Uterus: Köln Krimi
()
Über dieses E-Book
Noch immer schwer angeschlagen nach dem Mord an seiner Schwester Patricia, übernimmt der Ermittler Mark Birkholz die Ermittlungen. Eine folgenschwere Entscheidung! Und ehe er sich versieht, wird er in einen Strudel gezogen, der ihn hinab auf den Grund seines tiefsten Seelenschmerzes zieht.
Ähnlich wie Uterus
Titel in dieser Serie (3)
Uterus: Köln Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAnimus: Ein Köln Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenExodus: Ein Köln Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Verwandte Kategorien
Rezensionen für Uterus
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Uterus - Astrid Schwikardi
Danke
Kapitel 1
Lauwarmes Wasser prasselte auf Katharinas nackten Körper und spülte feine Schaumflocken fort, die ihre weiblichen Rundungen sanft umspielten. Zusammengeführt zu einem Rinnsal lösten sie sich auf, bevor der Abguss sie hinab in die Tiefe zog.
Der Duft von Lavendel stieg in ihre Nase. Und je länger sie ihre Kopfhaut massierte und das Shampoo aus ihren langen dunklen Haaren floss, desto intensiver wurde er. Sie überlegte, wann sie zum letzten Mal auf die Uhr gesehen hatte. Es musste gegen halb zehn gewesen sein, zumindest hatte gegen halb zehn das letzte Mitglied, und somit ihr letzter Gast, den Sportpark verlassen. Oder war es doch später gewesen?
Sie quetschte die Reste des Duschgels aus der Flasche und verrieb den Schaum auf ihren Oberschenkeln. Ihre Finger wanderten zu ihren empfindlichsten Stellen, hinunter zu dem kaum spürbaren Flaum, während sie das Gesicht in den Wasserstrahl reckte. Abrupt verharrte sie in der Bewegung, als ein kalter Lufthauch sie streifte und eine Tür ins Schloss fiel. Ein kaum hörbares Klirren folgte.
Sie hatte die Eingangstür zum Mexxifit absichtlich offengelassen, damit Sophie an der Theke auf sie warten konnte. Das musste sie sein. Obwohl Sophie in all den Jahren, in denen sie schon befreundet waren, noch nie pünktlich gewesen war.
Verwundert drehte sich Katharina um, schaute in den leeren Umkleideraum, hinüber zu ihrer Bluejeans und Oversize-Bluse, die sie kurz zuvor auf die Bank gelegt hatte. Ihr Blick blieb bei ihren schwarzen Stiefeletten hängen, die sie achtlos auf den Boden geworfen hatte. Normalerweise nicht ihre Art. Unruhe stieg in ihr hoch. Ein Gefühl, das sie gut kannte, und das schon seit Monaten.
Sie atmete tief ein, versuchte sich zu beruhigen, denn es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Mit einem Kopfschütteln verbannte sie ihre schlechten Gedanken, malte sich stattdessen in schillernden Farben aus, wie Sophie und sie heute Nacht die Stadt unsicher machen, ausgelassen feiern und Typen aufreißen würden. Einfach die Zeit vergessen und abfeiern bis zum Morgengrauen.
Ihr Kopf schnellte herum, als sie das Schaben von Metall hörte. Doch da war noch etwas anderes. Aber was? Sie kannte das Geräusch, hatte es schon mal gehört. Nur wo?
Blut rauschte in ihren Ohren. Ihr Herz hämmerte gegen ihr Brustbein. Panisch überlegte sie, wie viele Mitglieder vorhin im Gerätebereich trainiert hatten. War parallel ein Kurs gelaufen? Sie presste die Lippen aufeinander und dachte angestrengt nach. Wäre eben jemand im Sportpark gewesen, hätte sie ihn doch bemerkt.
Nein! Unmöglich! Niemals hätte sie eine Person übersehen. Es sei denn …
Nachdenklich schaute sie zum Rinnsal, das sich zwischen ihren Füßen langsam zum Abfluss schlängelte.
„Sophie, bist du das?", hallte ihre Stimme, die plötzlich sonderbar fremd klang.
