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Blondes Gift: Kriminalroman
Blondes Gift: Kriminalroman
Blondes Gift: Kriminalroman
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Blondes Gift: Kriminalroman

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Blind Date mit tödlichen Folgen

Privatdetektiv Hartmann soll für seinen alten Kumpel Lenny bei einem Blind Date einspringen. Lenny arbeitet als Zugbegleiter und verabredet sich immer im Nachtexpress Münster – Paderborn, Wagen 18, Abteil 6. Hartmann findet, dass das Wort Schienenverkehr in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung bekommt. Er sagt zu und ist von Jenny, alias Blondes Gift, richtig begeistert. Um genauer zu sein: Hartmann verknallt sich bis über beide Ohren.
Doch bevor die Affäre richtig durchstartet, ist Jenny plötzlich verschwunden. Hartmann nutzt die wenigen Informationen, die er hat und macht sich auf eine Suche, die deutlich turbulenter wird als erwartet. Und er stellt fest: Gift, auch wenn es blond daher kommt, ist gefährlich. Falsch gehandhabt ... sogar tödlich.
LanguageDeutsch
Release dateMar 18, 2019
ISBN9783954414659
Blondes Gift: Kriminalroman

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    Blondes Gift - Klaus Stickelbroeck

    Tag

    1. Tag

    Hartmann lehnte in Renates Brötchenbude an einem Bistrotisch, nippte entspannt am dampfenden Becher Kaffee und genoss den beeindruckenden Blick über den Düsseldorfer Bahnhofsvorplatz.

    »Herrlich.«

    Sicher saß man in einem Café am Kaiserswerther Markt oder bei Heinemann auf der Kö schöner, aber mehr Action wurde auf jeden Fall hier geboten. Ein dunkelgrüner Reisebus aus Itzehoe hatte sich im Baustellenbereich festgefahren. Taxifahrer hupten, um den Fahrer zu bewegen, die rot-weißen Absperrbaken einfach umzufahren.

    Auf der Sperrfläche davor parkte ein tiefergelegter Dreier-BMW mit Solinger Kennzeichen und eingeschalteter Warnblinkanlage. Vom Fahrer war nur der aus dem Fenster ragende, schwarz tätowierte, linke Oberarm zu sehen. Ein Oberarm, aus dem der liebe Gott auch zwei Oberschenkel hätte formen können.

    Aus diesem Grund wurde der Fahrer zum Arm von zwei Politessen hartnäckig ignoriert. Was wahrscheinlich vernünftig war, den späten Vormittag in Sachen Zerstreuung ansonsten aber sicher noch weiter nach vorne gebracht hätte.

    Ein leichenblasser Junkie mit koboldroten Haaren stand an der Gehwegkante gegenüber und hielt mit dramatischen Gesten seinen unsichtbaren Freunden einen Vortrag. Eine ältere Dame stand verloren am Fußgängerüberweg, um die Straße zu queren. Hartmann wusste, das würde heute nichts mehr geben.

    Hartmanns Frühstücksdealerin gesellte sich zu ihm an den Bistrotisch, verteilte mit einem gelben Fensterleder übrig gebliebene Brotkrümel und seufzte. »Ich brauche Urlaub.«

    Hartmann versuchte sich zu konzentrieren. Wenn Renate im engen Kittel sich tief über den Bistrotisch beugte, um zu wischen, dann achtete man nicht auf den Lappen.

    »Zwei Wochen. Oder wenigstens vierzehn Tage. Muss ja gar nichts Tolles sein. Vielleicht auf einer holländischen Insel. Rügen. Rügen soll super sein.«

    Hartmann nahm noch einen Schluck.

    Renate tippte auf die Tageszeitung, die vor Hartmann auf dem Tisch lag. »Das ist auch Wahnsinn.«

    Hartmann flog über die beiden Artikel auf der ersten Seite des Blatts. Ganz Schweden suchte die Kronzeugin in einem spektakulären Prozess gegen Rechtsextremisten. Hartmann fragte sich, ob es bei einer Vermisstensache hilfreich war, die Gesuchte auf dem beigefügten Foto mit einem dicken, schwarzen Balken unkenntlich zu machen. Aber da mochten sich die Ermittler in Schweden was bei gedacht haben.

