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Robin Hood: Die Legende aus dem Sherwood Forest
Robin Hood: Die Legende aus dem Sherwood Forest
Robin Hood: Die Legende aus dem Sherwood Forest
Ebook485 pages6 hours

Robin Hood: Die Legende aus dem Sherwood Forest

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About this ebook

Robert of Huntingdon lebt auf der Burg von Nottingham, doch es fällt ihm schwer, sich der Ordnung der normannischen Eroberer anzupassen. Als er eines Tages erfährt, wer er wirklich ist, kann nichts mehr so bleiben, wie es war. Für Robert gibt es keinen anderen Weg als sich gegen den Sheriff zu erheben. Er flieht in den Sherwood Forest und wird bald zu Robin Hood, dem mutigen und waghalsigen Anführer der Gesetzlosen. Sein Kampf gegen den Sheriff und Guy of Gisborne verlangt ihm alles ab - und macht ihn schließlich zur Legende.
LanguageDeutsch
Release dateMay 8, 2019
ISBN9783749459711
Robin Hood: Die Legende aus dem Sherwood Forest
Author

Anna Eibholz

Anna Eibholz wurde 1976 in Bayern geboren. In ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit im Wald, um dort das Leben ihres Helden, Robin Hood, nachzuspielen. Daraus entstand auch die vorliegende Geschichte, denn auch während des Studiums der Anglistik und Skandinavistik in München und Norwich ließ sie das Thema nicht los. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern in Oberbayern und hat zumindest die Leidenschaft fürs Bogenschießen an ihre Kinder weitergegeben.

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    Book preview

    Robin Hood - Anna Eibholz

    Inhaltsverzeichnis

    Teil I: Sherwood Forest

    Teil II: Nottingham

    Teil III: Legenden

    Teil I

    Sherwood Forest

    Langsam senkte sich die Dämmerung auf die mächtigen Kronen der alten Eichen. Die Vögel piepsten ihre letzten Abendgesänge, dann wurde es still im Sherwood Forest.

    Nur auf einer Lichtung, tief im dunkelsten Teil des Waldes, war noch etwas zu hören. Dort prasselten unter den breit gefächerten Ästen einer besonders großen und starken Eiche Lagerfeuer, um die sich an die zwanzig Männer scharten. Es waren raue Männer, denen Trauer und Verzweiflung, aber auch Mut und Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben standen.

    Unter ihnen war auch Alan a’Dale, ein Spielmann, der eifrig an seiner Laute zupfte und sie zu stimmen versuchte. Nach einer Weile schaute ein missmutig dreinblickender junger Mann den Spielmann mit seinen tiefliegenden, blauen Augen böse an und sagte: „Verdammt, Ruhe, Alan. Ich schmeiß das Ding sonst ins Feuer!" Man glaubte ihm jedes Wort.

    Doch der blonde Sänger legte nur sorgsam sein Instrument zur Seite, setzte sich gemächlich zurecht und meinte friedlich: „Du hattest gar keinen Grund so ausfallend zu werden, Will, ich bin gerade fertig."

    „Endlich!", knurrte Will wütend.

    „Versteh’ ich nicht. Wieso regt der sich so auf? Ist doch überhaupt nicht wichtig!, meldete sich jetzt ein riesiger, bärtiger Kerl zu Wort. „Es gibt Schlimmeres. Ich zum Beispiel hab‘ jetzt Hunger!

    Er stand auf und ging zu einer Hütte neben der Eiche. Lachend rief ihm Alan nach: „Ein Wunder, Little John! Du bist hungrig? Wann hat es das denn das letzte Mal gegeben?" John brummte etwas Unverständliches und verschwand in der Hütte.

    Nach einer Weile kam er wieder heraus, eine große Hirschkeule in der Hand, die er auf einen Spieß steckte und anfing, sie über dem Feuer zu drehen.

    „Das... isst du aber nicht... alleine, oder?", fragte Much, der Müllerssohn, der mit seinen 14 Jahren der Jüngste unter den Männern war.

    Doch sie bekamen alle etwas ab, und in diesem Augenblick waren sie froh darüber, so frei im Wald leben zu können. Bis hierher in den tiefen Sherwood drang die grausame Herrschaft der Normannen nicht vor. Doch sie war der Grund dafür, dass sie dieses Leben als Geächtete, Gesetzlose führen mussten. Jeder von ihnen hatte eine böse Erfahrung mit den Normannen gemacht: Den einen hatten die Forstleute erwischt, als er einen Hasen schoss, um seine Familie durch den Winter zu bringen; der andere hatte die viel zu hohen Steuern nicht mehr zahlen können; wieder ein anderer hatte sich zur Wehr gesetzt, als man ihm seine Frau für einen der Adligen nahm. So hatte jeder seine Geschichte, und von Tag zu Tag wurden es mehr, die sich auf der Lichtung unter der großen Eiche versammelten.

    Allesamt waren es einfache Leute, Bauern und Handwerker, die Schutz suchten im tiefen Wald, fernab von den großen Straßen und Städten. Und sie führten ein freies und wildes Leben, ernährten sich vom Wild des Königs und schliefen im Sommer unter freiem Himmel, im Winter in Hütten und Erdhöhlen im Wald. Die Furcht vor der Blutherrschaft der Normannen hielt sie zusammen.