Kapitel 2
Sophie Reuter rutschte auf dem Fahrersitz des roten Renaults hin und her, sah im Minutentakt auf die Uhr und verfluchte ihre Freundin Katharina. Wütend würgte sie das monotone Gequatsche des Radiomoderators ab, band sich ihre blonden Haare zu einem Dutt zusammen und schwang sich aus dem Wagen. Ihr Blick schweifte über den abgelegenen Parkplatz, auf dem nur noch der Renault stand, der Wagen ihrer Mutter, und sie ärgerte sich, dass Katharina ausgerechnet heute Abend trödeln musste.
Und was, wenn Goran Stakovic Katharina erwischt hatte? Woran sie selbst schuld wäre, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis der großkotzige Sportparkinhaber sie beim Trainieren an den Fitnessgeräten ertappen würde. Vermutlich hielt Stakovic ihr gerade eine Standpauke, die sich gewaschen hatte.
Nachdenklich betrachtete Sophie die Leuchtschrift des Mexxifits, steuerte den Eingang an, stutze aber augenblicklich, als sie kurz darauf den Fitnessclub betrat. Kein rhythmischer Musiksound, der aus den Boxen dröhnte. Weit und breit kein brüllender Stakovic, der Katharina einen Einlauf verpasste. Ungläubig schaute sie hinüber zum Gang, der zu den Tennisplätzen führte. Doch bis auf den weiträumigen Empfangsbereich lag alles im Dunkeln.
„Katharina?"
Sie biss den Hautfetzen an ihrem Daumen ab, knabberte an ihrem Fingernagel und überlegte, wo Katharina stecken könnte. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie plötzlich eine Bewegung. Sie drehte sich um und erschrak, als sie sich in der deckenhohen Spiegelfront erkannte. Ein mädchenhaftes Kichern drang aus ihrem Mund und sie fragte sich ernsthaft, wie bescheuert sie eigentlich war. Doch zugegeben, das herabfallende Wasser der Wasserfallstele sowie die ungewöhnliche Stille trugen nicht gerade zu ihrer Belustigung bei. Vielmehr hatten sich die feinen Härchen auf ihren Unterarmen aufgerichtet und eine Gänsehaut war zum Vorschein gekommen. Noch dazu hatte sie den Eindruck, als wenn sich ein finsterer Umhang um das Gebäude gelegt hätte. Sie sah zur Tür, neben der ein Chromschild mit eingestanzten Figuren befestigt worden war. Eher zögerlich näherte sie sich der Tür und lauschte.
„Katharina?"
Ihr Herz klopfte. Ihre Ohren dröhnten. Innerhalb weniger Sekunden hatten sich ihre Hände in Eiszapfen verwandelt. Sogar ihre Fingerkuppen fühlten sich taub an. Nachdenklich starrte sie zu Boden und spielte mit dem Gedanken, den Sportpark schleunigst zu verlassen. Sie schüttelte den Kopf und ärgerte sich über sich selbst. Wann würde sie endlich aufhören, vor allem und jedem Angst zu haben?
Sie bemerkte den Lichtschein, der unter dem Schlitz hindurch schimmerte, und öffnete die Tür. Kaltes Licht stach ihr in die Augen, als sie kurz darauf den Korridor entlangging. Auf Höhe der Herrenumkleidekabine vernahm sie ein Geräusch und blieb ruckartig stehen. Zeitgleich fing eine Stimme in ihrem Kopf an zu flüstern: Verschwinde! Lauf fort, solange du kannst.
Sie schrie, klopfte sich mit den Händen an die Stirn und faselte unaufhörlich, dass alles nicht real wäre. Dass sie sich alles nur einbilden würde. Dass alles gleich wieder vergehen würde. So wie sonst immer.
Doch nichts verging. Im Gegenteil.
Mit jedem weiteren Schritt wuchs ihre Angst und ein schwer auszuhaltender Druck spannte sich um ihren Brustkorb. Sie japste nach Luft, horchte auf, aber da war nur diese erdrückende Stille. Mühsam setzte sie einen Fuß vor den nächsten, bis sie am Ende des Ganges vor einer Tür stehenblieb.
Stimmen drangen an ihr Ohr. Nur verstand sie nicht, was sie sagten. Sie lauschte, hörte die Stimmen klar und deutlich. Langsam drückte sie die Klinke hinunter, betrat den Umkleideraum und ließ ihren Blick schweifen. Doch der Raum war leer.
Nebel breitete sich in ihrem Kopf aus und hüllte sie in ein dunkles Nichts, das ihre Sinne betäubte und sie fortzutragen schien.
