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Meeresgrab: Kanaren-Krimi
Meeresgrab: Kanaren-Krimi
Meeresgrab: Kanaren-Krimi
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Meeresgrab: Kanaren-Krimi

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About this ebook

Kann man einem Schulfreund trauen, zu dem man über 20 Jahre lang keinen Kontakt mehr hatte? Diese Frage hätte sich Aussteiger Martin Ebel stellen sollen, bevor sich der ungebetene Gast aus Deutschland in seiner Wohnung auf La Palma breit gemacht hat. Als er die wahren Gründe für den Besuch aus der Heimat zu erahnen beginnt, haben die Ereignisse bereits eine mörderische Dynamik entwickelt - und Ebel wird immer tiefer in den Strudel aus Lügen, kriminellen Verstrickungen und Gewalt hineingezogen …
LanguageDeutsch
PublisherGMEINER
Release dateJun 12, 2019
ISBN9783839261927
Meeresgrab: Kanaren-Krimi

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    Book preview

    Meeresgrab - Peter Wark

    Zum Buch

    Gast mit Geheimnis Wie konnte er nur so dumm sein? Wieso hat er nicht entschieden widersprochen, als sich sein alter Schulfreund Justus selbst nach La Palma eingeladen hat? Als wäre es für den ohnehin schon labilen Martin Ebel nicht schon schlimm genug, den nervtötenden Gast zu ertragen, nehmen plötzlich auch noch merkwürdige Ereignisse ihren Lauf. Während Ebel sich weigert, den Vorkommnissen irgendeine Bedeutung beizumessen, wird Justus von Tag zu Tag nervöser. Was hat er zu verbergen? Und was ist der eigentliche Grund seines Besuchs? Als Ebel schließlich Nachforschungen anstellt, deckt er ein Geflecht aus Lügen, Macht und Gewalt auf und gerät dabei selbst in akute Gefahr. Da treten sogar ein drohender Prozess gegen ihn, die drängende Frage nach der eigenen beruflichen Zukunft und die Trauer um seine endgültig verlorene Liebe Carmen in den Hintergrund!

    Peter Wark war viele Jahre als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen tätig und arbeitet inzwischen in der Unternehmenskommunikation. Seiner südwürttembergischen Heimat ist er immer verbunden geblieben – seit einiger Zeit lebt er auch wieder dort. Peter Wark hat bereits mehrere Kriminalromane und zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht. Seine Bücher spielen auf der Schwäbischen Alb, den Kanaren, in München, aber auch in Australien. Die La Palma-Krimis sind von seiner Liebe zu der Insel und seiner Leidenschaft für das Mountainbiken inspiriert.

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Absturz (2018)

    Versandet (2018)

    Albtraum (2012)

    Epizentrum (2006)

    Ballonglühen (2003)

    Machenschaften (2002)

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    © 2019 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2019

    Lektorat: Teresa Storkenmaier

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © thomasfuer / photocase.de

    Druck: CPI books GmbH, Leck

    Printed in Germany

    ISBN 978-3-8392-6192-7

    Haftungsausschluss

    Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind in den meisten Fällen rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ausnahmen sind mit den betreffenden Personen abgesprochen.

    1

    Ich bin ein kompletter Idiot.

    Leider vergesse ich das manchmal.

    Doch irgendwann holt mich die Realität wieder ein, meistens eher früher als später. So wie dieses Mal. Hätte ich einfach auf einem klaren Nein bestanden, wäre diese Sache nie ins Rollen gekommen. Aber ich Trottel hatte mich breitschlagen lassen, weil ich meine Ruhe wollte. Meine Ruhe vor dem Wortschwall von Justus Häussler.

    Von Anfang an war es keine gute Idee gewesen. Das hätte ich wissen können.

    Ich hatte es auch gewusst. Eigentlich.

    Trotzdem war ich hingegangen, zu diesem eigenartigen Jahrgangstreffen.

    Hätte ich nur meiner inneren Stimme mehr Gehör geschenkt, wäre mir die ganze unerfreuliche Geschichte erspart geblieben. Es wäre mir erspart geblieben, in einem Flugzeug in zehntausend Meter Höhe neben Justus Häussler zu sitzen. In einem Touristenbomber waren wir von Stuttgart nach Santa Cruz de La Palma unterwegs, der Hauptstadt der Kanareninsel La Palma, auf der ich seit Jahren lebe.

