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Quergänge: Vorarlberger Geschichte in Lebensläufen
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Quergänge: Vorarlberger Geschichte in Lebensläufen
Ebook364 pages4 hours

Quergänge: Vorarlberger Geschichte in Lebensläufen

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Anhand von 16 Lebensläufen erzählt der Historiker Meinrad Pichler eine Vorarlberger Regionalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Es geht um Wanderarbeiter und Stadtdamen, um Industriepioniere und Landstreicher, um kämpferische Engagierte und Kollaborateure, um Diener und Herren. Kurz: um bewegte Biografien, die jeweils auch die Hinter- und Abgründe ihrer Zeit widerspiegeln.
LanguageDeutsch
PublisherStudienVerlag
Release dateApr 25, 2019
ISBN9783706557382
Quergänge: Vorarlberger Geschichte in Lebensläufen

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    Quergänge - Meinrad Pichler

    sind.

    Trotz seiner Aversion gegen die politischen Forderungen des aufkommenden Bürgertums ließ sich Kaiser Franz I. um 1820 in der Wiener Hofburg ein Arbeitszimmer im Stil des Biedermeier, also nach bürgerlicher Mode, einrichten. An dem Stehpult beim kaiserlichen Schreibtisch (links) dürfte zeitweise auch der Kammerdiener Kaspar Kalb gearbeitet haben, der selbst nach seinem Tod noch Akten produzierte.

    (Bildquelle: Architectural Digest)

    Der Rest ist Schweigen.

    – Shakespeare

    IM DIENSTE SEINER MAJESTÄT

    KAMMERDIENER

    KASPAR KALB (1756–1841)

    AUS WOLFURT

    Das Pochen auf Kontinuität und das starre Festhalten am Überkommenen zählten zu seinen hervorragendsten Lebensund Regierungsprinzipien: Dennoch setzte der erste österreichische Kaiser Franz I. gezwungenermaßen den tiefsten Einschnitt in der langen Geschichte der habsburgischen Herrscher. Er war es nämlich, der 1806 das römisch-deutsche Kaiserreich liquidierte, nachdem er bereits zwei Jahre zuvor das Erzherzogtum Österreich zum Kaisertum ausgerufen hatte. Insgesamt war die erste Hälfte seiner über vierzigjährigen Regentschaft (1792–1835) von schweren politischen und militärischen Niederlagen und von persönlichen Demütigungen, zugefügt vom revolutionären Frankreich und seinem Schwiegersohn Napoleon, bestimmt. Die Restaurierung seiner voraufklärerischen Ideale war erst nach der Niederwerfung Napoleons und mit Hilfe seines Regierungschefs Fürst Metternich möglich. Die Jahre ab 1814 stehen für totale Reaktion, durchgesetzt mit polizeistaatlichen Methoden und schärfster Zensur. Und so wie Metternich diesem Kaiser und dessen Sache bis über dessen Tod hinaus diente, tat es zwar ohne Macht und Öffentlichkeit, aber vielleicht mit Einfluss auch ein Wolfurter: als kaiserlicher Kammerdiener.

    Voraussetzung für einen solchen Posten waren neben verschiedenen Kenntnissen und Fertigkeiten vor allem Ergebenheit und absolute Diskretion. Diese Eigenschaften scheint Kaspar Kalb aus Wolfurt in sich vereinigt zu haben. Anders wäre sein beruflicher Aufstieg am Wiener Hof nicht denkbar gewesen. Ein Dasein im tiefsten Schatten des strahlenden Monarchen machte den Höfling allerdings zu seinen Lebzeiten nahezu unscheinbar, und das schlägt sich auch in der Quellenlage nieder: Wer von Berufs wegen kaum in Erscheinung treten und ja kein Aufsehen erregen darf, hinterlässt auch kaum Spuren. Massiv aktenkundig wurde der diskrete Diener erst nach seinem Tode, als sich die Erben um die Nachlassenschaft stritten.