Sophie taumelte und merkte nicht mehr, wie sie in sich zusammensackte und mit dem Hinterkopf auf die harten Bodenfliesen aufschlug.
Kapitel 3
Kriminalhauptkommissar Mark Birkholz bog mit seinem schwarzen BMW von der Riehler Straße ab und erreichte gegen Viertel vor elf das denkmalgeschützte Justizgebäude am Reichenspergerplatz. Seine Finger trommelten aufs Lenkrad, während er an den parkenden Fahrzeugen vorbeirollte und nach einem Parkplatz Ausschau hielt. Er war spät dran und ignorierte daher das penetrante Klingeln seines Handys. Einige Meter entfernt entdeckte er einen älteren Mann, der gerade seinen dunkelgrünen Toyota aus einer Parklücke manövrierte. Er nutzte den Moment und schaute aus müden Augen zu seinem Mobiltelefon. Kurz darauf blickte er jedoch verdutzt auf, als der Toyotafahrer an ihm vorbeifuhr, und ein auf Hochglanz polierter Zweisitzer in die freigewordene Lücke raste und mit quietschenden Reifen bremste.
„Wie dreist ist das denn!, schimpfte er, sprang aus seinem Wagen und rief: „Tschuldigung, das war mein Parkplatz.
Die Fahrerin mit der dunklen Löwenmähne wartete, bis sich das Verdeck vollständig geschlossen hatte, stieg aus und lächelte zuckersüß. „Ganz genau. Das war Ihr Parkplatz. Mit der Betonung auf war!", erwiderte sie und entschwand zwischen den Fahrzeugen.
Marks Kinnlade klappte herunter. Sprachlos schaute er ihr hinterher. Solange, bis ihn ein Hupkonzert auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Sein Blick schweifte über die wartende Autoschlange, die sich hinter seinem Fahrzeug gebildet hatte. Um die Wette drückten die Fahrer auf die Hupen. Kopfschüttelnd ging er zurück, warf sich hinters Lenkrad und fuhr weiter.
Zehn Minuten später betrat Mark den Gerichtssaal, stutzte aber, als er die überfüllten Sitzreihen erblickte. Zahlreiche Zuschauer hockten zusammengequetscht auf Stühlen und brachten ihren Sitznachbarn auf den aktuellsten Stand. In der dritten Reihe, neben zwei älteren Damen, entdeckte er eine Lücke und nahm kurz darauf Platz. Seinen beiden Sitznachbarinnen schenkte er ein Sonntagslächeln, während er seine durchtrainierten Arme vor seiner Brust verschränkte. Wenn nicht seine blonden, strubbeligen Haare und sein markantes, unrasiertes Kinn gewesen wären, würde er mit seinem hellblauen Hemd und seiner dunklen Anzughose an den typischen Bankkaufmann erinnern, der seine Kunden am Schalter in Empfang nahm, bevor er mit ihnen ihre Geldsorgen besprach.
Der Geruch von altem Holz hatte sich im Laufe des letzten Jahrhunderts in die Räume des historischen Gerichtsgebäudes gefressen und wehte zu ihm herüber, als ein Vollzugsbeamter ein Fenster öffnete.
Gegen elf wurde es in den Zuschauerreihen unruhiger. Das hohe Gericht hatte den Saal betreten und ließ sich gerade auf den Stühlen nieder. Ein zufriedenes Lächeln huschte über Marks Gesicht, das in der Aufwärtsbewegung gefror. Hastig rutschte er zur Seite, landete beinahe auf dem Schoß seiner Nachbardame und versuchte zwischen zwei Zuschauerköpfen das Gesicht einer Frau zu erkennen, das sich hinter einer dunklen Lockenpracht verbarg. Irritiert runzelte die Frau ihre Stirn, als sie seinen Blick bemerkte. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es sich bei der Dame um jene Person handelte, die ihm kurz zuvor den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hatte.
‚Staatsanwältin Maja Reinhold‘, las er auf dem Namensschild, das vor ihr auf dem Tisch stand, und sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
Eine Stunde später schlenderte Marks Freund und Kollege Stefan Rauhaus mit hängenden Schultern an einer neubarocken Sandsteinsäule vorbei, schlürfte lustlos an seinem Kaffee und fuhr sich durch seine dunkle, fünf Millimeter kurz geschorene Naturkrause.