    Ein vierstündiger Flug mit einer Passagiermaschine voller sonnenhungriger deutscher Touristen ist an sich schon eine unschöne Angelegenheit. Mit einem aufgedrehten Justus Häussler neben sich konnte man geradezu depressiv werden, und ich besaß ein Faible für regelmäßig wiederkehrende Depressionen. Es gab Tage, da badete ich in Depressionen.

    Was hatte ich mich auch darauf eingelassen? Obwohl mein Kopf und mein Bauch Nein gesagt hatten, und zwar deutlich und laut, hatte mein Mund zu meiner eigenen Überraschung Ja gesagt. Wäre ich nur bei meinem Nein geblieben.

    Vor rund zwei Wochen hatte der ganze Mist seinen Anfang genommen. Nach längerem Hin und Her hatte ich mich dazu entschieden, mal wieder einen Abstecher nach Deutschland zu machen, um meine Eltern und ein paar alte Freunde zu besuchen, die Einladung zum diesjährigen Klassentreffen im Gepäck. Die aus den vergangenen zwei Jahrzehnten hatte ich jedes Mal in den Mülleimer geschmissen. Hätte ich es doch auch diesmal getan. Vielleicht kam mir ein schwer zu definierender Anflug von Sentimentalität in die Quere, oder es war einfach eine altersbedingte Melancholie mit der Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Wobei es die bisher nie gab, aber man wurde ja wunderlich, wenn man die besten Zeiten hinter sich hatte und sich dessen bewusst wurde.

    Mir war es immer ein Rätsel, wie schon junge Menschen im Alter um die 20 den Drang danach verspüren konnten, sich einmal im Jahr in einem Lokal zu treffen, das die Atmosphäre einer Halle der Bahnhofsmission atmete. Dieses grundsätzliche Misstrauen gegenüber solchen Treffen hatte ich mir bis heute erhalten, und nun war ich ja durchaus nicht mehr der Jüngste. Allerdings noch immer ein paar Jahrzehnte zu jung für die Teilnahme an einem solchen Treffen. Und doch war ich hingegangen. Mag sein, dass mich letztlich eine Art von Neugierde hingetrieben hatte. Oder nur meine schwarze Seele. Warum nicht, dachte ich mir. Wenn du schon in deiner Heimat bist, kannst du dich auch kurz bei dem Treffen sehen lassen. Wirklich nur kurz. Nur um festzustellen, dass du, Martin Ebel, nicht enden willst wie die meisten dieser knapp Vierzigjährigen, die seit Langem in ihrer Lebensroutine gefangen sind. Mit Bauschulden, Gartenzaun, einem Job, der sie ankotzt, und der Hoffnung auf ein späteres komfortables Rentnerdasein.

    So hatte ich mir das gedacht.

    Und dann saß ich da, einer unter vielen sogenannten Jahrgängern. Schon das Wort! Hat einen Klang wie Kukident oder Inkontinenz. Ich fühlte mich nicht besonders wohl. Das alles war ein gutes Stück von meiner Welt entfernt. Ich war der Exot in der Runde, wie mir schnell klar wurde. Dass jemand seine Karriere als Rechtsanwalt hinschmeißt, um fortan als Aussteiger auf den Kanaren zu leben, passte nicht in das Weltbild schwäbischer Fastvierziger, die lebten und sich verhielten, wie es schon ihre Eltern getan hatten. Auch wenn die Welt zum globalen Dorf geworden war, blieben die Barrieren in den Köpfen festzementiert. In Ewigkeit, Amen! Mein Juristendasein in Stuttgart war seinerzeit nicht ganz freiwillig zu Ende gegangen, das band ich niemandem auf die Nase.

    Dass ich in meiner neuen Heimat nicht als Aussteiger, sondern als Resident gelte, ist eine sprachliche Feinheit, mit der ich niemanden überfordern wollte.

    Ja, ich hatte so etwas wie den Bonus des Außerirdischen bei diesem Jahrgangstreffen. Was ich denn arbeite, wollten einige wissen. Der Mensch definiert sich schließlich durch Arbeit, das war doch die gängige Annahme. Ich klärte auf, dass ich als Wanderführer und Mountain­bikeguide in der schönen Stadt Los Llanos angestellt war, was mir zweifelnde Blicke einbrachte. Wie das Wetter so sei auf La Palma, interessierte andere, die den kommenden Sommerurlaub schon im Sinn hatten. »Das ganze Jahr über meistens schön«, konnte ich ihnen antworten. Ob ich verheiratet oder wenigstens fest liiert sei, war in diesem Rahmen natürlich eine bedeutende Frage. Das eine nie gewesen, das andere zurzeit auch nicht, gab ich zur Antwort. Dass es in der jüngeren Vergangenheit gewisse Probleme mit meiner einstigen Lebensabschnittsgefährtin Carmen gegeben hatte, ging niemanden an diesem Tisch etwas an.

