Beatrix verschweigt die Wahrheit: Die Klinik am See 39 – Arztroman
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Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Das Hotel der Familie Raiter war das größte und beste Haus in Rettenberg, einem kleinen Wintersportort in Tirol, nicht weit von Kitzbühel und Kirchberg gelegen. Mit diesen berühmten Orten hatte es die herrliche Landschaft und die großartigen Skipisten gemein. Das gesellige Leben, Aprés-Ski-Veranstaltungen, Tanzabende und Barbesuche, war noch nicht sehr entwickelt, weshalb die Naturfreunde, die Skiwanderer und die Ruhesuchenden das stillere Rettenberg vorzogen. Theoretisch endete Trixis Dienst gegen 17 Uhr, doch mußte sie zu ihrem Ärger oft genug länger arbeiten. Das war dann der Fall, wenn neue Gäste erwartet wurden oder wenn sie eilige Post noch nicht erledigt hatte. Eigentlich war der ganze Tag für sie ein Warten auf diesen Zeitpunkt hin. Dann dämmerte es draußen, und die Skifahrer kehrten in ihre Hotels und Pensionen zurück. Andis Aufgabe bei seinen Skischülern endete jetzt. Das Abendessen im ›Rettenberger Hof‹ wurde frühestens um 18 Uhr serviert. Wenn alles gutging, dann hatten Andi und Trixi eine Stunde für sich allein. Es war eine Stunde der heimlichen Liebesschwüre und der verborgenen Leidenschaft. Die Zeit war ihnen viel zu kurz. Oftmals begehrte Trixi auf, sie haßte diese täglichen Abschiede, das verstohlene Beieinandersein und die ständige Angst, entdeckt zu werden. Doch bislang war es Andi immer wieder gelungen, sie zu besänftigen. So auch heute. Sie trafen sich in Trixis Zimmer, das im obersten Stock des Hauses lag. Hier waren sie ungestört. Die anderen Angestellten, die auch weit oben wohnten, waren noch lange unten beschäftigt. Von ihnen drohte keine Gefahr. Es fiel auch kaum auf, wenn Andi sie besuchte.
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Beatrix verschweigt die Wahrheit - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 39–
Beatrix verschweigt die Wahrheit
Um ihre Liebe zu retten, verfiel sie auf einen gewagten Plan
Britta Winckler
Das Hotel der Familie Raiter war das größte und beste Haus in Rettenberg, einem kleinen Wintersportort in Tirol, nicht weit von Kitzbühel und Kirchberg gelegen. Mit diesen berühmten Orten hatte es die herrliche Landschaft und die großartigen Skipisten gemein. Das gesellige Leben, Aprés-Ski-Veranstaltungen, Tanzabende und Barbesuche, war noch nicht sehr entwickelt, weshalb die Naturfreunde, die Skiwanderer und die Ruhesuchenden das stillere Rettenberg vorzogen.
Theoretisch endete Trixis Dienst gegen 17 Uhr, doch mußte sie zu ihrem Ärger oft genug länger arbeiten. Das war dann der Fall, wenn neue Gäste erwartet wurden oder wenn sie eilige Post noch nicht erledigt hatte. Eigentlich war der ganze Tag für sie ein Warten auf diesen Zeitpunkt hin. Dann dämmerte es draußen, und die Skifahrer kehrten in ihre Hotels und Pensionen zurück. Andis Aufgabe bei seinen Skischülern endete jetzt.
Das Abendessen im ›Rettenberger Hof‹ wurde frühestens um 18 Uhr serviert. Wenn alles gutging, dann hatten Andi und Trixi eine Stunde für sich allein. Es war eine Stunde der heimlichen Liebesschwüre und der verborgenen Leidenschaft. Die Zeit war ihnen viel zu kurz. Oftmals begehrte Trixi auf, sie haßte diese täglichen Abschiede, das verstohlene Beieinandersein und die ständige Angst, entdeckt zu werden. Doch bislang war es Andi immer wieder gelungen, sie zu besänftigen.
