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Der Skorpion
Der Skorpion
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Ebook405 pages5 hours

Der Skorpion

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"An einem nebelverhangenen Februartage waren in verschiedenen Stadtteilen Londons drei Briefe zugestellt worden, die ihren Empfängern ziemlich zu denken gaben. Die billigen farbigen Umschläge deuteten auf irgendeine belanglose geschäftliche Anzeige hin, aber der Eindruck täuschte, denn der Inhalt war ungewöhnlich und für jene, die er anging, wirklich bedeutsam." Drei Personen erhalten von einem unbekannten Absender einen Brief, zweien wird bedeutet, dass man etwas gegen sie in der Hand hat. Sie werden zu einem Treffen beordert. Eine erhält ein Schreiben, das man ihr behilflich sein wird. Zwei Schurken also, eine ins Unrecht gesetzte Person. Wie fügt sich dies mit den Geschehnissen zusammen, von denen wir in der Folge erfahren?
Bei Scotland Yard herrscht indessen Unruhe. Mit Oberst Merewether, einem Kolonialoffizier, hat ein neuer Mann die Leitung übernommen. Er ist für seine unzugängliche Art ebenso bekannt wie für seine Unnachgiebigkeit, mit eiserner Faust durchzugreifen. Inspektor Sharp ist daher in Schwierigkeiten. Diebstähle haben sich ereignet, alle nach demselben Muster, und er kann sie nicht aufklären. Damen wurden bei Festen ihres Schmucks beraubt. Immer handelte es sich um dieselben Gäste, immer verspürten sie eine blitzartige Müdigkeit. Man hat sie durch unbekanntes Narkotikum betäubt. Wer weiß ein solche Mittel einzusetzen?
Auch der Fall eines angeblich geflohenen Bankiers ist noch offen. Er soll eine größere Summe abgehoben und sich damit nach Südamerika abgesetzt haben. Seine Tochter wird vermisst. Gibt es eine Verbindung zu den Diebstählen?
Eine weitere Seltsamkeit tritt hinzu: Thomas Wesley, ein Trunkenbold und Glücksritter, hat auf unerklärliche Weise in Asien Molybdänschürfrechte erworben. Seither ist er verschwunden. Er muss, so heißt es, Hintergrund-Financiers gehabt haben. Mit wem macht er gemeinsame Sache?
Endlich tritt der zwielichtige Mr. Ellis auf, der in Konsul Karenowitsch einen skrupellosen Teilhaber hat. Offensichtlich stecken sie in dunklen Geschäften zusammen, wissen um die Diebstähle, den verschwundenen Bankier und stehen in Kontakt mit Thomas Wesley. Sie haben das Heft, so scheint es, fest in der Hand. Aber noch ist der geheimnisvolle Unbekannte nicht hervorgetreten, noch wissen wir nicht, welche Absichten er verfolgt.
Spannungsvoll und geschickt verknüpft Louis Weinert-Wilton die Handlungsstränge. Das Entlegene wird bedeutungsvoll, das Unvereinbare zwingend logisch. Große Krimikunst!
LanguageDeutsch
Release dateApr 1, 2019
ISBN9783946554103
Der Skorpion

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    Book preview

    Der Skorpion - Louis Weinert-Wilton

    Louis Weinert-Wilton

    Der Skorpion

    (1939)

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1

    Drei kurze, aber ungewöhnliche Briefe

    Ein Raubzug nach Juwelen

    Ein unangenehmer neuer Chefkonstabler

    Mrs. Toomer erhält einen neuen Mieter

    Eine Anfrage im Unterhause

    Ein gefürchteter Mann erlebt eine peinliche Niederlage

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Kapitel 50

    Kapitel 51

    Kapitel 52

    Kapitel 53

    Kapitel 54

    Kapitel 55

    Kapitel 56

    Kapitel 57

    Kapitel 58

    Kapitel 59

    Kapitel 60

    Kapitel 61

    Kapitel 62

    Kapitel 63

    Kapitel 64

    Kapitel 65

    Kapitel 66

    Kapitel 67

    1

    Bevor das Sternbild des Skorpions die Gemüter des weiten Gebiets von London derart beschäftigte, daß die Straßenjugend der äußersten Vororte diese Figur der fernen südlichen Himmelshälfte an alle Mauern und Bretterwände kritzelte, ernste Männer sie mit wuchtiger Hand auf die geschwärzten Tische der Hafenkneipen und Schenken des Ostens malten, und die geschwätzigen Frauen von Convent Garden ihre Blumenstände damit schmückten, geschahen zunächst einige Dinge, die – zusammenhangslos, wie sie sich abspielten – im folgenden gleichfalls vorangeschickt seien.

