehen?«

    Schon wieder Fragezeichen, aber da war er bei Tane an der falschen Stelle. Reden galt nicht gerade als eine seiner Hauptstärken. Kein Wunder also, dass die Worte des Kämpfers eher durcheinander brachten, statt Antworten zu liefern. »Im Moment bist du lebendig. Mehr als je zuvor. Vorher warst du eher tot gewesen oder zumindest eingesperrt.« Er versuchte die richtigen Beschreibungen zu finden. Herrje, das war echt nicht so einfach.

    »Du bist wiederauferstanden«, ertönte eine freundliche Stimme vom Eingang. »Damit kannst du doch sicher etwas anfangen oder nicht?« Es war Coy. Die Blondine schritt mit eleganten Bewegungen auf den Erben zu und der Henker war nie froher gewesen als jetzt, sie hier zu sehen. Sie hatte von draußen der Unterhaltung beigewohnt und schnell verstanden, den Freund in einer Sackgasse zu sehen. »Der Begriff Wiederauferstehung sollte dir nicht ganz fremd sein.«

    Jeffray musterte sie eingehend, behielt aber seinen irritierten Ausdruck bei. »Ich will mich hier nicht mit Jesus vergleichen«, lenkte er ein, denn das schien ihm nicht richtig.

    »In die Richtung geht es aber, ob es dir nun gefällt oder nicht« konterte sie munter, ohne an Freundlichkeit zu verlieren. »Du bist als Agony in einem menschlichen Körper geboren worden, der dir nur als eine Art Übergang dienen sollte, eine Hülle, wenn du so willst. Diese Hülle sollte auseinander fallen, wenn sie nicht mehr gebraucht wird und dein wahres Ich frei geben. Mit dem Zerfall deines menschlichen Körpers, dem Tod von diesem durch den Sturz aus dem Fenster, konnte das endlich hervortreten. Wie eine Raupe, aus der am Ende ein Schmetterling wird.«

    Ihm war wohl klar, worauf sie hinaus wollte, aber er verstand immer noch nicht, welche Rolle er dabei spielte. »Ich bin weder Jesus noch ein Schmetterling«, brachte er an und erntete ein Schmunzeln.

    »Du bist, wer du bist. Daran kannst du nichts ändern, Agony.« Sie sprach in einem sanften warmen Ton und wollte ihm wirklich nichts Böses. Das konnte er erkennen. Im Gegenteil, ihr schien wie auch den anderen viel daran zu liegen, es ihm hier so angenehm wie möglich zu machen.

    »Wenn das stimmt, was du und er sagt«, wies er kurz zum Henker und schwenkte dann sofort zurück zu ihr, »hieße das ja, mein ganzes bisheriges Dasein wäre nur eine … eine Show gewesen, ein Witz, um mich was, wiederauferstehen zu lassen?« Seine Augen funkelten von einer Sekunde auf die andere dunkel und versprühten eine Kälte, die Tane die Kehle zuschnürte. Der Henker war froh, nicht mit ihm debattieren zu müssen, um diesen Blick abzubekommen. Das hätte der nicht auf Dauer ertragen, denn der sonst so ruhige und verständnisvolle McKen fehlte völlig. »Alles, was ich bisher erlebt habe, all die Erfahrungen meiner Vergangenheit, der Tod meiner Eltern und die zahlreichen Adoptionen, all die Misshandlungen in meiner Kindheit, das Leben auf der Straße, meine Erkrankungen und die anschließende Genesung, all das war nur ein … was? Ein Scherz? Eine Lüge? All das musste geschehen, damit ich zu dem werde, der ich bin? Weil das große Schicksal des Universums mit mir diese Vorhersehung hatte? Das ist ja wohl nicht dein Ernst!!« Er wurde immer lauter und redete sich fast in Rage. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie mein Leben ausgesehen hat?« Fragende Augen starrten zu ihr.

    Die Blondine blieb jedoch ganz friedlich und nickte ihm entgegen. »Selbstverständlich weiß ich …«

    »NEIN!« Jeffray ließ sie gar nicht ausreden, sondern donnerte lautstark dazwischen. »Einen Scheißdreck weißt du!« Sie schluckte und zuckte leicht zusammen, als er fortfuhr. »Du hast keine Ahnung, wie mein Leben ausgesehen hat.« Er gestikulierte wild mit den Armen. Man konnte ihm deutlich ansehen, wie unglaublich nah ihm das Ganze ging. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Tränen aus Trauer und auch Wut. »Das kannst du gar nicht, denn dazu hättest du mein Leben führen müssen. Du … ihr … ihr alle hier habt keine Ahnung, was ich verdammt noch mal alles durchmachen musste. Mir jetzt zu sagen, dass das alles nur ein Spiel war, ein Plan um mich erwachen zu lassen, ist jawohl die absolute Höhe.«

    Kurzes Schweigen.

    Er drehte sich im Raum, griff sich an die Stirn und fuhr sich durch die Haare. Der Neugeborene versuchte, wieder runter zu kommen und nicht zu aggressiv zu werden, aber da hatten sich jahrelang so viele schmerzliche Erinnerungen und Emotionen angesammelt, die kaum zu beherrschen waren. Irgendwann musste das alles mal raus und hier war ein Ort, an dem etwas Wut und Aggression nicht falsch war. Zumindest wirkte es so.

    »Es ist eine verdammte Frechheit von euch, euch allen, so etwas einem Wesen anzutun«, sagte er abschließend.

    Diese Anklage schoss in Tanes Herz mit solch einer Wucht, dass der glaubte, zu zerbrechen. Der Koloss stockte. Coy bemerkte seine Reaktion wie immer in Sekundenschnelle und lenkte mit einer zügigen Handbewegung ein, die verdeutlichen sollte, doch bitte ruhig zu bleiben. Es würde sich schon alles noch klären. Er sollte ihm etwas Zeit geben.