    Als das Mahl zu Ende war, wurden die Männer still, starrten ins Feuer und hingen ihren traurigen Gedanken nach. Alan a’Dale, der fahrende Sänger, versuchte, sie mit ein paar lustigen Liedern wieder aufzuheitern, aber als auch das nichts half, legte er seufzend seine Laute weg und sagte: „Aye, Männer, was ist los mit euch? Ihr seid doch sonst nicht so trübselig! Warum macht ihr so lange Gesichter? Singt und seid fröhlich, so wie ich es bin!"

    „Halts Maul", fuhr ihm der missmutige Will grob ins Wort. „Gibt nichts zu Lachen. Das verstehst du nicht. Bist frei. Kannst überall deine Lieder singen."

    Alan grinste darauf nur spöttisch. „Ist es dir wieder einmal geglückt, alle mit deiner schlechten Laune anzustecken, Will! Darin schlägt dich keiner! Etwas ernster geworden fügte er hinzu: „Und was die Freiheit anbelangt, könnt ihr euch doch wirklich nicht beklagen! Ihr könnt schließlich auch tun und lassen, was ihr wollt! Ihr seid keinem Herrn verpflichtet, müsst Euch nicht um Haus und Hof kümmern, ihr seid völlig ungebunden hier im grünen Wald!

    „Aber das... fehlt uns doch..., entgegnete Much, dem Tränen in den Augen standen. „Die Eltern... ein... Zuhause... Einige der Männer kicherten. Doch John legte Much beruhigend den Arm um die Schultern und sagte tröstend: „Aber wenn morgen in unserem Wald die Sonne scheint und die Vögel singen, geht es uns schon wieder besser, was?"

    Und als ob das ein Stichwort gewesen wäre, begannen die Männer, die Feuer zu löschen und es sich mit Decken und Fellen unter den Bäumen bequem zu machen.

    So wurde es endgültig still im großen Sherwood Forest, und das Wild zog auf die mondbeschienenen Waldwiesen um zu äsen. Plötzlich hob einer der Hirsche den Kopf und lauschte. Seine feinen Ohren hatten ein ungewöhnliches Geräusch wahr-genommen. Misstrauisch sog er die frische Nachtluft ein, stieß dann einen warnenden Laut aus und verschwand mit seiner Herde fast lautlos von der Lichtung.

    Einige Zeit später stolperte ein junger Mann aus dem Gebüsch. Im Mondlicht sah er so bleich aus, dass man ihn fast für ein Gespenst halten konnte. Aus den großen blauen Augen - fast zu groß für das abgemagerte Gesicht - sprachen Müdigkeit, Hunger und Erschöpfung. Seine Kleidung führte das Bild des Elends weiter. Jedoch nicht ganz: Obwohl Umhang und Hose recht schmutzig und zerschlissen aussahen, konnte man doch erkennen, dass sie aus teurem Stoff gefertigt waren, und die Stiefel an seinen Füßen waren aus festem, gut gegerbtem Leder.

    Er blieb einen Augenblick am Rand der Lichtung stehen und schaute sich um. Ihm wurde klar, dass er schon wieder zu unvorsichtig die Deckung des Dickichts verlassen hatte.

    „Du darfst nicht vergessen, dass du verfolgt wirst", dachte er bei sich. Doch eigentlich war er zum Denken schon viel zu müde. Er gähnte und sah sich nach einem geeigneten Platz zum Schlafen um. Viel Auswahl gab es nicht, und so legte er sich auf ein Moospolster zu Füßen einer großen Buche, wickelte sich in seinen Umhang und war bald eingeschlafen.

    Vor Kälte zitternd erwachte er in den frühen Morgenstunden, obwohl es noch dunkel im Wald war. Feuchte Nebelschwaden lagen auf der Lichtung. Er setzte sich auf und zog seinen Umhang enger um sich. Doch das schützte ihn auch nicht mehr vor der nasskalten Luft. Er hatte Hunger und Durst. In der Hoffnung, irgendwo auf eine Quelle zu stoßen, stand er auf und lief los.

    Nachdem er eine Weile gegangen war, fand er einen Tümpel, auf dem sich der erste Sonnenstrahl des neuen Tages spiegelte. Er kniete nieder und trank, doch das Wasser schmeckte bitter nach dem Laub vom letzten Herbst. „Besser als verdursten, seufzte er und trank mit verzogenem Gesicht ein paar Schlucke. Dann wanderte er weiter. Zwei Tage lang war er jetzt schon im Sherwood unterwegs. Und er fragte sich, wie weit er wohl noch gehen musste, bis er endlich ins tiefste Herz des Waldes vorgedrungen war. „Ich hätte nie gedacht, dass der Sherwood so riesig ist. Aber vielleicht laufe ich ja auch genau an der Mitte vorbei. Dann finde ich die Gesetzlosen nie!

    Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Er sprang mit einem Satz hinter den dicken Stamm einer Buche und spähte vorsichtig in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. Doch er konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. Nach einer Weile ging er weiter, lauschte aber misstrauisch auf die Laute im Wald. Noch oft meinte er, hinter sich Rascheln von Laub oder das Knacken kleiner Zweige am Boden zu hören. Aber sobald er in Deckung ging und sich umschaute, war es totenstill. Nur die Vögel, die immer munterer wurden, zwitscherten lustig.