So auch heute. Sie trafen sich in Trixis Zimmer, das im obersten Stock des Hauses lag. Hier waren sie ungestört. Die anderen Angestellten, die auch weit oben wohnten, waren noch lange unten beschäftigt. Von ihnen drohte keine Gefahr. Es fiel auch kaum auf, wenn Andi sie besuchte. Bisher war ihm noch nie jemand begegnet. Notfalls hatte er eine Ausrede zur Hand, weshalb er hier nach dem Rechten sehen mußte. Ein tropfender Wasserhahn oder eine durchgebrannte Sicherung waren schnell erfunden.
Trixi öffnete ihm die Tür, als sie sein leises Klopfen hörte. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn mit verzehrender Leidenschaft.
»Wenn ich dich nicht hätte, Andi… ich würde dieses Leben nicht länger ertragen«, seufzte sie.
»Aber du hast mich ja. Und ich brauche dich auch. Glaubst du, daß mein Leben so viel leichter ist?«
»Ein wenig schon. Ich bin nur eine Angestellte, eine ungeschickte Person, für die deine Eltern doch nur Verachtung haben. Du aber bist der Sohn der Familie, gut geraten und tüchtig.«
Andi führte Trixi zu dem schmalen Bett, auf dem sie Platz nahmen, denn es gab keine Polstermöbel in dem kärglich eingerichteten Raum. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»Habe ich nicht recht?« fragte sie.
»Ja und nein. Natürlich habe ich es äußerlich besser. Mein Zimmer ist schöner, ich habe mehr Geld. Andererseits habe ich keine Möglichkeit, mein Leben nach meinem eigenen Geschmack einzurichten. Ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Andere sind da schon verheiratet, haben einen eigenen Hausstand und sind beruflich von den Eltern unabhängig. Ich hingegen? Ich bin hier Hausknecht, Kellner, Barkeeper, Empfangschef, wie es gerade kommt. Eigene Ideen kann ich nicht verwirklichen. Nicht einmal heiraten darf ich. Jedenfalls nicht die Frau meiner Wahl.«
»Und du meinst, mir ginge es besser?«
»Du könntest kündigen, dir eine andere Arbeit suchen. Und wahrscheinlich redet dir niemand herein, wenn du heiraten willst. Du könntest dir deinen Mann selbst aussuchen…«
»Nein, könnte ich nicht.«
»Ich denke, du hast keine Angehörigen?«
»Nein. Aber der Mann, den ich will, bist du. Und da du mich nicht heiraten darfst, bin ich auch nicht frei in meiner Wahl. Laß uns auf und davongehen, Andi. Irgendwohin. Du würdest in jedem anderen Hotel arbeiten können und ich wahrscheinlich auch.«
»Warum nur wahrscheinlich?«
»Weil ich eine hoffnungslose Niete bin, Andi. Dein Vater hat es mir erst heute wieder gesagt. Ich hatte zwei Briefe in die falschen Umschläge gesteckt.«
Andi lachte.
»Wie konnte das passieren?«
»Mir passiert so etwas. Ich bin nicht mit dem nötigen Ernst dabei. Und außerdem habe ich an dich gedacht. Da war es mir völlig gleichgültig, ob Herr Bernhard seine Suite bekommt oder nicht.«
»Denkst du viel an mich, Trixi?«
»Pausenlos. Wenn mich nicht gerade dein Vater oder deine Mutter daran hindern. Andi, wir leben unter einem Dach und sehen uns doch höchstens eine Stunde am Tag. Laß uns fortgehen. Vielleicht bekomme ich ja einen Job als Fotomodell. Da kann man schnell viel Geld verdienen. Damit könnten wir einen Start wagen. Du könntest ein kleines Hotel mieten oder doch wenigstens ein Restaurant.«
»Es klingt verlockend, Trixi. Aber laß uns vernünftig bleiben. Schließlich soll ich den ›Rettenberger Hof‹ erben, nachdem mein Bruder in die USA gegangen ist. Solch ein Erbe setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel.«
»Warum kannst du mich nicht heiraten und trotzdem das Hotel erben?«
»Weil… weil meine Eltern schon mit einer anderen Schwiegertochter rechnen. Eine, die Geld ins Haus bringt und die in der Gastronomie groß geworden ist.«
»Liebst du diese andere?« fragte Trixi traurig.
