Blutschwestern: Der Arzt vom Tegernsee 28 – Arztroman
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Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
»Gut, daß Sie heute so früh kommen, Dr. Baumann«, meinte Liselotte Weller, die Leiterin des Sankt Agnes-Stifts. »Frau Lindenmaier hatte eine sehr schlechte Nacht. Ich machte mir große Sorgen um sie. Das ist nun schon ihre dritte Lungenentzündung in diesem Jahr.« »Und vermutlich Ihre letzte, Frau Weller«, erwiderte Dr. Eric Baumann. Er betreute Elisabeth Lindenmaier, seit er die Praxis seines verstorbenen Vater übernommen hatte. Die alte Dame hatte vor kurzem ihren siebenundachtzigsten Geburtstag gefeiert. Seit drei Jahren konnte sie nicht mehr laufen und war vierundzwanzig Stunden am Tag auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Erst vor einer Woche hatte sie ihm gestanden, daß sie das Leben nicht mehr freute und sie sich danach sehnte, für immer einzuschlafen. »Und Sie meinen nicht, daß im Krankenhaus…« Eric umfaßte spontan die Schultern der Heimleiterin. »Frau Weller, Sie wissen so gut wie ich, daß Frau Lindenmaier nicht künstlich am Leben erhalten werden will. Wir haben ihr beide versprochen, daß sie in Frieden gehen darf und nicht gezwungen wird, auf einer Intensivstation noch einige Wochen dahinzuvegetieren. Es wäre nur ein kurzer Aufschub und würde sie unnötig quälen.« Die Heimleiterin nickte. »Ich weiß ja, daß Sie recht haben, Herr Doktor, es fällt mir nur sehr schwer, den Tod zu akzeptieren.«
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Blutschwestern - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 28 –
Blutschwestern
Laura Martens
»Gut, daß Sie heute so früh kommen, Dr. Baumann«, meinte Liselotte Weller, die Leiterin des Sankt Agnes-Stifts. »Frau Lindenmaier hatte eine sehr schlechte Nacht. Ich machte mir große Sorgen um sie. Das ist nun schon ihre dritte Lungenentzündung in diesem Jahr.«
»Und vermutlich Ihre letzte, Frau Weller«, erwiderte Dr. Eric Baumann. Er betreute Elisabeth Lindenmaier, seit er die Praxis seines verstorbenen Vater übernommen hatte. Die alte Dame hatte vor kurzem ihren siebenundachtzigsten Geburtstag gefeiert. Seit drei Jahren konnte sie nicht mehr laufen und war vierundzwanzig Stunden am Tag auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Erst vor einer Woche hatte sie ihm gestanden, daß sie das Leben nicht mehr freute und sie sich danach sehnte, für immer einzuschlafen.
»Und Sie meinen nicht, daß im Krankenhaus…«
Eric umfaßte spontan die Schultern der Heimleiterin. »Frau Weller, Sie wissen so gut wie ich, daß Frau Lindenmaier nicht künstlich am Leben erhalten werden will. Wir haben ihr beide versprochen, daß sie in Frieden gehen darf und nicht gezwungen wird, auf einer Intensivstation noch einige Wochen dahinzuvegetieren. Es wäre nur ein kurzer Aufschub und würde sie unnötig quälen.«
Die Heimleiterin nickte. »Ich weiß ja, daß Sie recht haben, Herr Doktor, es fällt mir nur sehr schwer, den Tod zu akzeptieren.« Sie verzog das Gesicht. »Sollte man eigentlich nicht glauben, nachdem ich nun schon seit über zehn Jahren diesem Seniorenheim vorstehe.«
»Ein Zeichen, daß es Ihnen gelungen ist, nicht abzustumpfen, sondern um jeden einzelnen Ihrer Schützlinge zu bangen«, meinte der Arzt. Er klopfte an die Zimmertür von Frau Lindenmaier, wartete das »Herein«, ihrer persönlichen Pflegerin ab, und trat ein.
Elisabeth Lindenmaier hatte mehrere Kissen hinter ihrem Rücken, so daß sie in halb sitzender Position in ihrem Bett lag, was ihr das Atmen erleichterte. An diesem Morgen wirkte sie noch blasser und eingefallener als am Vortag, dennoch schaffte sie es, auf ihr Gesicht ein Lächeln zu zaubern. »Wie schön, daß Sie mich besuchen, Dr. Baumann«, sagte sie und streckte ihm ihre linke Hand entgegen, da in ihrem rechten Arm eine Infusionsnadel steckte.
