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Alles zum Schein: Ein Splittermond-Roman
Alles zum Schein: Ein Splittermond-Roman
Alles zum Schein: Ein Splittermond-Roman
Ebook299 pages4 hours

Alles zum Schein: Ein Splittermond-Roman

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About this ebook

Der junge Adlige Hagen von den Goldquellen tritt mit seiner Volljährigkeit seine Ausbildung zum Magier in der Akademie Splitter und Geist an. Doch die lobpreisenden Worte seines Vaters über die Akademie weichen schnell der Erkenntnis, dass er die Ausbildung hier nur antreten soll, um möglichst weit weg vom heimischen Hofe zu sein. Statt einer intensiv betreuten Zaubererausbildung mit bemühten Mentoren in einer gepflegten Akademie erwartet ihn ein beklemmendes Gemäuer fernab freundlicher Menschen. Mitschüler und Lehrer sind Hagen nicht wohlgesinnt und machen ihm das Leben schwer.

Eine Begegnung mit einem wild fantasierenden Besucher der Akademie lässt Hagen noch ratloser zurück. Was faselt der Fremde von einem Geheimnis der Akademie und Verrätern unter den Mentoren?

Hagen muss das Rätsel lösen, doch wem kann er dabei vertrauen?

Alles zum Schein ist ein moderner Fantasy-Roman mit Krimi- und Gruselelementen aus der preisgekrönten Splittermond-Reihe.
LanguageDeutsch
Release dateSep 20, 2018
ISBN9783867623308
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    Book preview

    Alles zum Schein - Vincent Voss

    Autor: Vincent Voss

    Lektorat: Jörg Löhnerz

    Korrektorat: Kathrin Dodenhoeft und Giulia Pellegrino

    Satz und Gestaltung: Oliver Graute

    Umschlagillustration: Florian Stitz

    © Feder & Schwert 2018

    E-Book-Ausgabe 2018

    ISBN 978-3-86762-330-8

    ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-86762-329-2

    Alles zum Schein ist ein Produkt der Feder & Schwert GmbH unter Lizenz des Uhrwerk Verlages. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck außer zu Rezensionszwecken nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

    Die in diesem Buch beschriebenen Charaktere und Ereignisse sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit zwischen den Charakteren und lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Die Erwähnung von oder Bezugnahme auf Firmen oder Produkte auf den folgenden Seiten stellt keine Verletzung des Copyrights dar.

    www.feder-und-schwert.com

    www.splittermond.de

    Inhaltsverzeichnis

    Alles zum Schein

    Zeit danach …

    Dramatis Personae

    Lorakis: Die Welt von Splittermond

    Die Anderswelten und die Mondpfade

    Die Regionen der Welt

    Glossar

    Alles zum Schein

    Es waren die patalischen Felder, die milden Winde des elyrischen Golfs, die er seit seiner mehrwöchigen Reise von zuhause vermisste. Nicht seinen Vater, nicht seine Ziehmutter, sondern das glänzende, satte Gold der Getreideähren, die bei seinen Ausritten über das sanfte Hügelland im Sommerwind wogten. Nicht seine jüngere Schwester Calea, nicht seinen jüngeren Stiefbruder Umja, die er beide für Jahre nicht wiedersehen würde, sondern die Weinstöcke und die Kastanien, die den Weg des Anwesens zum Dorf säumten.

    Die Erkenntnis traf Hagen wie ein Schlag und augenblicklich folgte ein weiterer, als die Kutsche zum wiederholten Male in ein Schlagloch fuhr. Hagen stieß sich als einziger Reisender den Kopf, die anderen beiden Fahrgäste, eine Frau im Alter seiner Stiefmutter und ein älterer Gnom, wiesen mehr Erfahrung bei Kutschfahrten durch das Seenland der Dreybarer Mark auf. Sie hatten bisher jede Unebenheit – und davon hatte es sehr viele gegeben, seit sie die Heerstraße von Herathis nach Dreybar verlassen hatten – geschickt ausbalanciert und nicht eines der Gepäckstücke fallengelassen, die sie festhielten.

