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So weit? So gut!: Erinnerungen und Erfahrungen eines Ultra-Läufers
So weit? So gut!: Erinnerungen und Erfahrungen eines Ultra-Läufers
So weit? So gut!: Erinnerungen und Erfahrungen eines Ultra-Läufers
Ebook362 pages4 hours

So weit? So gut!: Erinnerungen und Erfahrungen eines Ultra-Läufers

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About this ebook

Der härteste (und mit Glück geschaffte) Lauf war der Spartathlon mit hügeligen 245 km in 34:51 Stunden von Athen nach Sparta.

Der böseste war der Badwater im Death Valley mit extremen 217 km durch die heißeste Wüste der Welt in 46:06 Stunden. Nonstop, bei bis zu 55° Celsius.

Der schönste war der Grand Raid auf Reunion mit 140 bergigen Kilometern und 8100 m Höhenmeter (36:29 Stunden).

Die großartigste und aufregendste Konkurrenz war der Ultra Trail du Mont Blanc mit 166 Hochgebirgs-Kilometern und 9400 Höhenmeter (41:08 Stunden).

Das abenteuerlichste Gruppenerlebnis bot der Marathon des Sables (sechs Wüstenetappen an sieben Tagen) - ein wunderschöner Abenteuerlauf (41:38 Stunden Gesamtzeit).

Der längste, aber auch der langweiligste Lauf war der 48-Stundenlauf in Gols mit ebenen 267 Kilometern.

Einer der liebsten ist der Ötscher-Ultramarathon!

Josef Kladensky (70) ist Läufer mit Herz und Seele. In seinem Werk "So weit, so gut!" schreibt er über die oben genannten Konkurrenzen, die das Herz eines jeden Ultra-Läufers höher schlagen lassen, und über viele andere mehr. Der Mödlinger Vermessungstechniker, der Vegetarier ist, sagt von sich: "Gottlob habe ich den ,Ich kann nicht mehr'-Schalter tief in mir vergraben."

Doch in Kladenskys Buch geht es nicht nur um eine persönliche "Prahlliste", wie er selbst die Aufreihung seiner Erfolge bezeichnet, sondern auch darum, Emotionen und positive Erlebnisse zu vermitteln und Personen jeder Altersschicht darauf hinzuweisen, wie wichtig Sport, Bewegung, gesunde Lebenseinstellung ist. "Man läuft mit dem Körper und dem Kopf", sagt er. "Und je besser man sich kennt, umso weiter kommt man auch."
Kladensky ist der lebende Beweis: 71 Jahre alt, aber mit seinen Laufabenteuern immer noch nicht am Ende.
LanguageDeutsch
PublisherEgoth Verlag
Release dateJun 26, 2019
ISBN9783903183674
So weit? So gut!: Erinnerungen und Erfahrungen eines Ultra-Läufers

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    Book preview

    So weit? So gut! - Josef Kladenksy

    ist.

    COMRADES MARATHON 1997

    WIR WAREN EINE 45-KILOMETER-SCHLANGE

    16. Juni 1997, 2 Uhr nachts, Durban, Südafrika. Mein Wecker läutet, weckt mich aber nicht. Nicht weil ich so tief schlafe, ganz im Gegenteil: Weil ich schon längst wach bin. Hellwach! Brav läutet auch Reimars Wecker. Ziemlich genau drei Sekunden später macht sich das Telefon als weiterer Weckdienst wichtig. Freundlich bedanke ich mich – bei der Tonbandstimme. Der nächsten „Weckversicherung", dem Nachbarzimmer, komme ich zuvor …

    „Himmel, die sind ja schon fertig angezogen!"

    Duschen, Kaffee kochen, nervös sein, frühstücken. Alles noch ohne unser Zimmer zu verlassen.

    „Ist es wirklich schon so weit?"

    Brustwarzen verpicken, zum fünften Mal aufs Klo gehen, „klein natürlich, für „groß ist es zu spät … so früh. Danach erscheint uns als geistige Übersprunghandlung die Diskussion über den fehlenden Aquastopp auf dem WC recht geeignet. Mein Gott, bin ich gut im Nervössein!