    Drei kurze, aber ungewöhnliche Briefe

    An einem nebelverhangenen Februartage waren in verschiedenen Stadtteilen Londons drei Briefe zugestellt worden, die ihren Empfängern ziemlich zu denken gaben. Die billigen farbigen Umschläge deuteten auf irgendeine belanglose geschäftliche Anzeige hin, aber der Eindruck täuschte, denn der Inhalt war ungewöhnlich und für jene, die er anging, wirklich bedeutsam.

    Die eine dieser Mitteilungen lautete:

    „Ich brauche Sie. Warten Sie nächsten Donnerstag Schlag elf Uhr abends an der Ecke Cattle Market– Market Road, und steigen Sie in den Wagen, der bei Ihnen halten wird; er wird Sie an einen Ort bringen, wo wir uns ungestört aussprechen können. Es liegt in Ihrem Interesse, dieser Einladung nachzukommen, denn sollten Sie dies nicht tun oder gar auf irgendeine Hinterhältigkeit verfallen, so würden Sie sich dadurch sehr ernste Unannehmlichkeiten bereiten. Ich erinnere Sie bloß an die gewissen drei Schließfächer. Es wäre aber eine völlig unnütze Bemühung, wenn Sie diese nun etwa rasch räumen wollten, denn erstens würde ich von allen Ihren Schritten erfahren, und zweitens habe ich vorläufig keine Veranlassung, Sie in Schwierigkeiten zu bringen. Falls Sie aber unsere Zusammenkunft vereiteln, werde ich allerdings dafür sorgen, daß Sie noch in derselben Nacht eine für Sie weit bedenklichere Unterredung zu bestehen haben werden …"

    Der Mann, an den diese Worte gerichtet waren, las sie mit einem Gemisch von schreckhafter Bestürzung und ohnmächtiger Wut. Schreiben solcher Art waren ihm zwar nicht fremd, aber bisher waren sie immer von ihm selbst ausgegangen. Er hätte die Sache auch unbedingt als albernen Scherz aufgefaßt, wenn die fatale Andeutung von den drei Safes nicht gewesen wäre.

    Wer davon Kenntnis hatte, dem war sicher noch mehr bekannt, und die Drohung mit der „weit bedenklicheren Unterredung" war daher verdammt ernst zu nehmen. Der Aufforderung einfach nachzukommen, wie der Brief es verlangte, war also vielleicht gefährlich, etwas dagegen zu unternehmen aber unter diesen Umständen ein noch größeres Wagnis. Schließlich hatte es ja schon viele Leute gegeben, die seine Dienste in Anspruch genommen hatten, nur der Ton paßte dem Manne nicht. Er war nicht gewohnt, daß man ihm so kam. Der andere mußte sich sehr stark fühlen, daß er dies wagte, obwohl er doch sicher genau wußte, mit wem er es zu tun hatte. Aber das Blatt würde sich vielleicht rasch wenden, wenn man erst eine Ahnung hatte, wer mit so gefährlichen Kenntnissen herumlief ...

    Diese Erwägungen ließen es dem besorgten Manne geraten scheinen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber er wollte doch einiges vorkehren, um nicht etwa in eine Falle zu tappen ...

    Bei dem Empfänger des zweiten, ähnlichen Briefes ließ der Schreck irgendwelche Bedenken überhaupt nicht erst aufkommen. Für ihn gab es kein langes Überlegen und keine Vorkehrungen, sondern er mußte einfach gehorchen, denn auch in seinen Zeilen fehlte es nicht an einer sehr ernsten Wendung.

    „Ich weiß, daß Sie sich in großen Schwierigkeiten befinden, hieß es darin, „weil Ihr bescheidenes Einkommen für Ihre Passionen nicht ausreicht. Frauenbekanntschaften sind sehr kostspielig. Ich finde es daher begreiflich, daß Sie gelegentlich verschiedenen Spielklubs kleine Gefälligkeiten erweisen, aber andere Leute dürften darüber viel engherziger denken, falls sie davon erführen. Wenn Sie das vermeiden wollen, warten Sie nächsten Donnerstag pünktlich um Mitternacht gegenüber der Maiden Lane Station, und steigen Sie in den Wagen, der vor Ihnen halten wird. Er wird Sie an einen Ort bringen, wo wir uns ungestört aussprechen können, was Ihnen nur Vorteile bringen wird ...

    Am ruhigsten blieb der Empfänger des dritten Briefes. Er hatte auch keinen Grund, sich zu erregen, denn die kurze Mitteilung enthielt diesmal keine Drohung, sondern eher eine Verheißung. Sie besagte nämlich:

    „Es ist möglich, daß ich Ihnen gelegentlich in dieser oder jener wichtigen Sache dienlich sein kann. Halten Sie dieses Blatt gegen das Licht, und merken Sie sich das Zeichen, das in der linken oberen Ecke eingestochen ist. Sollten Sie ihm einmal begegnen, so können Sie manches erfahren, was zu wissen für Sie von Wichtigkeit sein wird. Einen andern Weg kann ich aus gewissen Gründen nicht wählen, und es ist auch keiner so zuverlässig."

