Er darf nicht nach Hause: Sophienlust 277 – Familienroman
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Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Das Gesicht des Mannes war aschfahl. Seine Finger krampften sich um den Telefonhörer. Anton Wegmann sagte nichts, er lauschte nur. Anika Ehling, seine hübsche Freundin, saß auf der Couch, hatte die Füße auf den niederen Tisch gelegt und blätterte gelangweilt in Modezeitschriften. Doch Antons Schweigen ließ sie aufschauen. Sie betrachtete den jungen Grafiker von der Seite her und stellte wieder einmal fest, daß er ihr ausgezeichnet gefiel. Er war groß, schlank und sportlich, ein dunkler Typ mit dichtem braunem Haar und lebhaften dunklen Augen. Seine Kleidung war geschmackvoll, aber so salopp, wie Anika es liebte. »Mein Gott«, murmelte Anton jetzt. "Ich komme selbstverständlich. Wann? Natürlich gleich morgen.« Er drückte den Hörer noch fester ans Ohr. Als er ihn zurücklegte, zitterte seine Hand. »Was gibt es denn?« fragte Anika und legte das Modeheft aus der Hand. »Du tust ja, als wäre dir die Butter vom Brot gefallen.« Zum ersten Mal mißfiel Anton die schnoddrige Art seiner Freundin. Er schaute sie vorwurfsvoll an, erwiderte aber nichts.
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Sophienlust (ab 351)
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Book preview
Er darf nicht nach Hause - Susanne Svanberg
Sophienlust
– 277–
Er darf nicht nach Hause
Wie sieht Timmys Zukunft aus?
Susanne Svanberg
Das Gesicht des Mannes war aschfahl. Seine Finger krampften sich um den Telefonhörer. Anton Wegmann sagte nichts, er lauschte nur.
Anika Ehling, seine hübsche Freundin, saß auf der Couch, hatte die Füße auf den niederen Tisch gelegt und blätterte gelangweilt in Modezeitschriften. Doch Antons Schweigen ließ sie aufschauen. Sie betrachtete den jungen Grafiker von der Seite her und stellte wieder einmal fest, daß er ihr ausgezeichnet gefiel. Er war groß, schlank und sportlich, ein dunkler Typ mit dichtem braunem Haar und lebhaften dunklen Augen. Seine Kleidung war geschmackvoll, aber so salopp, wie Anika es liebte.
»Mein Gott«, murmelte Anton jetzt. „Ich komme selbstverständlich. Wann? Natürlich gleich morgen.« Er drückte den Hörer noch fester ans Ohr. Als er ihn zurücklegte, zitterte seine Hand.
»Was gibt es denn?« fragte Anika und legte das Modeheft aus der Hand. »Du tust ja, als wäre dir die Butter vom Brot gefallen.«
Zum ersten Mal mißfiel Anton die schnoddrige Art seiner Freundin. Er schaute sie vorwurfsvoll an, erwiderte aber nichts.
»Sag mal, steht ein Weltuntergang oder so etwas bevor?« Anika zog die sorgfältig gezupften Augenbrauen hoch.
Schwer ließ sich Anton Wegmann in den nächsten Sessel fallen. Er beugte sich vor und schlug die Hände vors Gesicht. Seine Schultern zuckten.
Das schlanke Mädchen mit dem etwas breiten Gesicht reckte sich. »Hat es dir die Sprache verschlagen?« erkundigte es sich.
»Helmut und Mira«, stöhnte Anton. Statt weiterer Worte kam nur ein trockenes Schluchzen aus seiner Kehle.
Anika nahm die Füße vom Tisch und richtete sich auf. »Helmut ist doch dein Bruder und Mira deine Schwägerin. Stimmt’s? Was ist mit ihnen?« Anika fragte ohne Mitgefühl, nur aus reiner Neugierde.
»Sie… sie sind tot. Ich kann es gar nicht glauben. Mein Bruder ist erst dreißig, zwei Jahre jünger als ich. Und Mira...« Anton schüttelte den Kopf. »Sie war so lebensfroh und lustig. Es ist unvorstellbar, daß sie nicht mehr…«
Anton dachte daran, daß er einmal in Mira verliebt gewesen war. Mehr als neun Jahre war das her. Mira hatte seinem jüngeren Bruder den Vorzug gegeben, und er hatte es akzeptiert. Es hatte das herzliche Verhältnis zwischen Helmut und ihm nicht getrübt.