    Crème de la Crème

    3 Uhr. Treffen mit den Freunden in der Hotelhalle. Wir sind 13. Eine Frau und zwölf Männer, im Alter zwischen 35 und 62 Jahren. Alle haben mich mit ihren Leistungen total verunsichert: Das ist hier die Oberstufe! Bis zu zehn Marathons im Jahr! Nur ein Einziger hat eine (noch) etwas schwächere Marathonbestzeit als ich. Das sind Fakten! Nein, Killermeldungen! Sollten zwei von unserer Gruppe das Ziel nicht erreichen, wäre ich – zumindest statistisch gesehen – einer davon. Ich muss wahnsinnig sein. Am Vorabend habe ich Ahnungsloser mich noch auf neun Stunden und 50 Minuten eingeschätzt … Damit wäre ich der Viertschnellste von uns allen! Ich bin wahnsinnig!

    Insgesamt starten hier 20 Österreicher. Sie stellen das zweitgrößte Kontingent der 250 antretenden Nichtafrikaner. 89,9 Kilometer warten auf uns. Von Pietermaritzburg bis hierher – nach Durban. Zwei Städte, die immerhin beide auf meinem kleinen Globus daheim zu finden sind. (Beide nicht abgekürzt, trotz der 16 Buchstaben, die Pietermaritzburg immerhin hat.)

    Noch eine kurze Diskussion, ob man von der Startnummer den „Ich will nicht fotografiert werden"-Hinweis abtrennen soll. Wieso der weggeschnitten werden soll, wenn man fotografiert werden will, verstehe ich zwar nicht, wage aber auch nicht, meine Übersetzungsauslegung zu verteidigen.

    Unsichtbare Sitzplätze

    Eine Viertelstunde später klettern wir in den Autobus, der uns zum Start nach Pietermaritzburg bringen soll. Er wartet direkt hinter dem Hotel. Es ist kühl und leicht windig. Im Bus eine kleine Streiterei – die Fremden gegen den Fahrer – über unakzeptable (oder unsichtbare?) Sitzplätze. Dann aber fahren wir endlich ab.

    „Genau hier biegen wir ins Stadion ab!, und später: „Hier geht’s dann steil bergab, informiert uns Lothar, der Organisator unserer österreichischen Läufergruppe. Lothar ist Wiederholungstäter. Es kommt mir vor, als würde er etwas aus einem anderen, unendlich fernen Leben beschreiben. Sollte dieser Lauf mein Leben tatsächlich in ein Leben „davor und in ein Leben „danach teilen?

    Als Grund für den großen Respekt vor diesem Abenteuer muss ich eine harte Tatsache erwähnen: Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Schritt über die Marathondistanz hinausgewagt. Lasse mich also nach zwölf Jahren und elf mehr oder weniger erfolgreichen Marathons auf einen Sprung von 42,2 auf 89,9 Kilometer ein.

    Unser Fahrer dreht den Motor des ohnehin unangenehm lauten Busses permanent aufs Drehzahllimit hinauf, sodass der Eindruck entsteht, wir fahren ununterbrochen bergauf.

    „Das müssen doch mehr als 600 Höhenmeter sein?"

    Es zieht. Das Seitenfenster vorn beim Chauffeur ist offen. Wahrscheinlich laufen sonst die Scheiben an. Schräg hinter mir zittert ein Mann indischer Abstammung. Er friert entsetzlich. Meine gestern erstandene Wegwerfbluse hält’s da im Sackerl nicht mehr aus … mich wärmt die Freude des Mannes darüber. Und meine zweite Bluse.

    Apropos Abstammung: In Durban würde ich den Anteil der hellhäutigen Menschen auf 50 Prozent der Bevölkerung schätzen. Rund je 25 Prozent sind afrikanischen beziehungsweise indischen Ursprungs, darunter natürlich auch alle möglichen Mischformen. Durchwegs schöne und vor allem offene Menschen. Beim Comrades Marathon liegt der Anteil an Weißen höher, schätzungsweise bei 60 Prozent, vielleicht auch mehr. Der Rest teilt sich wieder in zwei gleiche, dunklere Hälften. Von den höchstens zehn Prozent teilnehmenden Frauen haben aber sicher 90 Prozent eine helle Haut.