    Nachdem der dritte Mann das Blatt wirklich gegen das Licht gehalten und sekundenlang auf die unregelmäßig angeordneten sechs hellen Pünktchen gestarrt hatte, schob er es bedächtig wieder in den Umschlag und barg diesen in seinem abgegriffenen Taschenbuche. Auch ihm waren derartige Briefe nicht fremd, aber er pflegte sie weder zu überschätzen, noch kurzweg abzutun. Manchmal war es ein bloßer Bluff, aber zuweilen steckte wirklich etwas dahinter.

    Man würde ja sehen, was es diesmal war ...

    Ein Raubzug nach Juwelen

    Ungefähr acht Tage später gab Mr. William Ellis, ein Mann, der in verschiedenen Erdteilen ein sehr ansehnliches Vermögen gemacht zu haben schien, in seiner prunkvoll eingerichteten Mietvilla in Kensington einen großen Abend. Die Gäste, die – etwa vierzig an der Zahl – erschienen waren, führten zwar keine gewichtigen gesellschaftlichen Namen, und auch die obere Schicht der Citywelt war nicht vertreten, aber es waren durchwegs Leute mit viel Geld. Dafür sprachen auch die erlesenen Juwelen der Damen, die von ihren glücklichen Besitzerinnen in offenkundigem Wettbewerb zur Schau getragen wurden; aber selbst der kostbarste und reichste Schmuck mußte vor dem Schimmer der haselnußgroßen Perlen und dem Feuer der Diamanten, mit denen die Frau des Hauses, eine geborene Portugiesin, behängen und besteckt war, verblassen. Man tröstete sich jedoch damit, daß all dieser Glanz noch immer nicht genügte, um den ganz besonderen dunklen Punkt, den es bei Mrs. Elvira Ellis gab, zu übertünchen.

    Etwa um Mitternacht fühlte sich die Frau des Hauses durch ihre Inanspruchnahme plötzlich sehr ermüdet und zog sich für eine Weile in ihre Räume zurück. Man vermißte sie nicht und bemühte sich auch nicht sonderlich, ihrer habhaft zu werden, als man aufbrach. Erst als die letzten Gäste und die Aushilfsdienerschaft das Haus bereits längst verlassen hatten, wurde Mrs. Elvira von ihrer Zofe in einem derart festen Schlafe angetroffen, daß dem Mädchen nichts anderes übrigblieb, als die Herrin selbst auszukleiden und zu Bett zu bringen.

    Die erschöpfte Dame schlief bis tief in den nächsten Tag hinein, und erst nach ihrem Erwachen stellte sich heraus, daß man sie, offenbar noch während alle Räume voll Leute gewesen waren, wie einen Christbaum abgeklaubt hatte. Nur die Ringe hatte man ihr belassen, weil es wohl zu zeitraubend gewesen wäre, sie von den fleischigen Fingern zu streifen.

    Und während man noch an einen Einzelfall dachte, der vielleicht auf besondere Umstände zurückzuführen war, ereigneten sich bereits in den allernächsten Tagen vier weitere derartige Diebstähle, und es waren auch dabei immer die Gastgeberinnen, die die Opfer wurden; unter ihnen Mrs. Reed, eine junge Witwe aus Australien, die in unmittelbarer Nähe von Mrs. Ellis wohnte und mit dieser auch ziemlich viel verkehrte.

    Scotland Yard nahm die Untersuchung dieses förmlichen Raubzuges mit seiner bewährten systematischen Gründlichkeit auf, kam jedoch zu keinem raschen Erfolg, sondern zunächst bloß zu einigen bedeutsamen Feststellungen. Erstens ergab sich, daß bei allen diesen Gelegenheiten fast immer dieselben Gäste anwesend gewesen waren, und zweitens berichteten alle Betroffenen, sie wären blitzartig von einer derartigen Müdigkeit befallen worden, daß sie überhaupt keinen anderen Gedanken hatten, als den, schleunigst ein wenig zur Ruhe zu kommen. Nur so ließ es sich auch erklären, daß die letzten Opfer trotz der früheren Fälle, die ja mit allen ihren Einzelheiten allgemeinen Gesprächsstoff bildeten, sich der Gefahr gar nicht bewußt wurden und daher auch keinerlei Vorsichtsmaßnahmen trafen.

    Über diese sonderbaren Schwächeanwandlungen war man sich bereits im klaren, denn bei einer der Frauen konnten noch die Spuren eines Narkotikums nachgewiesen werden, dessen Art die Ärzte und Chemiker allerdings nicht näher zu bestimmen vermochten. Jedenfalls handelte es sich aber offenbar um planmäßig vorbereitete und mit besonderem Raffinement ausgeführte Anschläge, für die das bekannte Verbrechertum kaum in Betracht kam. Auf alle Fälle behielt man jedoch auch dieses und die Hehlerwelt schärfstens im Auge, während man in aller Stille nach einer etwas konkreteren Spur forschte.

