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Spiegelgene
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Spiegelmagie versetzte Sekretärin Tanja in eine fremde Welt und in den Körper einer Auftragsmörderin, einer Saraud. Und ihrem Freund Richard ist es nicht besser ergangen. Doch gerade als Tanja glaubt, sich und Richard mit Hilfe der Magie ein neues Leben schaffen zu können, droht einem ihrer neuen Freunde der Tod.
Tanja braucht Verbündete, dringend. Und möglichst welche, die sich nicht untereinander zerfleischen. Dummerweise sind weder die dämonenhaften Karadimeo noch die menschlichen Magier geneigt, zusammenzuarbeiten, und erst recht sperren sie sich dagegen, dass ausgerechnet eine Saraud die Anführerin der Rettungstruppe sein soll.
Wie soll sie ihren Freund retten, wenn ihr zusammengewürfelter Haufen so unterschiedlicher Retter einander nicht vertraut? Und wenn, schlimmer noch, ihr Freund gar nicht gerettet werden will?

Der abschließende dritte Band der Spiegelzauber-Serie
LanguageDeutsch
Release dateApr 30, 2019
ISBN9783959591515
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    Spiegelgene - Bettina Ferbus

    978-3-95959-151-5

    1. Kapitel

    Ich sollte nicht hier sein. Es gab nichts, das mich hätte zwingen können, nach Tarheim zurückzukehren. Abgesehen von der Abenteuerlust der Saraud. Seit mich der Spiegelzauber in den Körper einer Angehörigen dieses Volks von Auftragsmördern versetzt hatte, lebte ich sozusagen auf Adrenalin. Mein altes ich, Tanja-die-brave-Sekretärin, wäre das Risiko niemals eingegangen, in Tarheim zu spionieren. Wozu auch? Meine Freunde warteten in einer sicheren, inzwischen sogar gemütlichen Sphäre auf mich – jener Sphäre, die ich mit der Hilfe meines ums Leben gekommenen Magierfreundes Xerion erschaffen hatte. Bei dem Gedanken an ihn durchfuhr mich ein scharfer Stich. Ich vermisste ihn immer noch.

    Leises Rascheln ließ mich zusammenzucken. Mein Blick glitt über die Bücherrücken. Dicke Schwarten reihten sich neben schmalen Bändchen. Manche waren ledergebunden, mit in Gold geprägten Titeln, andere in schlichtes Leinen gehüllt. Alle sahen aus, als kämen sie frisch aus der Druckerpresse. Bei einigen konnte ich die Tareen sehen, mit denen sie vor den Spuren von Gebrauch und Zeit geschützt wurden.

    Ich machte einen Schritt auf den Schrank zu, in dem die Bücher von Meister Uliaphon aufbewahrt wurden. Seit seinem Tod wagte niemand mehr, sie anzurühren. Die Zauberer hatten viel zu viel Angst vor ihnen. Durch die Magie hatten die Bücher eine Art Eigenleben entwickelt und mit ihm so etwas wie ein Bewusstsein.

    Es war schwer zu beschreiben. Mit Sicherheit dachten sie nicht wie ein Mensch. Das in ihnen geballt Wissen fühlte sich für mich eher an wie ein Bienenschwarm. Auch jetzt füllte ein beständiges Summen meinen Kopf. Ich ließ es geschehen. Es störte mich nicht, dass die Bücher meine Gedanken lasen. Schließlich schlugen sie im Gegenzug für mich nur allzu willig ihre Seiten auf und erlaubten mir, an den in ihnen gesammelten Informationen teilzuhaben.

    Ich öffnete die gläsernen Türen des Schranks und erneuerte dabei nebenbei die Tareen, die schädliche Einflüsse fernhielten und vor unerlaubtem Eindringen schützten. Das Summen der Bücher klang zufrieden, und als ich meine Finger auf die Einbände legte, vibrierten sie leicht. Es war, als würde man eine schnurrende Katze berühren. Ein schmales Werk schmiegte sich regelrecht in meine Hand. Es wollte aus dem Regal genommen werden. Ich tat ihm den Gefallen. Es klappte sofort auf. Ich überflog die vor mir liegenden Seiten. Das Buch hatte recht. Der abgebildete Zauber würde mein Problem lösen.