„Und ich war mir so sicher, dass wir ihn heute dingfest machen", raunte Stefan ihm zu, während er sich mit einem düsteren Gesichtsausdruck zum Angeklagten drehte, der gerade am Fenster lehnte und seinem Anwalt zunickte.
„Den kriegen wir noch", beruhigte Mark seinen Kollegen, als plötzlich sein Handy vibrierte und einen Anruf seines Vorgesetzten ankündigte.
„Dahlmann", murmelte er und verzog seinen Mund.
„Was will der Alte?", fragte Stefan und warf seinen leeren Kaffeebecher in einen Mülleimer.
„Das erfahre ich noch früh genug", erwiderte Mark, klickte den Anruf weg und folgte Stefan die Treppenstufen hinunter, bis sich am Hauptausgang des schlossartigen Historienbaus ihre Wege trennten.
„Und vergiss nicht. Keine Anrufe in den nächsten zwei Wochen. Ich habe frei! Urlaub! Ein Wort, das du zwar nicht kennst, aber vielleicht googelst du es mal!", rief ihm Stefan hinterher, bevor er in seinen zwölf Jahre alten, silberfarbenen Citroën einstieg und kurz darauf hupend an Mark vorbeifuhr.
Auf dem Weg zum Parkplatz versuchte Mark mehrmals, seinen Chef zurückzurufen, doch seine Rückrufversuche schlugen fehl. Er erreichte seinen Wagen und wollte gerade einsteigen, als ein schwarzer Touring auf gleicher Höhe seines Fahrzeugs stark abbremste. Das Seitenfenster fuhr herunter und ein Mann mit graumelierten Haaren, der niemand Geringeres war als der Erste Kriminalhauptkommissar Thomas Dahlmann, kam zum Vorschein. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck kratzte sich der Leiter des Kriminalkommissariats KK11 an der Schläfe, wodurch einzelne Kopfschuppen auf sein dunkelgraues Hemd rieselten.
„Birkholz! Wo zum Teufel haben Sie gesteckt? Und warum gehen Sie nicht ans Telefon? Schwingen Sie sich sofort in Ihren Wagen. Am Königsforst hat eine Fußgängerin eine Leiche entdeckt."
„Wo …?"
„Wir treffen uns am Eingang zum Wildgehege!", schnitt Dahlmann ihm das Wort ab und rauschte, ohne Marks Antwort abzuwarten, mit seinem Wagen davon.
Ungläubig schaute Mark dem schwarzen Touring hinterher, der gerade auf die Riehler Straße einbog und sich in nordöstlicher Richtung entfernte. In seinem Magen braute sich ein Gewitter zusammen. Wut stieg in ihm hoch. Seine Hand krallte sich um seinen Autoschlüssel. Er knirschte mit den Zähnen. Wieso rückte der Alte Informationen immer nur als Sparration heraus? Irgendwann, wenn die Zeit dazu reif wäre, würde er sich Dahlmann zur Brust nehmen. Sofern der Alte bis dahin nicht an einem Herzinfarkt krepiert wäre.
Wobei ihm diesmal die dürftigen Infos ausreichten, die ihm Dahlmann wie vertrocknete Brotkrümel hingeworfen hatte. Nachdenklich schaute er auf seine Uhr. Mit Glück könnte er in einer halben Stunde am Königsforst sein, sofern es der Verkehr auf der B55a und auf der A4 zuließ. Eilig klemmte er sich hinters Lenkrad und raste vom Parkplatz.
Kapitel 4
Das knapp zweitausendsechshundert Hektar große Waldgebiet Königsforst lag östlich von Köln. Rundwanderwege führten die Spaziergänger durch das Naherholungsgebiet, von dem Teile des Waldes unter Naturschutz standen. Angespannt schaute die Polizeibeamtin Carla Friere hinüber zu ihrem Kollegen, der telefonierte und mehrmals seinen Kopf schüttelte. Sie betrachtete die verwilderte Lichtung. Knöchelhohe Wildwuchsbäume so weit das Auge reichte. Und mitten in einer Kuhle lag aufgebahrt der nackte, leblose Körper einer jungen Frau. Die musste schon seit Tagen hier liegen. So wie die aussah. Und stank.