    Und auch hier in Düsseldorf waren im Laufe der vergangenen Woche zwei junge Frauen spurlos verschwunden. Der Polizeisprecher ließ knapp verlauten, dass die ermittelnden Beamten zum derzeitigen Zeitpunkt einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen nicht ausschließen könnten. Etwas ausschließen taten sie bei den Cops ja ohnehin eher selten.

    »Die Frauen können doch nicht einfach so verschwinden. Wo sind die Vermissten hin?«

    Hartmann zuckte mit den Schultern und leerte seinen Becher. Draußen hatte der Junkie der älteren Dame selbstlos mit ausgebreiteten Armen den Fußgängerüberweg freigesperrt und half ihr über die Fahrbahn. Auf der anderen Straßenseite angekommen, würde er versuchen, ihr die Handtasche zu stehlen.

    Apropos. Hartmann rutschte vom Hocker. »Ich muss, Renate.«

    »Was musst du?«

    »Die Arbeit wartet.«

    Renate blickte skeptisch. »Arbeit? Du lungerst doch nur rum.«

    »Äh. Nein.«

    »Jeden Vormittag sitzt du hier.«

    »Ich erarbeite Pläne, schätze Situationen ein und entwerfe Strategien. Einem Privatdetektiv sieht man die Arbeit nicht immer an, aber Hölle, er ist praktisch immer im Dienst. Das erkennt man auf dem ersten Blick nicht.«

    »Ich jedenfalls nicht.«

    »Das Privat aus Privatdetektiv hat ja auch ein bisschen die Bedeutung von geheim, verdeckt, unauffällig.«

    »Ja, ja.«

    »Diskretion ist daher mein zweiter Vorname geworden.«

    »Interessant«, sagte Renate. »Dein zweiter Vorname? Wusste ich gar nicht.«

    Hartmann spürte ihren misstrauischen Blick im Rücken, als er Sekunden später aus dem Brötchenlokal nach draußen trat.

    »Haste mal ʼnen Euro?«, sprach ihn der fastblinde Ingo an, ein älterer Stadtstreicher mit großer Sonnenbrille, der sich ein paar Monate zuvor im Bahnhofsviertel niedergelassen hatte und seitdem zum Ortsbild gehörte.

    Um die Götter gnädig zu stimmen, gab Hartmann zwei. »Gib nicht alles auf einmal aus.«

    »Ich investiere in Bitcoins.«

    »Gute Idee«, kommentierte Hartmann und entdeckte rechts von sich seinen Nachbarn aus dem Erdgeschoss.

    Dimitri wuchtete schwungvoll einen Karton in den Kofferraum seines Lieferwagens. Die dunklen Locken auf seinem Kopf standen kreuz und quer in alle Richtungen ab und erinnerten an dichtes, schwarzes Ziergras. Der Grieche hatte bis vor Kurzem im Erdgeschoss einen Secondhand-Laden betrieben. Exklusives Sortiment, sehr gute Preise, die Ware war manchmal sogar noch originalverpackt.

    Hartmann schob eine Strähne hinters Ohr. »Du ziehst also tatsächlich aus?«

    Dimitri strich mit dem Hemdsärmel Schweiß von der Stirn. »Scheiße, Malaka, die Bullen rücken mir immer mehr auf die Pelle. Nur wegen der Handgranaten. Und den paar Maschinenpistolen. Ich werde umziehen und mich ganz neu aufstellen.«

    »Ehrliche Arbeit?«

    »Was? Nein! Ich spiele mit dem Gedanken, ein griechisches Restaurant aufzumachen.«

    Hartmann fragte sich, warum bei Dimitri ehrliche Arbeit und griechisches Restaurant nicht zusammengingen.