    Ich plante, die Bücher in die Sphäre zu bringen. Ihr Einverständnis konnte ich spüren. Sie wünschten sich, gelesen zu werden, wollten ihr Wissen teilen und nicht in einem Schrank vor sich hindämmern, selbst wenn sie vor dem Verstauben geschützt waren. Mein Problem jedoch war, dass ich nicht alle Bücher auf einmal mitnehmen konnte und die Bücher sich wiederum weigerten, sich voneinander zu trennen.

    Ich las die genaue Beschreibung des Zaubers und fluchte leise. Die Tareen mussten an den sich gegenüberliegenden Ecken des zu transportierenden Gegenstands angebracht und zur selben Zeit aktiviert werden. Doch der Schrank war zu groß. Egal, wie sehr ich mich drehte und streckte, meine Arme reichten bei weitem nicht weit genug. Ich versuchte, die Taree in die Luft zu zeichnen und sie zum andern Ende des Kastens zu werfen. Bei vielen Kampfzaubern funktionierte diese Technik. Die kleine Transporttaree löste sich jedoch auf, lange bevor sie ihren Bestimmungsort erreicht hatte.

    „Was …?"

    Ich wirbelte herum und riss einen Schild hoch. Der in meine Richtung geschleuderte Zauber verpuffte allerdings nicht wirkungslos, sondern wurde auf den Magier, der in der Tür stand, zurückgeworfen. Heißer Schrecken durchfuhr mich. Ich wollte nicht schon wieder töten. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den Abwehrzauber zurückgenommen, aber es war zu spät. Die reflektierte Taree traf den Magier mit voller Wucht.

    Doch er fiel nicht, krümmte sich nicht sterbend zusammen, und es lief ihm auch kein Blut aus Nase und Ohren. Er erstarrte bloß, als hätten sich unsichtbare Fesseln um seinen Leib gelegt. Seine Augen weiteten sich. Auf dem Flur wurden Stimmen laut. Ich versiegelte hastig mit einer weiteren Taree die Tür. Dann wandte ich mich wieder dem Zauberer zu. Er war Mitte oder höchstens Ende Zwanzig. Das Haar eisblau, die Augen leuchtend neongrün. Seine Robe wechselte hektisch die Farbe. Ein ganzer Regenbogen wogte in Wellen über den schimmernden Stoff. Auch wenn er seit unserer letzten Begegnung Haar- und Augenfarbe gewechselt hatte, erkannte ich ihn. Und er mich ebenfalls.

    „Du bist Deiristans Tarigi."

    Ich spürte eine Bewegung auf meinem Kopf.

    „Und du hast meine Drachen!"

    „Es sind nicht deine Drachen, Sepion. Sie gehören nur sich selbst."

    Ich wandte mich wieder den Büchern zu. Ein dicker roter Wälzer schob sich in meine Hand. Raschelnd fielen die Seiten auseinander. Ich las die Beschreibung der abgebildeten Taree durch und musste lächeln. Die Bücher lasen tatsächlich meine Gedanken. Mit diesem unscheinbaren Zeichen konnte ich die letzten Minuten aus Sepions Gedächtnis löschen. Aber zuerst musste ich einen Weg finden, die Bücher über die Dimensionsgrenzen hinweg in die Sphäre zu bringen.

    Gleich mehrere Bücher drängten aus den Regalen. Aber keine der vorgeschlagenen Tareen erlaubte es mir, als Einzelperson den ganzen Schrank mitsamt Inhalt zu transportieren. Bei einem Objekt dieser Größe war stets zumindest ein zweiter Zauberer erforderlich.

    „Du bist keine Tarigi."

    Oh, Sepion hatte erkannt, dass mein Intelligenzquotient den von Gemüse überstieg. Um mich in Tarheim frei als Saraud bewegen zu können, hatte ich den Magiern vorgespielt, dass an mir eine Art magische Lobotomie vorgenommen worden war. Jetzt sah ich keinen Grund, diese Scharade aufrecht zu erhalten. Mir war egal, was Sepion erfuhr. Er würde es sowieso wieder vergessen.