    So zog sich der Abend hin. Den Gefallen, breit gestreute Einladungen in meine neue Heimat auszusprechen, tat ich ihnen nicht. Ganz direkt traute sich auch keiner zu fragen. Außer Justus Häussler.

    Dazu wartete er eine Gelegenheit ab, unter vier Augen mit mir zu reden. Dann kam er umso schneller zur Sache. Er habe da ein paar nicht einfach aus der Welt zu schaffende Schwierigkeiten, vertraute er mir verschwörerisch an, ein Glas Hefeweizen in der Hand. Es würde nicht schaden, wenn er sich für ein paar Wochen aus Deutschland verabschieden würde, fügte er mit einem theatralischen Augenzwinkern hinzu.

    Ich schaute mir den Burschen näher an, der vor zwei Jahrzehnten mit mir Abitur gemacht hatte und mit dem ich später wenig bis nichts zu schaffen gehabt hatte. Hin und wieder hatten wir uns in der Heimatstadt getroffen, zufällig. Justus war ganz bestimmt nicht gerade das, was man für gewöhnlich einen guten Freund nannte. Hatte nach dem Abi an irgendeiner Fachhochschule etwas Betriebswirtschaftliches studiert, sich ein wenig die Welt angeschaut und später – um Lebenserfahrung reicher und um viele Illusionen ärmer – die mittelständische Spedition seines Vaters übernommen. Zusammen mit seinem älteren Bruder Thomas leitete er das Unternehmen.

    Justus war geschieden, keine Kinder. Er war kleiner als ich, sein Haar war weniger dicht als meines und sein Bauch rundlicher als meiner, wie ich zufrieden registrierte. Seine Gesichtshaut begann schlaff zu werden, der Ansatz eines Doppelkinns machte sich bemerkbar. Die Ringe unter den Augen könnten entweder vom Alkoholkonsum dieses Abends rühren oder aber ständige Begleiter sein. Genau vermochte ich das nicht zu sagen. Das Hemd, das er trug, schien teuer gewesen zu sein, auch wenn ich von solchen Dingen nichts verstand. Ich kaufte meine T-Shirts für gewöhnlich in einem Laden in Los Llanos für ein paar Euro.

    Justus Häussler hatte eine dunkle Stoffhose an, die ebenfalls nicht aussah, als würde ich sie mir leisten wollen oder können. Na ja, er war der Unternehmer von uns beiden. Ich dagegen konnte den unbezahlbaren Vorteil genießen, fast ganzjährig in kurzen Hosen herumlaufen zu können, wenn mir danach war.

    Justus lud sich sozusagen zu mir nach La Palma ein. Ziemlich frech, wie mir später, zu spät, bewusst wurde. Nachdem ich halbherzig zugesagt hatte, nur um ihn loszuwerden. Wer konnte ahnen, dass er sich am nächsten Tag noch erinnerte. Er verfügte über eine gewisse Überzeugungskraft. Durchsetzungsvermögen nannte man das wohl im Geschäftsleben.

    Es sollte nicht zu meinem Schaden sein, wenn ich ihn für ein paar Wochen aufnehmen würde, sagte er und grinste mich an wie ein Pennäler, der hinter dem Rücken seiner Eltern deren Tafelsilber verscherbelt. Für Justus war der Besuch auf La Palma an diesem Abend bereits beschlossene Sache. Dabei war ich alles andere als scharf auf einen Untermieter.

    Der Blick auf die Uhr verriet mir, dass bis zur Landung auf dem Aeropuerto von Santa Cruz noch etwa eine halbe Stunde Zeit blieb. Zeit, um noch einmal über die vergangenen beiden Wochen nachzudenken. Der Besuch bei meinen Eltern verlief harmonischer, als die langjährige Erfahrung es hätte erwarten lassen. Auch sonst waren es zwei angenehme Wochen gewesen, in denen ich mich mit alten Freunden getroffen hatte. Ich hatte darüber gestaunt, dass der Straßenverkehr, vor allem der elendige Schwerlastverkehr, seit meinem letzten Besuch noch mehr zugenommen hatte, und mich gefragt, ob ich in Deutschland jemals wieder leben könnte oder wollte.

    Zu intensives Nachdenken und eine Antwort ersparte ich mir. So machte ich das mit unangenehmen Dingen, die den Kern des eigenen Daseins berührten, eigentlich immer.