    Pietermaritzburg

    4 Uhr 30. „One and a half hour to go!"

    Da wärmen doch tatsächlich schon einige auf! Es ist noch stockdunkel, aber die Stadt ist hellwach und überfüllt mit den 14.000 (vierzehntausend – kein Tippfehler!) Läufern. Es wird kälter. So um die fünf Grad würde ich sagen. Oder kommt’s nur uns so vor? Es ist nichts und doch auch viel zu tun: umziehen, einschmieren, diskutieren, drei- bis viermal aufs Klo gehen, Schuhe zum x-ten Mal neu binden. Gepäck sortieren: Kappe, Sonnenbrille, Trainingsbluse, alles mitnehmen? Später verschenken? Abgeben? Alles kontrollieren: Chip, Startnummer._Nichtfotografierwunschstreifen also doch zumindest umklappen, wenn man nicht nicht fotografiert werden will.

    5 Uhr 30. „Thirty minutes to go! Da ertönt die berühmte österreichische Hymne aus den Lautsprechern: „Live is Life, plärren wir laut und mit viel Begeisterung mit. Unsere Stimmung kocht.

    Jetzt wird es ernst: Franz drängt zum Aufbruch, und wir machen uns Richtung Startraum auf. Die plötzliche Drängelei ist gar nicht so unangenehm – wegen der Kälte, ansonsten schon. Auf einmal stehen wir vor der Absperrung zur „7:00–7:30"-Zone, und etwas übermütig klettern auch wir, wie wahrscheinlich Hunderte andere vor uns, über die filigrane Barriere. Ganz schön unverschämt, aber die Nähe zur Startlinie – es sind vielleicht lächerliche 30 Meter – ist ein Trost für uns. Die Starterschlange ist sicher einige Hundert Meter lang.

    Eine Bombe von einem Startschuss und – nichts. Kein Applaus, kein Schreien, keine Bewegung, nichts, eineinhalb Minuten lang nichts, nur pure Anspannung und Nervosität. Dann vorsichtiges Losstolpern über unzählige Plastiksäcke, Jacken, Handschuhe und Hauben Richtung Startlinie. Dort stellen wir fest, dass es keine persönliche Zeitnehmung gibt; unser mutiger Einbruch in den vorderen Startraum hat sich also gelohnt.

    „Viel Glück!", rufen wir einander zu, und los geht’s.

    Mutationen

    Beengt, langsam und eingesäumt von Zuschauern dehnt sich die nun zur Läuferschlange mutierte Starterschlange in der Finsternis aus. Sie wird sich übrigens fünf Stunden und 28 Minuten – das wird die Siegerzeit sein – immer weiter ausdehnen, bis sie die beachtliche Länge von 45 Kilometern erreicht haben wird. Aber auch die Art ihrer Auflösung wird bemerkenswert sein. Genau genommen wird ihr später ja von zwei Seiten zugesetzt: Zunächst von vorn, im Ziel, wo sie am Anfang natürlich noch recht schlank sein wird, dort wird sie zuerst mit ganz kleinen, bald aber mit immer größeren Happen verschlungen werden – über fünfeinhalb Stunden lang. Was danach von der Schlange noch übrig ist, wird von einem tickenden Beil abgehackt und in einer gallbitteren Mischung aus Enttäuschung und Traurigkeit aufgelöst. Genauso wie der, der hochgerechnet nicht in elf Stunden im Ziel sein wird.

    Vor fast jedem Haus erkennt man in der Dunkelheit verschlafene Gestalten, die uns die Ehre erweisen. Sie haben sich meist nur einen Mantel über den Pyjama geworfen, denn für sie ist das Spektakel hier relativ schnell vorbei. In Durban dagegen werden wir, wie gesagt, ein Fünfeinhalb-Stunden-Programm bieten.

    Chlorwasser

    Die ersten Kilometer ziehen sich. Von zu schnell ist keine Rede. Noch ist es viel zu eng, zu kalt und zu finster. Die Tafel zeigt verbleibende 80 Kilometer, die Stoppuhr meldet zugleich die erste Stunde. Leicht zu rechnen: Zehn – exakt sind es 9,9 – Kilometer pro Stunde, macht sechs Minuten für einen Kilometer. Eigentlich zu langsam, ich habe fünfeinhalb Minuten pro Kilometer geplant, zumindest auf den ersten 30 Kilometern. Aber es kommt mir gar nicht so langsam vor. Ich beschließe, nichts am Tempomaten zu ändern.