    Erstmals auf den ungewöhnlichen Sohn der Gemeinde hingewiesen hat der Wolfurter Ortshistoriker Siegfried Heim, der auch den familiären Hintergrund ausgeleuchtet hat.1 Demnach wurde Kaspar Kalb als neuntes von 17 Kindern am 9. Jänner 1756 als Sohn des Anton Kalb und der Benedikta, geb. Metzler, im Wolfurter Ortsteil Strohdorf geboren, und zwar in einem der wenigen wirklich alten Häuser, die heute noch stehen (Kirchstraße 7). Da die in der Sippe gängigen Vornamen Franz Josef, Johann Georg, Benedikt, Andreas und Anton schon vergeben waren und seine Ankunft kurz nach Dreikönig geschah, taufte man ihn Kaspar. Ein Melchior und ein Balthasar sollten bald noch folgen.

    ZÄHES STUDIUM

    Dass gerade Kaspar von den elf Söhnen für eine Bildungslaufbahn ausgewählt wurde, mag damit zusammenhängen, dass die Eltern selbst schon zur damaligen Dorfelite gehörten (der Vater konnte beispielsweise schreiben) und dass ebendieser Knabe von den Eltern oder vom Pfarrer als besonders begabt angesehen wurde.

    Wo Kalb das Gymnasium absolviert hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls scheint er aber eine Zeitlang in der Mehrerau gewesen zu sein. Denn der dortige Oberamtmann erhielt im Jahre 1771 aus einer Ausbildungsstiftung der Pfarre Bildstein 27 Gulden, und zwar „für Caspar Kalb an sein Handwerkdeputat für erlernte Rechnungskunst". Und weil es im darauf folgenden Jahr keine Ansuchen um handwerkliche Ausbildungsunterstützungen gab, erhielt Kalb nochmals 28 Gulden.2

    Ab 1775 finden wir Kaspar Kalb als Student der Philosophie in Wien. Die Reichshauptstadt war damals für alle, die nicht Theologie oder Medizin studierten, die erste Adresse, weil man hier am ehesten mit Hausunterricht oder im Gastgewerbe das Geld für das Studium verdienen konnte. Die Reise nach Wien war etwas beschwerlich, aber billig. Die Vorarlberger Studenten begaben sich meist zu Fuß nach Ulm und trachteten, von dort auf einem Floß oder Schiff gegen ein geringes Entgelt donauabwärts mitgenommen zu werden. Eine solche Wienreise dauerte manchmal mehrere Wochen.

    Den Aufzeichnungen der Willischen Stipendienstiftung der Pfarre Bildstein ist zu entnehmen, dass Kaspar Kalb in den folgenden Jahren kein besonders eifriger Student war: Das Philosophiestudium brach er nach einigen Jahren ab, um mit Jus zu beginnen, und seine Studien zogen sich sehr lange hin, ohne dass sie mit einer akademischen Würde abgeschlossen wurden. Mehrmals mussten väterliche Garantien die fehlenden Zeugnisse ersetzen. 1784 wurde ihm das Stipendium schließlich aberkannt, da

    „das Verhalten und Vorhaben des dermaligen Stipendiati Johann Caspar Kalb so, wie seine wanckelmütige Bestimmung von solcher Art und Beschaffenheit, dass selbe in allem Betracht der frommen Absicht und Meinung des Stifters zuwiderlaufet"3.

    Im Jahr darauf wurde die Unterstützung allerdings wieder gewährt, „da nun gedachter Stipendiat sich über sein fortgesetztes Studium mit guten Attestatis ausgewiesen hat".

    Nach dreizehnjähriger Studienzeit verschwindet Kalb 1787 endgültig aus dem Rechnungsbuch der Pfarre Bildstein. Auffällig an diesen Eintragungen und Vergaben ist, dass Kalb im Gegensatz zu anderen Studenten nie selbst den Geldempfang quittiert hat, sondern stets sein Vater. Dies deutet darauf hin, dass er selten oder nie auf Heimaturlaub weilte.