    Es war dies eine sehr mühevolle und heikle Arbeit, die für die Ungeduld der erregten Öffentlichkeit viel zuviel Zeit in Anspruch nahm.

    Ein unangenehmer neuer Chefkonstabler

    Knapp vor diesen bewegten Tagen hatte sich auf dem wichtigsten Posten des Yard ein Wechsel vollzogen. Der bisherige Leiter des Criminal Investigation Department hatte sich mit einem schweren Gallenleiden und einem hohen Orden in sein stilles Landhaus in Essex zurückgezogen, und an seine Stelle war Oberst Merewether, ein Außenseiter, berufen worden. Der neue Chefkonstabler kam aus dem Kolonialdienst, und man wußte in London von ihm nur, daß er während der letzten zwei Jahrzehnte in verschiedenen gefährlichen Winkeln des Empires mit eiserner Faust aufgeräumt hatte.

    Und schon in den ersten Wochen seiner Amtsführung ergab sich, daß der gedrungene Mann mit dem eisgrauen Kopf und dem verwitterten und verkniffenen knochigen Gesicht auch kein sonderlich angenehmer Vorgesetzter war; nicht wegen seiner kurz angebundenen soldatischen Art, der man ja in diesem Dienste öfter begegnete, sondern wegen einer andern Eigenheit: Oberst Merewether hatte ein Schweigen, das die rapportierenden Beamten Blut schwitzen ließ, und ein Lächeln, dessen derjenige, dem es galt, nicht froh werden konnte.

    Dieses Schweigen und dieses Lächeln lernten in Kürze alle seine Leute kennen, und nur einer der jüngsten, der Assistent Guy Denby, zeigte sich davon nicht im mindesten beeindruckt. Aber dieser sehr vorteilhaft aussehende Gentleman mit dem schrecklich gelangweilten Gesicht und der ebenso gelangweilten Sprechweise fiel überhaupt in allem aus dem Rahmen des ernsten Backsteinbaues auf dem Victoria Embankment. Er war immer mit einem dandyhaften Einschlag gekleidet, hatte das selbstbewußte Wesen eines großen Herrn, und aus seinem Privatleben wurden Dinge getuschelt, die zu einem Manne vom Yard nicht recht passen wollten. Er entstammte jedoch einer sehr angesehenen Familie und hatte einflußreiche Beziehungen, die es einigermaßen verwunderlich scheinen ließen, daß er gerade auf den Polizeidienst verfallen war. Aber hierfür hatte Denby einem besonders Interessierten einmal eine sehr offenherzige Erklärung gegeben: „Eh, mein Lieber, hatte er mit einem Achselzucken geäußert: „wenn ich das verwünschte nötige Kleingeld hätte, wäre ich natürlich lieber Botschafter Seiner Großbritannischen Majestät an irgendeinem Hofe geworden; aber Chef Commissioner of the Metropolitan Police ist schließlich auch ein ganz hübscher Titel und ein recht angenehmer Posten.

    Nach dem fünften der rätselhaften Schmuckdiebstähle beorderte Oberst Merewether wieder einmal Inspektor Sharp zu sich, der die Nachforschungen leitete. Sharp galt als einer der tüchtigsten Leute des Yard, war jedoch wegen seiner Verschlossenheit und seines neidischen Wesens wenig beliebt.

    „Nun???" fragte der Chefkonstabler, und das Schweigen, das diesem einen Worte folgte, wirkte wie eine Saugpumpe.

    Aber der Inspektor, ein Mann in den Vierzigern, gelb, dürr und düster wie ein Fakir, konnte nur krampfhaft mit den Achseln zucken. „Es hat sich auch diesmal kein neuer Anhaltspunkt ergeben, Sir", brachte er endlich hohl hervor. „Und die Gäste sind alle völlig einwandfrei ...‘‘

    Das Lächeln brachte ihn zum Verstummen, aber der Oberst hatte schon wieder eine andere Frage.

    „Wie ist das mit dem Manne in Soho?"

    Inspektor Sharp atmete auf, denn diesmal konnte er eine weniger knappe Auskunft geben. „Natürlich haben wir diesen Roger Meraine ebenfalls unter Überwachung gestellt, erklärte er eifrig. „Es ist immerhin möglich, daß er bei der Sache die Hände mit im Spiele hat. Er steckt ja mit dem vielen ausländischen Gesindel, das sich in Soho verkrochen hat, unter einer Decke und hat auch zu unseren übelsten Leuten in Whitechapel und Deptford Beziehungen. Und wenn Hogde und seine Kreise mit der Juwelengeschichte auch direkt nichts zu tun haben mögen, so ist ihnen wahrscheinlich wenigstens einiges darüber bekannt. Es dürfte in London in den letzten fünf Jahren überhaupt kaum ein größeres Verbrechen verübt worden sein, von dem dieser Mann nicht mehr oder weniger gewußt hätte. – Aber man kann leider nie an ihn heran ...