    »Ich hab sogar schon einen Namen. Spukt mir seit Tagen im Kopf rum. Akropolis

    Hartmann nickte anerkennend. »Super Name. Originell. Mal was anderes.«

    Dimitri strahlte und stemmte Hartmann einen Karton entgegen. »Ist ein Computerturm drin. Superspezialteil. Überlass ich dir für ʼnen Fuffi, weil du es bist.«

    »Ich hab schon ein …«, versuchte Hartmann.

    »Aber nicht so ein Hammerteil, mein Freund. Ich hab eine rumänische Superspezialspezialistin, die hat es voll drauf. Die hat sogar schon mal fürs Landeskriminalamt gearbeitet.« Dimitri stutzte. »Oder gegen die? Ich weiß es jetzt nicht genau. Auf jeden Fall hat die den PC richtig fett aufgepimpt. Scheiße, Malaka, das Teil hat jetzt dermaßen Power, da kannst du von hier aus den Satellit, der für RTL 2 zuständig ist, ein- und ausschalten.«

    »Gut, das wäre hin und wieder reizvoll, aber …« In Hartmanns Hemd lärmte sein Handy, er trat einen Schritt zur Seite. »Privatdetektiv Hartmann, Ermittlungen aller …«

    »Christian«, meldete sich eine Stimme. »Christian, gut, dass ich dich erreiche. Ich brauche deine Hilfe!«

    »Lenny, bist du das?«, glaubte Hartmann einen alten Schulkameraden zu erkennen, von dem er jahrelang nichts gehört hatte.

    »Ja, sicher. Mensch, Christian, wir müssen uns treffen. Sofort. An den Kasematten. Gleich unterhalb der Pegeluhr.«

    »Um was geht es denn?«, versuchte Hartmann eilig ein paar Informationen abzugreifen und hörte seinen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung heftig schlucken.

    »Um Leben und Tod.«

    Hartmann querte den Burgplatz, ließ den Schlossturm rechts liegen und erreichte die Freitreppe. Auf den Betonstufen sitzend genossen Touristen fröhlich die sich im vorbeifließenden Rhein spiegelnden Sonnenstrahlen. Ein Flüchtling aus Afrika in knallbunten Klamotten beschallte die Szene mit einem Gettoblaster und Reggae, Kunststudentinnen in farbenfrohen Spätsommerkleidchen kifften. Männliche Jugendliche mit verwegenem Blick lehnten rechts am Geländer und teilten Ankommende in drei Gruppen ein: Normale, Zivilpolizisten und Opfer.

    Hartmann tänzelte die Stufen runter auf die Rheinuferpromenade und bog unten auf der ehemaligen Hochwasserschutzanlage angekommen links ab. Zwischen den Außenanlagen der Gaststättenzeile zur Linken und den Anlegestellen mehrerer Schiffsflotten zur Rechten war kurz vor dem Durchgang zum Alten Hafen die historische Pegeluhr schnell erreicht.

    Wolfgang Krawietz, aus naheliegenden Gründen Lenny genannt, saß an einem der eigentlichen Gastronomie vorgelagerten Bistrotisch und winkte aufgeregt. Leben und Tod? Na ja. Es steckte jedenfalls kein Messer in seiner Brust.

    Lenny sprang auf und umarmte Hartmann wie einen verlorenen Sohn. Hartmann hob irritiert die Augenbrauen. Okay, sie beide kannten sich aus der Schule, aber zum harten Kern der Clique hatte Lenny nie gehört. Sie hatten sich bestimmt schon seit einer …

    »Wir haben uns bestimmt schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen«, stellte Lenny auch sofort fest und zog eine Plastiktragetasche vom Hocker gegenüber. »Setz dich! Super, dass du gleich kommen konntest.«

    »Ich hab mir ein bisschen Zeit freigeschaufelt.«

    Lenny trug eine dunkelblaue Stoffhose und ein lachsfarbenes Sommerhemd, oben einen Knopf zu weit geschlossen, mit kurzen Ärmeln. Seine dunklen Haare waren korrekt gescheitelt. Hartmanns ehemaliger Klassenkamerad war ein bisschen größer als er selbst, vielleicht 1,90 Meter. Das kleine Bierbäuchlein und die apfelroten Wangenpölsterchen wirkten sympathisch.