    ANSTELLUNG BEI HOF

    Wie und wovon der wohl gescheiterte Student in den folgenden zwölf Jahren in Wien seinen Lebensunterhalt bestritten hat, war bisher nicht herauszufinden. In der Regel waren unbemittelte Studenten und Akademiker, die nicht Theologie oder Medizin studierten, als Hauslehrer tätig. Gerade im Wien der Aufklärungszeit, als neben wohlhabenden Bürgern auch immer mehr Adelige ihren Kindern eine angemessene Bildung zukommen ließen, waren gute Hofmeister – so die Berufsbezeichnung der privaten Erzieher – sehr gefragt. Da es zu dieser Zeit eine akademisch-pädagogische Ausbildung noch nicht gab, waren besonders Generalisten begehrt, die Sprachen beherrschten und zugleich über philosophische, literarische und naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügten. Jedenfalls muss Kalb berufliche Erfahrungen und Verbindungen vorzuweisen gehabt haben, die ihn für die kommende Aufgabe am kaiserlichen Hofe qualifizierten und auch dorthin brachten. Denn ab 1799 diente er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tode im Jahre 1841 in verschiedenen Positionen und unterschiedlichen Kammern des Wiener Hofes.

    In den ersten drei Jahren war er in der Kammer „Ihrer Königlichen Hoheiten deren jüngsten durchlauchtigsten Erzherzogen"4 als Kammerdiener zugeteilt. Diese Verwendung spricht auch dafür, dass er sich als Hofmeister verdient gemacht hatte und deshalb als Ausbildner engagiert wurde.

    Insgesamt bestand der innere Hof damals aus vier männlichen Kammern: der des Kaisers, der des Erbkronprinzen Ferdinand, der des Erzherzogs Karl (Feldherr) und eben jener der jungen Erzherzoge Joseph, Johann, Rainer und Ludwig. Im Jahre 1803 drang Kalb in den innersten Kreis vor, indem er in die kaiserliche Kammer berufen wurde. Kurze Zeit darauf bewarb er sich um die Stelle des kaiserlichen Burginspektors. In seinem in gestochen schöner Handschrift verfassten Ansuchen vom 16. Juni 1807 begründete er seinen Anspruch,

    „indem Bittsteller erstens in der Architektur nicht unerfahren ist, und sich durch Studium und Erfahrung deutliche Begriffe von Recht und Unrecht erworben hat"5.

    Die umworbene Stelle wurde allerdings anderweitig besetzt; sei es, weil man Kalb in der Kammer behalten wollte oder weil ein anderer Bewerber bessere Qualifikation oder bedeutendere Protektion vorzuweisen hatte. So verblieb Kalb also in seinem Kammerdienst.

    DIE HOFDIENSTE

    Die kaiserliche Kammer war eines von vier Obersthofämtern: Neben dem Oberstkämmerer gab es den Obersthofmeister, der für Buchhaltung, Hofbaudirektion, Gärten und Leibgarde zuständig war; weiters den Obersthofmarschall (Quartiermacher) und schließlich den Oberststallmeister, welchem Hofstallungen, Hofreitschule und Gestüte unterstanden. Die jeweilige Oberst-Position konnte nur von Adeligen bekleidet werden, die sich in unbedeutenderen Hofämtern bereits bewährt und eine einschlägige Familientradition vorzuweisen hatten. Alle wichtigen österreichischen Adelsfamilien versuchten, zumindest ein Familienmitglied in einem hohen Hofamte zu plaztieren, um auf diese Art einen direkten Zugang, wenn vielleicht nicht zum Kaiser selbst, so doch zum innersten Hofe zu haben. Zur Zeit Kalbs dienten Mitglieder der Geschlechter von Starhemberg, Stadion, Taaffe, Montcuccoli, Hoyos, Auersperg, Khevenhüller, Strachwitz und Leiningen in führenden Kämmererfunktionen.