    Während er so durch den Wald wanderte, änderte sich langsam die Landschaft um ihn. Die Bäume rückten näher zusammen, und die mächtigen, ineinander verschlungenen Eichen sahen aus, als hätten sie da schon gestanden, bevor der erste Mensch auf der Erde lief. Zwischen ihnen wuchsen Farne und Gestrüpp wie eine Wand, und die ausgetretenen Wege im lichteren Wald wichen schmalen Pfaden, die nur noch vom Wild begangen wurden, wie es schien. Der Gesang der Vögel wurde seltener, und die üblichen Geräusche des Waldes verstummten. Er hatte die Grenze zum ‘Geisterwald’ überschritten, wie er vom abergläubischen Volk genannt wurde. Niemand wagte sich sonst so tief in den Wald, denn es gab schlimme Geschichten über ein Geisterpferd, das jeden unbefugten Wanderer zu Tode hetzte. An all dies dachte er jetzt jedoch nicht. Er war nur froh, nun doch zur Mitte des Sherwood Forest gekommen zu sein, und er hoffte, nicht mehr allzu weit laufen zu müssen, denn er war nun so erschöpft, dass er nur noch vorwärts stolperte.

    Mittlerweile war es ganz hell geworden, und das Sonnenlicht fiel gedämpft durch das grüne Blätterdach und malte Kringel auf den braunen Waldboden. Da traten plötzlich die Bäume auseinander und er stand am Rand einer Lichtung, in deren Mitte eine große Eiche stand. Vor ihm plätscherte ein kleiner Bach, und der Pfad führte über einen mannsbreiten Baumstamm weiter.

    Gerade als der junge Mann seinen Fuß auf den Stamm setzte und hinübergehen wollte, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein riesiger, bärtiger Kerl auf der anderen Seite auf und versperrte ihm den Weg. Er wirbelte einen beeindruckenden Fechtstock herum, setzte ihn dann auf dem Stamm ab und stützte sich darauf. Er musterte den Fremden genau, und schließlich sagte er: „Hier geht’s nicht weiter!"

    „Lass mich durch, Freund. Ich bin schon seit zwei Tagen auf der Suche nach den Gesetzlosen, die hier irgendwo hausen sollen, und..."

    „Ich bin nicht dein Freund, unterbrach ihn der Riese, der niemand anderes war als Little John, grob. „Wer durch den Sherwood läuft, muss Wegzoll zahlen. Das hast du nicht,

    „Nein, antwortete der Fremde. „Ich habe keinen Wegzoll gezahlt. Aber es hat mich auch niemand darum gebeten, und jetzt...

    „Oho, du möchtest erst artig gebeten werden, was?, schnitt ihm Little John wieder das Wort ab. „Na gut, dann bitte ich Euch jetzt ehrerbietigst darum, gnädiger Herr.

    John machte eine spöttische Verbeugung und streckte abwartend seine Hand vor, um den Wegzoll entgegenzunehmen.

    Hinter dem Fremden ertönte Gelächter. Erschrocken drehte er sich um. Er war so auf den bärtigen Kerl mit dem Stock konzentriert gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sich hinter ihm auf dem Pfad um die zehn weitere wild aussehende Männer aufgebaut hatten und ihm den Rückzug abschnitten. Sie standen breitbeinig und bis an die Zähne bewaffnet da und lachten schallend über den Witz ihres Anführers.

    „Ich warte, gnädiger Herr!", rief der Riese mit höhnischem Lachen.

    Der Fremde drehte sich wieder zu ihm um. Auch hinter dem Riesen waren jetzt einige Männer aus den Büschen getreten und standen breit grinsend da. Alle musterten den Fremden erwartungsvoll. Der spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Sie hatten ihn in einen Hinterhalt gelockt und ließen ihn nicht erklären, was er eigentlich wollte!

    „Ich bin kein Herr! Und ich habe nichts bei mir, mit dem ich zahlen könnte", entgegnete er laut.

    Da griff jemand hart sein linkes Handgelenk und riss die Hand hoch: „So?, fragte ein missmutig aussehender Kerl. „Und das?

    „Nicht auch das noch, dachte der junge Mann. „Nicht diesen Ring!

    Wütend riss er seine Hand los und sagte laut: „Dieser Ring ist mir teuer. Den gebe ich nicht her!"

    Die Männer, die sich denken konnten, um was für einen Ring es sich handelte, brachen wieder in unmäßiges Gelächter aus.

    „Teuer, soso! Das wär‘ er uns auch, glaub‘ mir, sagte Little John hämisch. „Her damit!

    Der junge Mann schüttelte stur den Kopf.

    „Wenn ich dir aber drohe, dich ein bisschen zu verprügeln? Er wirbelte wieder seinen Stock durch die Luft, bei dessen Anblick es dem Fremden ziemlich mulmig wurde. Aber er sagte fest: „Auch dann gebe ich den Ring nicht her.

    „Na, das wollen wir doch mal sehen! John packte den Stock fester und machte einen Schritt auf ihn zu. Der Fremde war fest entschlossen, sich den Ring um keinen Preis abnehmen zu lassen. Also schrie er: „Halt an, Bursche! Findest du es nicht feige, mich zu verprügeln, ohne dass ich mich wehren kann? Und zu den anderen gewandt rief er: „Gebt mir einen von euren Stöcken!"