    Hagen jammerte nicht. In Bälde würde er, Hagen von den Goldquellen, erster Spross aus erster Ehe des Barons Hagedorn von den Goldquellen mit Iasella von Zweibünden, an der Zaubererakademie Splitter und Geist in der selenischen Baronie Mönchswasser als Adept aufgenommen. Die berüchtigte Schule war vor mehr als zweihundert Jahren von einem Magier des Zirkels der Zinne begründet worden und wurde seitdem von unbekannten Gönnern finanziert. Dort würde Hagen innerhalb von fünf Jahresläufen zu einem Meister der Magie ausgebildet werden und anschließend würde ihn sein Vater auf die Erbnachfolge vorbereiten. Hagen wollte sich mit diesen wohligen Gedanken zurücklehnen, aber die Kutsche wurde langsamer und sie passierten Häuser. Ein Hund bellte, ein Hahn krähte und Kinder liefen lachend der Kutsche nach, bis diese hielt. Der Kutschgehilfe öffnete die Tür.

    „Herr von den Goldquellen. Wir sind da", schnarrte er, öffnete die Tür und verschwand auf das Dach, um das Gepäck abzuladen.

    „Hier? Hier wollt Ihr aussteigen? In Eichfurth? Was in Morkais Namen verschlägt einen so edlen, jungen Herren in diese Gegend?", fragte der Gnom und sah aus dem Fenster.

    „Der Herr reist weiter zur Akademie, Nunzius", klang die Antwort von oben hohl durch das Kutschendach. Der Gnom und die Frau sahen Hagen an, als wäre er todgeweiht.

    „Junger Mann, nein. Nicht zur Burg am See! Das ist Euer sicherer Tod!"

    Die Frau ergriff seinen Arm.

    „Sie hat Recht!", stimmte ihr der Gnom zu.

    „Gepäck ist unten."

    Der Kutschergehilfe tauchte wieder an der Tür auf. „Nun könnt Ihr aussteigen. Man wird Euch abholen. Eine Kutsche zur Akademie geht täglich von hier", teilte er Hagen mit, der aussteigen wollte und den beiden verbliebenen Insassen gequält zulächelte.

    „Nicht während der bald anstehenden Nebelmonde, Herr! Das bringt Unheil und Tod!"

    Die Frau wollte ihn zurückhalten, aber Hagen eilte sich und sprang aus der Kutsche. „Ich …", wollte Hagen den Kutscher nach der Uhrzeit der Abfahrt fragen, aber der Kutscher trieb bereits mit lauten Rufen die Pferde an.

    Kinder umringten ihn und ältere Männer und Frauen näherten sich ihm aus ihren Häusern. Immerhin gab es in der Mitte der kleinen Anhäufung von Häusern eine Eiche, unter der Hagen Schutz vor den letzten Strahlen der Sommersonne suchte.

    Erst stillten die Alten ihre Neugier, warnten ihn eindringlich. Dann die Jungen und sie bewunderten ihn. Und zum Schluss die Hunde, Katzen und das Federvieh. Niemand konnte ihm sagen, wann die Kutsche von hier zur Akademie fuhr, aber alle rieten ihm von einem Fußmarsch ab. Zu gefährlich sei der Weg. Räuber, Aufhocker und Werwesen lauerten im Gehölz und gute Bürger würden einfach so verschwinden. Also wartete Hagen, bis niemand mehr neugierig war und sann allein unter der Eiche sitzend seiner Zukunft nach.

    Mit der untergehenden Sonne kündeten sich die ersten kalten Nächte des Fruchtmondes an, Männer und Frauen kamen von den Feldern und aus den Obsthainen, warfen ihm solche Blicke zu, wie man sie einem Fremden zuwirft und er wartete weiter. Talglichter wurden in den Häusern entfacht, Schatten tanzten an den Wänden und im Gehölz hinter den Häusern. Es wurde still und Hagen suchte nach einem Überwurf in seinem Gepäck. Und erschrak. Direkt vor ihm hielt eine Kutsche. Der Kutscher saß Hagen mit dem Rücken zugewandt auf dem Kutschbock und wie von Geisterhand öffnete sich die Tür.

    „Zur Akademie", sagte eine Stimme von überall her, Hagen konnte nicht sagen von wo; es klang jedoch wie aus einem Grab.

    „Mein Gepäck?", fragte er und wich erschrocken in die Kutsche hinein, als es wie von unsichtbarer Hand auf das Dach schwebte. Die Tür hinter ihm fiel zu. Eine Peitsche knallte und Hagen beschlichen die ersten Zweifel ob seiner Zukunft. Es sollten nicht die letzten sein.

