Ein Bruderkampf um Troja: Die griechische Götterwelt im Ritual der Freimaurer
Von Heinz Sichrovsky
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Mit Illustrationen von Oskar Stocker.
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Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei Auf den Punkt gebracht: Ansichten einer Lady. Aufgezeichnet von Michael Fritthum Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Ein Bruderkampf um Troja - Heinz Sichrovsky
Heinz Sichrovsky
Ein Bruderkampf um Troja
Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei
Hg. von Helmut Reinalter in Zusammenarbeit mit dem Institut fur Ideengeschichte
Band 21
Heinz Sichrovsky
Ein Bruderkampf um Troja
Die griechische Götterwelt
im Ritual der Freimaurer
StudienVerlag
Innsbruck
Wien
Bozen
Inhalt
Einführung
Wer sind die Freimaurer?
Woher kommen die Freimaurer?
Eine kleine Götterkunde
Eine kleine Heldenkunde
I. Die Ursprünge
1. Die Mystifikationen des Reverend Anderson
2. Singe den Zorn, o Göttin: Die Ilias
II. Vom Bauen und Schmieden
1. Hephaistos, Hirams Bruder
2. Witwensöhne
3. Athene und die Illuminaten
4. Prometheus, Luzifer und Tubal, der Schmied
5. Die antimoralische Götterbande
6. Der verurteilte Paris: Weisheit, Stärke, Schönheit
III. Kulte und Riten
1. Apollo, Helios und der Weg nach Eleusis
2. Was wusste Pythagoras?
3. Vom Tartaros ins Elysion
IV. Der Bruderkampf um Troja
1. Herder und der große Mäonide
2. Der Zwist um Bruder Pope
3. Gottfried August Bürger: Das Scheitern eines braven Mannes
4. Graf Stolberg schafft klare Verhältnisse
5. Johann Heinrich Voß: Einer gewinnt
6. Goethe und der Bruder Reißwolf
V. Österreich: Homer unkorrekt
VI. Italien: Freimaurerei als Freiheitskampf
1. Der kämpferische Bund
2. Giosuè Carducci: Homer im Widerstand
3. Giovanni Pascoli: Der desillusionierte Odysseus
4. Gabriele D’Annunzio: Odysseus, der Übermensch
VII. Nikos Kazantzakis: Der Kreis schließt sich
Anhang
Die Ilias in Bruderhand – der erste Gesang in fünf Übersetzungen von vier Freimaurern
Johann Wolfgang von Goethe: Aus Homers Odyssee
Anmerkungen
Literatur (Auswahl)
Danksagung
Einführung
Wer sind die Freimaurer?
Sämtliche Arbeiten zur Freimaurerei laborieren an einem Grundproblem: dass es nämlich im Gefolge einer früh vollzogenen, bis heute unüberbrückten Spaltung „die Freimaurerei" nicht gibt. In den katholisch dominierten Ländern etwa des romanischen und des lateinamerikanischen Raums ist sie eine progressiv politische und antiklerikale Bewegung mit revolutionärer Geschichte, war über Jahrhunderte verboten und stand unter Kirchenbann. In protestantischen Ländern wie Deutschland, England, Schweden oder den USA hingegen wurde sie früh ins Machtgefüge einbezogen, agierte legitimistisch und religionstreu und zählte Könige, Bischöfe und Präsidenten zu ihren Mitgliedern. Als übergeordnete gesetzgebende Körperschaften fungieren einerseits die Großloge von England, andererseits der Grand Orient de France. (In Österreich arbeiten Logen beider Richtungen, wobei die maßgebliche Großloge von Österreich der legitimistischen englischen Richtung angehört.)
Zudem gab und gibt es eine Unzahl verschiedener Systeme: Neben den beiden weltumspannenden Freimaurerorganisationen existieren auch kleine Einheiten mit mystischer, politischer, sektenhaft religiöser oder geselliger Zielrichtung. Dazu kommt eine Unzahl teils dubioser Hochgrade, die auf das maurerische Fundament Lehrling–Geselle–Meister getürmt werden. Explizite Auswucherungen werden als irreguläre oder Winkellogen bezeichnet. Aber auf den Begriff „Freimaurerei" gibt es kein Patent. Wer sich berufen fühlt, kann gründen, wozu die Berufung ihn treibt.
Zumindest äußerlich aber ist allen das Ziel gemeinsam: die Veredelung des Einzelnen vom rauen zum behauenen Stein, der sich in den Tempel der allgemeinen Menschenliebe fügt und die Welt so den Idealen von Freiheit und Mitmenschlichkeit um den Bruchteil eines Millimeters näher bringt. Übergeordnetes Symbol dieses Vorganges ist der Bau des ersten Salomonischen Tempels etwa 950 v. Chr. Das überkonfessionelle Gottessymbol heißt in der Freimaurerei „Großer Baumeister aller Welten".