    Lenny winkte den Kellner heran. »Ich les ja immer mal was in der Zeitung von dir.«

    Hartmann hob fragend die Augenbrauen.

    Lenny nickte heftig. »Privatdetektiv. Leichen, Leichen, Leichen. Auf den Fotos siehst du schlanker aus.«

    Hartmann bestellte eine große Apfelschorle, Lenny orderte ein zweites Altbier.

    »Und du siehst gar nicht so tot aus, wie es dein Anruf hätte vermuten lassen können«, konterte Hartmann.

    Lenny lachte. »Immer noch der Scherzkeks.« Sein Blick verfinsterte sich. »Ist aber nicht witzig. Ganz schlimme Sache.«

    »Du hast nicht wirklich jemanden ermordet?«, fragte Hartmann sicherheitshalber.

    »Was? Nein. Schlimmer. Pass auf. Ich arbeite doch bei der Bahn. Als Zugbegleiter.«

    Hartmann erinnerte sich.

    »Ich bin seit über zehn Jahren verheiratet.«

    Auch das hatte Hartmann irgendwann mitbekommen. Ohne zur Feier eingeladen gewesen zu sein.

    »Jutta arbeitet bei Schwartz&Weiss, einer Anwaltskanzlei auf der Ackerstraße. Wir haben zwei Töchter, die eine studiert in Aachen, die andere in Hamburg. Jutta und ich, wir wohnen immer noch am Staufenplatz.«

    »Irmgardstraße 115«, konnte Hartmann sich merkwürdigerweise noch an die Adresse erinnern.

    »Da merkt man den Detektiv«, lobte Lenny Krawietz. »Gut, also Zugbegleiter, so ein Beruf gibt einem ja die tollsten Möglichkeiten.«

    Hartmann bemerkte im Gesicht seines Gegenübers ein feistes Grinsen. »Äh …«

    »Sexuell jetzt.«

    »Hä?«

    Die Kellnerin brachte die Getränke und harkte braune Striche in die Pappdeckel.

    Lenny beugte sich über den Bistrotisch. »Ich kann meine Eroberungen ja nicht mit zu mir nach Hause nehmen. Und auf die Dauer sind Hotelzimmer zu teuer.«

    »Auf die Dauer?«

    »Ich bin sexuell sehr aktiv.«

    »Aha«, sagte Hartmann und fand, dass sich nach den vielen Jahren des Nichtsehens ihr Gespräch ungewöhnlich zügig in den vertraulich-intimen Bereich entwickelte.

    »Also habe ich die Möglichkeiten meines Berufs optimal genutzt.«

    »Ich verstehe nur Bahnhof.«

    Lenny schlürfte am Bier und rückte noch näher heran. »Ich lass mich regelmäßig für die Strecke Münster-Paderborn einteilen. Nachts, also Abfahrt in Münster 23:10, Gleis 2, Ankunft in Paderborn um 01:10 Uhr. Wenn ich also eine meiner neuen, heißen Flammen date, dann reserviere ich ihr ein Sechserabteil. Ich husche durch den Zug und, zack, bin ich spätestens in Hiltrup im Waggon 18, Abteil sechs.«

    »Abteil sechs?«

    »Immer Abteil sechs. Ich bin an der Stelle ein Stück weit auch Gewohnheitsmensch«, erklärte Lenny.

    Hartmann leerte aus Versehen das halbe Glas.

    »Ich meine, ich mache das nicht regelmäßig. Nur so zwei- bis dreimal im Monat.«

    Hartmann blickte ungläubig. Da bekam das Wort Schienenverkehr ja eine ganz neue Bedeutung.