    Zurückblickend würde ich heute sagen, dass ich in dieser Anfangsphase keinerlei Probleme hatte. Live aber plagten mich 100 Kleinigkeiten. Die in einer derartigen Ausnahmesituation alle sehr respektvoll aufgelistet, gewertet und vor allem weit überschätzt werden. Ich glaube, die Psychologie spricht hier vom „Lupeneffekt. Mir gefällt der Begriff „Zweckpessimismus besser: Was könnte außer Kontrolle geraten? Oder: Waren da einige Zeiger meiner inneren Kontrollinstrumente zuvor nicht etwas mittiger im grünen Bereich? Soll ich etwas dagegen unternehmen?

    Hier eine kleine Auswahl meiner Problemchen:

    -Warum muss ich dauernd austreten?

    -In meinem Bauch rumort es entsetzlich.

    -Die Sonnenbrille in der Hand ist lästig.

    -Mein linker Knöchel und die rechte Hüfte tun mir weh – wie immer

    am Beginn von Wettkämpfen.

    -Wie viel und was soll ich wann trinken oder essen?

    -Ob ich das vom Chlor mehr hin- als hergerichtete, aber sehr praktisch verpackte Plastiksackerlwasser vertrage?

    -Dehnt das Chlor seine Mordlust auch auf meine Darmflora aus? (Es riecht zwar ungenießbar, erinnert aber herrlich an die Schwimmbäder der 50er-Jahre, also an Schulferien.)

    -Oder Coca-Cola?

    Aber wie gesagt, in Wirklichkeit alles keine Probleme!

    Ablenkung gefragt

    Unendlich langsam geht die Sonne auf. Sie wird lediglich 37 Grad über den Horizont aufsteigen, linksherum, über den Norden. In fünf Tagen haben wir Wintersonnenwende. Soweit die astronomische Ablenkung. Langsam wird’s jetzt auch etwas wärmer. Jetzt würde ich meine Bluse einem der darum bettelnden Kinder schenken, wenn ich sie nicht schon im Autobus verschenkt hätte.

    Restkilometer 70, und wieder exakt zur vollen Stunde. Soll mir recht sein. Irgendwann treffe ich Adi, und wir laufen schätzungsweise 15 Kilometer (oder wie’s hier heißt: 15 K’s) gemeinsam. Das ist absolut gesehen wahrscheinlich meine lockerste Phase. Wir lenken uns gegenseitig ausschließlich mit positiven Meldungen ab. Kommen zu zweit auch etwas unter den Sechserschnitt. Schade, dass ich jetzt schon wieder Nervosität ablassen muss … kalt ist es ja nicht mehr. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass wir Österreicher – von unserem Ehepaar abgesehen – vereinbart haben, nicht aufeinander zu warten, wenn einer „hinaus" muss. Was natürlich absolut in Ordnung ist, es würde sich ja sonst keiner mehr trauen, zur Seite zu gehen, wenn er den anderen damit auch aufhält.

    Es wird noch wärmer. Zunächst drehe ich den Schirm meiner Kappe der Sonne nach, muss aber bald erkennen, dass nicht die Sonnenstrahlen das Problem darstellen, sondern der Wärmestau unter der Kappe. Kurz entschlossen werfe ich sie einem kleinen Buben am Straßenrand zu, der sichtlich große Freude mit seiner neuen Kopfbedeckung hat. Immer mehr Kinder, die betteln. T-Shirts und Caps sind lautstark gefragt. Kann aber nur noch meine Sonnenbrille verschenken. Gibt ja auch kaum etwas Unnötigeres als eine Sonnenbrille, wenn die Sonne im Norden steht und man nach Südosten läuft.