    „Was hast du vor?"

    „Einen Weg finden, die Bücher in die Sphäre zu bringen." Ich studierte eine weitere Taree, die von einem in hellbraunes Leder gebundenen Bändchen vorgeschlagen wurde. Aber auch sie musste an beiden Seiten des Schranks angebracht und gleichzeitig aktiviert werden und scheiterte somit an meiner mangelnden Armlänge. Ein schmierig grauer Wälzer bot mir Tareen für Körpermodifikation an. Aber ich war mir nicht sicher, ob sich die Veränderungen wieder rückgängig machen ließen und ich wollte auf keinen Fall für den Rest meines Lebens mit extralangen Armen herumlaufen.

    „Welche Sphäre?"

    „Die, in der wir leben."

    „Wer ist wir?"

    „Na, Deiristan, Sieelvie, Dorrla, Xapin, Xapion, Richard und ich. Wobei Deiristan und Sieelvie sich vor allem in Deiristans Haus aufhalten."

    „Und Xerion?"

    Ich erstarrte. Der Gedanke an ihn schmerzte immer noch. Ich vermisste ihn. Seinen Eifer, seine Kreativität, seinen Humor. Ich drehte mich zu Sepion herum.

    „Er ist tot."

    Sepions Miene verdüsterte sich. „Hast du deshalb die Wachen getötet? Das warst doch du – oder? Wer sonst sollte den Saraud befreien wollen."

    „Nicht deshalb. Ich habe lediglich den gleichen Schild benützt wie gerade eben, als sie uns angriffen. Meine Kehle war trocken. Das Sprechen fiel mir schwer. Ich musste es ihm nicht sagen, war Sepion keine Antwort schuldig. Dennoch hatte ich irgendwie das Bedürfnis es auszusprechen. Die Tatsache, dass er alles, was ich sagte, bald wieder vergessen würde, machte es ein wenig einfacher. „Ich habe zu spät bemerkt, dass Xerion nicht innerhalb des Schildes war. Er wurde mit voller Wucht getroffen.

    „Und die Wachen wurden von ihrem eigenen Zauber getötet, weil der Schild reflektiert."

    „Dieser Schild benötigt am wenigsten Energie. Schilde, die resorbieren, sind wesentlich schwerer aufrechtzuerhalten und zu kontrollieren. Aber ich habe bereits angefangen, mit verschiedenen Schilden zu üben."

    Sepion spitzte nachdenklich den Mund. „Wenn die Wachen also einen Fesselungszauber statt eines Tötungszaubers benutzt hätten, hättest du sie dann auch getötet?"

    „Natürlich nicht!" Ich war entrüstet. Wie konnte er nur annehmen, ich würde wehrlosen Menschen Schaden zufügen?

    „Du hättest sie gefesselt zurückgelassen."

    Ich nickte, wünschte mir, sie hätten einen Fesselungszauber verwendet. Dann würden sie noch leben und Xerion ebenfalls.

    „Und was hast du mit mir vor? Du würdest wohl kaum so frei sprechen, wenn du vorhättest, mich einfach zurückzulassen."

    Ich schnaubte. „Keine Sorge. Du wirst zehn oder fünfzehn Minuten deines Lebens vergessen. Das ist aber auch schon alles. Vorausgesetzt ich brauche nicht noch eine halbe Stunde, um herauszufinden, wie ich diesen verdammten Schrank mitnehmen kann."

    Ein Rascheln ging durch die Bücher und die Schranktüren klapperten leise.

    „Entschuldige. Natürlich bist du kein verdammter Schrank, sondern ein ganz wunderbarer, der auf die Bücher aufpasst."

    Das Klappern verstummte.

    „Du redest mit einem Schrank?"

    „Offensichtlich." Konnte er nicht endlich den Mund halten? Es war auch ohne jemanden, der ständig quatschte, schwer genug, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.

    „Du warst in den letzten Wochen regelmäßig hier, nicht wahr?"

    „Ja." Ich machte keinen Versuch meine Ungeduld zu verbergen, sodass meine Stimme scharf klang.