    Die Zaubererakademie Splitter und Geist hatte Hagen sich anders vorgestellt. Vater hatte sie ihm anders beschrieben. An einem See gelegen, mit langen, seichten Stränden, die zum Spazieren einluden. Hell und freundlich das Anwesen, mit schattigen Arkaden und einem Innenhof, der an etlichen Stellen zum Lesen und Verweilen verführte. Stattdessen fuhren sie bergan über einen Weg, der der Kutsche alles abverlangte. Durch einen Wald, dessen knorrige Bäume sich heimtückisch und angriffslustig über Reisende beugten. Und erreichten eine wuchtige Trutzburg aus eisengrauem, grobem Stein, deren Gemäuer von Efeu überwuchert und von Flederwölfen bewohnt war. Sie verschmolz mit einem schroffen Berg, der über den Wald und den See aufragte.

    Der See schien das Licht der drei Monde zu verschlucken und das Wasser sah aus wie schwarze Tinte. In der Nähe eine kleine, düstere Halbinsel mit einem wandernden Licht, das Hagens Vorstellungskraft zu Bildern führte, die ihn schauern ließen. Auf dem ungepflegten Vorplatz umrundete die Kutsche einen verwitterten Brunnen und ließ ihn und sein Gepäck vor den Toren der Akademie stehen. Hagen trat vor, schlug den eisernen Türklopfer in Form eines Greifens gegen die eisenbeschlagene Doppeltür und wartete, dass ihm jemand öffnete.

    Und wartete. Klopfte noch einmal und wartete, bis er endlich Schritte hörte und sich die Tür öffnete.

    „Was will er?", herrschte ihn ein Mann in einem Schlafgewand aus hellgrauem Leinen an, blinzelte und musterte ihn von seinen Schuhspitzen bis zum Scheitel.

    „Ah, ein verwöhntes Balg, das Zauberei erlernen will. Von den Goldfedern heißt er, richtig? Er kann das Zimmer neben dieser anderen neuen Nichtsnutzin haben. Kosslinger heißt diese. Da oben im Westtrakt. Ist zugig dort." Der Mann im Schlafgewand wandte sich um und wollte gehen.

    „Äh, Verzeihung, mein Gepäck", stammelte Hagen. „Und ich heiße Hagen von den Goldquellen", verbesserte er den Nachtwächter. Dieser drehte sich zu ihm um.

    „Trag' er es selbst. Er ist jung und kräftig. Morgen kommt er zu mir und wir besprechen erst einmal alles, nachdem er das Frühstück für alle vorbereitet hat." Wieder wandte der Nachtwächter sich zum Gehen.

    „Ähem, und wer genau seid Ihr?", wollte Hagen wissen.

    „Ich bin enttäuscht, dass er mich nicht erkannt hat. Vermont Kormandel. Verweser der Akademie Splitter und Geist, Nachfolger von Ariane Mondseher seit nunmehr drei Jahren. Das Nichterkennen mag zum Teil seinen Mangel an Respekt mir gegenüber erklären. Zum Teil. Aber es zeigt mir auch seine mangelnde Vorbereitung auf sein Studium. Ich schätze ihn als unwürdig und unfähig ein. Guten Abend", verabschiedete sich der Dekan und stieg die Steintreppen in das erste Geschoss hinauf. Hagen blieb sprachlos zurück. DAS war Vermont Kormandel! Wie hätte er den verschlafenen Mann erkennen sollen, den er nur würdevoll und anmutig von einem Kupferstich kannte. Hagen stöhnte, schlich mit eingefallenen Schultern vor die Tür, um sein Gepäck hereinzuschaffen.

    „Kann ich dir helfen?", hörte er eine weibliche Stimme hinter sich.

    „Nein, ich …" Er versuchte seinen Koffer anzuheben, sah auf die anderen vier Taschen ähnlichen Umfangs.

    „Ja, gerne. Hagen von den Goldquellen, ich bin seit heute neu hier." Er reichte der jungen Frau, die ihre Hilfe anbot, die Hand.

    „Larian Vesslinger. Eigentlich. Alle nennen mich aber nur noch Kosslinger. Weil der Dekan sich meinen Namen nicht merken kann. Oder Kotzlinger. Weil ich so hässlich bin. Sagen die Älteren."

    „Ach, du bist die Nichtsnutzin. Ich finde dich nicht hübsch, aber auch nicht hässlich. Verzeihung, das hätte ich nicht … ich …" Hagen ärgerte sich über seine Äußerung, aber Larian lächelte und half ihm dabei, sein Gepäck in sein Zimmer in den zugigen Westtrakt zu tragen.