    Das Oberstkämmereramt versah alle Dienste in den Privatgemächern des Kaisers, hatte die Aufsicht über Wohnung, Garderobe, Möbel und alles, was „im Bereich des Hauswesens zum physischen und geistigen Wohlergehen des Fürsten gehört"6. Deshalb unterstanden ihm auch die Beichtväter, Leibärzte und Barbiere, die vom Rang her den bürgerlichen Kammerdienern gleichgestellt waren. Ihnen standen für Besorgungen und Ausfahrten zwei Pferde zu; den in der Hierarchie darunter angesiedelten Kammertürhütern, -heizern, -schneidern und -schustern dagegen nur eines.

    Das Oberstkämmereramt verwaltete natürlich auch die Privatkassa sowie die künstlerischen und wissenschaftlichen Privatsammlungen des Kaisers – Franz I. war beispielsweise begeisterter und kenntnisreicher Botaniker – und führte Inventare über Kleider und Pelze und die damit verbundenen Etikettevorschriften. Insgesamt umfasste die innere Kammer 20 Kammerdiener, die in den genannten Betätigungsfeldern die Tagesarbeiten erledigten. Innerhalb der Dienerschaft gab es wiederum eine Hierarchie, was die Tätigkeit und die Nähe zum Kaiser anlangte. Kaspar Kalb hat nie im kaiserlichen Schlafgemach gedient, ist aber im Jahre 1837 zum 1. Kammerdiener aufgestiegen und war damit für die gesamte Diensteinteilung zuständig. Zu seinem Jahresgehalt von 1200 Gulden erhielt er deshalb noch eine „Personalzulage".7 Etliche Indizien deuten darauf hin, dass Kalb im Bereich der kammerlichen Finanzverwaltung tätig war. So hat er nicht nur die eigenen Ersparnisse auf recht professionelle, zum Teil riskante Art vermehrt, sondern auch das ansehnliche Vermögen seines aus Sulzberg stammenden Landsmannes Konrad Blank verwaltet und diesem zum Kauf von Obligationen geraten.

    UNGEWOLLTE ÖFFENTLICHKEIT

    Ein Leben als Kammerdiener bedeutete ein Leben im Hintergrund. Wenn nun Kaspar Kalb doch zu publizistischer Bekanntheit gelangte, war das ungewollt – und in seinem Falle auch äußerst unerfreulich.

    In den Mittagsstunden des 13. Februar 1827 wurde in seiner Wohnung im vierten Stock des Hauses Johannesgasse – Ecke Seilerstätte im 1. Wiener Gemeindebezirk der 70-jährige Mathematikprofessor Johann Konrad Blank ermordet. Geboren 1756 in Sulzberg, hatte es dieser nach einer theologischen Laufbahn zum Professor für Mathematik an der Akademie der Bildenden Künste in Wien gebracht, war Autor etlicher Lehrbücher und kaiserlicher Rat. Obwohl sehr zurückgezogen lebend und vom Wesen her misstrauisch, zeigte Blank einem polnischen Adeligen, der einmal sein Schüler gewesen war, seine Wertpapiere. Dieser hatte sich beim alten Lehrer eingeschmeichelt und ihn gebeten, ihm die Anlageform der Obligation zu erklären. Als der gutgläubige Alte seine Wertschatulle, die er Stunden zuvor bei seinem Freund Kaspar Kalb abgeholt hatte, öffnete, wurde er hinterrücks vom polnischen Baron erstochen. Das Verbrechen erzeugte im vormärzlichen Wien derartiges Aufsehen, dass Metternich persönlich die Berichterstattung darüber unter Zensur stellte.8