    „Du hast die Bücher beruhigt und die Tareen erneuert!"

    „Die Tareen erneuert auf jeden Fall. Ob ich auch die Bücher damit beruhigt habe, weiß ich nicht."

    „Doch, das hast du, denn von meinen Kollegen war es mit Sicherheit niemand. Sie fürchten Meister Uliaphons Bücher. Es war sogar die Rede davon, sie zu vernichten."

    „Nein!" Mein Entsetzen spiegelte sich im hektischen Rascheln der Bücher. Die Wände des Schranks schienen mit einem Mal dicker, das Glas wurde beinahe undurchsichtig.

    „Keine Sorge. Sie haben sich dazu entschlossen, den Raum endgültig zu versiegeln. Es könnte jedoch sein, dass auch du dann den Raum nicht mehr betreten kannst. Egal, auf welche Weise du das machst."

    Noch ein Grund mehr, die Bücher mitsamt ihrem Schrank heute noch mitzunehmen.

    „Auch ich möchte nicht, dass die Bücher hier eingeschlossen werden. Es wäre schade um all das Wissen. Ich könnte dir beim Aktivieren der Taree helfen. Wenn du mir dafür mein Gedächtnis lässt. Du kannst sicher sein, dass ich niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen verrate."

    Ich drehte mich zu Sepion um und zog die Brauen hoch. „Warum sollte ich dir vertrauen?"

    „Ich bin bereit, einen Loyalitätsschwur zu leisten."

    Hinter mir hörte ich das Geräusch von Leder auf Leder, als sich ein Band halb aus dem Regal schob. Ich drehte mich um, nahm das Buch in die Hand und las die Seite, auf der es sich aufschlug. Die Taree war simpel und absolut bindend. Wichtig war nur die lückenlose Formulierung, ähnlich wie bei der Beschwörung eines Karadimeo.

    „Gut, sagte ich. „ich wähle die Formulierung. Du bestätigst sie. Wenn du sie auch nur im Mindestens veränderst, ist unsere Vereinbarung null und nichtig.

    „In Ordnung." Sepion straffte sich, soweit dies trotz der magischen Fesseln möglich war.

    „Warum willst du das überhaupt tun?"

    „Ich will nicht vergessen. Im Gegenteil. Ich würde gerne mehr erfahren. Wenn du damit einverstanden bist, könnte ich deine Augen und Ohren in Tarheim sein. Und du erzählst mir im Gegenzug ein bisschen über euch."

    Ein verlockendes Angebot. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Besuche in Tarheim einzustellen, sobald die Bücher sicher waren. Doch der Gedanke, nicht mehr zu wissen, was in Tarheim vorging, bereitete mir Unbehagen. Sepions Angebot minimierte das Risiko. Ich musste dann nur sein Labor besuchen, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Natürlich konnte mich auch dort jemand entdecken, die Wahrscheinlichkeit war jedoch deutlich geringer, als wenn ich mich an anderen Orten in Tarheim aufhielt.

    „Einverstanden."

    Ich ließ ihn unter dem Einfluss der Loyalitätstaree schwören, dass er weder mich noch meine Freunde in Gegenwart anderer Zauberer erwähnen und auch nichts sagen oder tun würde, dass mir oder meinen Freunden zum gegenwärtigen Zeitpunkt oder in einer nicht näher definierten Zukunft Schaden zufügen könnte. Die kleine Taree sank in seine Haut und verblasste. Selbst wenn man wusste, wo sie war, ließ sie sich kaum noch erkennen, da ich sie im Muster eines seiner zahlreichen Tattoos verborgen hatte. In diesem Fall war es ein Vorteil, dass die innovativen Magier ständig irgendwelche Veränderungen an ihren Körpern vornahmen.

    Manchmal kamen sie mir wie schillernde Paradiesvögel in einem Nest voller Krähen vor.

    „Auf drei aktivierst du die Taree an deinem Ende des Schrankes. Gleichzeitig aktiviere ich sie auf meiner Seite und springe."

    „Eine Frage noch."

