Es weihnachtet sehr: Zwanzig Geschichten rund um Weihnachten
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About this ebook
Helga Gurtner
Die Autorin wurde in Wien geboren und lebte bis zu ihrem 42. Jahr in der Hauptstadt Österreichs. Danach zog es sie aufs Land, wo sie nach ihrer Pensionierung zu schreiben begann. Sie ist Ehefrau und Mutter eines Sohnes. Sie liebt die Natur und ihre Hündin Amy, mit der sie gerne ausgedehnte Spaziergänge macht. In diesem Buch erzählt sie ihre eigene Geschichte und versucht auf diese Art, die Schatten der Vergangenheit loszuwerden.
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Book preview
Es weihnachtet sehr - Helga Gurtner
Caritasheim
DER WEIHNACHTSMUFFEL
Als wir uns zum ersten Mal begegneten, nahm ich vage wahr, dass er mich immer wieder verstohlen von der Seite ansah. Was mochten sich bloß hinter seiner gerunzelten Stirn für merkwürdige Gedanken eingenistet haben. Ich sah ihm direkt in sein von Falten zersägtes Gesicht mit den graublauen Augen, umrahmt von ungepflegten, langen, grauen Haarsträhnen und einem ebensolchen Bart. Er trug einen alten schäbigen Tweed-Mantel, dessen beste Zeit längst vorbei war und der, weil keine Knöpfe mehr vorhanden waren, den Blick freigab auf eine viel zu große Hose, die mit einer Schnur zusammengebunden war. Das graugrüne Hemd war sicher einmal bunt kariert und die Hose hatte bestimmt auch einmal besser ausgesehen. Die Schuhe, die er trug, waren früher einmal dunkelblaue Sportschuhe mit weißen Streifen gewesen, doch jetzt sahen sie verblasst und dreckig aus. Er war mager und streckte mir seine knochige Hand entgegen, die einen alten, zerschlissenen Hut in der Hand hielt. Darin befanden sich ein paar Geldstücke und mehrere Scheine.
Ich kramte in meiner Handtasche nach meiner Börse, öffnete sie und fand darin mehrere Münzen, die ich in seinen Hut warf. Er musterte mich, bedankte sich mit den Worten: „Küss die Hand, gnädige Frau. Vielen Dank. Gott segne sie!" Verlegen stand ich da und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Also nickte ich und ging eiligen Schrittes davon.
Der Anblick des Bettlers ließ mich nicht mehr los und ich blickte mich immer wieder nach ihm um. Er lehnte an einer Mauer eines Geschäftes, das weihnachtlich geschmückt war. In der Auslage stand ein Weihnachtsmann, der einen Sack voll Geschenke in seiner Hand hielt. Vom oberen Fensterrand hingen weiße Weihnachtssterne, die gleißendes Licht verbreiteten. Am Boden der Auslage waren Wattebausche ausgelegt, die den Schnee darstellen sollten. Einige Päckchen - in goldenes Weihnachtspapier gewickelt – lagen darin. Es war ein Spielwarengeschäft. In der Adventzeit hatten die Verkäufer wohl Hochsaison. So viele Kinder wollten beschenkt werden.
Daneben gab es eine Konditorei, wo neben den üblichen Torten und Backwaren auch Weihnachtsbäckerei angeboten wurde. Ein paar Tische und Sessel luden die schwer beschäftigten Weihnachtseinkäufer zum Verweilen ein. Hier gönnte man sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen, bevor es weiter ging. Schließlich musste man ja noch ein Geschenk für die beste Freundin finden, oder für eines der beiden Kinder, oder ……..
Man hatte doch so viele zu beschenken. Schließlich wollte man ja niemanden verletzen. Und es war nicht leicht, in einer Zeit, in der jeder alles hatte, jemandem etwas zu schenken, was er nicht schon im Überfluss zu Hause hatte und womit man auch wirklich Freude schenkte.
Viele Menschen waren achtlos an dem Bettler vorbeigegangen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn, ihm eine Münze in den Hut zu werfen. Es waren meistens ältere Leute, denen man ansah, dass sie daheim nichts im Überfluss hatten, die anhielten, um ein paar Geldstücke aus dem alten zerschlissenen Börserl zu kramen.
Eine alte Frau, die sich schwer auf ihren Stock stützte, blieb stehen und sprach den Mann an: „Mit ihnen hat es das Schicksal auch nicht gut gemeint, was? Er nickte und bedankte sich höflich für die Spende. Sie blieb stehen, musterte ihn und sagte: „Da plagt man sich sein ganzes Leben ab und was bleibt einem dann zum Schluss?
Der Bettler wartete geduldig ab, dass sie fortfahren möge, doch sie schüttelte nur den Kopf und schlenderte langsam davon.