    Das außergewöhnliche Interesse an dieser Mordtat konnte er damit aber nicht abstellen. Es war das Boulevardstück schlechthin, da der Mörder mit der damals bekanntesten Wiener Sängerin liiert war. Außerdem bedeutete die Verhaftung des Mörders nur zwei Tage nach der Tat auch einen aufsehenerregenden Fahndungserfolg der Wiener Polizei – und wichtigster Helfer dabei war Kaspar Kalb. Er ward von Blank in einem in der Wohnung gefundenen Schriftstück als Testamentsvollzieher genannt. Bei seiner sofortigen Einvernahme konnte er der Polizei mitteilen, dass Blank ihm beim Abholen der Wertpapiere von einem polnischen Edelmann, einem ehemaligen Schüler am Privatinstitut Pleban, erzählt hatte, der die Wertpapiere studieren wolle. Das war der entscheidende Hinweis zur Identifizierung des Mörders.9 Mit seiner Freundschaft zu Konrad Blank und seiner Rolle bei der Aufklärung des Verbrechens kam der diskrete Kammerdiener nicht nur in die Polizeiprotokolle, sondern auch als Nebenfigur in den Roman „Therese Krones" von Adolf Bäuerle.

    VERWANDTE UND LANDSLEUTE

    Kaspar Kalb war zu seiner Zeit keineswegs der einzige Vorarlberger in der Reichshauptstadt bzw. am Wiener Hof, und er scheint innerhalb der kleinen Vorarlbergerkolonie eine dominierende Rolle gespielt zu haben. Er verkehrte nicht nur mit dem genannten Konrad Blank und dem Sprachwissenschafter Johann Raphael Khüny aus Bludenz, sondern auch mit den beiden Kustoden des kaiserlichen Münzkabinetts Franz Fidel Wachter und Joseph von Bergmann. Ebenso ist anzunehmen, dass Kalb auch mit dem berühmten Staatsrat Martin Lorenz aus Blons (1748–1828) bekannt war. Dieser spielte bei Hofe eine besondere Rolle, weil er – obwohl selbst Priester – das josephinische Staatskirchensystem auch unter Kaiser Franz theoretisch gegenüber Rom rechtfertigte und praktisch aufrecht erhielt.10

    Auch die beiden jüngeren Künstler Gebhard Flatz aus Wolfurt (1800–1881) und Johann Fessler aus Bregenz (1803–1875), die beide in den 1820er Jahren bei Blank an der Akademie der Bildenden Künste studierten und Kostplätze und Hauslehrerstellen benötigten, werden von Blank und Kalb unterstützt worden sein.

    Dem Bregenzer Bernhard Kiene war der Kammerherr bei der Besorgung einer Hofknechtstelle behilflich, und auch sein Wolfurter Dorf- und Namenskollege Mathias Kalb kam vermutlich in den Genuss seiner Protektion. Dieser war zuerst beim Magistrat der Stadt Wien als „Schätzmeister bei den Handschuhmachern" angestellt, ehe er in gleicher Funktion 1832 an den kaiserlichen Hof wechseln konnte.11

    Schließlich ist mit Sebastian Kalb ein Neffe des Kammerdieners nach Wien nachgereist, der ihm im Alter offensichtlich eine große Hilfe war und dafür vom betagten Onkel finanziell unterstützt wurde. Sebastian Kalb war selbständiger Bortenmacher, konnte aber offensichtlich ohne die Unterstützung seines Onkels von diesem Geschäft kaum leben. Jedenfalls wurde er nach dem Tod Kaspar Kalbs in den 1850er Jahren verarmt per Schub in seine Heimatgemeinde Hard zurückgebracht.