    „Ich freue mich über Gesellschaft. Die Älteren sind alle im Südtrakt, Kormandel lebt im Turm hinter dem Westtrakt, die Lehrer im Osttrakt. Nur ich bin hier seit anderthalb Jahren alleine untergebracht. Das war schon etwas … gruselig. Hier sind ja auch einige … Schüler schon gestorben oder verschwunden. Haben sich … umgebracht." Sie kämpfte mit seiner Büchertasche, während sie erzählte.

    „Verschwunden? Umgebracht?", fragte er laut.

    „Pssst!, ermahnte sie ihn zur Ruhe. „Das Gemäuer hier hat Ohren. Wenn nicht noch Schlimmeres.

    Hagen schwieg und musste von seiner Vorstellung über die Akademie abrücken. Alles, was sein Vater ihm darüber erzählt hatte, erwies sich vor Ort als anders. War sein Vater betrogen worden? Schließlich kostete die Ausbildung zu einem Zauberer­meister etliches … Er öffnete die Zimmertür. Entfachte ein halbes Dutzend Wandlichter.

    „Oh, sagte Larian. „Ulbricht hat das Zimmer also nicht für dich vorbereitet, so wie ihm aufgetragen wurde.

    Sie rümpfte die Nase, schritt zum Fenster, öffnete es und ließ frische Luft hinein.

    „Ratten", erklärte sie den Geruch und die kleinen, dunklen Kugeln, die Hagen mit einer Fußspitze berührte und anschließend angewidert zurücktrat.

    „In dem ganzen Anwesen sieht man sie. Ich hole dir einen Besen und eine Schaufel." Sie verschwand. Hagen sah sich in seinem zukünftigen Zimmer, seiner Herberge für die nächsten fünf Jahre, um. Prüfte mit einem Griff die Beschaffenheit des Schrankes und hielt sofort eine lose Tür in der Hand. Das Bettzeug war fleckig und roch nach schimmeligem Stroh und wie Vermont gesagt hatte … es war zugig. Schon nach kurzer Zeit hatte Hagen das Gefühl eine eisige Kälte würde ihm in die Glieder fahren. Larian kam mit einem Eimer Seifenwasser, einem Besen und einer Schaufel zurück.

    „Du fegst, ich wische", sagte sie und begann den Tisch zu putzen. Hagen sah sich den Besen und die Schaufel an, dann die Hinterlassenschaften der Ratten in seinem Zimmer. Er seufzte und legte los. Nachdem das Zimmer so weit gereinigt war, dass er die erste Nacht in der Akademie verbringen konnte, bedankte er sich bei Larian, die mit dem Eimer, Besen und Schaufel in der Tür stand.

    „Gerne, sagte sie. „Mir hat damals niemand geholfen. Da habe ich mir geschworen, es bei dem nächsten Lehrling anders zu machen. Ich helfe dir morgen bei dem Frühstück.

    „Woher weißt du …" Sie hob eine Hand, unterbrach ihn, lächelte und nickte, ohne etwas zu sagen. Natürlich. Natürlich hatte sie als Neuling auch das Frühstück für alle vorbereiten müssen.

    Morgen hieß nur wenige Stunden Schlaf für Hagen und Larian, denn das Frühstück für über sechzig Personen musste beizeiten hergerichtet werden. Hagen wurde von Larian geweckt, ehe auch die ersten Vögel wach waren. In aller Stille schlichen sie in die Küche. Wurst, der Hund der Köchin Falinda, begrüßte sie schwanzwedelnd und erhielt ein Leckerli.

    Neben den Lehrmeistern und den Studenten musste auch für den Bader, den Archivar, den Kämmerer, den Schmied, den Stallburschen, die Küchenangestellten, den Verweser, den Boten, den Hausmeister und andere eingedeckt werden. Larian nannte bei jedem Brett, das Hagen platzierte, Namen, Funktion und spezielle Marotten beim Frühstück, doch Hagen konnte sich nur die wenigsten davon merken.

    Nachdem das Brot frisch gebacken und die Morgensuppe gekocht war, erschienen erst der Akademieverweser, der Archivar und der Schmied am Tisch und nahmen eher schweigend ihr Frühstück zu sich. Dann kamen in einem Schwung alle anderen bis auf die Lehrer hinzu und Lärm füllte den großen Speisesaal.