    „Man kann nicht an ihn heran – so ..., wiederholte Oberst Merewether und lächelte wiederum in seiner wenig angenehmen Art. „Womit haben Sie sich übrigens zuletzt beschäftigt, bevor der nette Rummel zur Feier meines Amtsantritts losgegangen ist?

     „Mit den laufenden Fällen, Sir, stotterte Sharp und schwitzte vor Unbehagen. „Es war aber nichts Besonderes los. – Das heißt, ich habe mich auch für die Kapstädter Sache interessiert. Es werden dort seit längerer Zeit rohe Diamanten gestohlen und außer Land geschmuggelt, und die Kapstädter Polizei vermutet, daß die Steine über London oder Paris nach Antwerpen gehen …

    Diesmal lächelte der Chefkonstabler geradezu beängstigend. „Nun, und sind Sie auf etwas gekommen?"

    „Bis jetzt nicht, Sir …"

    „Schade. Eben heute ist wieder ein Kabel eingelangt, daß die Prämie auf zehntausend Pfund erhöht wird. – So etwas ist bei unseren Juwelendiebstählen allerdings nicht zu holen – höchstens eine vorzeitige Pensionierung ..."

    Zu dieser fatalen Bemerkung machte der liebenswürdige Oberst Merewether eine gnädig entlassende Handbewegung, und Inspektor Sharp stolperte auf etwas unsicheren Beinen zur Tür. An der Schwelle wurde er aber noch einmal zurückgehalten.

    „Wie ich aus den Akten ersehen habe, haben wir noch einen andern offenen Fall, sagte der Chefkonstabler. „Die Geschichte mit dem Bankier Hayward ...

    Der Inspektor mußte nach dem Schreck, den ihm die Andeutung von vorhin eingejagt hatte, seine Stimme erst wieder in die Gewalt bekommen. „Diese Sache ist wohl als erledigt zu betrachten, Sir, erklärte er noch um einen Ton hohler als sonst. „Es sind seither bereits vier Monate verstrichen, und der Mann ist offenbar schon irgendwo drüben in Sicherheit. Wahrscheinlich in Bolivien, das nicht ausliefert. Er hatte ja sehr umsichtige Vorbereitungen für seine Flucht getroffen. Schon daß er die sechzigtausend Pfund an einem Samstag behob, hat ihm einen Vorsprung von achtundvierzig Stunden verschafft. – Und er hat vermutlich auch seine Tochter mitgenommen, denn das Mädchen ist fast zur selben Zeit aus einem Schweizer Pensionat spurlos verschwunden. Wenigstens spricht für diese Annahme die Abschrift einer Depesche, die sich in der Akte befindet.

    „So, sagte Oberst Merewether und lächelte zum größten Unbehagen des Inspektors noch einmal, „das ist was anderes ...

    Mrs. Toomer erhält einen neuen Mieter

    Mrs. Christina Toomer bewohnte ein kleines Haus bei Leadenhall Market in der City und vermietete je zwei freundliche Stuben im Erdgeschoß und im Oberstock an Leute, die dieser Ehre und dieses Vertrauens würdig waren. Bei Mrs. Toomer wohnen zu dürfen, bedeutete auch wirklich eine Auszeichnung, denn die stattliche Frau war die Witwe eines Sergeanten der erlesenen Whitehall Division des uniformierten Polizeikorps und genoß als solche weit über den Bezirk hinaus großes Ansehen. Dazu trugen allerdings auch ihre persönlichen Eigenschaften bei, denn Mrs. Toomer hätte nicht bloß durch ihre gebieterische Erscheinung, sondern auch durch ihre Tatkraft und ihre strengen Ansichten über Recht und Ordnung selbst einen vorbildlichen Sergeanten abgegeben.

    In der letzten Zeit hatte sich in ihrem Hause ein gründlicher Parteienwechsel vollzogen, denn zunächst hatte Mrs. Toomer die Mieterin von oben unter dem Vorwände, daß sie längeren Besuch von Verwandten bekäme, von heute auf morgen vor die Türe gesetzt, und gleich darauf hatte die säuerliche Lehrerin vom Erdgeschoß eine Anstellung in einem anderen Bezirk erhalten. In den Oberstock waren dann tatsächlich zwei junge Mädchen eingezogen, die eben in Finch Lane eine Schreibstube eröffnet hatten. Sie waren beide auffallend hübsch, aber sonst der denkbar größte Gegensatz: Alice Parker schlank und graziös, tief brünett, mit sehr feinen, regelmäßigen Zügen und schwermütig blickenden dunklen Augen – Bessie Clayton, eine heranreifende Walküre mit der Frische und Sonne der elterlichen Farm im reizvollen Gesicht und in dem goldig schimmernden Haar. Und wie äußerlich, waren die beiden Mädchen auch in ihrem Wesen grundverschieden: Die eine von fast an Scheu grenzender Zurückhaltung, die andere von ziemlich lauter Lebhaftigkeit, immer guter Laune und nie um ein treffendes Wort verlegen.