    Auch die Gedanken darüber, wie Justus Häussler kurz entschlossen sein Geschäft für unbestimmte Zeit hinter sich lassen und verreisen konnte, trieb ich nicht gerade voran. Sein Bruder würde die Spedition so lange leiten, hatte er kurz und bündig gesagt. Justus plapperte zu Beginn des Flugs die ganze Zeit unbedeutendes Zeugs. Schließlich setzte sich mein demonstrativ an den Tag gelegtes Desinteresse durch und er wurde merklich stiller. Vor allem schien er sich darüber zu wundern, dass ich keine Anstalten machte, mehr über seine Probleme herauszufinden, die ihn vorübergehend aus der Heimat trieben. Die Wahrheit war, dass ich mir nicht auch noch die Sorgen anderer Leute aufhalsen wollte. Ich hatte genug eigene. In letzter Zeit hatte ich geradezu ein Abonnement auf Sorgen.

    Eine davon war der neue Freund von Carmen. Ein paar Tage vor meinem Abflug hatte er mich auf offener Straße provoziert. Sagen wir, ich fühlte mich provoziert. Oder sagen wir, ich hatte darauf gehofft, dass er mich provozieren würde.

    Es ging ziemlich schnell und am Ende hatte er ein leicht ramponiertes Gesicht. Jetzt drohte er mir mit rechtlichen Schritten.

    Das war schon komisch. Eine ähnliche Situation hatte ich vor ein paar Jahren erlebt. Damals hatte ich mich mit meinem Vorgesetzten, dem Juniorchef der Stuttgarter Rechtsanwaltskanzlei Weißböck, Weißböck & Partner in die Wolle gekriegt und ihm einen nicht unwichtigen Knochen gebrochen. Eine Auseinandersetzung, aus der ich zwar als physischer Sieger hervorgegangen war, die aber auch das Ende meiner Karriere als Rechtsanwalt einläutete. So hatte die Juristerei mich verloren. Sei’s drum, dachte ich damals. An Talent hätte es mir nicht unbedingt gemangelt, wohl aber an ernsthaftem Karrierewillen.

    Nach einem mehrmonatigen Umweg, der mich unter anderem nach Australien geführt hatte, war ich so vor ein paar Jahren in meiner neuen Heimat auf La Palma gelandet.

    Und ähnlich wie damals war es jetzt wieder gelaufen. Dieser neue Macker von Carmen war mir gänzlich unsympathisch. Jeder andere wäre es sicher genauso gewesen, wie ich mir insgeheim eingestand, stolz auf den Rest meiner Fähigkeit zur kritischen Selbstbetrachtung. Der Kerl hatte mich auch nicht unbedingt ins Herz geschlossen. Die besten Voraussetzungen also für eine tragfähige Auseinandersetzung. Dass ich seine Nase etwas verschoben hatte, freute mich aufrichtig. Nicht so sehr konnte ich mich darüber freuen, dass Carmen alles mir in die Schuhe schob. Soweit ich wusste, tat sie nichts, um ihren Typen von einer Anzeige gegen mich abzuhalten. Mich an ihrem neuen Freund abzureagieren war wohl nicht die richtige Art, ihr zu zeigen, dass ich nach wie vor an ihr hing und sie, verflucht noch mal, vermisste wie keine andere zuvor.

    Hinterher ist man immer klüger.

    »Weißt du, das ist witzig. Ich war noch nie auf einer der Kanarischen Inseln.« Justus riss mich mit diesem Satz aus meinen Gedanken. Justus, der Vielgereiste. Da hatte er immerhin etwas mit mir gemeinsam. Auch ich war in jüngeren Jahren auf der Welt herumgekommen. Davon zeugten die Filmrollen mit Sand, die ich in meinem Wohnzimmer aufbewahrte. Das war früher so eine Marotte von mir: Von allen Stränden, die ich besuchte, hatte ich mir etwas Sand mitgebracht und in einer kleinen Filmdose aufbewahrt. Diese Dosen standen wie Zinnsoldaten in Reih und Glied auf einem Regal. Ein Anblick, der den flüchtigen Betrachter vermuten lassen könnte, dass ich Wert auf Ordnung lege. Was eine falsche Vermutung wäre.

    »Noch nie?« Damit überraschte er mich tatsächlich ein bisschen.

    »Nein. Ich kenne zwar alle Kontinente und habe sie mehrfach bereist. In Europa war ich fast in jedem Land. Aber auf den Kanaren war ich noch nie.«

    »Das ist interessant«, sagte ich beiläufig und hielt diesen kurzen Satz der Situation angemessen.