    »Es war nicht unsere Absicht, dir derartiges Leid zuzufügen. Das musst du uns glauben. Die genauen Abläufe deines Daseins konnten wir nicht beeinflussen.« Gerne wollte sie ihn jetzt in den Arm nehmen und fest drücken, denn sie merkte, wie sehr er eine solche Umarmung und Herzlichkeit gebrauchen könnte. Er war so total durcheinander wie ein kleines Kind, doch seine abweisende Haltung verweigerte es ihr. Sie traute sich noch nicht, auf ihn zuzugehen. Dazu war es noch zu früh.

    »Nicht eure Absicht? Ja was habt ihr denn geglaubt, wie ich zu dem werden soll, den ihr haben wollt? Wenn eure dämlichen Prophezeiungen all das geschrieben haben, hättet ihr doch soweit denken müssen.« Er schüttelte enttäuscht und sauer mit dem Kopf. »Mein ganzes Leben eine lächerliche Farce, bei der ihr tatenlos daneben saßt, mich in den Wahnsinn triebt …« Bei diesen Worten blitzte er den Henker böse an, der wie ein getretener Welpe zusammen zuckte. » … und gemütlich gewartet habt, bis all mein Sein den Bach runter geht. Nur, um mir in dem einen Augenblick, diesem einem verdammten Moment, in dem ich endlich den Frieden hatte, nach dem ich mich so lange sehnte, nur um mir diesen Frieden wieder wegzunehmen und mich hierher in eure Kälte zu stoßen. Was verdammt noch mal hab ich getan, um so was zu verdienen?«

    Sein Blick war so brennend und schmerzlich, so voll unendlicher innerer Qual gezeichnet, dass es ihr fast wie Tane das Herz zerriss, ihn so zu sehen. Das wollte sie nicht. Hatte sie nie gewollt. Es war nie ihre Absicht gewesen, einem Lebewesen etwas Derartiges anzutun, damit es so eine zerrissene Seele mit sich herum trug. Wie die meisten in diesem Zusammenhang war auch Coy nur eine Marionette im Schauspiel zwischen Leben und Tod und in all das ohne ihr Zustimmen hineingestoßen worden. Sie hätte es Agony gerne erspart, vieles von dem, was er durchmachen musste. Aber er musste verstehen, dass das nicht ging, nicht in ihrer Macht lag und die meisten seiner Erlebnisse auch weit jenseits irgend eines anderen Macht lagen. Was er durch die Menschen erlebte, hatten allein sie zu verschulden und kein Tane oder anderer Dämon der Dimensionen. Doch egal, wie sehr sie versucht hätte, das zu erklären, vermutlich wollte er es gar nicht hören, denn er suchte einen Schuldigen. Also schwieg sie und ließ ihm die Wut.

    »Du wurdest so geboren, Agony«, sprach sie stattdessen nach einer Weile in ruhigem Ton. »Das war von Anfang an so bestimmt gewesen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es geschah.«

    »Trotzdem hattet ihr dazu kein Recht«, korrigierte er schnell. »Ihr hättet mich in Ruhe lassen können, mir mein Leben gönnen können. Ich bin … war verlobt. Ich wollte heiraten und mit der absoluten Traumfrau eine Familie gründen, um mich endlich an einem Ort niederzulassen, wo mein Herz zu Hause ist. Warum musstet ihr mir alles kaputt machen? Und nun lenk nicht wieder ein, hier wäre mein Zuhause.« Er registrierte, wie sie etwas sagen wollte, schnitt ihr jedoch sofort das Wort ab. »Das hier …« Sein Arm zeigte umher. »… bedeutet mir gar nichts. Damit kann ich keine Verbindung aufbauen. Dieses Grau und diese Kälte, überall nur Bedrückung und Zerstörung und Tod. Schau doch mal raus!«, verlangte er mit Fingerzeig auf das Fenster. »Das … Nein … das wird nie einen Platz in meinem Herzen haben, so wie die Erde. Niemals! Hörst du?«

    Tane wäre am liebsten im Boden versunken, so sehr schämte er sich für ihre Taten. Er konnte es kaum ertragen, den Blonden in seiner Ebene so zu sehen geschweige denn in dieser.

    Langsam und vorsichtig schritt Coy McKen entgegen, bis sie fast seinen Atem spürte und legte ihm mit Bedacht eine Hand auf die Schulter. Bereit, sie sofort zurück zu ziehen und ihm Freiraum zu geben. »Vielleicht gibst du uns die Chance, das hier zu deinem Zuhause zu machen. Sicherlich ist es schwer, was du alles erfahren und erleben musstest, aber wie gesagt, das war nicht unsere Schuld und ist nicht mehr rückgängig zu machen. Du stehst nun hier, wo du stehst, Agony. Du kannst nicht mehr zurück. Egal, wie sehr du es dir vielleicht wünschst und wie sehr du deinem alten Leben hinterher trauerst. Dein Leben als Mensch ist nun vorbei. Akzeptiere es! Jetzt existiert nur noch das andere Wesen in dir, das Dunkle und das ist alles, was du hast. Wenn du weiterleben willst, geht das nur auf diesem Weg.«

    »Ja!« Er lachte schmerzlich und streifte ihre Hand weg. »Nur weiß ich nicht, ob ich das wirklich noch möchte, weiter leben, hier bei euch.«

    »Etwas Anderes kriegst du nicht«, offenbarte sie kalt und hart. »Es liegt nun an dir, das Beste aus deiner Lage zu machen.« Sie lächelte ihn an und nickte freundlich. Ihr Blick strahlte eine Wärme aus, die ihm sofort ein Heim signalisierte.