    Die Männer schauten Little John erwartungsvoll an. Der war ganz baff ob der Dreistigkeit seines jungen Gegners. Der Kleine wagte es, ihn feige zu nennen, obwohl er hoffnungslos einer Überzahl ausgeliefert war! Schneid hatte er, das musste John ihm lassen.

    „Gut, gut, gebt ihm nur einen Stock. Mit so einem Normannensprössling werd‘ ich allemal fertig", antwortete er.

    Ein rothaariger Junge warf dem Fremden seinen Stock zu. Er fing ihn auf und wog ihn in den Händen, um sich mit dem Gewicht vertraut zu machen.

    Und schon sprang John auf ihn zu und ließ einen mächtigen Schlag auf ihn herniedersausen. Er konnte ihn gerade noch mit dem über den Kopf gehaltenen Stock abfangen. Es war sofort klar, dass er der Stärke dieses Kerls nichts entgegensetzen konnte, zumal er nach den Anstrengungen der letzten Tage längst nicht bei ganzer Kraft war. Aber da sie auf dem Stamm über dem Bach kämpften, hatte er immerhin einen Vorteil durch seine Wendigkeit und Trittsicherheit. Also verlegte er sich aufs Ausweichen. Als John seinen Stab seitlich auf ihn zu sausen ließ, duckte er sich blitzschnell, und bevor John nach dem Schlag das Gleichgewicht wiederfand, schlug er ihn so fest er konnte in die Rippen. Der Riese wankte und wäre um ein Haar in den Bach gestürzt.

    Als John wieder sicher stand, grinste er breit und sagte: „Eins zu Null für dich, Kleiner!"; und bevor der Fremde, der sich keuchend auf seinen Stab stützte, richtig reagieren konnte, bekam er Johns Stock mit voller Wucht in die Seite. Er biss die Zähne zusammen um nicht laut aufzuschreien, schwankte, trat beinahe ins Leere, fing sich im letzten Moment und stellte sich mit verzerrtem Gesicht wieder seinem Gegner.

    Die Geächteten johlten und klatschten John Beifall. Man sah, dass der Fremde nicht mehr lange durchhalten würde.

    Von jetzt an konnte er nur noch versuchen, Johns Schläge abzuwehren. So ging es eine Weile, und John und seine Gefährten hatten ihren Spaß an dem Kampf. Einmal schaffte der Fremde es sogar, dass Little John bei einem Ausweichmanöver mit einem Fuß in den Bach trat. John wurde daraufhin ziemlich wütend und drosch mit verdoppelter Kraft auf den Fremden ein. Plötzlich zerbrach der Stock des Fremden unter einem mörderischen Hieb, und er war waffenlos. Auch John warf seinen Stab weg und stürzte sich auf ihn. Er packte ihn an den Schultern, drängte ihn von der schmalen Brücke hinunter und stieß ihn mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Der Fremde musste sich zusammenreißen, um nicht vor Schmerzen laut aufzuschreien. Er versuchte, sich aus Johns Griff zu befreien, der ihn jetzt am Hemd festhielt.

    „Na, siehst du jetzt endlich ein, dass du keine Chance hast? Gib mir den Ring, oder willst du noch mehr abkriegen?" fragte John schnaufend.

    Statt einer Antwort packte der andere John an den Handgelenken und versuchte mit letzter Kraft sich zu befreien. Dabei zerriss sein Hemd, und John starrte ihn erschrocken an und ließ langsam die Hände sinken; der ganze Oberkörper des Fremden war mit kaum verheilten Striemen und Schnitten bedeckt, die zum Teil unter Johns Schlägen wieder aufgebrochen waren und zu bluten begonnen hatten. John wich fast schuldbewusst vor ihm zurück und stammelte entschuldigend: „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt, Kleiner?"

    Statt einer Antwort richtete sich der Fremde trotzig auf und versuchte, so gut es ging sein Hemd wieder zurechtzurücken. Inzwischen waren mehrere der Männer nähergekommen und sie betrachteten ihn jetzt mit freundlicheren Mienen. Wie es schien hatte dieser Junge, der auf den ersten Blick wie ein Normanne wirkte, ebenso viel durchgemacht wie jeder von ihnen. Dann trat Alan a’Dale, der Spielmann, vor und nahm ihn freundschaftlich am Arm: „Komm mit, du siehst so aus, als könntest du etwas zu essen vertragen." Er führte ihn zu einem Feuer und gab ihm ein Stück Brot, kaltes Fleisch und einen Krug voll Bier. Dankbar nahm der Fremde es an.

    Während er aß, waren auch die anderen Männer ans Feuer gekommen. Sie waren neugierig geworden und wollten die Geschichte des Fremden hören.

    Alan a’Dale blickte ihn freundlich und auffordernd an. „Also, jetzt erzähl mal! Wer bist du, wo kommst du her, wer sind deine Eltern?", fragte er.

    Der Fremde räusperte sich und sagte: „Ich heiße Robin und ich komme aus Nottingham. Meine Eltern sind schon lange tot. Hergekommen bin ich, weil ich vom Sheriff von Nottingham verfolgt werde. Und weil ich dem König der Normannen nicht die Treue schwören wollte, hat man mich geächtet." Robin sah sich um, als sei alles gesagt. Doch die Männer um ihn herum schauten ihn mit verständnislosen Blicken an.