    Bergabrollen

    Ich laufe gerade eine ziemlich lange Steigung hinauf – schön langsam, Kräfte schonen, im Rhythmus bleiben und den Puls konstant halten. Da bemerke ich, dass ich nahezu der Einzige bin, der läuft. Alle anderen gehen. Und sind kaum langsamer als ich. Ich beginne zu zweifeln. Ich habe mir zwar fest vorgenommen, solange es irgendwie geht, auch Steigungen zu (be-)laufen, aber ich bin doch nicht klüger als alle anderen, mit ihren oft zehn, 20 oder 30 Medaillen (der persönliche Medaillenstand ist unter der jeweiligen Startnummer abzulesen). Außerdem kann man beim Gehen ein paar Dehnungsübungen machen. Tatsächlich: Das Gehen geht. Hinauf in der Masse – und hinunter rechts (Linksverkehr!) an ihr vorbei. Schließlich habe ich ja energiesparendes „Bergabrollen" geübt: kleine, weiche Schritte, wie auf dünnem Eis, also die Fersen nicht in den Boden dreschen, die Beine kaum heben, der Schwerpunkt beschreibt eine Gerade, Vorlage, Arme hängen lassen. Und so mach ich’s auch bei den nächsten zehn oder 20 (oder 100?) Hügeln.

    Bei einer Verpflegungsstation überholt mich Reimar. Er winkt und läuft weiter. Reimar und ich sind die Einzigen unserer Gruppe, die allein gekommen sind. Daher wurden wir auch in ein Zimmer zusammengelegt. Eine wunderbare Zusammenfügung und der Beginn einer tiefen Freundschaft.

    Atmosphäre – grandios!

    „Well done, Austria!, „You look good!, „Keep it up", brüllen mir die praktisch entlang der gesamten Strecke stehenden Zuschauer zu.

    „This is the wrong way to Austria, witzelt einer, und manchmal überläuft mich bei einer akustischen „Austriaaaa!-Welle eine Gänsehaut.

    Man liebt die Ausländer hier, die leicht an ihren gelben Startnummern zu erkennen sind. Neben den Fremden sind natürlich auch Frauen das Ziel jeglicher Art von Begeisterungsstürmen.

    „Well done, young Lady", erklärt eine einfache, dicke, dunkelhäutige Frau einer weißen Läuferin ganz leise.

    Die young Lady bedankt sich artig und winkt lächelnd zurück. Ich weiß nicht warum, aber mich berührt dieser unauffällige, leise Höflichkeitsaustausch ganz seltsam. Aber wie gesagt: Die Mehrzahl der Zurufe ist übermütig und laut. Muss an unsere Slavica, die einzige Dame in unserem heimatlichen Team denken: Frau und Ausländerin!

    Aber auch Mitläufer reden mich ständig an, klopfen mir auf die Schulter, versuchen ein paar Worte deutsch zu sprechen, erzählen von ihrer österreichischen Großmutti oder von Hinterstoder. Und behinderte Kinder (ein ganzes Heim), Schulklassen, Reisegruppen, ganze Clans und Gangs, aber auch Singles aller Hautfarben schreien uns zu und strahlen uns an. 20 schwarze Kinder, so drei bis zwölf Jahre alt, gereiht wie die Orgelpfeifen, strecken mir ihre Hände entgegen – zum Abklatschen. Das ist warmer Regen für die Seele und Treibstoff für die Beine.

    Und immer wieder ein Zehn-Kilometer-Sprung, gerade zur vollen Stunde oder ein paar Minuten vorher. Am zähesten sind die K’s von 40 bis 50 … Es dauert scheinbar eine Ewigkeit, bis der erste Marathon – hätte nie gedacht, dass ich einmal die Marathons eines Tages nummerieren darf –, bis also der „erste Marathon gelaufen ist und das persönliche Neuland beginnt. Dann dauert es wieder bis zum Halfway, und immer weiter, bis der Rest „nur noch ein Marathon ist. Aber bei Restkilometer 40 sind diese Marken vorbei, und man versucht, nicht mehr an die K’s zu denken.

    Euphorie

    Dann auf einmal – trotz aller Problemchen – ein seltsames, unbeschreibliches, ein euphorisches Gefühl. Ausgelöst durch den plötzlichen Blick aufs Meer. Deutlich ist der Indische Ozean zu sehen, 30 Kilometer Luftlinie entfernt, schätze ich. Das Ziel ist noch weit, aber immerhin sichtbar. Und immer noch zwei Stunden Reserve, wenn ich so weiterlaufe, für den Rest, um unter dem Elf-Stunden-Limit zu bleiben. Darf ich schon hoffen? Das könnte ja wirklich klappen. Plötzlich wird das bisher Geleistete ganz wichtig, ich darf jetzt nichts mehr riskieren, ich muss das bisher Gewonnene sicher heimbringen.