    Er wollte ihr vertrauen, wollte glauben, sich hier irgendwann mal wohl fühlen zu können. Einfach so darauf einsteigen, konnte er jedoch trotz allem nicht. Das war zu früh. Er hing an seiner Vergangenheit, zumindest dem letzten Teil. Er hing an seinem alten Leben und von einem Moment zum anderen zu verlangen, all das Schöne hinter sich zu lassen und zu akzeptieren hier in diese Welt, dieses Grau und dieses Kalt zu gehören, konnte er nicht, wollte er nicht. Er wollte zurück. Zurück in sein wahres Leben und zurück zu ihr. Er brauchte Zeit. Das war alles ein wenig viel heute.

    Zu viel.

    Coy und Tane gingen einen langen Gang entlang. Sie ließen den Blonden allein. Der musste nachdenken und brauchte etwas Freiraum. Nach wenigen Minuten erreichten sie eine Halle, wo Loc und Nia miteinander sprachen. Dem Henker war anzusehen, mit welch einer Laune er dem Alten gegenübertrat. Am liebsten hätte er losgewettert, doch eine sanfte Handbewegung von der Blonden hielt ihn zurück und er drückte sich nicht ganz so hart aus.

    »Ich hab’s doch gleich gesagt. Das hätten wir nicht machen sollen. Er hat uns vorgeworfen, nicht das Recht zu haben, ihm so etwas anzutun und damit liegt er nicht mal ganz falsch. Er war zu lange in der Menschenwelt. Es war falsch, ihn da rauszureißen. Er hatte ein Leben und was hat er jetzt?« Der Dunkle war sauer und blitzte den Alten böse an, doch der blieb ganz gelassen und eröffnete in ruhigem Ton, doch mit so was gerechnet haben zu müssen.

    »Er wurde immerhin als Mensch geboren und bekam jahrelang auch deren Lebensweise mit. Er integrierte sich in die irdische Welt, dachte, einer von ihnen zu sein und wir reißen ihn da raus und stellen alle seine Vorstellungen total auf den Kopf. Es war abzusehen, dass er so reagiert.«

    »Und das findest du in Ordnung?« Tane konnte es nicht fassen, wie selbstverständlich die Worte aus dem Alten drangen. »Ist das nicht irgendwie … irgendwie vollkommen falsch?«

    »Was hast du erwartet, Tane?« Der Berater musterte ihn eindringlich und versuchte die Vernunft zurück zu holen, die bis vor einigen Wochen noch in dem Henker herrschte. »Du hast doch genau gewusst, worum es ging und was es bedeutet. Du kanntest die Prophezeiungen und was es damit auf sich hat, vor allem mit ihm. Herrje, Tane, du bist dein ganzes Leben lang darauf vorbereitet worden, warst bei seiner Geburt dabei und nun kommst du mir mit solchen Zweifeln und Anschuldigungen?« Da verstand Loc keinen Spaß und auch der warnende Blick von Coy verriet dem Schlächter, wohl doch einen Schritt zu weit gegangen zu sein.

    Die zierliche Blondine lenkte ein, um die Situation zu entschärfen. Rege Streitigkeiten könnten sie nun wirklich nicht gebrauchen. »Ich denke, es war für alle ein langer und anstrengender Tag. Vielleicht sollten wir uns etwas Ruhe gönnen und fangen dann morgen noch mal damit an. Bis dahin werden unsere Köpfe wohl etwas ausgelüftet sein.«

    Der alte Redner registrierte schon, worauf sie hinaus wollte. Dennoch ging er darauf ein und nickte. »Ja, das wird wohl das Beste sein«, kam es knurrend aus seiner Ecke. »Dann werden wir uns alle zusammen setzen und den weiteren Verlauf planen und du …« Er sah den Dunklen eindringlich an. »… du kümmerst dich derweil um ihn. Genauso wie du solltest. Hilf ihm, sich hier einzugewöhnen und hör verdammt noch mal endlich damit auf, dauernd meine Autorität anzuzweifeln und mir respektlos gegenüber zu treten!«

    Das war ein harter Dämpfer. Tane schluckte wortlos, nickte ihm mit einer leichten Verbeugung entschuldigend zu und warf den Mantel geschickt zum Gehen in einer Drehbewegung um sich. Während er zurück zum Erben schritt, hätte er sich Ohrfeigen können, für soviel Frechheit. Verdammt! Was war nur los mit ihm? Loc hatte vollkommen Recht, immerhin bereitete er sich sein ganzes Leben lang schon auf diesen Moment vor und nun alles in Frage zu stellen, war nicht richtig. Als wäre er ein Sportler, der an einem Wettkampf teilnehmen möchte und trainiert und trainiert, um gut genug zu sein und genau in dem Moment, in dem es um Alles oder Nichts ging, aufzugeben und einfach davon zu trotten. Idiotie! Er schüttelte mit dem Kopf, verstand die Welt selber nicht mehr. Das musste aufhören. Dieses komische Verhalten und Denken. Es musste aufhören, oder er riskierte nicht nur seine Position.

    - 2. Kapitel -

    Er bemerkte den Mantelträger schon am Eingang, auch wenn er wie anfangs aus dem Fenster starrte. Ohne sich umzudrehen, begann er sogleich zu sprechen. »Ich werde nie mehr zurück gehen können, nicht wahr?«

    »Nein.« Tane hielt inne und verschränkte die Arme. Wie schwer es für den Erben sein musste, alles hinter sich zu lassen, konnte er nach empfinden. Immerhin kannte er ihn von allen hier am Besten. Da brauchte der Blonde gar nicht so schwermütig zu schnauben. »Kannst du nicht. Für die in deiner Welt bist du tot. Selbst wenn du als Mutant zurück gehen möchtest, du solltest wissen, was dann auf dich zukommt. Als Mensch hast du oft genug gesehen, was der Mensch mit Unbekanntem tut. Vermutlich würden sie dich einem Test nach dem anderen unterziehen, um zu sehen, ob du ihnen gefährlich werden kannst. Und wenn sie wüssten, welche Kräfte in dir wohnen, kämst du aus ihrem Käfig gar nicht mehr raus.«

    Betrübt blickte Jeffray zu Boden und drehte gedankenverloren an der einen Stelle seiner rechten Hand, an der hier in dieser Welt etwas fehlte: der Ring. Mit seinem Tod war der ihm ebenfalls verloren gegangen. »Was ist dann mit …?« Weiter brauchte er gar nicht zu reden, denn der Kämpfer kannte die Frage schon und schritt auf ihn zu, bis er direkt hinter ihm stand.