    Es war mittlerweile bereits März geworden, aber vorläufig kündigte sich der Frühling erst mit Stürmen und Regenschauern an. Dieser Abend war besonders unfreundlich, doch in Mrs. Toomers Eßzimmer herrschte behaglichste Stimmung. Die Hauswirtin studierte eben die Abendzeitungen, um über die Missetaten, die sich wiederum ereignet hatten, und die ihr nun der brave Sergeant Toomer nicht mehr brühwarm rapportieren konnte, auf dem laufenden zu bleiben; Alice Parker saß versonnen über einer Handarbeit, und Bessie Clayton untersuchte mit kritisch verkniffenen Augen eine Einpfundnote, an der ihr irgend etwas nicht zu gefallen schien.

    „Das Gekritzel ist nicht zu lesen, unterbrach sie endlich höchst mißmutig das Schweigen. „Die Banknote scheint längere Zeit im Wasser gelegen zu haben, und es wird uns schwerfallen, sie anzubringen. – Ich hätte dieser alten Teerjacke besser auf die Finger sehen sollen, als sie mir den Schein zusteckte. Aber ich mußte mir fortwährend nur die schreckliche Visage angucken. Der Kerl ist offenbar auf eine Erpressung aus. Er hat sich bei uns einen Brief an jemanden schreiben lassen, daß er ein Notizbuch gefunden hätte, das den andern sicher interessieren werde. Natürlich steckt da eine Lumperei dahinter. Deshalb durften wir wohl auch die Adresse nicht tippen, sondern er wollte bloß einen leeren Briefumschlag. Die Antwort will er ,an den Zimmermann Paddy‘ in eine Schenke im Pool haben ...

    Obwohl Mrs. Toomer gerade die wichtige Frage erwog, zu welchem Polizeigericht sie ihre Schritte am nächsten Morgen lenken sollte, hatte sie doch auch für Bessies Bemerkung einiges Interesse übrig.

    „Ja, man muß jetzt sehr vorsichtig sein, äußerte sie mit ihrem tiefen Baß. „Als Sergeant Toomer noch Dienst tat, hat es solche Sachen wie heute nicht gegeben. Und wenn mal so was geschah, hat man die Banditen immer sofort gefaßt. Aber jetzt wird im Westen ein kostbarer Schmuck nach dem andern gestohlen, und vom Fassen ist keine Rede. – Offen gestanden habe ich von unserem neuen Chefkonstabler, von dem es hieß, daß er ein so scharfer Mann sein sollte, mehr erwartet ...

    In den ernsten Tadel der enttäuschten Sergeantenwitwe klang der Türklopfer, und die Hauswirtin erhob sich. „Es wird vielleicht wegen der Zimmer unten sein, sagte sie. „Ich habe beim Kolonialwarenhändler und im Milchgeschäft hinterlassen, wenn jemand, der in mein Haus paßt, Wohnung sucht, möge man ihn mir schicken …

    Damit machte sie sich mit wuchtigen Schritten auf den Weg, und die besorgte Bessie tuschelte ihr rasch noch ein kleines Anliegen nach.

    „Bitte, liebe Mrs. Toomer, wenn es wieder eine ältere Dame sein sollte, fragen Sie sie nach ihren Leibspeisen. Bei Miß Druce hat es im ganzen Hause immer schrecklich nach altem Käse und Zwiebeln gerochen ..."

    Unten im Flur brannte bloß eine kleine Deckenlampe, und als die Frau die letzte Treppenstufe passierte, tat sie einen raschen Griff in eine Nische, wo der Gummiknüppel des verewigten Sergeanten seinen Ehrenplatz gefunden hatte.

    „Wer ist draußen?" fragte sie dann, indem sie das fleischige Ohr lauschend an die Haustür legte, und ihr bedrohliches Organ machte eigentlich jede weitere Vorsichtsmaßnahme überflüssig.

    Von draußen kam halblaut eine hastige Antwort, die Mrs. Toomer plötzlich höchst aufgeregt werden ließ.

    „Wer???" flüsterte sie offenbar ungläubig zurück, aber dann flog auch schon der Gummiknüppel in die nächste Ecke, und die Frau hantierte blitzschnell an Riegel und Vorlegkette.

    Über die Schwelle trat ein Mann in einem triefenden Regenmantel, und mit ihm schob sich ein patschnasser großer Hund herein.

    Die Sergeantenwitwe hatte kugelrunde Augen, und um ihren herben Mund zuckte es. „Wahrhaftig ..., schnappte sie freudig, kaum daß sie einen raschen Blick auf das schmale, dunkle Gesicht unter der schlappen Hutkrempe geworfen hatte. „Nein – so was ... – Das hätte ich mir nie träumen lassen, Sir. – Fanny hat mir doch erst unlängst geschrieben, daß Sie ...