    „Das musst du schon genauer erklären, Kleiner, meinte Little John. „Du kommst aus Nottingham. Gut. Was hast du da gemacht und wo hast du gewohnt, wenn deine Eltern tot sind?

    „Ich... Robin zögerte. Er fürchtete, dass sie sich alle wieder gegen ihn wenden würden, wenn sie die Wahrheit kannten. Aber es führte kein Weg daran vorbei, also sagte er mit fester Stimme: „Ich habe in der Burg gewohnt, beim Sheriff von Nottingham. Ich dachte, ich sei sein Sohn.

    Die Männer starrten ihn fassungslos an, und einige blickten schon wieder feindselig drein. Nur Alan, Much und Little John blieben weiterhin freundlich. Robin wusste, dass er jetzt erzählen musste, wie alles gekommen war, und das fiel ihm schwer; er hatte selbst noch sehr daran zu kauen.

    „Ach, Eure Familie war so arm, Herr, begann die alte Magd zu reden. „Sie hatten ja alles verloren. Und als ihr noch sehr klein wart, vielleicht drei oder vier Jahre, konnten sie einmal die Steuern nicht zahlen. Pah, keiner konnte zahlen, die verfluchten Normannen haben das schon so gemacht, damit sie uns Engländer unterdrücken können! Sie wohnten in Edwinstowe, Eure Eltern, einem kleinen Dorf im Sherwood. Ich hab‘ früher auch dort gelebt. Ich hatte Mühe, die Alte zu verstehen. Sie hatte nur noch einen Zahnstummel im Mund und redete zudem sehr schnell. „Und da kamen nun eines Tages die Steuereintreiber ins Dorf. Wir hatten immer solche Angst, und in diesem Jahr war es besonders schlimm, weil ein Sturm die Ernte vernichtet hatte und keiner mehr so viel besaß, dass er etwas hätte abgeben können. Es war furchtbar! In einem anderen Dorf hatte es schon einen Aufstand gegeben, die Männer wurden ausgepeitscht und geschlagen um uns alle einzuschüchtern und zu bestrafen. Aber in unserem Dorf wurde es noch viel schlimmer… Der Herr war so grausam, er ließ viele Männer von den Soldaten einfach umbringen. Mein Mann und mein Sohn waren auch dabei... Ach, heilige Jungfrau, das war ein Elend!"

    Sie schwieg und sah mich an. Ich konnte in ihren Augen die Trauer und die Verzweiflung sehen, die an jenem Tag das ganze Dorf erfasst hatte. Sie nickte langsam mit dem Kopf und sagte dann: „Auch Eure Eltern starben."

    „Warum haben sie auch meine Mutter getötet?", fragte ich.

    Wieder sah sie mich sehr ernst an. „Wollt Ihr das wirklich wissen?"

    Ich nickte.

    „Als sie zu Eurer Hütte kamen, ließ sich der Herr die Namen eurer Eltern sagen. Zuerst solltet Ihr mit eurem Vater getötet werden, und der Herr wollte es selbst tun. Aber Eure Mutter schrie und tobte so, dass der Herr ihr anbot, für ihren Sohn das Leben zu lassen. O, sie war so eine tapfere Frau, Herr! Sie hat sich für Euch töten lassen, und ihr und euer Vater mussten dabei zusehen!"

    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was sie eben gesagt hatte. Meine Mutter – sie hatte sich geopfert um mir das Leben zu retten... Ich spürte einen unfassbaren Hass gegen die Normannen in mir hochkommen. Sie hatten kleine Kinder und Frauen getötet, nur um in ihrem Reichtum zu prassen. Und ich hatte all die Jahre hier gelebt und war einer von ihnen gewesen - auch dafür, dass ich immer mehr als genug zu essen hatte, waren Menschen gestorben! In diesem Augenblick hasste ich auch mich.

    „Was dann mit Euch geschah, Herr, weiß ich nicht. Denn nun zündeten sie unsere Hütten an und wir versuchten, noch etwas vor den Flammen zu retten. Aber Jahre später kam ich selbst hier auf die Burg als Küchenmagd, und ich habe Euch sofort erkannt. Ihr seht genauso aus wie Euer Vater! Er war ja noch so jung, viel zu jung um zu sterben. Und Eure Mutter - sie war die Schönste im Dorf und überall in den Dörfern im Sherwood war sie berühmt, weil sie so schön war. Wie froh war da Euer Vater, dass er sie bekam. O, das war auch kein Wunder, schließlich wussten alle, wer er war, auch wenn seine Familie nichts mehr besaß... Sie hielt inne und zog etwas aus ihrer Tasche, das sie mir in die Hand drückte. Es war ein kleines Holzpferdchen, an einer Seite etwas angekohlt. „Das gehört Euch. Euer Vater hat es für Euch geschnitzt, glaube ich. Es lag vor der Tür der Hütte - Ihr habt wohl gerade damit gespielt, als die Steuereintreiber kamen. Warum ich es aufgehoben habe, weiß ich nicht. Vielleicht, weil es mich an meinen eigenen Sohn erinnert hat, von ihm habe ich nichts mehr...

    Ich hörte der alten Frau nicht mehr zu. Ich stand auf und ging durch das Zimmer zum Fenster. Das Pferdchen hielt ich fest in den Händen. Zum ersten Mal fielen mir die kostbaren Wandbehänge auf, und unwillkürlich überlegte ich, wie viele Menschen dafür hart gearbeitet hatten oder sogar gestorben waren. Mein ganzes Leben kam mir so sinnlos vor. Warum war ausgerechnet ich hier gelandet, wo ich überhaupt nicht hingehörte?