    „Das Brot schmeckt nicht!"

    „Der Tee ist nur lauwarm!"

    „Die Suppe schmeckt nicht. Ich will Salz!", beschwerten sich die Studenten, vornehmlich und am lautesten Ulbricht Graustein, Finoa Fayandel, Helkia Tannholz und Silias Baumkron, die alle an einem Tisch saßen.

    „Alles Zirkelmitglieder", raunte ihm Larian zu, als er an ihr mit dem Salz vorbeieilte.

    „Bleib ruhig!", empfahl sie ihm etwas später, als Silias Baumkron seinen ganzen Teller Suppe versehentlich verschüttet hatte und er mit einem Eimer Wasser und einem Lappen den Boden wischen wollte. Er ertrug das Gelächter, die Erniedrigungen und als die Studenten gegangen waren, kam die Köchin Falinda zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.

    „Du hast dich tapfer geschlagen, Junge!", sagte sie, nahm ihm den Eimer Wasser und den Lappen aus der Hand und half ihm. Während der Akademieverweser immer noch alleine an seinem Tisch saß und speiste, erschienen die Lehrkräfte zu ihrem Frühstück und straften Hagen mit Missachtung. Keine Begrüßung, kein erkennendes Kopfnicken. Sie nahmen in leise Unterhaltungen vertieft ihre Mahlzeit zu sich und erst, als auch sie verschwunden waren, erhob sich mit den abklingenden Geräuschen Vermont Kormandel und verließ als Letzter den Speisesaal. Hagen sah dankbar zu Larian und schwor sich, dem nächsten neuen Lehrling ebenfalls zu helfen.

    Hagen hörte ein Rascheln, das ihn vollends wach werden ließ. Der Sturm und der Regen hatten ihm einen unsteten Schlaf verschafft, das Trippeln von kleinen Füßen in seinem Zimmer hatte diesen beendet. Der starke Westwind schlug den Regen gegen das Gemäuer und mehrere Äste einer großen Eiche kratzten bei dem Sturm über den Stein. Hagen zündete eine Kerze an und stand auf. Langsam gewöhnte er sich an die immerwährende Kälte, Husten und Schnupfen hatten ihn die letzten beiden Wochen nicht klein bekommen. Er hatte Durst, seine Karaffe war leer. Er nahm sie und ging mit ihr hinunter in die Küche, um frisches Trinkwasser zu schöpfen. Auf dem Gang in die Küche stellte ihn Ulbricht, der Nachtdienst hatte, zur Rede.

    „Was willst du denn hier, Lehrling?"

    „Ich habe Durst, Anwärter Ulbricht. Ich hole mir etwas zu trinken", erklärte Hagen sich. Ulbricht rümpfte die Nase.

    „Vielleicht erklären deine nächtlichen Wanderungen deine Unaufmerksamkeiten im Unterricht." Hagen schwieg. Die Unaufmerksamkeiten waren vielmehr den zahlreichen Anweisungen zu Diensten geschuldet, die ihm Vermont, die Lehrer und die Prüfungsanwärter übertragen durften. Küchen- und Reinigungsdienste, nächtliche Wachdienste, Einkäufe und Gartenarbeiten.

    Dazu kam seine missliche Lage, im Hörsaal einen abseitigen Platz vor einem Gemälde zugewiesen bekommen zu haben, das eine bösartige Kreatur zeigte, die den Betrachter verschlingen wollte und Hagen konnte schwören, dass von dem Bild gelegentlich solche Gerüche ausgingen, die einem dabei halfen, sich die Unterwelt besser vorstellen zu können. Hagen sah zu Boden, fürchtete einen von Ulbrichts Wutanfällen oder schlimmer noch, eine weitere Aufgabe, die er sofort mitten in der Nacht erledigen sollte.

    „Du musst lernen, Entbehrungen zu ertragen. Zurück in deine Kammer!", wies Ulbricht ihn an und Hagen wandte sich zum Gehen um, als beide durch einen Schlag an der Eingangstür zusammenzuckten. Ulbricht erschrak dabei weitaus heftiger als Hagen und stieß einen schrillen Schrei aus. Der ältere Student sah zur Tür, nagte auf seiner Unterlippe. Wieder klopfte es und Ulbricht zuckte erneut zusammen.