Es war eine lange Einkaufsstraße gegenüber der U-Bahnstation, in der der Mann stand. Alle Geschäfte waren bunt beleuchtet, strahlten um die Wette und lockten die zahlreichen Besucher an, die ihre Weihnachtseinkäufe tätigten. Da waren auch eine Reihe weihnachtlich geschmückter Stände, in denen VerkäuferInnen mit gestrickten Handschuhen ohne Fingerlinge standen, damit es ihnen in den Fingern nicht so fror, denn es war ein nasskalter Dezembertag, der erste lange Einkaufs-Samstag im Advent und selbst die vielen Lichter konnten einen nicht erwärmen. Da war ein Punschstand, der für caritative Zwecke verkaufte und einer, der bunte Kerzen feilbot. Ein anderer Stand verkaufte Weihnachtsdekoration, wieder ein anderer hübsche bunte Wollmützen und Handschuhe, dazu die passenden Schals. Ein Stand bot Bücher, DVD´s und CD´s an. Es gab noch einen Stand mit selbst hergestellten Holzfiguren und Tischdekorationen, sowie Adventkränzen, die aus einer geschützten Werkstatt stammten. Ein anderer Stand wiederum bot bunte Pullover an, die von fleißigen Hausfrauen selbst gestrickt worden waren. In einem geschützten Hauswinkel stand ein Maronibrater, der auch gebratene Erdäpfel verkaufte. Ich nahm mir eine Tüte frischer, warmer Maroni mit, auf die ich mich stets ein ganzes Jahr freute, denn die gab es hier nur in der Weihnachtszeit.
Ich sah mich um und mir schoss ein Gedanke durch den Kopf. Ich verglich die Menschen mit Jägern, die nach einer Beute jagten und nicht eher aufgaben, bis sie sie erlegt hatten. Genauso verhielten sie sich doch, nicht wahr?!
Langsam schlenderte ich die Straße entlang. Früher, so erinnerte ich mich, war auch ich vom Jagdfieber getrieben durch die Geschäfte geeilt, um für alle ein passendes Weihnachtsgeschenk zu finden. Auch ich hatte mich einmal durch die Menschenmengen gekämpft, war in überhitzten Kaufhäusern herumgerannt und war dann abends todmüde ins Bett gefallen, nachdem mir die Erkenntnis gekommen war, dass ich nicht einmal die Hälfte meiner Einkäufe erledigt hatte. Also, auf ein Neues am nächsten Einkaufssamstag. Doch seit ein paar Jahren ist es damit vorbei. Ich habe mit meinen Angehörigen und FreundInnen vereinbart, dass wir uns nicht mehr beschenken. Es war doch viel wichtiger, Zeit miteinander zu verbringen, denn man wusste ja nie, wieviel Zeit man noch hatte. Ich sage das aus Erfahrung, denn in den letzten Jahren habe ich viele wertvolle Menschen verloren, die mir viel bedeuteten. Einige waren noch sehr jung, als sie für immer gingen und einige hatten einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie endlich erlöst wurden.
Also war Weihnachten ab sofort kein Konsumrausch mehr für uns, sondern ein friedliches Miteinander bei einem schön geschmückten Weihnachtsbaum, einem guten Abendessen und in familiärer Runde. Keiner von uns ließ sich mehr von dem hektischen Treiben rundherum anstecken. Deshalb flanierte ich durch die hell erleuchteten Geschäftsstraßen ohne Eile, denn der Christbaum stand in unserem Garten. Mein Mann musste ihn nur noch absägen. Der Baum hatte ein paar Jahre gebraucht, bis er groß genug war, uns als Weihnachtsbaum zu erfreuen. Wir würden, wie in jedem Jahr, dann wieder einen neuen kleinen Baum pflanzen, der uns in ein paar Jahren Weihnachten verschönern sollte.
Als ich an diesem Tag nach Hause kam, erzählte ich meinem Mann von dem Bettler. Zunächst wollte er abfällig und vorschnell über ihn urteilen, doch ich sagte: „Man soll niemanden vorverurteilen. Man weiß ja nicht, welches Schicksal er zu tragen hat. Jeder, dem ein solches erspart geblieben ist, sollte froh und dankbar sein!"
Er murmelte noch etwas in seinen Bart hinein, drehte sich um und widmete sich wieder seinem Computerspiel. Wie gut wir es doch hatten. Ein kleines Haus mit Garten, wunderbare neue Möbel, Zwei Fernseher und zwei Computer. Ein tolles Auto in der Garage und was viel mehr wog, wir hatten genug zu essen. Wenn wir auch so manches Problem hatten, wir lebten nicht schlecht. Wir mussten nicht frieren und wir hatten ein warmes weiches Bett. Um wieviel schlechter ging es da dem armen Mann, der tagtäglich in der Einkaufsstraße stand, um sich das Nötigste zum Leben zu erbetteln.
Ich beschloss, am nächsten langen