    Wie in einem furchtbar schnellen Traum stürmte all das auf mich ein, was ich nie verstanden hatte. Ich hörte die Kinder schreien: „Sachsenhund! Sachsenhund! und sah mich hilflos heulend dastehen, mit dem Fuß stampfen, beteuern: „Ich bin doch kein Sachse! Ich bin kein Sachse! Ich rannte mit der ganzen Horde über den Burghof, warf Steine nach einem englischen Jungen. Ich spürte noch den schalen Geschmack auf der Zunge. Aber ich war mitten unter den Kindern, keiner beschimpfte mich mehr... Ich sah das Burgvolk, wie sie heimlich über mich tuschelten, mit dem Finger auf mich zeigten, beim Bankett, bei der Jagd. Doch plötzlich stand ich zwischen ihnen, brüllte Schmähworte auf die Verurteilten vor dem Galgen. Und dann sah ich Marian. Traurig sah sie aus. Mit Tränen in der Stimme sagte sie: „Was haben sie dir denn getan? Es ist nicht gerecht! Ich dachte, du wärest anders! Anders? Es war doch nicht gut, anders zu sein? Der Sheriff tauchte auf. Ich stritt mit ihm, weigerte mich, die Soldaten zum Plündern in die Dörfer zu führen. Er brüllte vor Wut. Ich blieb stur. Schoss immer noch mit Pfeil und Bogen, statt mit dem Schwert zu üben. Verteidigte die Gefangenen. Und wusste nicht warum. Wieder Marian: „Vielleicht können wir etwas ändern? Es ist doch nicht gerecht.

    Und da wusste ich, warum. Ich war hier in der Burg gelandet, damit ich kämpfen konnte. Kämpfen gegen die große Ungerechtigkeit in diesem Land. Gegen die Unterdrückung der einfachen Menschen. Zwar wusste ich noch nicht wie, aber ich war sicher, dass sich das schon ergeben würde. Und ich durfte mich auf keinen Fall in die Pläne ergeben, die der Sheriff mit mir hatte. Ich durfte das Lehen nicht annehmen, das mir gegeben werden sollte - um mich aus dem Weg zu schaffen, das begriff ich jetzt. Denn dort auf dem Landsitz würde ich irgendein Mädchen heiraten müssen, das ich gar nicht kannte, eine Menge Kinder bekommen und mein Leben mit Jagen verbringen. Ich müsste dem König die Treue schwören, die ich ihm keineswegs halten wollte, denn er war nicht mein König - er war König der Normannen. Plötzlich fühlte ich mich sehr frei - es gab niemanden, dem ich verpflichtet war, außer dem unterdrückten Volk der Engländer. Ich drehte mich um, dankte der alten Magd und ging aus dem Zimmer.

    Draußen fragte ich einen der Diener: „Wo ist mein- ‘mein Vater’ hatte ich sagen wollen. Doch das war vorbei. „Wo ist der Sheriff?

    „In seinem Gemach, Herr. antwortete der Diener und fügte unterwürfig hinzu: „Aber er möchte nicht gestört werden, das hat er ausdrücklich befohlen. Von niemandem, Herr.

    Ich ging an ihm vorbei und durch die Burg, geradewegs zum Gemach des Sheriffs. Zwei Wachen standen vor der Tür und wollten mich nicht hereinlassen, doch ich schob sie einfach zur Seite und ging ins Zimmer.

    „Diable! Robert!, rief der Sheriff überrascht und sprang auf. „Robin. verbesserte ich ihn. Er war nicht allein. Er hatte mit einer der jungen Edeldamen, die sonst seiner Frau aufwarteten, auf der Fensterbank gesessen.

    „Ich werde das Lehen nicht annehmen, Herr", sagte ich mit Nachdruck und tat, als hätte ich das Mädchen gar nicht bemerkt.

    „Du weißt nicht, was du redest. Der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht wich der Wut, die er mir gegenüber immer empfand. „Und nenne mich gefälligst ‘Vater’, verstanden?, herrschte er mich an.

    „Ihr seid nicht mein Vater, sondern der Mörder meines Vaters. Der Hass in meiner Stimme schien ihn etwas aus der Ruhe zu bringen. Er wich meinem Blick aus und sah, dass das Mädchen noch da war. Als hätte er vorübergehend meine Anwesenheit vergessen, ging er zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Als sie daraufhin aufstand, küsste er sie und brachte sie galant zur hinteren Tür. Dann drehte er sich wieder zu mir und sagte in gelangweiltem Ton: „C’est ça. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass mich deine Dummheit überrascht. Hast du dir das gut überlegt? Hucknall ist ein schönes Stück Land und du könntest ein ruhiges Leben führen, ohne...

    „Ohne Euch in die Quere zu kommen, unterbrach ich ihn. „Was ich gerade gesagt habe, ist mein letztes Wort. Ich werde Eurem Normannenkönig nicht die Treue schwören, und vor allem werde ich der Ungerechtigkeit in diesem Land nicht länger zusehen.