    EIN LEBEN UND STERBEN OHNE AUFSEHEN

    Seinem Beruf entsprechend, in welchem Unterordnung, dauernde Präsenz und Diskretion die Grundtugenden zu sein hatten, scheint Kaspar Kalb ein zurückgezogenes und sparsames Leben geführt zu haben. Bis 1824 war er verheiratet und lebte in einer Privatwohnung in der Mariahilferstraße. Kinder hatte er nicht. Nach dem Tod seiner Frau zog Kalb in das Kirchbergsche Stiftungshaus für Hofbedienstete am Spittelberg, wo er bis zu seinem Tode am 16. April 1841 blieb. Er beschäftigte eine Hausmagd, die in den letzten beiden Monaten seines Lebens von einer Krankenpflegerin unterstützt wurde. Bis zu seinem 85. Geburtstag im Jänner 1841 hat Kalb in der kaiserlichen Kammer gearbeitet.12

    In seinem Testament hatte er eine „Stille Beerdigung gewünscht, mit dem einzigen Zusatz, dass zehn Armen, „die beim Ceremonial erscheinen, je 20 Kreuzer zu geben seien. Auch die übrigen Bestimmungen des kurzen Testaments waren recht unspektakulär: Die Magd sollte die Einrichtung ihres Zimmers und der Küche erhalten, seinem Neffen Sebastian Kalb, der die letzten Verfügungen zu vollstrecken hatte, wurden alle übrigen Einrichtungs- und Kleidungstücke zugesprochen, wobei diese nur einen Schätzwert von 260 Gulden ausmachten.13

    Seine Ersparnisse hatte der Erblasser in relativ komplizierten und – wie sich für die Erben erweisen sollte – unsicheren Transaktionen angelegt. Insgesamt hatte der Kammerdiener ein enormes Vermögen von 40.000 Gulden angespart, die zu gleichen Teilen an alle zwölf lebenden Kinder seiner Brüder Johann Georg (Wolfurt), Benedikt (Hard), Andreas (Bregenz) und Balthasar (Wolfurt) gehen sollten. Allerdings meldete ein Wiener Kaufmann, dem Kalb einen Kredit von 20.000 Gulden gewährt hatte, wenige Tage nach der Testamentseröffnung seine Insolvenz an, und aus der Masse war nicht mehr viel zu holen. Auch ein gewisser Freiherr von Bendern, der Kalb 4000 Gulden schuldete, zögerte lange mit der Rückzahlung.

    Erst 50 Jahre nach Kaspar Kalbs Tod wurde der komplizierte Verlassenschaftsakt geschlossen. Wie viel die Erben tatsächlich erhalten haben, lässt sich nicht mehr exakt feststellen. Jedenfalls haben drei Generationen von Wiener Notaren und Bregenzer Rechtsanwälten ordentlich mitverdient. Dies umso mehr, als 1885 der Erbfall neu aufgerollt werden musste, da man bei der Erstabwicklung eine Harder Nichte vergessen hatte.

    Zumindest auf diese Art blieb der diskrete Kammerdiener Kaspar Kalb noch weit über seinen Tod hinaus in vieler Leute Munde – und zu unserem Glück in den Akten.

    Anmerkungen

    1   Siegfried Heim: Kammerdiener des Kaisers. In: Heimat Wolfurt 19/1997, S. 46–50

    2   Vorarlberger Landesarchiv, Hs. U. Cod. Pfa. Bildstein 11

    3   Ebenda

    4   Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Akten des Oberstkämmereramtes 507/1807

    5   Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Akten des Oberstkämmereramtes 864/1807

    6   Ivan Zolger: Der Hofstaat des Hauses Österreich. Wien 1917, S. 52

    7   Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Akten des Oberstkämmereramtes 172/580/1837

    8   Ludwig Altmann: Aus dem Archiv des Grauen Hauses. Eine Sammlung merkwürdiger Wiener Straffälle. Wien 1924, S. 51

    9   Ebenda, S. 9 ff.

    10  Vgl. Ferdinand Maaß: Staatsrat Martin von Lorenz und der Josephinismus. In: Jahresbericht des Bundesgymnasiums Bregenz 1956/57. Bregenz 1957, S. 5–14

    11  Hof- und Staats-Schematismus des österreichischen Kaiserthums (Jahre 1799 bis 1841)

    12  Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Akten des Oberstkämmereramtes 37/8/1841