    Der Besucher legte rasch einen Finger an den Mund, und Mrs. Toomer hätte nicht Sergeantenwitwe sein dürfen, um dieses Zeichen nicht sofort zu kapieren. Sie nickte lebhaft und riß auch schon die Tür zu den unteren Stuben einladend auf, obwohl sie sonst keinen Kaiser und keinen König in diesem Zustande in ihre peinlich sauberen Zimmer gelassen hätte. Noch dazu mit einem pudelnassen Hund ...

    Die Verhandlungen unten dauerten so lange, daß die lebhafte Bessie Clayton, die immer wieder nach dem nicht sonderlich schalldichten Fußboden lauschte, bereits ungeduldig wurde.

    „Nach der Stimme ist es ein Mann, flüsterte sie der völlig teilnahmslosen Alice zu. „Vielleicht bekommen wir also diesmal einen Hausgenossen. – Wenn er nett ist, hätte ich gar nichts dagegen. Eine Bude mit Witwen, alten Jungfern und solchen, die es wahrscheinlich einmal werden, ist schrecklich langweilig. Sie neigte wiederum für eine Weile das Ohr, dann nickte sie plötzlich befriedigt. „Ich glaube, sie sind schon einig. Mrs. Toomer schneuzt sehr heftig. Wahrscheinlich erzählt sie ihm bereits von dem verewigten Sergeanten ..."

    Die Hauswirtin handhabte unten ihr Taschentuch tatsächlich sehr geräuschvoll, aber es ging nicht um den verewigten Sergeanten Toomer.

    „Vielleicht ist das eine Fügung Gottes, schluckte sie. „Ich weiß ja nicht, was ich tun soll. – Und es drückt mir das Herz ab, den Jammer mit ansehen zu müssen und nicht helfen zu können.

    „Das gewisse Wort ist also noch nicht erschienen?" fragte der Besucher, der ihrem bewegten Redestrom mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war.

    „Nein – das ist es ja eben. Er hat sich bis heute nicht gerührt, und sie wird mir sicher noch krank von diesem ewigen aufgeregten Warten. – Ich kann das alles nicht verstehen ..."

    Es währte noch eine weitere gute halbe Stunde, bis unten endlich die Tür ins Schloß fiel und die Hauswirtin mit roter Nase und zwinkernden Augen wieder im Eßzimmer auftauchte.

    „Ich habe einen neuen Mieter aufgenommen", sagte sie so beiläufig, nachdem sie sich gründlich geräuspert hatte.

    „Wie sieht er aus?" erkundigte sich Bessie mit reger Wißbegierde, aber Mrs. Toomer schien die dringliche Frage überhört zu haben, weil sie eben wieder heftig in ihr Taschentuch trompetete. Aber dann gab sie plötzlich doch so etwas wie eine Antwort.

    „Man darf bei diesem schrecklichen Wetter nicht die Nase vor die Tür stecken, ohne gleich etwas abzubekommen, stellte sie zunächst mürrisch fest und fügte dann völlig geistesabwesend hinzu: „Ja – also – er ist groß – ich glaube grau und sieht aus wie ein richtiger Wolf. Und am liebsten hat er getrocknete Fische ...

    „Getrocknete Fische – du guter Gott ..., murmelte Bessie mit starren Augen. „Da war vielleicht die Lehrerin mit ihrem Käse und ihren Zwiebeln doch noch angenehmer ...

    Eine Anfrage im Unterhause

    Es war wieder einige Tage später. Das House of Commons hatte eben eine sehr eingehende Aussprache über die Aufrüstung der See-, Land- und Luftstreitkräfte abgeschlossen, als sich noch ein Mitglied erhob.

    „The gallant member – der sehr tapfere Abgeordnete für Souths Down wünscht noch etwas vorzubringen", verkündete der Sprecher.

    Das Parlamentsmitglied, dem diese ehrende Anrede zukam, war ein verdienter alter Commodore, und man wußte, daß er stets dann ins Treffen geschickt wurde, wenn es um eine Sache ging, bei der es mehr auf die betreibende Persönlichkeit, als auf rednerische Wirkung ankam. Er entledigte sich seiner Aufgabe auch diesmal sehr kurz und bündig.

    „Ist der Regierung bekannt, stieß er mit seiner rauhen Seemannsstimme hervor, „daß vor einiger Zeit einem britischen Staatsangehörigen auf einem fremden Staatsgebiete eine Ausbeutungskonzession verliehen wurde, der in Anbetracht der Besonderheit und der Verwendungszwecke des betreffenden Vorkommens außerordentliche Wichtigkeit beizumessen ist? – Und gedenkt die Regierung – falls dies nicht schon geschehen sein sollte – raschestens Schritte zu unternehmen, um die wichtigen Interessen des Empires in dieser Angelegenheit zu wahren?