    Er sah mich lange mit unbeweglicher Miene an. Dann sagte er: „Du wirst es noch lernen, mon cher. Du wirst es ganz sicher noch lernen, dafür werde ich sorgen."

    Ich verstand nicht ganz, was er meinte. Seine Stimme klang gefährlich und ich wusste nicht, was er als nächstes tun würde.

    Er rief die beiden Wachen herein.

    „Nehmt ihn fest und werft ihn in den Kerker!", befahl der Sheriff kalt.

    Ich war völlig überrascht. Mit fast allem hatte ich gerechnet, nur nicht damit.

    Auch die Wachen waren ganz verdattert.

    „Na los, macht schon! Oder muss ich es selber tun?"

    „Aber... aber Herr, das könnt Ihr doch nicht tun, er ist Euer Sohn...", stotterte einer der Soldaten mutig.

    „Diable! Habe ich mit irgendeinem Wort erwähnt, dass du mir sagen sollst, was ich tun kann oder nicht?, zischte der Sheriff. „Wenn ihr nicht sofort meinen Befehl ausführt, dann... Er zog sein Schwert.

    Da packten mich die beiden Soldaten und zerrten mich aus dem Zimmer. Sie schleppten mich durch die ganze Burg, brachten mich schließlich in eine kleine Zelle und verriegelten die Tür hinter mir.

    Es war völlig dunkel in dem engen Raum. Am Boden lag Stroh, das ziemlich stank, und die Wände waren feucht. Ich setzte mich in eine Ecke und wartete. Bald verlor ich jedes Zeitgefühl. Manchmal schlief ich und schreckte auf, wenn ein Wächter mir etwas zu essen und zu trinken brachte. Dies geschah wohl jeden Tag einmal, und so rechnete ich mir aus, dass ich vier Tage in dem Kerker saß, als ein Soldat den Sheriff hereinführte.

    „Alors, wie gefällt dir dein neues Zimmer? Du möchtest sicher noch länger hierbleiben und bist deshalb fest entschlossen, das Lehen nicht anzunehmen, nicht wahr?"

    Nein, so leicht bekam er mich nicht klein! Ich war noch nicht bereit, aufzugeben, und so sagte ich fest: „Ganz richtig, ich werde das Lehen nicht annehmen."

    „So so, der Widerstand ist also noch nicht gebrochen. Tapfer, wirklich sehr tapfer", meinte er mit einem bösen Lächeln. Ich erwiderte seinen Blick, der außer Hass nichts von dem verriet, was in ihm vorging. Plötzlich schlug er mir mit der Faust ins Gesicht, dass ich zu Boden ging.

    „Wir werden sehen, wie lange du das noch durchhältst, mon cher. Ich kann warten."

    Wieder war es völlig dunkel und ich war allein. Ich befühlte mein Gesicht. Die ganze rechte Hälfte schmerzte, und aus Mund und Nase rann Blut. Ich blieb einfach liegen, wo ich war.

    Die Zeit schlich dahin. Ich bekam nichts mehr zu essen, nur noch Wasser, und ich glaubte verrückt zu werden, wenn ich nicht endlich wieder Licht sah. Ich war schon fast bereit, alles zu tun, was sie von mir wollten, nur um hier herauszukommen, als meine Hand plötzlich auf etwas Kleines, Hartes im Stroh stieß. Es war das Holzpferdchen. Ich konnte die Kanten fühlen und auch die Stelle, wo es angekohlt war, denn da war es besonders glatt. Ich stellte mir vor, wie mein Vater es geschnitzt hatte, wie ich als kleines Kind damit gespielt hatte, bis die Soldaten kamen. Ich dachte daran, wie meine Mutter für mich gestorben war und so viele Menschen mit ihr. Wenn ich jetzt aufgab, wären ihre Opfer umsonst gewesen.

    Mein Widerstand war wieder geweckt, und ich war entschlossen durchzuhalten.

    Es waren wohl noch einmal vier Tage vergangen, als die Tür wieder geöffnet wurde. Der Fackelschein blendete mich, und ich musste die Augen schließen. Noch bevor ich sie wieder öffnen konnte, wurde ich von zwei Soldaten gepackt und aus der Zelle geführt. Sie brachten mich durch schmale Gänge mit vielen Eisentüren in einen niedrigen Raum, in dem noch zahlreiche andere Gefangene an die Wände gekettet saßen. Die Soldaten ketteten mich ebenfalls an und verschwanden wieder.

    Einige Fackeln erhellten den Kerker, und ich musterte die Menschen um mich herum. Manche schienen sich schon in ihr Schicksal gefügt zu haben und lehnten mit geschlossenen Augen an der Mauer. Doch andere hielt ein ungebrochener Lebensmut hoch, den auch die zahlreichen Misshandlungen nicht hatten brechen können, deren Spuren ich an allen sah.

    Der Raum war von einer völligen Hoffnungslosigkeit erfüllt, das spürte ich. Als meine Augen den Blick eines Mannes mir gegenüber trafen, wollte ich irgendetwas sagen, ihn ansprechen, ihm und mir selbst Mut machen. Doch die beklemmende Stille hinderte mich daran. Ich fürchtete mich fast davor, meine eigene Stimme zu hören.