    13  Stadtarchiv Wien, Verlassenschaften 2/2408/1841

    „Hier mit wird das Protokoll geschlossen und gefertigt, lautet die Schlusszeile der ausführlichen Vernehmung des Josef Anton Breuss durch den Feldkircher Bezirksrichter am 31. Oktober 1862. Der Betroffene konnte die Richtigkeit nur mit drei Kreuzen („Handzeichen) bestätigen. Schreiben konnte er nach nur dreijährigem Schulbesuch nicht. Trotz dieses Mankos war Breuss weltläufiger und weltgewandter als die meisten seiner Feldkircher Zeitgenossen – und er ist ein Beispiel für den unkonventionellen Umgang eines Mittellosen mit hartleibigen Behörden.

    (Original im Vorarlberger Landesarchiv)

    Korn, das auf der Straße wächst, reift nie.

    – Afrikanisches Sprichwort

    ABGESCHOBEN – ABGEHAUEN

    VON EINEM LEBEN AUF STRASSEN

    UND IN KASERNEN,

    AUF SCHUB UND AUF DER FLUCHT:

    JOSEF ANTON BREUSS (GEB. 1826)

    AUS FELDKIRCH

    Sein Leben war ein weitgehendes Ärgernis, und sein Tod die trostlose Konsequenz. Dies war jedenfalls die Einschätzung des Feldkircher Stadtpfarrers, die er dem verstorbenen Krämer, Hausierer und Schmuggler (Schwärzer) Josef Anton Breuss als ungewöhnlich ausführlichen Eintrag am 12. September 1831 im pfarramtlichen Sterberegister nachrief:

    „In dieser Nacht solle er zu seiner Frau gesagt haben, heut muß ich wieder schwärzen, gieb mir zu essen, Nachts 2 Uhr sprang er zum Bett hinaus, eilte in die Kuchel, schüttete Wasser über seinen Kopf hinab, der Blutsturz kam, verstreckte ihn, fiel nieder, und lage vom Blute umgeben, tod in der Kuchel, während dieser Trauerscene ware nicht ein Funken Licht vorhanden. Nach allgemeiner Aussage war er ein Prinzipal Schwärzer (Oberschmuggler; Anm. M.P.), war auch eingesperrt, und soll er wenig, oder gar keine Religion gehabt haben, sie lebten stets in Unfriede, wie ich selbst mit meinem seelsorglichen Amte dieser Sache sehen und verbürgen musste."

    Dabei hatte Breuss nach seiner Rückkehr aus dem Militärdienst durchaus die Ambition, eine bürgerliche Existenz zu gründen. Doch sein Ansuchen um eine Lizenz zum Hausierhandel mit Uhrenzubehör und Uhrmacherwerkzeug wurde von der Verwaltung abgelehnt,1 und seine Braut wurde schwanger, bevor der behördliche Ehekonsens eintraf. Trotzdem bezog er mit seiner Frau Anna Maria Matt aus Frastanz, die ihm ein gütiger Kapuziner angetraut hatte, im Zentrum von Feldkirch eine Wohnung. Er firmierte als „Handelsmann", der aber offensichtlich mit Textilschmuggel mehr zum Lebensunterhalt verdiente als mit dem Verkauf von Uhrenbestandteilen. Gerade um 1825 konnte man mit Garnschmuggel für die aufkommende Textilindustrie, die sich durch Zölle behindert fühlte, pro Tag das Vierfache eines Tagelöhners verdienen.2

    Die Taufpaten der Kinder, die in der Folgezeit mit jährlicher Regelmäßigkeit geboren wurden, waren respektable Gewerbetreibende. Doch mit dem jähen Tod des Familienerhalters brach alles, was die Familie einigermaßen zusammengehalten hatte, nieder. Die Witwe verfügte weder über wirtschaftlichen Möglichkeiten noch über einen sozialen Rückhalt, um sich und die drei überlebenden Kinder über Wasser zu halten. Die Erfüllung der Bitte „um gnädigste Unterstützung aus der Armenkasse der Gemeinde Altenstadt"3, wohin die Familie zuständig war, wurde von der Behörde mit unterschiedlichen Einwänden hinausgezögert. Diese Sparsamkeit sollte die Altenstädter Gemeindeoberen noch teuer zu stehen kommen.