    »Du glaubst nicht, wie viele Frauen auf Uniform stehen.«

    Hartmann hatte davon gehört, aber die Information bisher mit Feuerwehrmann, Chefarzt oder Pilot in Verbindung gebracht. Die Deutsche Bahn wurde einfach unterschätzt …

    »Ich sag es dir, Christian. Das knallt prima. Wenn ich in die Trillerpfeife puste, wir den Bahnhof verlassen, der Zug ratternd Tempo aufnimmt und die Lichter der Stadt an den Fenstern vorbeifliegen, dann ist das wie Vorspiel.«

    »Ach?«

    »Und dann das Finale. Teilstück zwischen Soest und Lippstadt, ich sag es dir. Die Weichen da, die sind schon älteren Datums, das tackert so schön. Tack, tack, tack. Besser als auf jeder Waschmaschine. Und dann die Kurven.« Lennys Blick verlor sich ins Schwärmerische.

    »Und?«, sagte Hartmann, um das Gespräch nach ein paar Sekunden wieder in Gang zu bringen.

    Lenny fing sich. »Bis Geseke bin ich wieder komplett angezogen.«

    Hartmann stand der Mund offen.

    Lennys Blick verfinsterte sich. »Aber jetzt geht alles, alles schief. Jutta ist mir draufgekommen.«

    »Wie das?«

    »Kompliziert. Unglücklich. Ich stecke echt in der Bredouille, und jetzt brauche ich dich.«

    Hartmann fühlte sich immer noch nicht ganz auf Ballhöhe. »Ich weiß nicht, wie …«

    »Ganz einfach. Ich habe eine neue Verabredung vor der Brust. Haha. Vor der Brust ist ja eigentlich der falsche Ausdruck.«

    »Lenny!«

    »Okay. Also, eine ganz heiße Sache. Jenny. Im Chat nennt sie sich Blondes Gift. Hm. Pllllondess Giffffthhhh.«

    Wenn Lenny Blondes Gift dahinhauchte, nahm vor Hartmanns geistigem Auge Marylin Monroe im weißen Kleidchen platinblonde Gestalt hat.

    »Sehr vielversprechend. Umso ärgerlicher, dass … Nun ja, Jutta weiß von diesem Date und will mich in flagranti erwischen. Das geht natürlich gar nicht. Ich kann die Verabredung aber nicht so einfach absagen, denn dann würde meine Frau ahnen, dass ich Lunte gerochen habe. Dann wird sie misstrauisch bleiben und mir weiter auflauern.«

    »Ein bisschen zu Recht«, mahnte Hartmann.

    »Das ist jetzt nicht der Punkt, mein Freund. Also, meine Frau muss tatsächlich mich und mein Date im Zug antreffen. Beziehungsweise eben mein Date, aber nicht mit mir, sondern mit einem Kollegen.«

    »Einem Kollegen?«

    »Ja. Du bist der Kollege. Jutta trifft diese Jenny mit dir an, stellt fest, dass du nicht ich bist und wird sich mit Schamesröte zurückziehen. Und ich hab für die Zukunft wieder freie Bahn.«

    Hartmann fehlten die Worte. Dafür brachte die Kellnerin eine neue Apfelschorle.

    »Das soll funktionieren?«

    »Bombensicher.«

    Hartmann dachte kurz nach, überschlug seine Außenstände, schätzte den Inhalt seines Kühlschranks ab und ja, Black Grape hatten gerade eine fette 3er CD-Box ihres Fünfundneunziger Klassikers Youʼre great when youʼre straight rausgebracht. Deluxe, mit Bonus-Material und digital remastered.

    »Wann soll das Ganze starten?«

    Lenny Krawietz schürzte seine Lippen. »Äh, heute.«

    »Heute?«

    »Ich sagte ja: Leben und Tod.« Lenny griff zur Tragetasche. »Deshalb habe ich auf Verdacht gleich eine Schaffner-Uniform mitgebracht.«

    »Für mich?«

    »Ja, klar. Jenny steht doch auf Uniformen. Die Größe müsste passen. Ich meine, anhand der Fotos in der Zeitung hab ich dich, wie gesagt, deutlich schlanker eingeschätzt, aber die Sachen fallen groß aus, das sollte kein Problem sein.«

    »Aber es wird in dem Zug einen echten Zugbegleiter geben«, gab Hartmann zu bedenken.