Die klassische Maurerei findet mit drei Graden – Lehrling, Geselle und Meister – ihr Auslangen. Wer beitreten will, braucht einen Bürgen, der ihn seiner eigenen Loge zuführt. Verlaufen die Vorprüfungen positiv, avanciert der Anwärter zum Suchenden. Innerhalb der Loge wird mittels weißer oder schwarzer Kugeln abgestimmt. Das Idealresultat dieser so genannten Ballotage wird „hell leuchtend genannt. Nun wird der Suchende in einer feierlichen rituellen Zeremonie in den Bund aufgenommen. Zuvor meditiert er in der „dunklen Kammer des stillen Nachdenkens
. Dann wird er im Tempel mit verbundenen Augen durch drei Erkenntnisstufen geführt. Am Ende dieser drei so genannten Reisen wird ihm durch Abnehmen der Binde das „große Licht" erteilt.
Damit ist er als Lehrling gleichberechtigtes Vollmitglied der Loge. Das Ziel dieses ersten Grades ist die Selbstdefinition, die Grundanforderung entspricht der Aufschrift im Tempel von Delphi: „Erkenne dich selbst. Nach heute mindestens einem Jahr wird der Lehrling rituell zum Gesellen befördert. Nun geht es um seine Sozialisierung, sein Verhältnis zur Welt, im Besonderen zu den Brüdern, und die Bekämpfung der Eitelkeit mit dem Auftrag „beherrsche dich selbst
. Mindestens ein weiteres Jahr später wird der Geselle in den dritten Grad, zum Meister, erhoben. „Veredle dich selbst" lautet hier die Erfordernis, und das Ziel wird durch das Goethe’sche Stirb und Werde (aus dem Gedicht Selige Sehnsucht) vorgegeben, dort exemplifiziert durch den Schmetterling, der in die Kerzenflamme fliegt: Der Freimaurer überwindet im Erhebungsritual symbolisch den eigenen Tod – er erleidet das Schicksal des Tempelbaumeisters Hiram, von dem in diesem Buch viel die Rede sein wird, um als veredelter Mensch weiterzuleben und zu arbeiten.
Das Logenleben artikuliert sich in einer Vielzahl an Symbolen und Ritualen. Die rituelle Arbeit findet im Tempel statt, einem rechteckigen Raum mit vier angenommenen Himmelsrichtungen, in dessen Mitte ein kunstvoll gefertigter Teppich liegt, auf dem sich die Symbole des freimaurerischen Lebens konzentrieren. Ihn umstehen drei hohe, von Kerzenflammen gekrönte Säulen. Sie verkörpern die maurerischen Grundtugenden, die oft auch große oder kleine Lichter genannt werden: Weisheit für den Meister-, Stärke für den Gesellen- und Schönheit für den Lehrlingsgrad.
Der Osten ist der Ort des Sonnenaufganges und der Vollendung. In den Ewigen Osten geht nach freimaurerischer Terminologie jeder Bruder nach seinem Tod. Der Osten, der an der einen Schmalseite des Tempels angenommen wird, ist der Platz des gewählten Meisters vom Stuhl. Vor seinem Pult befindet sich ein Altar mit den freimaurerischen Hauptsymbolen: Der Zirkel verkörpert die Menschenliebe, das Winkelmaß das redliche Handeln. Dazu kommt die Bibel, die durch andere konfessionelle Schriften (etwa den Koran) ersetzt werden kann. Dieses Buchsymbol steht für das Sittengesetz.
Im gegenüberliegenden Westen liegt das vom Tempelhüter bewachte Tor, flankiert von den beiden alttestamentarisch beglaubigten Säulen des Salomonischen Tempels (1 Könige 7). Hier haben meist die beiden Aufseher ihre Pulte. Sie und der Meister vom Stuhl sind mit Hämmern versehen und schlagen rituelle Codes auf ihre Pulte.
Das Ritual verläuft im Prinzip weltweit gleich, variiert aber in Details. Zu Beginn betreten die Brüder in ritueller Ordnung den Tempel und nehmen ihre Plätze ein. Als Reminiszenz an die Gründerväter wird über der Abendbekleidung ein kleiner symbolischer Maurerschurz getragen. Der Meister vom Stuhl und die beiden Aufseher entzünden die Kerzen der Weisheit, der Stärke und der Schönheit. In mehreren Ländern – auch in Österreich – folgt das Baustück, ein Vortrag zu einem freimaurerisch relevanten Thema. Die Loge wird rituell geschlossen. Beim anschließenden gemeinsamen Mahl, an der so genannten Weißen Tafel im Speisesaal, wird das Thema des Vortrags diskutiert.