    »Sie wird trauern und ohne dich weiterleben. Vermutlich ist es besser so oder würdest du ihr eine solche Bürde aufladen wollen?« Er schüttelte mit dem Kopf. »Die meisten Menschen kommen mit uns und unserer Existenz nicht klar. Ich weiß nicht, wie das bei ihr wäre. Dazu kenne ich sie zu wenig. Aber … durch das, was dir passierte, deinen Tod, konnte sie einen Abschluss finden und wenn du nun zurück kämst, brächte das ihre ganze Weltordnung durcheinander. Würdest du das wollen und ihr erneut Schmerzen zufügen, weil du vielleicht wieder irgendwann gehen musst?«

    Nun drehte sich der Blonde um und sah ihm in die Augen. Tane war ein ganzes Stück größer als er und bedachte man, dass er vom Kämpfer bis vor wenigen Augenblicken noch gejagt wurde und Todesängste vor ihm hatte, so erstaunte es umso mehr, mit welch einer Ruhe er jetzt vor ihm stand.

    »Ich …« Jeffray suchte nach den richtigen Worten. In seinem Hirn waren so viele Gedanken und Fragen, dass es schmerzte und er befürchtete, gleich umzufallen. Es hämmerte wild durch den Schädel. Die Bilder überschlugen sich. Die Flucht auf den Gängen, der Fall durchs Fenster. Er konnte die Schmerzen immer noch spüren, als läge er noch dort und stünde nicht hier. Und vielleicht war das ja alles nur ein Traum und er lag in Wirklichkeit im Krankenhaus, angeschlossen an alle möglichen Instrumente und voll gepumpt mit den unmöglichsten Medikamenten, die ihn halluzinieren ließen. Ein Blick in das Gesicht des Dunklen verriet jedoch die Ernsthaftigkeit dieser Lage und zerstörte den Hoffnungsschimmer mit einem Wimpernschlag. »Das ist nicht fair«, begann er zu sprechen. »Das ist nicht richtig. Warum ich? Warum verdammt noch mal immer ich? Was hab ich euch getan? Was? Ich versteh es nicht.« McKen wurde immer wütender und bekam Tränen in den Augen. Er wollte schreien, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen, wollte gegen die Wand schlagen, weg rennen. Er wollte so vieles. Doch alles, was er hatte, war der Dunkle vor ihm.

    Ohne zu zögern, schubste er ihn zurück, fragte immer wieder, warum er ihm das antat, stieß mit jedem Mal heftiger zu. Der große Koloss ließ einfach alles über sich ergehen. Mit Leichtigkeit hätte er den Blonden wegdrücken können. Tane focht schon schlimmere Zweikämpfe aus. Auch das jahrelange Muskeltraining sorgte dafür, die Fäuste eher symbolisch wirken zu lassen, als seien sie der Hand eines Kindes entsprungen. Geduldig harrte er aus und ließ auf sich einschlagen, bis alle Wut und Trauer und all der Schmerz raus waren und Jeffray schon fast keine Kraft mehr hatte, die Hand zu erheben, um ihm auf den Brustkorb zu donnern.

    Als der Blonde sich halbwegs abreagiert hatte, packte er ihn endlich an den Handgelenken und drückte ihn ganz vorsichtig Schritt für Schritt gegen die Wand. Ein Bild, welches McKen noch aus den Jagdzeiten kannte und nichts dergleichen unternahm, sich gegen die Umklammerung zu wehren. Denn dazu war der einfach zu abgekämpft.

    »Du kannst schreien und fluchen und jammern und weinen und mich schlagen. Du wirst wütend sein und vielleicht auch alles um dich herum hassen, aber …« Der Dunkle sah ihm tief in die Augen mit einer Wehmut und Wärme im Blick, die Jeffray augenblicklich ruhig werden ließen. »… du wirst es überleben, Agony. Es wird schwer sein und dich vielleicht noch viele viele Jahre begleiten, aber du wirst darüber hinweg kommen. Irgendwann wirst du verstehen, was das alles zu bedeuten hat und welcher Weg für dich bestimmt ist. Irgendwann wirst du es akzeptieren und vielleicht sogar das ein oder andere Gute darin erkennen. Vertrau mir!«

    Ihm vertrauen? Ihm, der ihn jahrelang in den Wahnsinn trieb und Hauptfaktor seiner psychischen Störung war? Ihm sollte er nun vertrauen? Das Ganze schien ihm wie ein schlechter Scherz. Wo nur war die Kamera geblieben?

    »Du kannst … bist soviel mehr, als du dir vorzustellen vermagst. Wenn du dir und deinem neuen Leben nur mal eine Chance geben würdest, anstelle immer nur alles zu verurteilen, was dir geschieht.« Tanes Miene schien enttäuscht, als habe er mehr erwartet. Aber bedachte Jeffray all die komischen Prophezeiungen, wunderte es ihn nicht, wie total falsch das Bild hier aller von ihm war. »Du siehst es als Strafe, als Böses, was dir geschieht, dass das Schicksal dich ärgern möchte oder sich rächen, aber vielleicht hat es dich einfach nur erwählt. Vielleicht sollst du nicht bestraft werden, sondern etwas tun, was sonst keiner zu tun vermag? Ganz einfach, weil du allein die Kraft dazu hast und alle anderen vielleicht scheitern würden. Das Schicksal lässt einen nichts tun, was man nicht bewältigen kann und egal, wie groß die Last auf deinen Schultern auch sein mag, …« Er blickte ihm tiefer in die Augen, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. »… sie sind vermutlich die einzigen, die diese Last aushalten und tragen können. Das ist keine Strafe, Agony. Das ist eine Ehre!«

    Tanes Umklammerung wurde lockerer, bis er schließlich ganz losließ. Nun standen sie einander gegenüber, schweigend und zum 1. Mal ohne die Angst, die den Blonden vorher beherrschte. Jeffrays Herz klopfte nicht wie wild, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Alles war so, als stünden sich zwei Freunde gegenüber und redeten miteinander. Es verwunderte ihn. Augenblicklich griff er sich an die Brust und … da fehlte etwas. Kein rhythmisches Klopfen, kein Pumpen, das den Lauf des Lebens ankündigte.