    „Was denn?" Ich zappelte ungeduldig herum.

    „Ihr wohnt tatsächlich in einer Sphäre?"

    „Zum Schlafen ist den meisten von uns Deiristans Haus lieber. Wir haben es mitsamt seiner Umgebung entrückt."

    „Ach, deshalb konnte ihn niemand dort finden." Sepion nickte verständig.

    Von Berebor erzählte ich nichts. Er musste nicht wissen, dass wir auch dieses wunderbare Land entrückt und damit dem Zugriff Tarheims entzogen hatten. Als Gegenleistung versorgten uns seine Bewohner mit Lebensmitteln. Mit seinem milden Klima und dem üppigen Grün kam mir dieses Land immer wie ein Vorzeige-Ferienort vor. Einzig die Verehrung der Bewohner behagte mir nicht sonderlich. Andere hätten es vielleicht genossen, in einen göttergleichen Status erhoben zu werden, mir war es unangenehm.

    Ich konnte Sepion ansehen, dass er weitere Fragen auf der Zunge hatte. Der Blick, den ich ihm zuwarf, sollte jedes weitere Wort ersticken. Ich musste dringend zurück, hatte mich schon viel zu lange in Tarheim aufgehalten. Der Blick tat seine Wirkung. Sepion schluckte und hob seinen Zauberstab.

    „Eins … zwei … drei!"

    Die Taree glühte zartviolett. Ein seltsames Zittern erfasste den Schrank und mich. Während ich sprang, überkam mich die Angst, dass der Schrank auf mich fallen könnte. War ich wirklich in der Lage, so präzise zu landen, dass er nicht ins Wanken kam? Mir blieb keine Zeit, weitere Überlegungen anzustellen. Ehe ich es mich versah, materialisierte sich die vertraute blaue Unendlichkeit der Sphäre vor meinen Augen. Der Schrank stand irgendwo im Nirgendwo. Aber er stand. Die Bücher raschelten aufgeregt. Ich hätte ihn auch näher an den bewohnten Teil heranbringen können, aber ich wusste nicht, wie die anderen auf meinen Alleingang reagieren würden. Nicht besonders gut vermutlich.

    Am besten würde es sein, den Schrank zu verstecken. In der blauen Unendlichkeit der Sphäre war er von weitem sichtbar. Ich hob den Arm und zückte meinen Zauberstab, um ihn mit einer Illusionstaree vor den Augen anderer zu verbergen.

    Eine Hand, die sich schwer auf meine Schulter legte, ließ mich zusammenfahren. Ich wirbelte herum, bereit, mich zu verteidigen.

    2. Kapitel

    Mir war bewusst, dass ich mich verändert hatte. Und zwar nicht nur äußerlich. Dieser Körper war nicht nur jünger als mein ursprünglicher, sondern auch agiler, wendiger, machte mich rastlos und trieb mich dazu, Dinge zu tun, die meinem alten Tanjaselbst Albträume beschert hätten.

    Auch Richard hatte sich verändert. Durch den Spiegelzauber ebenso wie ich aus dem ursprünglichen Körper gerissen und in den eines Saraud versetzt zu werden, ging eben nicht spurlos an einem vorüber. Mein gemütliches Bärchen, Ruhepol meines Lebens, Anker und Fels in der Brandung in allen Lebenslagen, war zum Tiger mutiert. Nein, das stimmte nicht ganz. Er hatte eher etwas von einem Wolf.

    Immer noch liebte er die Geselligkeit, doch nun hielt er mit strenger Hand sein Rudel beisammen. Seine Gefühle für mich waren unverändert, nur, dass er sie deutlich stärker ausdrückte. Er überschüttete mich mit Zärtlichkeiten, vielleicht sogar mehr noch als früher, denn er war offensiver geworden. Auch bei anderen … nun, sozialen Interaktionen in einer partnerschaftlichen Beziehung. Die Saraud in mir lachte, während sich die Reste des alten Tanjaselbst wanden und versuchen, nicht daran zu denken, dass Deiristan mir in einem stillen Moment eine Taree gezeigt hatte, mit der ich einen Raum vorübergehend schalldicht machen konnte.