Carla löste sich vom Anblick der Toten und betrachtete die athletische Figur ihres Kollegen, von der sich mancher Mann im Kollegenkreis eine Scheibe abschneiden könnte. Ihr Blick wanderte hinunter zu ihrem rechten Bein, wo ein quiekender Chihuahua hoppelte. Verständnislos sah sie die vollschlanke Seniorin mit dem silberfarbenen Haar an, die gerade ihren Miniaturköter zur Ordnung rief und von Carlas Wade wegzog.
„Barney, lass das!", hörte sie die alte Dame mit bebender Stimme sagen.
Carla lächelte und sah auf ihren Notizblock.
„Ihr Barney hat also die Tote gefunden. Wann war das genau?"
Die Zeugin überlegte und schaute auf ihre vergoldete Armbanduhr. „Vor gut einer Stunde ungefähr. Barney und ich haben unsere übliche Runde gedreht und vorne an der Brücke habe ich ihn dann von der Leine gelassen."
Carla schüttelte ihren Kopf und seufzte. „Und Ihr Barney lief dann hierher?"
Die Frau nickte. „So habe ich ihn noch nie erlebt. Der war sofort in den Büschen verschwunden. Sie glauben nicht, wie lange ich gebraucht habe, um da durchzukommen. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste. Nächstes Jahr werde ich immerhin neunundsiebzig. Stellen Sie sich das vor! Dafür habe ich mich doch gut gehalten, oder?"
Ein Lächeln huschte über Carlas Gesicht, während sie sich Notizen auf ihrem Block machte. „Und der Mann, den Sie auf der Lichtung gesehen haben, wie sah der aus?"
Die Rentnerin verzog ihr Gesicht und schien nachzudenken. „Ein komischer Kauz war das! Einen buschigen Bart hatte der. Und eine monströse Hornbrille. Die sah schon merkwürdig aus auf seiner kleinen Nase, sagte sie schmunzelnd und ergänzte: „Wenn sein Lümmel auch so klein ist …
Carlas Augen weiteten sich.
„Was denn? Nur weil ich alt bin, heißt das nicht, dass ich keine Vorlieben mehr haben darf."
Carlas Kinnlade klappte herunter und sie räusperte sich.
„Und Lederhandschuhe hatte der an. Bei dem Wetter. Ich wusste gleich, dass der Kerl nicht astrein ist. Nicht wahr? Sehen Sie doch auch so, oder? Wer trägt bei so einem Wetter Handschuhe? Und geguckt hat der! Als wenn die Queen persönlich auf ihn zukäme."
Doch das Geschwafel der Frau rauschte an Carla vorbei. Verwundert schaute sie auf, als sie etwas blendete. Die Stimme der Zeugin entfernte sich. Ihre Worte nahm Carla nur noch wie durch ein Rohr wahr. Ihr Magen rebellierte. Angespannt sah sie zum Bachlauf, danach zur naturbelassenen Lichtung und hinauf zum tiefblauen Himmel, von dem aus die Mittagssonne strahlte. Was um alles in der Welt hatte sie geblendet? Sie sah zu ihrem Kollegen, der noch immer telefonierte. Weiter entfernt erkannte sie Peter Eiser, einen jungen Kollegen von der Kripo, der den Waldweg verlassen hatte und sich durch dichtes Gestrüpp kämpfte. Seine dunkelblonden Haare und sein Milchbubigesicht ließen ihn jünger wirken, als er in Wirklichkeit war. Und Carla vermutete, dass das der Grund dafür war, weshalb er sich seit Wochen schon nicht mehr rasierte. Der Kripobeamte betrat die Lichtung und steuerte zielstrebig Carlas Kollegen an.
„Stimmt was nicht?", hörte sie die Zeugin fragen.
Wie festgefroren verharrte Carla in ihrer Position und suchte nach etwas, das ihr eine plausible Erklärung geliefert hätte.