    Der Dunkle bemerkte die Irritierung und lenkte sofort mit einem Schütteln ein. »Nicht!« Er wollte dem Erben das Denken und die Fragen ersparen, doch dafür war es eindeutig zu spät. McKen wurde nervös.

    »Bin ich … was? Was bin ich eigentlich? Ich …« Das war alles zuviel für ihn. Er bekam auf einmal unsagbare Kopfschmerzen. Alles stürzte auf ihn ein, drehte sich immer mehr und immer schneller wie in einem Karussell. »Ich glaube, mir wird schlecht«, murmelte er und kämpfte mit heftigem Magenbrodeln. Sein Körper geriet in Wallung. Er drehte sich zur Seite und bekam Brechreiz.

    »Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung«, versuchte ihn der Henker zu beruhigen.

    Jeffray würgte mehrmals, ein Gefühl des Schwindels setzte ein, als zöge es ihn in die Tiefe. Er taumelte. Tane hielt ihn vorsichtig an der Schulter aufrecht. »Ganz ruhig und tief durchatmen«, beruhigte er wieder mit sanfter Stimme. Sein Gegenüber sah auf, blass, zittrig und verloren. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht des Kämpfers, auch wenn es eigentlich nicht der Anlass zur Freude war. Für ihn war das normal, aber Neuland für den Blonden, vollkommen verkehrte Welt. Jeffray brauchte wohl noch eine ganze Weile, das volle Ausmaß dessen, was mit ihm geschah, zu begreifen. »Du hast bemerkt, dass du keinen Herzschlag mehr hast?«

    Es nickte. »Zu was macht mich das? Jetzt, wo ich kein Herz mehr habe.«

    »Nur weil dir der Herzschlag fehlt, heißt es noch lange nicht, dass du auch kein Herz mehr hast.« Er legte ihm vorsichtig seine muskulöse rechte Hand auf den Brustkorb. »Um das hier zu haben, muss keine Pumpe schlagen. Du allein bestimmst, wer und was du bist und was das hier aus dir macht.«

    »Das ist gruslig.« Der Dunkle wurde weggedrückt. Jeffray lief ein paar Schritte im Raum umher.

    »Vielleicht sollten wir mal rausgehen, damit du dir einen Überblick verschaffen kannst?« Der Versuch, ihn abzulenken, scheiterte, denn dem Blonden lag nicht gerade viel daran, seine neue Umgebung kennen zu lernen. Allein der Ausblick aus dem Fenster reichte ihm, um sich klar zu werden, hier wieder weg zu wollen. Alles ertönte in grauen, schwarzen, dunklen Farben. Alles wirkte trist, verloren und … ja, tot. Total tot.

    Nichtsdestotrotz zerrte ihn der Mantelträger aus dem Gebäude an die Luft. Sie durchquerten eine mächtige Halle mit Säulen und Statuen, schritten durch einen langen offenen Gang mit Blick nach draußen und blieben schließlich vor einigen Stufen stehen, die in den sogenannten »Garten« führten. Jeffray erdrückte er fast vor Angst, mit all den schwarzen Statuen und Dämonenfiguren, all den Krähen und verdorrten Bäumen, denn er war kein Garten, wie man erwartete: erholsam, einladend, paradiesisch.

    Bevor sie hinab schritten, entledigte sich Tane seines wallenden Umhangs, hängte ihn einfach über die Brüstung und wies ihm dann mit einer Handbewegung an, zu folgen.

    Erst jetzt, ohne diesen langen Stoffbehang, erkannte Jeffray, wie verdammt kräftig der Dunkle doch war. Nicht dick in dem Sinne, nein, wahnsinnig muskulös, ein Koloss. Baff starrte er ihn an, denn das war ihm vorher nie so bewusst gewesen. Tane sah aus wie man sich einen Henker aus dem Mittelalter vorstellte. Genauso. Als wäre er zum Kämpfen geboren worden. Zum Kämpfen und zum Schlachten.

    »Du hast als Kind wohl auch nur mit Hanteln gespielt, wie?« Den Kommentar konnte er sich nicht verkneifen.

    Tane hielt kurz irritiert inne, begriff dann, was gemeint war und musste schmunzeln. »Ich bin ein Kämpfer, was hast du erwartet? So eine Hühnerfigur wie deine?« Er schubste ihn freundschaftlich zur Seite und lachte. Seltsam, diese Reaktion. Eben waren sie noch Feinde gewesen.

    »Danke, das stärkt mein Selbstbewusstsein natürlich umso mehr.« McKen fand es weniger lustig, kam aber nicht drum herum auch ein wenig mit dem immer noch leicht blassen Gesicht zu grinsen. Die 10 Zentimeter Größenunterschied bzw. gut 20 Kilo Muskelmasse machten sich bemerkbar. Es musste eine Wahnsinns Kraft in Tane stecken. Vermutlich machte der schon sein ganzes Leben lang Muskeltraining und Kraftsport, um diese Figur zu erlangen und brauchte jemanden wie ihn nur einmal mit dem kleinen Finger anzustupsen, dass dieser in hohem Bogen zurück flog. Es erstaunte Jeffray, wie gut die einzelnen Partien ausgeprägt waren und er fragte sich, wie man nur soviel Muskeln aufbauen konnte. »An dir gibt’s doch bestimmt kein einziges Gramm Fett oder?«, kam es immer noch total verwundert.