    „Es klopft", stellte Hagen fest und deutete mit einem Kopfnicken zur Tür.

    „Ja. Ja, doch!", zischte Ulbricht sowohl zur Tür, wie auch zu Hagen und warf einen Blick dorthin zur Galerie, wo der dunkle Gang in Vermonts Gefilde führte. Als hätte er dort ein Zeichen gesehen, das ihn zum Losgehen befähigte, setzte er sich in Bewegung. Hagen folgte ihm zaghaft die ersten Schritte und nachdem Ulbricht keine Einwände äußerte, wurde er sicherer in seinem Vorhaben, herausfinden zu wollen, wer in dieser unseligen Stunde Einlass begehrte. Ulbricht verharrte hinter der Tür, legte eine Hand auf die Klinke und zog sie wieder zurück.

    „Öffne du ruhig die Tür", wies er Hagen an und überließ ihm den Vortritt. Hagen zögerte. Wieder klopfte es. Ulbricht zuckte zusammen und wich Schritt für Schritt von der Tür zurück.

    „Öffne sie endlich!" Hagen trat vor und öffnete die Tür.

    Eine Gestalt fiel mit der Tür hinein, fiel bäuchlings zu Boden und blieb liegen. Sie stöhnte. Eine Frau, wie Ulbricht und Hagen daran erkennen konnten.

    „Es … ist … hier, stöhnte die Frau und bewegte ihre Beine so, als wolle sie weiter in den Schutz der Akademie kriechen, nur dass ihrem Körper die Kraft dafür fehlte. „Hier! Draußen! In … der Mark!

    „Ganz ruhig, Ihr seid hier in Sicherheit", beschwichtigte Hagen, kniete sich neben sie, während Ulbricht dem Frieden immer noch nicht traute und auf die geöffnete Tür ins Dunkel der Nacht starrte.

    „Nein! Niemand ist mehr in Sicherheit!", bäumte sie sich auf und drehte sich auf die Seite. Erst jetzt wurde Hagen der Grund ihres Zustands gewahr. Ihr dunkler Umhang und die geschwärzte Lederrüstung wiesen Risse und Löcher auf, da­runter klafften offene Wunden. Und das Gesicht! Tiefe, offene Wunden bluteten stark und verunstalteten das junge Antlitz einer durchtrainierten Frau. Sie war eine Kämpferin. Sie suchte seinen Blick und in ihren Augen loderten die Flammen eines um sich greifenden Wahnsinns.

    „Wir sind hier in Sicherheit", wiederholte Hagen mit Nachdruck und Ulbricht stürmte an Hagen und der Frau vorbei, schlug die Tür zu, presste sich mit dem Rücken dagegen.

    „Ich werde die anderen holen, bleib du so lange bei ihr", keuchte Ulbricht, stieß sich von der Tür ab und hastete, indem er zwei Stufen mit einem Schritt nahm, die Treppe hinauf.

    „In Sicherheit", wiederholte Hagen beruhigend. Die Frau griff nach seinem Oberarm und Hagen war von ihrer Kraft überrascht. Sie zog ihn zu sich, streckte sich durch und zog sich etwas an ihm hoch, so dass sie ihm etwas in sein Ohr sagen konnte.

    „Das Buch! Es ist hier! Zollen … Sie hustete und spuckte Blut. „Es … sie haben es gefunden. Geklaut. Gabrier ermordet. Wieder musste sie Luft holen, und es gab ein Pfeifgeräusch, wenn sie tief Luft holte. „Sie haben ihn hierher geholt. Den Herren der Augen, den mit den tausend Zähnen. Den Zersetzer! Er kommt nach Lorakis! Sie spie ihm die Worte ins Gesicht, Hagen wollte sich von ihr lösen, aber sie klammerte sich mit einem fanatischen Willen an ihn. „Er kommt! Seine Schergen sind schon hier! Hier, in diesem Gemäuer! Ich habe es gesehen, wie es aus dem See gekrochen kam und … bin ihm hierher gefolgt. Dann … Augen … hat mich angegriffen … gebissen … Zähne! Ihre Kraft verließ sie und sie sank auf den Boden zurück, während Ulbricht mit drei Kommilitonen und der Meisterin Kornspeich und Meister Blankwasser die Treppe heruntergeeilt kam. Hagen zog umständlich den Umhang der Frau aus und bettete ihren Kopf darauf. Diese hatte jetzt die Augen geschlossen und atmete schwer. Ulbricht führte die beiden Lehrer zum verletzten Gast, die Studenten standen dahinter. Kornspeich kniete sich neben die Frau, drehte ihr Gesicht zu sich, musterte sie von Kopf bis Fuß und betastete die Wundränder.