    Auf der Regierungsbank erhob sich sofort einer der jungen zukunftsreichen Unterstaatssekretäre und erwiderte darauf ebenso allgemein und vorsichtig:

    „Die Regierung kann nur nochmals die Versicherung abgeben, daß sie auf alles Bedacht nehmen wird, was für das vorgesehene Aufrüstungsprogramm irgendwie von Bedeutung sein könnte. Sie hat auch der erwähnten Angelegenheit bereits ihr Augenmerk zugewendet, und nur besonderen Umständen, die nicht an ihr liegen, ist es zuzuschreiben, daß sie heute dem Hause noch keine bestimmtere Erklärung abgeben kann."

    Schon die ersten Morgenausgaben der großen Blätter wurden in dieser Sache etwas deutlicher. Es handelte sich um ein äußerst reiches Molybdänvorkommen in Asien, das für die englische Stahlindustrie tatsächlich von größter Wichtigkeit war. Die Konzession hatte ein gewisser Thomas Wesley erworben, ein unternehmender Glücksritter großen Stils, der bereits wiederholt von sich reden gemacht hatte. Er war einmal hoch oben, einmal tief unten und nie ganz nüchtern. Während besonders arger Trunkenheitsperioden pflegte er oft monatelang zu verschwinden und sich in einem höchst fragwürdigen Zustande in den übelsten Spelunken irgendeines Anschwemmplatzes der Welt herumzutreiben.

    Eine solche Periode schien Thomas Wesley auch gegenwärtig wieder durchzumachen, denn er war nicht aufzufinden, obwohl die englische Regierung seit Wochen ihren den ganzen Erdball umspannenden Apparat in Bewegung hielt, um des Mannes mit den wichtigen Schürfrechten habhaft zu werden. Man hatte bisher lediglich ermitteln können, daß er vor ungefähr vier Monaten einige Tage in London geweilt hatte und dann mit einem eigenen Flugzeug allein nach einem unbekannten Ziel gestartet war.

    Seither fehlte jede Spur von ihm.

    Ein gefürchteter Mann erlebt eine peinliche Niederlage

    Mr. Roger Meraine, kurz Hodge genannt, war in Soho ein Mann von großem Einfluß, aber auch östlich und westlich von diesem Londoner Fremdenviertel hatte sein Name etwas zu sagen. Er betrieb, wie eine gediegene Firmentafel verkündete, ein sehr vielseitiges Maklergeschäft, dessen Erträgnisse es ihm gestatteten, auf großem Fuße zu leben und seine arbeitsreichen Tage allnächtlich im Kreise seiner zahlreichen Freunde und Freundinnen in gehobener Stimmung zu beschließen.

    An diesem Abend hatte die Gesellschaft eine kleine Bar gewählt, wo sie immer so ziemlich unter sich blieb, denn man wollte versuchen, Hodge endlich wieder ein bißchen aufzuheitern. Der breitschultrige Vierziger mit dem starken südländischen Einschlag zeigte sich nämlich seit kurzem auffallend übelgelaunt und von gefährlicher Reizbarkeit. Sogar Jozy Healy, eine heißblütige junge Irin mit wundervollem rotem Haar, hatte darunter zu leiden, obwohl sie sich bisher der besonderen Gunst des in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Mannes hatte erfreuen dürfen.

    Sie saß nun arg gekränkt und höchlich gelangweilt an seiner Seite, denn Hodge war auch heute aus seiner düsteren Stimmung nicht aufzurütteln. Zwischen seinen buschigen schwarzen Brauen stand eine böse Falte, und wenn er zuweilen die schweren Lider hob, lag in seinen verschleierten Augen ein wenig freundlicher Ausdruck. Er sprach kein Wort, trank aber sehr viel und rauchte ununterbrochen mit tiefen, nervösen Zügen.

    Nach etwa einer Stunde verirrte sich doch noch ein weiterer Gast in das Lokal. Er kam nichts weniger als gelegen und erregte daher besonderes Aufsehen. Der Fremde mochte etwa Dreißig sein, sah sehr gut aus und schien nach seinem von Luft und Sonne gedunkelten Gesicht und seiner sonstigen ganzen Art nicht zu der Gilde der Londoner Nachtbummler zu gehören. Er zeigte für die Runde um Roger Meraine nicht das geringste Interesse, sondern ließ sich an einem Tisch gegenüber nieder und gab gelassen seine Bestellung auf.

    Das Gespräch an der großen Tafelrunde verstummte fast völlig, denn die Dinge, über die man sich bisher unterhalten hatte, waren nicht für fremde Ohren bestimmt, und die unvermittelte Ruhe wirkte geradezu bedrückend; nur nicht auf die wirklich hübsche, feurige Miß Jozy Healy, die vielmehr plötzlich außerordentlich lebendig

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