    Klar, beschleunigend wirken solche, wahrscheinlich durch die Müdigkeit aufkommenden Gedanken nicht gerade. Mein Hirn kann sich gegen meinen Ehrgeiz aber ohnehin noch nicht durchsetzen. Denn die folgenden beiden Hochrechnungen für die Endzeit, also zwei mal zehn Kilometer (oder eben zweimal eine Stunde) später, bedeuten wieder: Immer noch um die neun, vielleicht sogar unter neun Stunden! Kein Viertel mehr. Nur noch zwei Stunden …

    SoS!

    Plötzlich wird ein eigentlich gar nicht unlösbares Problem zu einer echten Belastung. Die Lage ist ernst. Ich durchlaufe nämlich gerade das Äquivalent zum Schreiberweg in Grinzing. Kein Wald, keine Buschlandschaft, nicht einmal ein dünn besiedeltes Gebiet, nein, es ist der Schreiberweg. Eindeutig. Vornehme Hausherren wenden die letzten Steaks auf den vor ihren Villen stehenden Grillern, lassen dabei aber keinen Läufer aus den Augen. An den Tischen genießt die Großfamilie das Szenario aus der ersten Reihe.

    Mir bleibt nur die Flucht nach vorn: „Do you live here, Sir? Please, save my life and let me use your toilet."

    War gar nicht so schwer. Und da höre ich schon irgendwas Erlösendes wie „Come …, und dann: „… straight on …

    Jetzt kommt meine beste Zeit. Allen vernünftigen Vorsätzen zum Trotz erlaube ich mir ein paar wirklich schnelle, sorglose Kilometer. Randvoll mit Endorphinen blödle ich mit meinen Fans. Ein „You look good! quittiere ich mit einem: „Your mother told you, you shouldn’t lie!

    „You look terrible!", steigt daraufhin ein anderer geistesgegenwärtig ein, und er hat vermutlich auch recht.

    Goodies

    Ich habe mich auf einen Becher Coke und ein vom Chlor hingerichtetes, totes Wasser an jeder zweiten Verpflegungsstation eingestellt. Zusammen ungefähr ein Viertelliter Flüssigkeit, etwa alle drei Kilometer. Herrlich, wie gut mir das Coke schmeckt. Wie ein Kind auf ein Zuckerl freue ich mich auf das nächste, picksüße Safterl. Ich habe es mir oft genug einhämmern lassen, dass so ein Lauf mit dem Kopf geschafft werden muss. Also gibt’s unvernünftige Goodies statt was G’scheites …

    Die Stationen sind überhaupt, neben den Zuschauern, die angenehmste Ablenkung. So durchschnittlich alle zehn Minuten geben sie einem das Gefühl, wieder etwas geschafft zu haben, und das ohne eine bisweilen frustrierende Kilometrierung. Ab und zu gibt es diese herrlichen Shower Tunnels – 15 Meter durch erquickenden künstlichen Sprühregen! Oder einfache, mit Wasser gefüllte Zwei-Meter-Wannen, bei denen man sich im Vorbeilaufen die Erfrischung, individuell gesteuert und dosiert, herausschaufeln kann. Vielleicht tut das bisserl Pritscheln aber auch nur dem kindlichen Gemüt gut. Für diverse Wehwehchen oder für die totale Abkühlung gibt’s natürlich jede Menge Eis. Und das Angebot an Schokolade, Keksen, Orangen und Bananen ist sowieso selbstverständlich.

    Kampf gegen den Krampf

    Wir laufen nun tatsächlich auf der Autobahn. Eine kilometerlange Strecke bergab, immerhin mit zwölf Prozent Gefälle, liegt vor uns. Abgesehen von der Querneigung wegen der relativ engen Kurven läuft es gut für mich. Mir fällt jedoch die lange Schlange mit der beachtlichen Anzahl an Massagebedürftigen vor der Behandlungsstation auf. Von den Vorbeilaufenden setzen viele auf Selbstheilung, indem sie sich mit einer Hand auf bestimmte Stellen der Oberschenkel drücken. Andere suchen ihr Glück in Dehnungsübungen. Einige humpeln erbärmlich. Und noch 15 Kilometer bis ins Ziel … Ich bin wieder ehrfürchtig. Einen Schritt vor den Krämpfen geht’s jedem gut, philosophiere ich.