    „Sie ist eine Buchjägerin. Sie handelt in einem Auftrag und kommt nicht von hier. Die Wunden müssen von den Krallen eines Tieres stammen. Eines großen Tieres."

    „Oder etwas anderem", flüsterte Ulbricht und erntete einen drohenden Blick der Lehrmeisterin.

    „Was soll es denn dann gewesen sein? Wir werden sie schon wieder auf die Beine kriegen. Hat sie etwas gesagt? Irgendetwas?", wollte Kornspeich von Ulbricht und Hagen wissen. Ulbricht sah zu Hagen, zuckte mit den Schultern.

    „Dass wir nicht in Sicherheit sind. Dass es hier ist, aber ich weiß nicht, was sie damit meinte. Hat sie bei dir noch etwas gesagt?", fragte Ulbricht Hagen und Hagen erstarrte in diesem Moment, weil alle Blicke auf ihm ruhten. Strenge und erwartungsvolle Blicke.

    „Ich … äh … nein. Nein, sie hat nur gestöhnt und von einem Kampf gesprochen", antwortete er.

    „Einem Kampf mit wem?", hakte Blankwasser nach und trat einen Schritt auf Hagen zu. Hagen dachte an Augen und Zähne.

    „Das hat sie nicht gesagt", log er, weil er hoffte, dass diese Antwort am wenigsten Unbill nach sich ziehen würde. Und so geschah es auch. Kornspeich und Blankwasser nickten und die Studenten atmeten hörbar auf.

    „Schade, sehr schade, antwortete Kornspeich. „Bringt sie in den Anatomiesaal und du geh nun zurück auf dein Zimmer, wies Kornspeich Hagen an. Hagen nickte, warf einen letzten Blick auf die verletzte Frau und huschte die Treppen zu seinem Zimmer hinauf.

    Magische Botschaft bei Kornspeich stand morgens auf dem Lehrplan und Hagen schlief auf seinem Platz im großen Hörsaal beinahe ein, wäre da nicht der Geruch von faulen Eiern gewesen, der ihm von dem apokalyptischen Bildnis in seinem Rücken wie ein Brodem entgegenwehte. Niemand hatte bisher über die verletzte Frau gesprochen, was ihn wunderte. Er sah, dass Larian ihm unauffällig zuwinkte und er zwinkerte ihr zu. Vielleicht sollte er sich ihr anvertrauen? Vielleicht sollte er auch einfach im Unterricht nachfragen? Ja. Warum nicht? Er hob den Arm, meldete sich und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich, denn Meldungen waren nur im äußersten Notfall oder wenn die Meisterin Wissensbekundungen ausdrücklich erlaubte, legitim. Kornspeich sah zu ihm, eine angespannte Stille legte sich über den Hörsaal. Sie nickte ihm zu.

    „Meisterin, verzeiht meine Frage. Aber wie ist es der verletzten Frau von gestern Abend ergangen?" Nie hatte Hagen bisher die Erfahrung gemacht, dass Stille sich räumlich manifestieren konnte, nun tat sie es. Sie wurde drückend. Er erhaschte die auf Kornspeich gerichteten Blicke von Ulbricht und weiteren Kommilitonen, die gestern Nacht zugegen gewesen waren. Andere, unter ihnen auch Larian, sahen verwundert und neugierig zu ihm herüber. Offenbar wussten sie nichts von den Ereignissen der letzten Nacht. Hagen schluckte trocken, immer noch schwiegen alle und Kornspeich folterte ihn weiter mit ihrem eisigen Schweigen.

    „Ich verstehe deine Frage nicht, Jungblut!" Jungblut war die despektierlichste Bezeichnung für einen neuen Schüler, so hatte es Hagen von den Älteren erfahren. Er spürte ein Ziehen in den Eingeweiden und wäre gerne weggelaufen. Am besten bis nach Hause.

    „Ich meine die Frau, die gestern Nacht verletzt an die Tür der Akademie geklopft hat. Die, die wir reingelassen haben", erklärte Hagen und blickte Meisterin Kornspeich hilfesuchend an.

    „Welche Frau?", fragte

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