Langsam bewegte sie sich auf die hohen Eichen zu, als sie erneut ein grelles Licht blendete. Abrupt blieb sie stehen, stierte konzentriert zu einer Stelle und versuchte zu erkennen, was sie geblendet hatte. Die gedämpfte Stimme der Rentnerin drang an ihr Ohr, während sie den Punkt im Wald fixierte. Eine unerwartete Ruhe durchströmte sie, als sie kurz darauf verstand. Und dann rannte sie los, ließ die Gestalt, die sich tief im Gehölz versteckt hatte, nicht aus den Augen. Was zum Teufel machte der Kerl da? Beobachtete er sie etwa mit einem Fernglas? Wie von Sinnen hetzte sie durch den Wald und kam ihrem Ziel immer näher. Gedanken rasten in einem heillosen Durcheinander durch ihren Kopf. Keine dreißig Meter mehr und ihr Beobachter schien sie noch nicht bemerkt zu haben. Das war ihre Chance. Carla sprintete über den Waldboden, lief wie um ihr Leben. Sie erkannte eine Hornbrille. Einen Busch von Bart. Das musste der Kerl sein, den die Seniorin auf der Waldlichtung überrascht hatte.
Hastig griff Carla zum Pistolenhalfter, doch der Verschluss klemmte, und schneller als gedacht, erreichte sie ihr Ziel. Sie zerrte am Holster, aber der Verschluss ließ sich nicht öffnen. In ihrer Not warf sie sich mit voller Wucht gegen den Mann. Er stöhnte auf, wehrte aber ihren Angriff problemlos ab und ließ sie von seinem Oberkörper abprallen. Carla schleuderte zurück, knallte keuchend zu Boden und stieß mit dem Kopf gegen einen Stein. Gleichzeitig bohrte sich eine Astspitze in ihren Rücken. Schmerzen durchfluteten ihren Körper. Ein Schrei des Entsetzens schoss aus ihrer Kehle. Benommen versuchte sie, sich zu orientieren, doch ihre Glieder gehorchten ihr nicht. Vor ihren Augen drehte sich alles.
Unter Schmerzen richtete sie sich auf, kämpfte gegen den Schwindel an, der sie augenblicklich erfasste. Die meterhohen Eichen verschwammen vor ihren Augen. Ihre Beine knickten weg. Kraftlos sackte sie zu Boden. Sie hörte Laub rascheln. Und dann sah sie ihn …
Neben ihr blieb er stehen.
Schwerfällig kämpfte sie sich hoch, langte zu ihrem Holster und verharrte in der Bewegung, als sie begriff, dass er schneller war. Entsetzt starrte sie in seine eiskalten Augen, als er den Lederverschluss aufriss und ihre Waffe zog.
Kapitel 5
Mark saß an seinem Büroschreibtisch, auf dem die Fotos vom Leichenfundort in einem heillosen Durcheinander verteilt lagen. Die Sonnenstrahlen der tief stehenden Abendsonne fielen auf die Farbaufnahmen, die er seit über einer Stunde sortierte. Mit seinen Gedanken war er jedoch ganz woanders. Carla war tot. Seit wenigen Tagen unter der Erde. Und noch immer kämpfte er mit den Nachwehen. Carlas kleine Familie war brutal auseinandergerissen worden. Nie mehr würde sie ihren Sohn lachen sehen. Ihn trösten, wenn er weinte und nach ihr rief. Mark schluckte. Was um alles in der Welt hätte er auf der Beerdigung Carlas Eltern und ihrem Mann sagen sollen? Dass es ihm leid täte? Kein Wort der Welt hätte auch nur annähernd Trost gespendet.
Bei der Bestattung seiner Schwester Patricia hatte es sich genauso angefühlt. Nur mit dem feinen Unterschied, dass er unmittelbar betroffen war. Alles war wieder da, obwohl seitdem fast ein Jahr vergangen war. Auch damals hatte er sich geschworen, den Kerl kaltzumachen, der Patti auf so bestialische Art und Weise abgeschlachtet hatte. Nichts hatte sich an seinen Rachegefühlen geändert. Nach wie vor waren sie präsent. Mehr denn je! Täglich! Stündlich! Aber von nun an hatte er zwei Rechnungen offen. Er würde das Schwein, das Carla das angetan hatte, jagen. So lange, bis er Blut kotzen würde.
Er musste. Für Patti. Für Carla. Für ihren Sohn. Und sich selbst.
Noch immer wusste niemand, weshalb Carla in den Wald gelaufen war. Mark hatte wenige Sekunden nach dem Todesschuss, den er fälschlicherweise zuerst für Fluglärm gehalten hatte, die Lichtung betreten. Zu spät, denn niemand hätte Carla zu dem Zeitpunkt noch retten können. Seitdem dröhnte der Schuss, der seiner Kollegin auf so grausame Weise das Leben ausgehaucht hatte, wie ein Presslufthammer in seinem Schädel, ohne dass er den Abstellknopf fand.