    Nun stoppte der Henker kurz und sah ihn an. »Soll ich mich ausziehen, damit du nachschauen kannst?« Eigentlich meinte er es scherzhaft, doch der Blonde zuckte beschämt zusammen und drückte ihn beiseite. So war das ja nun auch wieder nicht gemeint. Herrje!

    »Wolltest du mir nicht den Garten zeigen?« Er eilte vorneweg und steuerte einfach ein paar Sträucher an, während Tane amüsiert von diesem Themaschwenk nacheilte. Stunden später, in denen Jeffray all die dunklen und dorren Plätze kennen gelernt hatte und sich in seiner Meinung nur bestätigt fühlte, hierzu keine Verbindung aufbauen zu können, hielten sie an einem Brunnen. Wenn es etwas gab wie Sand am Meer und man ihn fragte, was er neben all dem Dunkel, Grau und Schwarz noch so wahrnahm, dann war es Wasser. Oder zumindest etwas, das Wasser sein sollte, denn dieses hier war schwarz wie Öl und schien auch ein wenig dickflüssiger zu sein. Sie nannten es Schwarzes Wasser. Er hatte noch nie einen Garten gesehen, in dem es soviel Wassergelegenheiten gab, wie hier. Unmengen Brunnen, Wassersäulen und Becken, kleine angelegte Flüsse und riesige Swimmingpools. Überall, wo man hinblickte. Damit hatte er in so einer Welt nicht gerechnet. Er dachte mehr an Zerstörung, Ruinen und Feuer als an das Gegenelement, aber na ja. Das sollte ihn nicht überraschen. Dazu kannte er diesen Planeten zu wenig, diese ganze Welt oder wo auch immer er hier war.

    »Ich bin als Kämpfer geboren worden«, begann Tane mit ruhigen Worten und bot ihm mit einer Handbewegung einen Platz auf einer Steinbank, doch er lehnte dankend ab und stand weiterhin. »Da gehört es dazu, seine Muskeln zu trainieren und stark zu sein. Dafür haben wir andere Schwächen. Reden ist nicht ganz so unser Ding.«

    »Hab ich gemerkt. Du bist mehr ein Mann der Taten. Vermutlich einer von der Sorte, der bei einer Anmache erst haut und dann fragt.«

    »Das hat mein Leben bestimmt, von Anfang an.« Ihm kam Jeffrays Aussage wie eine Anklage vor, doch er kannte es nun mal nicht anders.

    »Du meinst, deine Eltern haben dich zum Kämpfen geschickt?« Der Blonde blickte ihn neugierig an, doch was er als Antwort bekam, ließ ihn verwundert aufhorchen.

    »Nein, ich wurde als Kämpfer geboren, dazu auserwählt. Ich bin in einer Armee aufgewachsen. In einer, die du anführen sollst. So etwas wie Eltern gibt es da nicht. Ich hatte lediglich Erzeuger. Einen Vater oder eine Mutter, so wie in deiner Welt üblich, wirst du bei einem Kämpfer vergeblich suchen. Wir haben Lehrer und Trainer und Berater.«

    »Hä?« Meinte er das etwa ernst? »Du hast keine Mutter und keinen Vater? Das ist ein Scherz oder? Aber wie …?« Etwas derart Grausames, denn anders konnte es McKen nicht beschreiben, hatte er ja noch nie gehört. Eine Welt ohne Eltern? Da verwunderte es nicht, wenn alles so lieblos und kalt wirkte.

    »Die Dark World ist, wie der Name schon sagt, kein Paradies«, begann der frühere Feind zu erklären. »Sie ist das Zentrum der Unterwelt und wer hier geboren wird, wird es nur, weil er zu irgendetwas gemacht wird oder er stirbt. Hier gibt es keine Familien in dem Sinne, wie du sie kennst. Paare bleiben nicht lange zusammen, nie länger als notwendig, meist nur zur Fortpflanzung. Meine Erzeuger waren beide Kämpfer in einer Armee, gute Soldaten und Schlächter auf dem Feld. Ihre Gene passten hervorragend zueinander. Sie waren frei von Krankheiten oder Schwächen und zeugten neben mir noch viele weitere gute Kämpfer und Kämpferinnen. Die Säuglinge kommen sofort zu einem, wie soll ich sagen, einem Art Anseher, Begutachter. Wir nennen sie Dinutrien. Ein Dinutra untersucht jedes geborene Kind. Hat es eine Krankheit oder gar einen Defekt, wird es ausgesondert. Ganz ehrlich, die meisten werden getötet. Sie hätten ohnehin keine Überlebenschance und sie ewig mit zu schleifen, kostet unnötig Zeit.« Diese Aussage kam so herzlos und selbstverständlich rüber, dass es dem Blonden eiskalt den Rücken runter lief. Für Tane jedoch war das normal. So sprach er unbeirrt weiter. »In mir erkannte man schon früh die starke Muskulatur und die Kraft und bestimmte, mich zum Kämpfer auszubilden. Man gab mich in eine Armee, wo ich unter Leitung der dortigen Obersten aufwuchs und mir alles Nötige aneignete. Dort wurde ich zu dem, der ich nun bin. Anders kenne ich es nicht. Für dich klingt es vermutlich fremd und unmenschlich und hart und herzlos, aber … das hier ist nicht die Erde, Agony. Wer hier überleben will, hat entweder einen Gönner in hohen Kreisen, der die Hand über einem hält, oder man tut, was nötig ist, um zu existieren. Und wenn das heißt, kämpfen zu lernen und töten zu lernen, dann solltest du es tun. Außenseiter und Abtrünnige sind ganz schnell auf der Abschussliste. Alles, was nicht hierher passt, landet ganz schnell auf der Abschussliste.«