    Neben mir stöhnte jemand auf. Es war ein alter Mann, dem die zerfetzten Kleider vom Leib hingen. Er hatte Peitschenstriemen am Körper, und die rechte Hand fehlte ihm; der Stumpf war mit schmutzigen Lappen umwickelt. Doch in seinen Augen war noch ein verstecktes Fünkchen Leben zu sehen. Er schaute mich eindringlich an, als wollte er sagen: „Du bist jung, du hast noch dein ganzes Leben vor dir, du kannst noch tun, was ich nicht mehr kann." Dann schloss er die Augen und schlief ein.

    Ich war wohl wieder vier Tage in diesem Gefängnis, und es waren die Schlimmsten. Der alte Mann neben mir starb bald, und auch zwei andere Männer erlagen ihren Verletzungen. Keiner bekam etwas zu essen, und bald lernte ich die Soldaten fürchten, die ab und zu hereinkamen und jemanden mitnahmen, der dann lange Zeit später, völlig zerschunden von der Folter, am Ende seiner Kräfte wieder hereingeführt wurde.

    Am dritten Tag geschah etwas, das mir Hoffnung gab. Die Tür wurde geöffnet und zwei Soldaten kamen herein. Doch sie gingen nicht schnurstracks auf einen Gefangenen los, sondern stellten sich als Wachen neben die Tür. Und dann betrat Marian den Raum. Ihr langes Kleid schleifte auf dem schmutzigen Boden, doch darauf achtete sie nicht. Sie trug einen Korb, ging zu jedem Gefangenen, gab ihm etwas zu essen und zu trinken und hatte für jeden ein freundliches Wort. Als sie zu mir kam, sagte sie mit flüchtigem Lächeln: „Ich habe die Soldaten bestochen, damit sie mich hereinlassen! Dann flüsterte sie: „Ich versuche, dich irgendwie hier herauszuholen. Halte durch!, und war schon wieder verschwunden.

    Am selben Tag kamen die Soldaten noch einmal, und wieder betete jeder bei sich, dass sie nicht ihn holen würden.

    Diesmal kamen sie zu mir, ketteten mich los, zogen mich grob auf die Füße, die mich nach dem langen Sitzen kaum mehr tragen wollten, und führten mich in eine Kammer, aus der mir unerträgliche Hitze entgegenschlug. In einer Ecke stand ein glühender Ofen, in dessen Öffnung ein Knecht gerade ein langes Messer steckte. In einer anderen Ecke befand sich eine Streckbank, von der Decke hingen einige Vorrichtungen, von denen ich mir lieber nicht vorstellen wollte, was man damit machen konnte; und in der Mitte stand ein Holzpflock, vor dem mich die Soldaten nun in die Knie drückten und daran festbanden. In dieser unbequemen Stellung musste ich eine Weile warten, bis ich Schritte hinter mir hörte. Obwohl ich ihn nicht sehen konnte, wusste ich sofort, dass es der Sheriff war, der da kam.

    Er stellte sich vor mich hin, doch da ich festgebunden war, konnte ich nur seine Füße in den schwarzen Stiefeln sehen. Trotzdem wusste ich sehr genau, was für ein Ausdruck auf seinem Gesicht lag, als er sagte: „An allem, was bisher geschehen ist und was geschehen wird, bist du selbst schuld, Robert! Du brauchst jetzt nur zu sagen, dass du alles vergisst, was du über deine Herkunft erfahren hast und dass du das Lehen in Hucknall annehmen wirst. C’est tout. Dann lasse ich dich gehen und vergesse alles, was passiert ist. Im Übrigen wirst du bald sowieso nachgeben, und wenn du es jetzt schon tust, ersparst du dir einiges."

    Statt einer Antwort schüttelte ich nur verachtungsvoll den Kopf. Da sagte er mit seiner leisen, gefährlichen Stimme, die mich Schlimmes erahnen ließ: „Wenn ich nur wüsste, warum ich dich nicht einfach umbringe...! Dann bewegten sich seine Beine aus meinem Sichtfeld, und er befahl den Soldaten: „In den nächsten Tagen das Übliche für ihn! Er will ein Sachse sein, alors, dann wollen wir ihn auch so behandeln.

    Als mich die Soldaten eine Ewigkeit später wieder in das Gefängnis zurückführten - sie mussten mich mehr tragen als dass ich noch laufen konnte - war ich sicher, dass ich das nicht überleben würde. Aber um nichts in der Welt hätte ich dem Sheriff die Genugtuung gegönnt, mich um Gnade bitten zu sehen.

    Sie ließen mir nicht die Zeit, mich ein wenig zu erholen. Mitten in der Nacht kamen sie wieder.

    So ging es auch noch den folgenden Tag, und ich wusste nicht, wie lange ich das noch aushalten könnte.

    Sie hatten mich gerade wieder angekettet, und ich versuchte, eine Stellung zu finden, in der der Schmerz leichter zu ertragen war und ich vielleicht sogar eine Weile schlafen konnte, als schon wieder die Tür aufging.

    Ich machte mir gar nicht mehr die Mühe, die Augen zu öffnen, da ich sowieso schon zu wissen glaubte, wer hereinkommen würde. Doch es geschah etwas ganz anderes.

    Statt der schweren Stiefeltritte der Soldaten hörte ich leise, schleichende Schritte und das Rascheln von Stoff. Verwirrt schlug ich nun doch die Augen auf und sah - Marian vor mir kauern!

    „Mein Gott, was haben sie mit dir gemacht!?", flüsterte sie erschrocken,

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