Doch nicht nur er, alle Kollegen standen unter Schock. Wobei es seinen Chef Thomas Dahlmann am härtesten getroffen hatte. Direkt nach Carlas Beerdigung hatte er sich beurlauben lassen. Auf unbestimmte Zeit.
Mark fuhr sich durch seine zerzausten Haare, stützte seinen Ellenbogen auf die Arbeitsfläche und runzelte die Stirn, als ihm ein Gedanke kam. Ob Dahlmann die Beurlaubung nahegelegt worden war?
Marks Finger bohrten sich in seinen verspannten Nacken, während er nachdenklich die Bildaufnahmen betrachtete, die seine Kollegen vom Tatort angefertigt hatten. Seit Monaten flatterten Vermisstenanzeigen junger Frauen herein. Im Wochenrhythmus erhöhte sich die Zahl der Frauen, die nach Discobesuchen oder Treffen mit Freunden spurlos verschwunden waren. Der Leichenfund der Studentin Sarah Vens war ein Lichtblick. Zwar ein makabrer, doch immerhin wussten sie jetzt, womit sie es zu tun hatten. Seine Augen schweiften über die Fotos der ermordeten Studentin, die vor knapp drei Wochen von ihrem Vater als vermisst gemeldet worden war. Auf einem Bild schmollte die Frau mit den langen Haaren in die Kamera. Das Foto daneben lieferte das Kontrastprogramm. Sarahs geschändeter Körper. Die klaffende Bauchwunde. Ihre weit gegrätschten Beine. Drapiert von ihrem Mörder, nachdem er sie an einem anderen Ort ausgeweidet hatte.
Nachdenklich trank Mark einen Schluck abgestandenen Kaffee aus seiner FC Köln-Tasse mit dem aufgebäumten Geißbock, als er das Blöken des FC-Maskottchens Hennes vernahm. Neugierig ergriff er sein Smartphone, aktivierte die FC Köln-App und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Stirnrunzelnd las er die geplante Mannschaftsaufstellung für den kommenden Samstag und die aktuellen FC News, doch die Neuigkeiten konnten seine schlechte Laune nicht heben. Erneut fiel sein Blick auf die Fotos der jungen Studentin. Wie oft wollte er sich die Bilder noch ansehen? Wieso glaubte er immer noch, dass sie etwas übersehen hatten? Resigniert schob er die Aufnahmen zur Seite und rief seinen Kollegen Peter Eiser an. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit hatte sich zwischen den beiden Männern eine Freundschaft entwickelt, die sie ihrer gemeinsamen Leidenschaft, dem 1. FC Köln, zu verdanken hatten. So oft wie möglich besuchten sie die Heimspiele ihres Lieblingsvereins, sofern es ihre Dienstpläne und vor allem ihre Kollegen zuließen.
„Was gibt‘s?", riss ihn Peters Stimme aus seinen Gedanken.
„Falls jemand nach mir fragt: Ich bin am Königsforst."
Peters mürrisches Grummeln drang an sein Ohr, das er immer dann von sich gab, wenn ihm etwas nicht passte. „Was willst du da noch? Selbst wenn wir was übersehen hätten, haben die starken Regenfälle der letzten Tage ihr Übriges getan."
Er dachte kurz über Peters Worte nach und seufzte. „Falls ich heute nichts finde, mache ich zukünftig einen weiten Bogen um den Wildpark. Versprochen!", erwiderte er und legte auf.
Er schaute zu den Vermisstenanzeigen, die an der Pinnwand wie vergessene Werbeflyer prangerten, und überlegte, wie viele Frauen da draußen noch lagen? Sein Stuhl knarrte, als er aufstand und sein Büro verließ.
Zwanzig Minuten später erreichte er das Naturschutzgebiet Königsforst, fuhr bei der Ausfahrt Bensberg von der A4 ab und bog auf die Landstraße Rather Weg. Nachdenklich schaute er auf die Uhr. Viel Zeit blieb ihm nicht. Eine halbe Stunde vielleicht, wenn überhaupt. Er fuhr auf den Parkplatz und stellte seinen Wagen am Zufahrtsweg zum