    „Findet vor allem in Kriegszeiten Anwendung, ist aber auch in anderen Situationen ganz praktisch." Mit einem vielsagenden Grinsen hatte er auf die Tür zu unserem Schlafzimmer gedeutet.

    Ich hasste diese Momente, wenn mir mein Schamgefühl die Röte ins Gesicht trieb, während die Saraud in mir sich köstlich über meine Prüderie amüsierte. Sie störte es überhaupt nicht, dass Richard und ich von den anderen Bewohnern des Hauses gehört worden waren. Sie störte es auch nicht, dass es mich immer wieder nach Tarheim zog. Die damit einhergehende Gefahr verschaffte ihr einen Kick. Sollten die Zauberer mich jemals in ihre Finger bekommen und dann auch noch herausfinden, dass ich keine Tarigi war, würden sie sehr schnell dafür sorgen, dass aus dem Schein Wirklichkeit wurde. Mein Tanjaselbst geriet allein bei dem Gedanken an die Taree, die mein Gehirn innerhalb von Sekunden in Brei verwandeln konnte, in Panik, sodass sich Atmung und Puls beschleunigten.

    Nun eine Hand auf meiner Schulter zu spüren, beschleunigte meine Atmung nicht, sondern ließ sie aussetzen. Ich fuhr herum. Doch es war nicht Richard, der hinter mir stand. Auch nicht Deiristan. Rote Augen starrten mich aus dem schwarzen Gesicht Mazemadarans an. Seine massige Gestalt ragte über mir auf. Der Karadimeo, den ich bei unserer ersten Begegnung für eine Art Dämon gehalten hatte und dessen Heimatdimension mit ihre schwarzen und roten Felsen, den leuchtenden Schwefelseen und den unzähligen Vulkanen viele Menschen tatsächlich für eine Art Hölle halten würden, musterte mich streng. Seine Haut schimmerte im bläulichen Licht der Sphäre. Er neigte den Kopf. Waren seine Hörner immer schon so lang und spitz gewesen? Oder verlieht ihnen mein plötzlich aufwallendes Schuldgefühl eine besondere Länge?

    „Was ist das?" Er deutete auf den Schrank.

    Der Saraud in mir verdankte ich es, dass ich ihn frech angrinsen konnte. „Ein Bücherschrank", erwiderte ich kühl.

    „Das sehe ich. Mazemadaran verzog das Gesicht, sodass seine spitzen Zähne sichtbar wurden. „Ich frage mich jedoch, wie er hergekommen ist.

    „Ach das! Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Den habe ich mitgebracht. Es ist doch wirklich genug Platz in der Sphäre.

    „Und woher stammt er?"

    Ich hatte noch immer zu viel von der ursprünglichen Tanja in mir, um ihm direkt ins Gesicht zu lügen. Die Saraud jedoch verlieh mir die nötige Courage, um die Antwort auch auszusprechen, obwohl mein Tanjaselbst am liebsten stumm geblieben wäre. „Ich habe ihn aus Tarheim mitgebracht."

    „Du warst also wieder in Tarheim."

    „Klar." Ich reckte das Kinn. Frechheit siegte oft genug. Warum also nicht auch in diesem Fall?

    „Warum gehst du dieses Risiko ein? Nur wegen ein paar Büchern?"

    Die Bücher raschelten protestierend. Ich legte beruhigend eine Hand auf den Schrank. „Es sind nicht nur einfach ein paar Bücher. Das hier ist gesammeltes magisches Wissen, das eines Tages auch deinen Arsch retten könnte."

    Hättest du nicht Kopf sagen können, beschwerte sich das Tanjaselbst. Aber momentan hatte die Saraud das Ruder in der Hand. Das schlug sich auch in meiner Sprache nieder.

    Mazemadaran schüttelte ungläubig seinen Kopf.

    Ich verschränkte die Hände vor der Brust und hob das Kinn. „Einem dieser Bücher hast du es zu verdanken, dass du nicht mehr beschworen werden kannst."

    Stolz schob sich ein Band nach vorne. Ich öffnete die gläserne Schranktür und nahm ihn heraus. Sanft streichelte ich den Einband, als würde ich einen braven Hund loben.