    Sie schauten einander an. McKen konnte es nicht fassen. Soviel Kälte hatte er nicht erwartet. Und hier sollte er leben? Hier in dieser absolut toten und absolut grausamen Welt ohne Wärme und Familiensinn und … Ja gab es hier überhaupt so etwas wie Liebe? »Das ist … traurig … das …«, stammelte er nach den richtigen Worten suchend, doch alle Weltsprachen würden nicht ausreichen, zu beschreiben, was er nun empfand. »So eine Welt … so ein Leben zu führen, das ist hart und für mich unbegreiflich und unverständlich. Klar, ähm … du kennst es nur so, aber …«

    »Hier heißt es töten oder getötet werden, Agony. Du hast keine Ahnung, welche dämonischen Gestalten und Wesen hier leben, vor was man hier alles gewappnet sein muss. Ohne Kraft oder wenigstens einen Kämpfer an der Seite, hat man keine Chance.« Der Dunkle schüttelte den Kopf. »Aber das muss dir keine Angst machen.«

    »Ha, leichter gesagt, als getan.« Wie konnte man da keine Angst haben? Er war in der Hölle gelandet.

    Tane schien das jedoch nicht so zu sehen und machte ihm mit einer Handbewegung klar, dass er wohl die falsche Vorstellung hatte. »Die Dark World ist sicher nicht das, was du erwartet hast, aber sie ist genauso wichtig als Zentrum der Dunklen Seite mit seinen insgesamt 12 Planeten«, versuchte er ihm zu versinnbildlichen. »Diese stehen den 5 Planeten der Hellen Seite gegenüber und drehen sich wiederum mit diesen über eine gemeinsame Achse umeinander. Beide halten sich in Waage und müssen das auch, um dieses ganze System, in dem wir alle existieren, nicht zum Einstürzen zu bringen. So ist es überall, Agony. Es gibt immer zwei Seiten zu allen Dingen. Wo Licht ist, gibt es Schatten. Wo Gutes herrscht, gibt es Böses. Hell und dunkel. Die DW ist der Schatten, das Böse, die Dunkelheit, aber sie ist deswegen nicht weniger lebenswert. Sie ist notwendig, genau wie die andere Seite, denn sie bildet das Gegengewicht. Ohne ein Gegengewicht in der Natur, in allen Sphären des Seins, würde keine Ordnung herrschen.«

    »Dann bin ich wohl nur auf der falschen Seite gelandet oder wie?«

    »Zumindest auf der, der man mehr abverlangt. Einer muss ja der Böse sein, oder nicht?« Seine Hoffnung, dem Blonden das Ganze weniger abtrünnig zu machen, ging jedoch nicht ganz auf. Jeffray würde sich nicht so schnell heimisch fühlen, wenn überhaupt. Er war eigentlich nicht der Typ für die Dunkelheit und den Schattenbereich. Aber vielleicht machte ihn das auch genau deshalb zum perfekten Kandidaten.

    - 3. Kapitel -

    Es dauerte einige Tage, bis McKen sich halbwegs an die Örtlichkeiten gewöhnt hatte. Es war ja nicht so, dass man ihn nicht hier haben wollte. Im Gegenteil, er selber lehnte es ja ab, während alle anderen versuchten, es ihm so angenehm wie möglich zu gestalten. Er bekam ein eigenes Zimmer, welches nicht mal schlecht eingeräumt war, im alten Barock-Stil. Dieses verfügte über einen Wohn-, einen Schlaf- und einen Badbereich. Er bekam eigentlich alles, was er wollte. Konnte essen, wann er mochte. Ein winziger Wink dabei genügte und sofort kamen Diener herein, Angestellte, die ihm alle Arbeit abnahmen. Junge hübsche Damen hätten ihm sogar beim Baden geholfen, so wie es im alten Rom üblich war, doch er lehnte dankend und ein wenig beschämt ab. Das war dann doch zuviel des Guten.

    Im Großen und Ganzen fügte er sich zunehmend besser ein, auch wenn es anfangs eine Menge Umstellungen gab, allein was normale menschliche Gegebenheiten betraf. Dinge, die ihm bis dahin vollkommen natürlich erschienen. Neben dem Herzschlag vermisste er die gewohnte Organkonstellation und die Tatsache, was das mit sich brachte. Jetzt, in diesem seltsamen dunklen Dasein, brauchte er nie mehr aufs Klo, obwohl er wie gewohnt aß und trank. Sein Körper verwertete die Energie anders. Allgemein brauchte er nicht mal regelmäßig Nahrung zuzuführen. Laut Tane war er in der Lage, Monate ohne Essen und Trinken auszukommen. Probieren wollte er es dennoch nicht. Das hob er sich lieber für später auf.

    Weiterhin atmete er keinen Sauerstoff mehr ein, brauchte ihn nicht mehr, vermutlich nie mehr. Seine Lunge oder das, was man so nennen konnte, war in der Lage, die giftigsten Stoffe zu verarbeiten. Schließlich musste er das in dieser Atmosphäre auch. Reiner Sauerstoff würde ihm wahrscheinlich sogar mehr Schaden als Nutzen bringen. Sein ganzer Körper reagierte umgekehrt, zeigte erstaunliche Immunität gegenüber Säuren oder Wetterbedingungen und seine Organe selber, von denen er noch nicht mal wusste, welche er hatte und wie die funktionierten, machten aus ihm beinahe einen Übermenschen, Mutant eben. Seine Wunden regenerierten in Windeseile, die Reflexe steigerten sich um ein Vielfaches und die Sinne begannen sich zu schärfen. Er hörte besser, sah besser und der Geruch und Geschmack all der Dinge hier entwickelte sich in eine Richtung, die er nie für möglich gehalten hätte. Das war beinahe unheimlich. Manchmal hatte er so das Gefühl, den Boden unter seinen Füßen schmecken zu können. Auf die Frage hin, ob das beim Henker genauso wäre, lachte dieser nur und meinte, es gäbe nur einen Agony und demnach auch nur eine Person mit genau diesen Erlebnissen. Tanes Fähigkeiten waren zwar ähnlich, aber eben nicht genauso. Bei Weitem nicht.