»Ist das alles?« fragte Anika Ehling herzlos. »Du meine Güte, ich dachte schon, eine Katastrophe wäre über dich hereingebrochen. Ich habe auch einen Bruder, aber es interessiert mich überhaupt nicht, wie es ihm geht. Er ist ein Streber, redet nur das, was mein Vater hören will, und erbt deshalb einmal die Fabrik. Nun ja, der Pflichtteil bleibt mir, und das reicht, um angenehm zu leben.« Die letzten Worte klangen arrogant. Anika konnte es nicht lassen, bei jeder Gelegenheit zu betonen, daß ihre Eltern reich waren. Sehr reich sogar.
Für Anton klang das immer vorwurfsvoll, denn er hatte nur das, was er mit seiner Arbeit verdiente. Und im Moment war das so gut wie nichts. Doch das durfte Anika gar nicht wissen. Denn schon vor drei Monaten hatte er sich als Grafiker und Werbetexter selbständig gemacht, doch die Aufträge waren ausgeblieben. Anton lebte von rasch dahinschmelzenden Ersparnissen.
»Bei uns ist das anders. Wir haben die Eltern verloren, als wir noch nicht einmal zur Schule gingen. Das hat uns zusammengeschmiedet. Wir wuchsen in einem Waisenhaus auf und immer, wenn einer von uns ungerecht behandelt wurde, klammerten wir uns aneinander und weinten«, erinnerte sich Anton. »Jetzt habe ich niemanden mehr. Jetzt bin ich ganz allein.« Seine Stimme wurde immer leiser.
»Hör mal, du bist doch kein kleiner Junge mehr. Und außerdem hast du mich.« Anika war gekränkt.
Anton Wegmann achtete nicht auf ihre Worte. »Nun geht es Timmy so wie damals uns«, raunte er voller Traurigkeit.
»Wer ist denn Timmy?« Ungeduldig sprang Anika auf. Wie immer, wenn sich ein Gespräch nicht um sie oder ihre Interessen drehte, ärgerte sie sich.
»Mein kleiner Neffe. Er ist sieben Jahre alt. Ein drolliger Kerl. Ich werde ihn zu mir nehmen, damit er nicht in ein Waisenhaus kommt.« Die Idee kam Anton ganz spontan.
»Spinnst du?« fragte Anika respektlos und riß die wasserblauen Augen auf.
»Ich bin Timmys einziger Verwandter. Mira war nämlich auch Waise«, antwortete Anton verwirrt. »Es ist doch selbstverständlich, daß ich mich um das Kind kümmere.«
»Du tickst tatsächlich nicht mehr richtig. Diese blöde Nachricht muß dir einen Schock versetzt haben.« Anika ging auf hochhackigen Schuhen nervös in Antons Atelier auf und ab. »Wer soll sich denn hier um den Kleinen kümmern? Und wie willst du arbeiten, wenn du den Babysitter spielen mußt?«
Anton Wegmann schluckte. Er hatte von der Lösung dieses Problems eine ganz bestimmte Vorstellung. Doch es war im Moment nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen.
»Wer hat dich überhaupt angerufen?« erkundigte sich Anika ärgerlich.
»Melanie Leuchtner.«
»Nie gehört.«
»Sie ist eine Freundin von Mira. Eine sehr tüchtige Person. Sie hat Helmut und seiner Frau geholfen, das Hotel zu bewirtschaften. Es hat eine herrliche Lage am Bodensee.«
»Ein Hotel? Davon hast du mir ja noch nie erzählt.«
»Mein Bruder hat es vor fünf Jahren gekauft, allerdings auf Kredit.«
»Immerhin müßte es inzwischen bezahlt sein.«
»Nein. Mein Bruder hat alles, was er erwirtschaften konnte, in den Ausbau gesteckt. Außerdem hatte er die hohen Bankzinsen. Und so besonders ging das Hotel wohl nicht. Es liegt ziemlich einsam. Zum nächsten Dorf sind es gut zwei Kilometer. So etwas mögen die Touristen nicht.« Anton sprach gerade jetzt nicht gern von finanziellen Dingen.
»Ach so«, murmelte Anika enttäuscht. »Dann wirst du den Schuppen am besten verkaufen, sonst hast du noch die Zinsen und die Tilgungsraten am Hals.«
»Ich werde das mit Melanie Leuchtner besprechen.«
»Was hat denn diese Melanie damit zu tun? Sie ist doch nur eine Angestellte. Daß sie ihren Job verloren hat, dürfte ihr ja klar sein. Also packt sie ihre Sachen, schließt ab und geht.« Anika schnaubte verächtlich.