    Um aber einmal ganz ehrlich zu sein: Mir tat jeder Knochen, jedes Gelenk und jeder Muskel im Leib weh, ich war hundemüde, sah jede Minute auf die Uhr und sehnte nichts mehr herbei als das Ende dieser Strapazen, dieser Qualen. Aber irgendwie gelang es mir, das alles auszublenden, und immerhin stellte ich mir kein einziges Mal die Sinnfrage. Der nun schön langsam doch zu erwartende Erfolg und die Publikumsunterstützung waren eine hervorragende Motivation.

    Bis ins Ziel gibt es jetzt nur noch wenige Steigungen zu „begehen. Gott sei Dank, denn wenn man nach dem höchsten Punkt einer Steigung wieder mit dem Laufen beginnt, herrscht höchste Krampfgefahr. Die letzten sechs oder acht Kilometer schalte ich dieses Risiko aus, indem ich überhaupt nur noch laufe. Ganz, ganz vorsichtig. Nur keinen Muskel überbeanspruchen, nur keinen Muskel unnütz anstrengen, heftige, rasche oder große Bewegungen vermeiden, nur nicht vom Stallgeruch zu einem Schlusssprint verleiten lassen. Noch nie war der Auftrag „locker bleiben so wichtig! Noch ist nichts gewonnen, aber alles zu verlieren!

    Countdown

    Da – das für mich schönste Bauwerk von Durban: die Ortstafel!

    Fünf, vier, drei, zwei, ein Kilometer. Ich biege ins Stadion ein. Wahnsinn! Aber lange bevor ich diese einzigartige Atmosphäre, die unglaubliche Stimmung realisieren kann, bin ich auch schon im Ziel. Postulierte 35.000 Zuschauer feiern jeden Finisher, die ausländischen Teilnehmer werden sogar namentlich genannt. Und ich bin mit meinen „9:06:12" unsagbar glücklich!

    Geschafft!

    VORSTELLUNGEN

    LAUFNARRISCH

    Wann alles mit dem Laufen bei mir begann? Mit einem Wort: spät. Ich bin Jahrgang 1948, und in den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts lief oder rannte man nicht. Nicht im heutigen Sinn. Höchstens manchmal der Straßenbahn oder dem Fußball nach. Man stieg vielleicht auf Berge, aber Laufen war bei der eben aufgekommenen Motorisierung einfach nicht cool. An Laufen als Selbstzweck, also auch dann, wenn man es nicht eilig hatte, kann ich mich nicht erinnern. „Laufen ist ungesund, davon kann man sehr krank werden, behauptete mein Elternhaus. „Lauf nicht!, habe ich sicher öfter gehört als „Bohr nicht in der Nase. Nur „Nichts trinken! könnte es ähnlich oft geheißen haben. Oder bestenfalls: „Erst essen, dann trinken!" Seltsam, wie sich da die Vorzeichen geändert haben. Vielleicht führten all diese – nicht nur elterlichen – Ratschläge dazu, dass ich erst mit 33 Jahren entdeckte, dass Laufen für mich eine selbstbelohnende Bewegung ist.

    Zuvor aber noch ein bisschen Menschliches

    Zunächst war da mein Studium, das ich schließlich als Diplomingenieur für Vermessungswesen abschließen konnte. Ich fand einen guten Job als Abteilungsleiter bei der Wien Energie Gasnetz GmbH, heute Wiener Netze. Verheiratet bin ich auch. Meine Frau heißt zwar ebenfalls Kladensky, ist aber unter „Christine Schuhe" in Perchtoldsdorf, wo wir heute wohnen, bekannter. Sie führt einen kleinen Schuhladen. Sportschuhe? Nein, ganz im Gegenteil!

    Ich versuche, mich auch sozial ein wenig wichtigzumachen. Etwa bei den Gesundheits- und sozialen Diensten des Roten Kreuzes. Da kümmere ich mich gerne um alte und behinderte Menschen. Schaue darauf, dass ein ExSträfling wieder auf die Beine kommt und habe einen ehrenamtlichen Job in meiner alten Firma übernommen. Motiv? Egoismus! Altruismus macht den klugen Menschen glücklich, sagt man. Und ich sag’s auch.