Woher kommen die Freimaurer?
In den englischen Dombauhütten des Mittelalters arbeiteten die für Architektur und Steinbildhauerei zuständigen „freestone masons. Sie trugen das Licht der Kunst und der Wissenschaft in eine der dunkelsten Epochen der Geschichte, doch ihr Auftraggeber – die Kirche – war Hauptverursacher des Dunkels. Also traf man einander im Geheimen, um das gemeinsame bessere Wissen brüderlich zu pflegen. Der Begriff „freemason
findet sich erstmals in den Dokumenten des Kathedralenbaus von Exeter anno 1396. Aus diesem etymologischen Grund wird der Begriff „freimaurerisch oft durch das Lehnwort „masonisch
ersetzt, und die Logen heißen als Reminiszenz an die Gründertage auch Bauhütten. Der Freimaurerforscher Helmut Reinalter verweist zudem auf den normannisch-französischen Begriff „masoun", der schon in Wörterbüchern des 12. Jahrhunderts auftaucht.1 Als die Dombauten spärlicher wurden, akzeptierte man auch Nicht-Handwerker, um den Fortbestand der Bruderschaft zu sichern. Im frühen 18. Jahrhundert organisierte man sich unter den ersten Großlogen, und der Bund der Freimaurer, in dem einander Adel, Bürgertum und Werktätige gleichberechtigt begegneten, wurde zur bedeutenden Triebkraft der Aufklärung. Seine Ziele verfolgte er nach seiner Spaltung teils auf evolutionärem, teils auf revolutionärem Weg.
Alle anderen Herkunftsmythen sind ins Reich der Legende zu verweisen. Weder unter den altägyptischen Osiris-Priestern noch in der Tafelrunde des Gralskönigs Artus amtierte ein Urzeit-Freimaurer. Auch mit dem Templerorden, einer besonders brutalen Elite-Formation des Kreuzritterheers, hat der Bund dankenswerterweise nichts zu tun. Aber ein philosophisches Grundkonzept brauchte man und bediente sich zu dessen Erstellung aus dem unermesslichen Fundus der Mythen. Fundament des Ganzen ist das Alte Testament mit der Baugeschichte des Salomonischen Tempels.
Doch wurden auch Inhalte anderer Kulturen in das mythologische Konglomerat eingebracht. Die Wege sind nicht immer rekonstruierbar, zumal die Mythen im Sinn des „kollektiven Unbewussten" (C. G. Jung) durch Jahrtausende und Kulturkreise wandern.
Zweifellos aber nimmt die griechische Antike, deren Wiedergeburt schon in der Renaissance für die Überwindung des mittelalterlichen Dunkels stand, innerhalb der freimaurerischen Ritualistik hervorragenden Rang ein. Dass der aufklärerisch-bildungsbürgerlich grundierte Bund mit Eifer aus diesem Fundus schöpfte, versteht sich. Apollo, Minerva (Athene), Prometheus, Helios, Eos, Phönix, Pythagoras, Eleusis, Hippokrates und Panta Rhei („alles fließt"): Diese und viele andere Logennamen zeugen von einer Verbindung, der in diesem Buch nachgespürt werden soll.
Eine kleine Götterkunde
Die Genealogie der griechischen Götterwelt beruht auf einer großen Zahl einander oft widersprechender, ja ausschließender Mythologien. Graphische Darstellungen pflegen chaotisch zu scheitern, zumal die Population unüberblickbar groß ist: Nahezu jeder Fluss oder Berg hat seine eigene Gottheit.
Ausgehend von Hesiods Theogonie, dem ältesten Versuch einer Systematisierung, ergibt sich das nachfolgende Bild. Im Fettdruck hervorgehoben sind die so genannten zwölf olympischen Götter, die Hauptgottheiten. Ihr Sitz ist der Olymp, das höchste griechische Gebirge. Deshalb wird der in der Unterwelt wohnhafte, unermesslich mächtige Hades nicht zu ihnen gezählt. Dionysos, der Gott des Rauschs, und der posthum vergöttlichte Herakles fallen wegen ihrer sterblichen Mütter, andere wegen mangelnder Bedeutung aus der Wertung.
Am Anfang war, wie in der Bibel, Chaos (das Chaos). Aus ihm entstanden zeitgleich Gaia (die Erde), Tartaros (die tiefste Unterwelt) und der ihm verwandte Erebos (Finsternis), Eros (die lustgetriebene Liebe) und Nyx (die Nacht).