    »Heute ist Uwe eingeteilt, der ist kein Problem. Bahnfahren macht den immer tierisch müde. Der wird sich hinter Münster sofort das erste freie Abteil krallen und bis Paderborn durchschlafen.«

    »Und deine Frau?«

    »Die wird erst mal ganz unauffällig Platz nehmen und dir Vorlauf lassen. Du verstehst, sie will dich ja … erwischen. Also mich. Ich würde vor Lippstadt nicht mit ihr rechnen.«

    »Hm.«

    »Ach ja, eine gültige Fahrkarte steckt in der Uniformjacke, für alle Fälle.«

    »Und diese Jenny?«

    »Das blonde Giftstück … Jenny begibt sich, wie schon mit ihr verabredet, direkt in den Waggon 18, Abteil sechs.« Lenny legte vertraulich und beruhigend eine Hand auf Hartmanns Unterarm. »Mach dir wegen Jenny keine Gedanken. Du bist nicht hässlich und passt eigentlich ganz passabel in ihr Anforderungsprofil. Stehst du auf abwechslungsreiche, spontane Treffen, Outdoor-Sex und aktive Fesselspiele?«

    Hartmann blinzelte. »Nein …«

    »Nicht? Hm, aber sonst passt es ganz gut. Optisch jetzt.«

    Hartmann überschlug noch einmal die ganzen Für und Wider, der Job klang machbar. Hartmann kam zu einem fiskalisch beeinflussten Ergebnis. »Okay. Ich schaufle mir heute Abend frei und übernehme den Job. Ich nehme vierhundert Euro am Tag.«

    »Vierhundert? Das ist aber teuer.«

    »Sagt jemand, der bei der Deutschen Bahn arbeitet? Die Vierhundert wären im Voraus.«

    Lenny schnaufte wie eine alte Diesellok. »Okay.«

    Hartmann leerte seine Apfelschorle. »Das macht bei zwei angebrochenen Tagen, die ich dir beide leider komplett in Rechnung stellen muss, achthundert Euro direkt auf die Kralle. Abgemacht ist abgemacht, sagte der Chirurg. Die Getränke übernehme ich.«

    Hartmann war früh dran. Weil er in der Schaffneruniform nicht sinnlos und ansprechbar auf dem Bahnsteig in Münster rumstehen wollte, hatte er die Bahnhofsmission aufgesucht, um dort zum hundertjährigen Jubiläum zu gratulieren und einen Kaffee zu schnorren. Als sein Zug einfuhr, verabschiedete Hartmann sich schnell, trat im Rücken des echten Zugbegleiters an den Nachtexpress und sprang die beiden Tritte zum Waggon 18 hoch. Uwe hatte ihn nicht bemerkt und blies draußen zeitgleich in seine Pfeife, der Zug fuhr an. Unmittelbar hinter Hartmann schloss sich die Tür.

    »Da hätten Sie fast den eigenen Zug verpasst«, grinste ihn eine ältere Dame an, die einen Hund an sich presste. »Sind Sie auf dem Bahnsteig eingeschlafen oder was?«

    »Ich bin ganz kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen, der bei Ryanair aushelfen musste.«

    »Ryanair ist eine Fluggesellschaft.«

    »Bahnfahren und Fliegen, das ist vom Prinzip kein Unterschied«, behauptete Hartmann und schob sich an der Frau vorbei.

    Der Hund schnappte. Und verfehlte Hartmann, was der als gutes Zeichen wertete.

    »Herr Schaffner, Herr Schaffner«, fiel ihn ein Fahrgast an, hektische Flecken im Gesicht. »Werde ich meinen Anschlusszug in Paderborn nach Stuttgart bekommen?«

    Hartmann blickte prüfend aus dem Fenster. Ganz schön schnell war er geworden, der Zug. Deshalb nickte Hartmann zuversichtlich. »Da bin ich sicher.«

    »Schön, dass auf die Bahn wieder Verlass ist.«

    »Danke, das gebe ich an den Fahrer weiter«, sagte Hartmann und machte, dass er weiterkam.