    »So interessant auch wieder nicht«, verbesserte mich mein Nebenmann, während er einen langen Blick hinter der hünenhaften Stewardess herschickte, die durch den Gang schwebte, als sei er der Laufsteg eines führenden Modehauses in Rom oder wo immer führende Modehäuser auch angesiedelt sein mochten. Eigentlich hatte Justus noch etwas über seine Reisegewohnheiten sagen wollen, wechselte aber das Thema. »Warum müssen die Stewardessen immer solche unvorteilhaften Kostüme tragen?« Mangels einer vernünftigen Antwort zuckte ich mit den Achseln. »Ich wusste gar nicht, dass die Fluggesellschaften so große Frauen als Stewardessen einstellen«, sagte er. Das Thema Sexismus im Zuge der MeToo-Debatte war offensichtlich spurlos an Justus vorbeigegangen.

    »Da hat sich einiges geändert«, steuerte ich bei. »Früher gab es da strenge Normen, aber der Nachwuchsmangel hat dazu geführt, dass man die Voraussetzungen aufgeweicht hat. Habe ich so gehört.«

    »Also, mir ist es ja egal, wie groß sie sind. Hauptsache, man kann sie anschauen.« Justus war vom alten Schlag. Er genderte nicht um den heißen Brei herum.

    »Sicher«, sagte ich seufzend und blickte aus dem kleinen Fenster in ein geradezu schmerzend klares Himmelblau. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich die kommenden Wochen mit meinem ungebetenen Gast überstehen sollte.

    2

    International Airport war eine Übertreibung. Die Größe und der Glanz des Inselflughafens konnten der Bezeichnung in keiner Weise gerecht werden. Man hätte ihn auch The Only Airport nennen können. Oder, um mein schwäbisches Heimatidiom zu bemühen, Airportle.

    Warme Luft umfing uns, als wir aus der Maschine stiegen und schnurstracks auf eigenen Füßen in die Ankunftshalle marschierten. Der International Airport in Santa Cruz war auch nach seiner baulichen Vergrößerung und Aufhübschung nichts anderes als ein Provinzflughafen geblieben, auf dem täglich eine Handvoll Maschinen landeten. Trotzdem schafften es über 200 deutsche Touristen, gleich nach ihrer Ankunft für ein Chaos zu sorgen, das einer Drehscheibe des internationalen Luftverkehrs tatsächlich gut zu Gesicht gestanden hätte.

    Das einzige arbeitende Gepäckband lief zehn Minuten lang, bevor die ersten Gepäckstücke darauf erschienen. Sie hatten keine Chance, eine Runde zu drehen, denn ihre Besitzer stürzten sich mit Verve in den Kampf, um ja als Erste ihren Koffer vom Transportband zu wuchten. Sie machten keine Gefangenen.

    »Wie die Geier«, kommentierte Justus Häussler das Geschiebe und Gedrücke. Er amüsierte sich augenscheinlich.

    »Dabei sind die Leute in Ferien«, entgegnete ich. »Wenn sie in zwei Wochen wieder nach Hause fliegen, schwärmen sie von der mediterranen Gelassenheit.«

    Mit einer fließenden Bewegung schnappte ich meinen Seesack vom Band. Die beiden Koffer von Justus – es waren zwei, und das ließ mich bezüglich der geplanten Aufenthaltsdauer meines Gastes Schlimmes befürchten – waren noch nirgends auf dem Transportband zu sehen. Dass Justus noch kein Rückflugticket gebucht hatte, wie er mir strahlend erklärt hatte, verbesserte meine Laune nicht gerade.

    Ich stellte mich etwas abseits. Sollte er sein Gepäck ruhig selbst schleppen. Dafür, dass ich ihm vor ein paar Tagen nicht energischer widersprochen hatte, hätte ich mir selbst Ohrfeigen verpassen können. Was sollte ich mit dem Kerl in meiner Wohnung? Einem Typen, mit dem ich zufällig vor tausend Jahren die Schulbank gedrückt hatte. Schon nach unserem seltsamen Jahrgangstreffen hatte ich mir überlegt, ob ich ihn nicht woanders einquartieren könnte, hatte den Gedanken dann aber nicht weiterverfolgt. Bis vorhin im Flugzeug. Auf die Schnelle wollte mir keine Lösung einfallen. Ich musste schauen, dass ich Justus möglichst schnell wieder loswurde. Hatte keine Lust, dass er mir wochenlang auf die Pelle rückte. Und mich womöglich in etwas hineinzog, in das ich unter gar keinen Umständen

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