Nyx gebar außer dem Schlaf (Hypnos), den Träumen (Oneiroi) und dem friedlichen Tod (Thanatos) u. a. auch Nemesis (Rache), Eris (Zank), Apate (Trug) und die Moiren, die allwaltenden, auch in der Einzahl Moira auftretenden Schicksalsgöttinnen.
Gaia wurde ohne Zeugungsvorgang im Schlaf durch Eros schwanger. Sie gebar Uranos (den Himmel), Ourea (die Berge) und Pontos (das Meer).
Uranos krönte sich zum ersten Herrscher über die Welt. Zum gewaltsamen Ende seiner Karriere erzeugte er Aphrodite, die Göttin der Liebe und der Schönheit, die älteste der zwölf olympischen Gottheiten: Sein Sohn und Nachfolger Kronos schnitt ihm die Geschlechtsteile ab und warf sie ins Meer – aus Blut und Samen entstand die „Schaumgeborene" (der Ilias zufolge ist Aphrodite allerdings die Tochter des Zeus und der Dione, gleichfalls eine Liebesgöttin).
Zu Zeiten der Macht zeugte Uranos mit seiner Mutter Gaia das Urgöttergeschlecht der Titanen, die somit aus Himmel und Erde entstanden.
Die wichtigsten Titanen sind
Iapetos
Hyperion und Theia sind die Eltern des Helios (Sonne), der Selene (Mond) und der Eos (Morgenröte), die beiden Erstgenannten unmittelbare Pendants der späteren Götterzwillinge Apollo und Artemis.
Thetys (übrigens die Urgroßmutter des Achill) erzeugte mit Okeanos die Tochter Klymene. Diese wiederum gebar ihrem Onkel Iapetos u. a. den Titanen Prometheus. Letztgenannter erschuf den Menschen und brachte ihm das Feuer der Aufklärung.
Rheia (laut C. G. Jung der inbegriffliche Mutterarchetyp) und das neue Oberhaupt Kronos aber sind die wesentlichen Urheber der ersten olympischen Göttergeneration:
Zeus (Herrscher über die Götter)
Hera (Herrscherin über die Götter)
Hestia (Familie)
Poseidon (Meer)
Demeter (Landwirtschaft)
Hades (Unterwelt)
Nach einem geglückten Putsch gegen Kronos teilen sich Zeus (Himmel und Erde), Hades (Unterwelt) und Poseidon (Meer) das Universum auf. Ungeachtet mehrerer Aufstände der Mit-Götter ist Zeus dauerhaft der neue Herr über das Ganze. Er vermählt sich mit seiner Schwester Hera.
Die beiden haben drei bzw. vier gemeinsame Kinder, den Kriegsgott Ares, Hebe (die Göttin der Anmut, später Gattin des Herakles) und Eleithyia (Göttin der Geburt). Überlieferungen zufolge ist auch Hephaistos (Feuer und Schmiedekunst) ein Sohn des Herrscherpaars, doch die Theogonie macht ihn als Produkt einer Selbstzeugung der eifersüchtigen Hera namhaft.
Anlass zum Unmut gibt ihr Zeus im Übermaß. Mehrfach in Tiergestalt zeugt er Kinder mit mehr als 30 Müttern. Die namhaftesten unter ihnen und ihre Kinder sind:
Leto – Apollo und Artemis
Metis – Athene
Alkmene – Herakles
Themis – die Horen, Göttinnen der Stunden
Plutos – der Frevler Tantalos, auf dessen Nachkommen, u. a. Agamemnon, ein Fluch liegt
Maia – Hermes, der Götterbote, Schützer der Kaufleute und Diebe
Semele – Dionysos, Gott des Rauschs
Demeter – Persephone
Persephone (seine eigene Tochter) – Zagreus
Leda – Helena, um die der Trojanische Krieg ausbricht
Mnemosyne – die Musen
Eine kleine Heldenkunde
Aus den Hierarchien der Götter- und Menschenwelt lassen sich auch gruppendynamische Vorgänge innerhalb der Ilias (Ilion ist ein Synonym für Troja) erklären, insbesondere die stetigen Insubordinationsdelikte des Helden Achill gegenüber dem Heerführer Agamemnon: Beide sind Könige, doch Achill ist nicht nur der kampftechnisch Überlegene, sondern auch göttlicher Abkunft. Sein sterblicher Vater, der Myrmidonenkönig Peleus, hat die Meergöttin Thetis geheiratet, die Enkelin der Thetys, einer Titanin ältesten Adels, deren Linie u. a. der Lichtbringer Prometheus entstammt. Achill weiß um seinen von der Moira, dem allwaltenden