    Was noch? Seit 1995 bin ich Vegetarier. Weil ich Tierfreund bin. Und weil ich natürlich auch Menschenfreund bin, habe ich bisher 107-mal hauptsächlich dem Roten Kreuz, bei Notfällen auch der Blutbank Blut oder Blutbestandteile gespendet. Blutspender? Vegetarier? Eine schlechte Kombination für einen Ausdauersportler, erklärt man mir häufig. Trotzdem lebe ich damit besser. Bin aber kein Kost- und – bitte nicht weitersagen – auch kein Alkoholverächter. Vor allem kein Verächter vom schlechtesten aller Durstlöscher. Vom Bier. Von dem kann ich, in guter Gesellschaft, einige Krügerln trinken, ohne dass da etwas gelöscht werden würde.

    Eine irre Idee

    1981 bolzten dann meine Freunde und ich wöchentlich gerade zwei mal zwei Kilometer in der Prater Hauptallee in Wien hin und her. Bis beim Bier danach einmal einer meinte, nächstens doch die ganze Hauptallee hin und zurück, also 8,6 Kilometer zu probieren. Was für ein fast irrer Vorschlag. Damals. Doch es lief.

    1985 – da war ich bereits 37 – wagten drei von uns Spinnern total blauäugig ihren ersten Marathon. Ich schaffte ihn in drei Stunden und 51 Minuten. Und ich war süchtig!

    1997, also erst zwölf diesbezüglich nahezu verlorene Jahre und zehn Marathons später mein erster Ultrabewerb – der Comrades in Südafrika (89,9 Kilometer in neun Stunden und sechs Minuten). Streckenverdoppelung und Totalinfektion! Und in der Art ging es etwas rascher weiter …

    Ich habe immer mehr, teilweise hochtalentierte Freunde gefunden, die mich und meinen Ehrgeiz eingeladen haben, solche Herausforderungen anzunehmen. Bis schließlich Markus, Mario, Dominik, die Andis, Christoph und viele mehr in mein Leben getreten sind und mich und meinen in die Jahre gekommenen Ehrgeiz reichlich überforderten. Aber auch meine alten jüngeren Freunde laufen mir mittlerweile davon. Tun sie aber aus Höflichkeit kaum wirklich.

    Alles „Medium"

    Bei mir ist alles Körperliche durchschnittlich. Größe, Gewicht, Statur – alles „Medium. Ich war im Turnunterricht zwar nie der Beste, hatte aber immer schon einen auffälligen Bewegungsdrang. Da hat sich bis heute nichts verändert. Ich habe jedoch prinzipiell immer lieber „mich selbst als „etwas" bewegt. Beim wöchentlichen Fußballspiel in der Halle etwa heißt es, man müsse mich dreimal überspielen, wenn ich aber im Besitz des Balles sei, sei die größte Gefahr vorbei.

    In erster Linie ging es sportlich bei mir also ums Laufen, Bergsteigen und Radfahren (Rennradradfahren). Hinsichtlich des Bergsteigens möchte ich – schon etwas stolz – auf mehrere 5000er und einen 6000er im Kaukasus, in den Anden, in Nepal und in Afrika hinweisen. Auch Kombinationen aus meinen Lieblingssportarten haben mich oft gereizt. So konnte ich mit dem Rennrad 1985 anlässlich einer größeren Radtour, zwar ungeplant, aber immerhin ausschließlich mit eigener Kraft, eine Höhe, die über der des höchsten Punkts der Alpen, auf den eine öffentliche Straße – die Ötztaler Gletscherstraße – mit 2829 Meter führt, erreichen. Die längste Strecke, die ich mit dem Fahrrad an einem Tag zurückgelegt habe, war gerade 300 Kilometer lang. Bescheiden, wenn ich im Vergleich dazu an den längsten Nonstop-Lauf meines Lebens mit immerhin 267 Kilometern denke, nicht?

    Gut, ich habe wahrscheinlich nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Ausdauerläufer. Aber welche sind das eigentlich? Ich kann lediglich eine größere Portion Lauflust auf meiner Ursachenliste finden, und kein für das Laufen zuständiger

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