»Melanie war mit Mira eng befreundet. Ich glaube, sie hat den beiden sogar ziemlich selbstlos geholfen. Auch jetzt ist sie unersetzlich. Denn sie regelt alle Formalitäten, kümmert sich vorübergehend um Timmy.«
»Ich mag solche Allroundmenschen nicht«, erklärte Anika verächtlich. Sie selbst lehnte jede Beschäftigung ab, ließ sich von ihrem Vater jeden Monat einen Scheck geben und lebte munter in den Tag hinein. Ihre Hauptbeschäftigung lag darin, mit netten jungen Männern zu flirten. Auf diese Weise hatte sie Anton vor einem Jahr kennengelernt. Er war der erste Mann, mit dem sie sich eine engere Bindung wünschte. Vielleicht sogar eine Heirat. Doch das wollte sie sich noch genau überlegen.
»Helmut und Mira hatten keine Schuld«, erzählte Anton wehmütig.
»Sie kamen vom Einkaufen aus der Stadt zurück, als ein Betrunkener auf der Gegenfahrbahn schleuderte und frontal mit ihnen zusammenstieß. Stell dir vor, ihm ist überhaupt nichts geschehen. Mira war sofort tot, und Helmut starb auf dem Transport ins Krankenhaus.«
»Hat dir das auch Melanie Leuchtner erzählt? Vielleicht rechnet sie damit, das Hotel übernehmen zu können. Wenn ihr viel daran liegt, kannst du ganz schön etwas herausholen.«
Wieder schüttelte Anton verständnislos den Kopf. »Das wäre ein schlechter Dank für die Hilfe, die sie meinem Bruder geleistet hat. Und überhaupt gehört der Erlös aus dem Verkauf dem kleinen Timmy.«
»Seit wann bist du denn so pedantisch?« Ungehalten sah Anika ihren Freund an. »Übrigens wollten wir zum Frühlingsfest des Tennis-Clubs. Mach schon, zieh dich um!«
Gequält schaute Anton hoch. »Anika, du mußt doch verstehen, daß ich jetzt keine Lust mehr habe…«
»Aber ich. Wenn du hier herumhängst, nützt das deinem Bruder auch nichts mehr.«
»Bitte, laß uns hierbleiben. Ich kann jetzt keine laute Musik hören und pflichtschuldig lachen, wenn einer einen blöden Witz macht.«
»Wenn du nicht mitkommst, gehe ich allein«, drohte das Mädchen mit dem glatten blonden Haar und dem herzförmigen, auffallend geschminkten Mund.
»Sei mir nicht böse, aber es geht wirklich nicht.« Anton schüttelte den Kopf. »Es ist mir ganz recht, wenn ich allein bin.«
»Beschwere dich aber nicht, wenn ich mit anderen flirte. Mit Eberhard von Schinski zum Beispiel.« Anika lachte kokett.
*
Erst am nächsten Morgen vermochte Anton wieder klar zu denken. Zum Schmerz um den Bruder und die Schwägerin kam nun das unangenehme Gefühl, Schwierigkeiten mit Anika zu bekommen. Deshalb lief er noch im Pyjama zum Telefon und rief seine Freundin an.
»Fräulein Ehling schläft noch und wünscht nicht gestört zu werden«, antwortete der Butler auf seine Frage kühl.
Es ist also ganz schön spät geworden, dachte Anton in aufsteigender Eifersucht. Jetzt erinnerte er sich auch wieder, daß Anika den Namen Eberhard von Schinski erwähnt hatte. Diesen jungen Mann, der zwar ein guter Tennis-Spieler, aber sonst ein Nichtstuer war, konnte er absolut nicht leiden.
»Dann komme ich gegen Mittag vorbei«, ließ Anton ausrichten und legte auf. Noch etwas verschlafen stellte er sich im Badezimmer unter die eiskalte Dusche. Davon wurde er zwar munter, doch seine Sorgen wurden nicht geringer.
Anton arbeitete nun an den Entwürfen, die noch auf seinem Schreibtisch lagen. Doch sosehr er sich auch bemühte, es fiel ihn nichts Brauchbares ein. Immer wieder wanderten seine Gedanken ab. Teils befaßten sie sich mit dem tragischen Schicksal seines Bruders, teils mit Anika und deren manchmal überschäumendem Temperament.
Diese