    Viele Gäste hatte der Zug nicht. Im Grunde genommen war er fast leer. Hartmann musterte sich im Fenster. Er in Schaffneruniform, das sah irgendwie falsch aus. War es ja auch. Diese grellrote Krawatte … Mein lieber Scholli. Und tatsächlich saß die Jacke am Bauch ein bisschen spack. Dafür war die Hose im Bund ein wenig weit. Na ja, für eine giftige Blonde sollte es reichen.

    »Waggon 18, Abteil … neun, acht, sieben … sechs«, murmelte Hartmann.

    Und war jetzt doch ein wenig aufgeregt. Sein Herzchen pumperte kleine Beulchen in den Hals. Fast wie damals beim Elfmeter gegen die Bayern. Es stand 1:2. 86. Minute, Olli Kahn im Tor und … Hartmann mahnte sich zur Konzentration.

    Im Abteil sechs war von drinnen der Vorhang zugezogen. Hartmann richtete seine Jacke, zupfte die Krawatte gerade. Kreuz zackig durchgedrückt und ein entschlossenes, dynamisches …

    Die Tür wurde von innen aufgerissen.

    Im Türspalt erschien ein Kopf, sympathisches Gesicht, überraschte, hellblaue Augen. »Wo bleibst du denn? Ich dachte, du kommst gar nicht mehr.«

    »Äh, die Bahn, das kann schon mal dauern.«

    Die junge Frau lachte ihn an. »Ja, wenn das mal kein schlechtes Omen ist.«

    Hartmann speicherte: Blond ja, Gift bestimmt, aber weniger Marilyn Monroe, sondern mehr dieser strohblonde, skandinavische Typ mit von der Sonne ausgebleichtem, kräftigem grau-blondem Haar. Ein paar freche Sommersprossen und die Lippen in weichem Rosa geschminkt. Das blonde Gift alias Jenny trug ein eng anliegendes, dunkelblaues Kostüm. Die Figur – auch ein bisschen weniger Marilyn Monroe, dafür mehr Sport.

    »Erst mal den Fahrschein, bitte«, riskierte Hartmann angetan einen professionellen Einstieg.

    »Such ihn doch!«, summte Jenny mit einem Blick wie Bambi.

    Hartmann winkte ab. »Ach, lass gut sein.«

    Sie musterte jetzt ihrerseits ihn. »Du siehst ganz anders aus als auf dem Foto.«

    »Ja, das hat seinen Grund«, räumte Hartmann ein.

    »Ist aber okay. Krasse Uniform. Blaue Augen finde ich toll, die langen Haare stehen dir. Gute Figur, groß genug bist du auch. Deine Nase ist sehr präsent, aber da will ich jetzt nicht meckern. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein bisschen so aussiehst wie der Sänger von Oasis?«

    »Ja, allerdings. Mehrmals. Als präsent hat meine Nase aber noch nie jemand beschrieben«, lachte Hartmann.

    »Ich wollte nett sein. Erst mal.« Sie ergriff mit der rechten Hand Hartmanns Krawatte. »Gefällt mir.«

    Und zog ihn rein ins Abteil. Gleichzeitig schob sie mit der Linken die Schiebetür zu, um Hartmann im nächsten Moment dominant von innen mit dem Rücken dagegenzudrücken. Wozu brauchte die Blonde bei so einem kräftigen Zupack Gift?

    »Ich muss dir was erklären, Jenny«, setzte Hartmann an. »Ich bin gar nicht der, auf den du wartest.«

    Sie hielt inne, musterte ihn kurz – einmal rauf, einmal runter – und winkte ab. »Ach egal, du gefällst mir. Ich stehe auf sportliche Männer in Uniform, die genauso groß sind wie ich.«

    »Das ist auch nicht meine Uniform.«

    »Wollte ich gerade nicht gleich erwähnen, aber sie sitzt tatsächlich ein bisschen eng. Ulkig. Warte, ich helfe dir raus.«

    So schnell konnte Hartmann gar nicht gucken, wie das blonde Gift die ersten Knöpfe geöffnet hatte.

    »Pass kurz auf, Jenny. Ich bin

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