»Nein, wirklich nicht. Da kannst du ganz unbesorgt sein, Trixi. Aber nun laß uns nicht länger Trübsal blasen, mein Liebling. Schau, was ich uns mitgebracht habe!«
Mit diesen Worten stellte Andi eine Flasche Champagner auf den Tisch. Trixi bekam große Augen. Sie liebte Champagner. Schon nach einem einzigen Glas sah sie die Welt in rosenroten Farben. Nach dem zweiten Glas hatte sie das Gefühl, über alle Widrigkeiten des Lebens hinwegzuschweben. Und beim dritten Glas gab es nur noch Andi für sie, ihn und seine Liebe.
Andi öffnete die Flasche, die diesmal ungewöhnlich laut knallte. Sie tranken einander zu und leerten ihre Gläser in einem Zug. Und dann lag Trixi an Andis Brust. Sie herzten und küßten sich und sagten sich tausend verliebte Dinge.
Die Schritte auf dem oberen Flur hörten sie nicht. Erst als die Tür aufgerissen wurde, fuhren sie auseinander. Stefan Raiter, der Hotelbesitzer, stand auf dem Flur und musterte seinen Sohn und seine Sekretärin mit bösen Blicken.
»Das also wird hier gespielt«, sagte er mit schneidender Stimme. »Und der teuerste Champagner ist gerade gut genug für dieses… dieses…«
»Vater!« mahnte ihn der Sohn.
»Sag bitte nichts, was dir später leid tun müßte. Trixi und ich, wir werden heiraten. Wir lieben uns.«
»Zunächst einmal wirst du im Restaurant erwartet, Andi. In einer Viertelstunde wird das Abendessen serviert. Die ersten Gäste sind schon da. Geh nach unten und tu deine Pflicht. Wir sprechen uns dann morgen.«
Dann wandte sich Stefan Raiter an Trixi, die verlegen dastand. Ihre Haare waren verwühlt, die Knöpfe ihrer Bluse waren geöffnet. Auf ihren Lippen brannten noch Andis Küsse. Ob man das sehen konnte?
»Und Sie, Frau Hollmann, verlassen morgen unser Haus. Ich würde Sie noch heute fortschicken, aber der nächste Bus geht erst morgen früh. Sie können schließlich nicht draußen im Schnee übernachten. Ich bin ja kein Unmensch.«
»Sie wollen mich fristlos entlassen?« stammelte Trixi. »Dazu haben Sie keinen Grund.«
»Dies ist keine fristlose Kündigung. Ich kündige zum nächsten Termin. Ich verzichte nur ab morgen auf Ihre Dienste. Sie bekommen ihr restliches Gehalt noch ausgezahlt.«
»Unterkunft und Verpflegung sind Teil der Vergütung, Vater«, mischte sich Andi ein. »Auch darauf hat Frau Hollmann einen Anspruch.«
»Danke für die Belehrung, mein Sohn«, sagte der Hotelbesitzer ironisch. »Ich werde beides mit Bargeld ablösen. Die Gegenwart dieser Dame ist jedenfalls hier unerwünscht.«
Andi wollte aufbegehren, doch Trixi lächelte ihm unter Tränen zu und bat ihn mit einer Handbewegung zu schweigen.
»Laß gut sein, Andi. Ich möchte selbst nicht länger in Rettenbach bleiben«, sagte sie leise.
Sie wandte sich ab und kümmerte sich nicht länger um Vater und Sohn. Vom schmalen Schrank holte sie ihren Koffer herunter und begann, ihre wenigen Habseligkeiten zu packen. So konnte sie vor den beiden wenigstens die Tränen verbergen, die ihr über die Wangen rannten.
»Du hörst von mir, Trixi«, versprach Andi noch.
Dann gingen die beiden Männer fort und ließen das unglückliche junge Mädchen allein zurück.
*
Es war an diesem Abend viel Betrieb im ›Rettenberger Hof‹, und doch war alles anders als sonst. Der Hotelier, Herr Stefan Raiter, ließ sich nicht sehen. Normalerweise wäre er von Tisch zu Tisch gegangen, hätte die Gäste begrüßt und mit guten alten Bekannten ein wenig geplaudert. Hier und da wurde ein besonderer Wunsch geäußert, den der Chef des Hauses gern erfüllte. Auch seine Frau ließ sich nicht sehen. Dabei war sie sonst der gute Geist des Hauses. Sie empfing die Gäste schon am