    »Du kannst noch viel viel mehr. Das wirst du nach und nach selber heraus finden und vermutlich immer erstaunter werden.« Die zwei schlenderten durch den grauen Garten, während der Henker sprach und der Blonde versuchte, all die neu gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten. Mit jedem Tag, den er hier war, veränderte er sich, ohne etwas dagegen unternehmen zu können und die Veränderungen diesbezüglich begeisterten und irritierten zugleich. Er kam sich vor wie neu geboren. »Dein Körper beginnt jetzt erst mal langsam damit, sich zu entfalten und allen Kräften freien Lauf zu lassen. Schritt für Schritt wirst du dann all die Fähigkeiten entwickeln, die du eigentlich schon von Anfang an besessen hast.«

    »Das ist komisch, all die Farben und Klänge … als hätte ich vorher in einem Schleier gelebt.«

    »Das hast du auch, Agony. Nur war dir das nicht bewusst und du kanntest es nicht anders. Da stellt man keine Fragen.«

    Mittlerweile konnte er sich mit dem Namen abfinden, mit dem man ihn hier andauernd anredete. Agony. Jede Benutzung machte ihn gewöhnlicher, normaler und schließlich richtig, bis er sich selber so nennen konnte und akzeptierte, den menschlichen Jeffray lediglich aufgesetzt bekommen zu haben. Er war nicht mehr Jeffray, würde es nie wieder sein, konnte es nicht. Jeffray war tot. Er starb beim Sturz durchs Fenster. Ein neues Leben begann, eine neue Existenz. Also warum nicht auch mit einem neuen Name? Oder besser, einem alten.

    »All die Erinnerungen … es kommt mir schon vor, als wäre es das Leben eines anderen gewesen. Sie verblassen immer mehr. Irgendwann werden sie ganz verschwunden sein, nicht wahr?« Er blickte Tane fragend an. Der Ausdruck in seinen Augen verriet den Schmerz um die Vergangenheit, dass der Henker ihn gern trösten wollte, nur wusste er nicht wie.

    »Sie werden niemals ganz verschwinden«, entgegnete der Dunkle stattdessen ruhig und bedacht. »Denn sie sind ein Teil von dir und egal, wie schmerzlich sie auch sein mögen, all die Bilder und Geschehnisse solltest du im Herzen tragen, um dir immer bewusst zu sein, wer du bist und woher du kommst. Die Prägung, die du durch diese Zeit erfahren hast, kann dir keiner mehr weg nehmen.«

    »Eine ziemlich verwirrende Zeit«, kam es gemurmelt.

    »Ja, ich weiß. Daran war ich wohl nicht ganz unbeteiligt.« Das Bedauern darüber war deutlich herauszuhören. Agony stoppte und musterte ihn eindringlich.

    »Das tut dir leid, richtig?«

    »Mitleid ist ein Wort, was du hier nicht benutzen solltest«, ermahnte der Kämpfer leise und zeigte eine Geste mit den Händen an, die ihm Vorsicht verdeutlichen sollte. »Nicht bei mir und gar nicht bei den anderen. Es kann dich den Kopf kosten, denn Mitleid ist hier fehl am Platze. Das, was ich getan habe, tut mir nicht leid, denn das musste ich tun und wollte ich auch. Es ist nur von den Umständen her etwas unglücklich verlaufen.« Er versuchte seine Haltung zu erklären. »Ich wusste, was zu tun ist und wohin ich dich biegen musste, aber du hast das nicht gewusst und alles missverstanden oder falsch interpretiert und dann kamen die Sachen raus, wie sie gelaufen sind.«

    »Du meinst das mit den Jagden und mich in den Wahnsinn treiben?« Der Blonde verzog das Gesicht und zeigte ein wenig Wut über das damalige Verhalten.

    »In deinen Augen muss es grauenvoll gewesen sein …«

    »Allerdings«, kommentierte Agony dazwischen.

    » … aber für mich war es ein Ablauf an Ereignissen, der stattfinden musste, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.«

    »Mich zu töten?«

    »Nun ja, eigentlich sollte ich dich raus locken. Aber das ging leicht daneben.« Tane schmunzelte und fuhr sich unsicher durch die Haare. »Du bist viel stärker als du glauben magst, Agony. Im Moment vielleicht nicht, aber wenn du all deine Kräfte hast und sie zu nutzen weißt, kannst du jemanden wie mich in Sekundenschnelle ausschalten, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Chance hätte. Von daher konnte ich dir eigentlich nie wirklich gefährlich werden. Du wusstest es nur nicht. Ich wollte dich eigentlich so weit in die Enge treiben, bis dieser Urinstinkt aus dir heraus bricht und du aufhörst, wegzulaufen und anfängst, gegen mich zu kämpfen. Du solltest dich wehren und damit mit der inneren Dunkelheit deiner Person konfrontiert werden.«

    »Ich versteh nicht ganz, was du damit meinst.« Innere Dunkelheit seiner Person? Was wollte ihm der Koloss damit sagen?

    »Deinem Ich fehlte der Hauch der Dark World. Du warst zu weich, zu emotional, zu schwach. Du solltest Zorn entwickeln und Wut vor allem auf mich und damit … nun ja … die Menschen würden wohl sagen, ich hab versucht, die böse Seite in dir zum Vorschein zu holen.«

    Langsam begriff McKen, was das alles zu bedeuten hatte und warum die Dinge so liefen, wie es geschehen war. Natürlich! Im Nachhinein schien das einleuchtend. Als Mitglied der Dunklen Seite, was

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