    „Hier drin findest du die Taree, mit der ich deinen neuen Namen in deinem Inneren verankern konnte."

    Mazemadarans Gesicht wurde zuerst ausdruckslos, dann zunehmend freundlicher. Er hatte es zutiefst gehasst, beschworen zu werden. Offiziell wurde er immer noch Mazemadaran genannt, doch sein wahrer Name, der die Beschwörung eines Karadimeo ermöglichte, war nun ein anderer. Da niemand außer ihm selbst diesen Namen kannte, gab es auch keine Möglichkeit mehr, ihn zu beschwören.

    „Du hast die Taree gezeichnet." Er sah mir direkt in die Augen.

    Ich hielt das Buch hoch. „Ohne dieses Buch hätte ich nicht gewusst, was ich zeichnen soll."

    Endlich wirkte er überzeugt. „Aber jetzt hast du deine Bücher. Jetzt musst du nicht mehr zurück."

    Das musste ich tatsächlich nicht. Aber bereits in diesem Moment konnte ich die Verlockung spüren. Einen Informanten in Tarheim zu haben, war wie ein neues Spielzeug. Und ich fühle mich wie ein Kind, dem verboten wurde, das eben bekommene Geschenk auszuprobieren. Ich konnte Mazemadaran dieses Versprechen nicht geben.

    „Ich muss nach Berebor. Xapin wartet sicher schon auf mich."

    „Tanja!" Mazemadarans Stimme klang mir noch in den Ohren, während ich zum Spiegel sprang.

    Xapin wartete tatsächlich schon auf mich. Xerions kleiner Bruder war dünner geworden. Manche Menschen aßen mehr, wenn sie trauerten, bei ihm war das Gegenteil der Fall. Einzig die frischen Früchte in Berebor schien er hinunterzubekommen. Ein Grund mehr, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitzunehmen.

    Ich schnappte ihn ohne Worte an der Hand und zog ihn mit mir durch den Spiegel. Warme Luft und Vogelgezwitscher begrüßten uns. Einige Augenblicke lang beäugte ich misstrauisch den Spiegel, aber Mazemadaran folgte uns nicht. Er benützte die Transportspiegel nur ungern und wir hatten festgestellt, dass wir außerhalb von Karadimien nur springen konnten, wenn sich einer von uns in Mazemadarans Heimat befand.

    Ich atmete auf. Xapin sah mich fragend an. Ich schüttelte nur den Kopf. Er wandte den Blick nicht ab. Zum Glück regten sich nun die Drachen in meiner Kapuze. Sie kletterten auf meinen Kopf, zwitscherten und tschilpten mit den Vögeln um die Wette. Dann erhoben sie sich in einem wilden Tanz in die Luft.

    Sie freuten sich immer, in Berebor zu sein. Diesmal jedoch waren sie noch aufgeregter als sonst. Ihre Kreise waren wilder, ihre Saltos spektakulärer. Mehrmals krallten sie sich aneinander und trudelten in rascher Abfolge die Farben wechselnd zu Boden, nur um sich kurz vor dem Aufprall abzufangen und gemeinsam wieder in die Luft zu erheben, wo sie wieder das Violett meines Umhangs annahmen. Wenn sie in meiner Nähe waren, behielten sie meist diese Farbe bei, sodass ich manchmal vergaß, dass sie Chamäleondrachen waren, die sich perfekt ihrer Umgebung anpassen konnten – oder eben in allen Regenbogenfarben schillernd durch die Luft schossen.

    Normalerweise kehrten sie nach ein paar Minuten zu mir zurück und ließen sich auf meinen Schultern nieder, doch diesmal verschwanden sie im Geäst des Baumes, und ihre Laute verschmolzen mit denen der Vögel. Egal, wir würden sowieso wieder hierher kommen, um durch den Spiegel zurückzureisen. Sollten die beiden nur inzwischen ihren Spaß haben.

    Ich machte mich mit Xapin auf den Weg. Überall, wo wir kränkliche Pflanzen sahen, ließen wir ein wenig Magie in

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