»Es ist mir jeden Morgen ein neues Vergnügen, Frau Lindenmaier«, erwiderte er und drückte vorsichtig die Hand der alten Dame. »Wie geht es Ihnen?«
»Wie sieht es aus?« fragte sie und blickte zu ihrer Pflegerin hinüber, die gerade die Balkontür ein Stückchen weiter öffnete, damit die Kranke von ihrem Bett aus auf den Tegernsee hinausschauen konnte. »Ich spüre, daß ich mit jedem neuen Tag dem Ende etwas näherkomme. Es…« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, leugnen Sie es nicht, Dr. Baumann. Es bedrückt nicht zu sterben. Jeder von uns wird es eines Tages tun, und das ist gut so, denn sonst wäre kein neues Leben möglich.« Sie schloß erschöpft die Augen. »Ich hatte eine gute Zeit und habe allen Grund, dankbar zu sein. Allerdings bedrückt es mich noch immer, daß man niemals klären konnte, was damals mit meiner Zwillingsschwester Melanie geschehen ist. Wo ist sie hingegangen? Warum hat sie sich nie mehr gemeldet? Sie…« Die alte Dame atmete schwer. »Ich bin so müde, so unendlich müde.«
»Versuchen Sie, etwas zu schlafen, Frau Lindenmaier«, sagte Dr. Baumann. »Ich werde Ihnen Ihre Spritze geben und dann ganz leise gehen.«
»Und es wird sein, als wären Sie nie dagewesen«, flüsterte Elisabeth Lindenmaier. Erneut umhuschte ein Lächeln ihre Lippen. »Aber das ist nicht wahr, denn wenn Sie die Tür hinter sich geschlossen haben, werde ich noch immer den Duft Ihres Rasierwassers wahrnehmen können.«
»Stört es Sie?« Dr. Baumann zog die Spritze auf.
»Nein, es erinnert mich an meinen verstorbenen Mann.« Sie seufzte leise auf. »Mein Vater ist hart und streng gewesen, Melanie und ich haben oft vor ihm gezittert, aber als er mich mit Kurt Lindenmaier verheiratet hat, habe ich ihm vieles verziehen. Melanie hatte nicht soviel Glück. Sie…« Die Stimme der alten Dame wurde immer leiser, bis sie schließlich völlig erstarb.
Einige Minuten später verließ Dr. Baumann das Altenheim, überquerte rasch den Parkplatz und stieg in seinen Wagen. Es wurde allerhöchste Zeit, daß er in die Praxis kam. Seine Sprechstunde hatte bereits begonnen, und einige seiner Patienten konnten es nicht ertragen, auch nur ein paar Minuten über ihren Termin zu warten. Besonders die Rentner hatten da so ihre Probleme.
Kaum hatte der Arzt vor seinem Haus gehalten, rannte ihm auch schon Franzl schwanzwedelnd entgegen. »Ich habe im Moment keine Zeit für dich, du Gauner«, sagte Eric und kraulte ihm den Nacken. »Das Wartezimmer ist bestimmt schon voll.«
Franzl interessierten weder Patienten noch volle Wartezimmer. An diesem Morgen hatte es sein Herrchen nicht geschafft, mit ihm einen längeren Spaziergang zu machen. Wie es aussah, erwartete er jetzt, daß Eric ihn nachholte. Unmißverständlich bellte er.
»Tut mir leid, Franzl, wir gehen nach dem Mittagessen spazieren«, versprach Dr. Baumann. »Jetzt sei ein braver Hund und lauf zu Katharina. Bestimmt hat sie einen Leckerbissen für dich.« Er gab ihm einen liebevollen Klaps auf das dicke Hinterteil und wandte sich der Praxis zu.
Franzl stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, machte aber gar nicht erst den Versuch, dem Arzt zu folgen, weil er wußte, daß er in der Praxis nichts verloren hatte. Ihm fiel ein, daß sein Herrchen von einem Leckerbissen gesprochen hatte. So etwas durfte man sich natürlich nicht entgehen lassen. Übermütig rannte er um das Haus herum, um durch die offene Terrassentür der Küche einen Besuch abzustatten.
Dr. Baumann wusch sich gerade die Hände, als Franziska Löbl mit einer Tasse Kaffee sein Sprechzimmer betrat. »Du weißt, was ich jetzt gebrauchen kann«, meinte er zu der jungen Krankengymnastin. »Es geht nichts über gut geschultes Personal.«
»Ich möchte nicht, daß du schon zusammenbrichst, bevor du heute morgen deinen ersten Patienten gesehen hast«, schrieb Franziska auf den kleinen Block, den sie stets bei sich trug. Seit dem Unfall in ihrer Kindheit konnte sie nicht mehr sprechen, meisterte dieses Handikap jedoch mit Bravour.
»Wer ist denn mein erster Patient?« Eric trocknete sich die Hände ab und warf einen Blick auf die Krankenakten, die in zwei Gruppen auf seinem Schreibtisch lagen. »Oje, Heinz Seitter. Nun ja, der Tag fängt gut an.«
Heinz Seitter, ein vorzeitig pensionierter Steuerinspektor, war vor einigen Wochen von München nach Tegernsee gezogen. Es handelte sich bei ihm um einen selbstgerechten, rechthaberischen Mann, der im Laufe seines Berufes gnadenlos jedem vermeintlichen Steuerschwindel nachgegangen war und auch daheim mit eiserner Hand regierte. Dr. Baumann mochte diesen Mann nicht sonderlich, und er war überzeugt, daß das Halswirbelsäulen-Syndrom, an dem sein Patient litt und das zu seiner Frühpensionierung geführt hatte, von der starren Haltung hervorgerufen wurde, die er gegenüber anderen an den Tag legte.
»Seit gestern halte ich es vor Schmerzen kaum noch aus, Dr. Baumann«, sagte Heinz Seitter, nachdem er eine spitze Bemerkung darüber gemacht hatte, daß er schon vor einer halben Stunden gekommen war. »Ich habe im Garten ein paar Blumen eingepflanzt und muß dabei eine falsche Bewegung gemacht haben.« Er griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Nacken. »Meine Frau hat es schon mit Massage probiert.«
Dr. Baumann tastete Schulterpartie und Nacken