    Nach ihrem ersten Diebstahl wurden die Kinder der Armenverwaltung und wurde die Mutter dem Strafvollzug übergeben. Bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1838 wurde Anna Maria Breuss wegen Diebstahls und Prostitution drei Mal zu je einem Jahr Gefängnis in der Strafanstalt Schwaz verurteilt, weil sie für „körperliche Züchtigung" zu schwach erschien. Etliche Monate verbrachte sie in Spitalsbehandlung, da sie mittlerweile an Syphilis erkrankt war.4 Anlässlich ihrer letzten Einlieferung ins Gefängnis gab ihr das Bregenzer Kreisamt eine vernichtende Beschreibung mit an die Anstaltsleitung:

    „Sie wurde schon 4 mal wegen Diebstahl und zwar 3 mal im Kriminalwege und 1 mal schwer polizeilich abgestraft. Hang zum Müßiggang und Unsittlichkeit ist bei ihr vorherrschend, im höchsten Grade frech, leichtsinnig und ausgeschämt".5

    Ähnliche behördliche Punzierungen werden wir auch zu ihrem Sohne, um den es im Folgenden geht, zu lesen bekommen.

    Im Juni 1838 wurde Anna Maria Breuss aus der Strafanstalt Schwaz in das Innsbrucker Spital eingeliefert, wo sie bald darauf an „allgemeiner Schwäche verstarb. Ihre Kinder hatte sie im Jahre 1834 zum letzten Mal gesehen. In etwa sieben Jahren – von ihrer Hochzeit bis zur ersten Inhaftierung – hat diese bedauernswerte Frau nicht nur sechs Kindern das Leben geschenkt, sondern eine tragische soziale und damit auch moralische Verwahrlosung erfahren. Noch kurz vor ihrer Verheiratung war ihr von der Frastanzer Gemeindevorstehung bestätigt worden, dass sie „sich allzeit friedlich, arbeitsam und gut betragen habe6.

    Das war also die Welt, in die Josef Anton Breuss jr. am 21. November 1826 hineingeboren wurde. Den bewusst erlebten Teil seiner Kindheit und Jugend hat er anlässlich einer späteren behördlichen Einvernahme selbst folgendermaßen dargestellt:7

    SCHWABENLAND STATT SCHULE

    „Als kleiner Knabe kam ich unter fremde Leute, die sich um mich Waisen nicht kümmerten, nur so wuchs ich ohne Erziehung heran. Ich habe nur zwei bis drei Winter die Schule genossen, und mußte im Sommer vom Jahre 1834–1840 mich im Württembergischen als Hirteknabe verwenden lassen. Im Jahre 1841 kam ich, ob auf Gemeindekosten oder nicht, kann ich nicht sagen, in die Lehre bei einem Schmied um das Schmiedehandwerk zu lernen; man hat mich sozusagen in der Gemeinde einer Versteigerung unterworfen und derjenige bekam mich in die Lehre, der mich um den mindesten Lehrlohn annahm. Weil mich dieser Meister nur mit Schlägen traktierte und mich, statt mich etwas zu lehren, bei der rauhesten Jahreszeit hinausjagte um Holz zu sammeln und nicht duldete, daß ich mich beim kältesten Winter nur einen Augenblick in der Schmiede aufhalte, ging ich demselben um Lichtmeß 1842 davon. Dann kam ich in der Folge meiner Bitten, daß man mich nicht mehr zum alten Meister hingeben soll, zum Schuhmeister Bucher in Rankweil, bei dem ich die Schusterprofession unter zahlreichen Schlägen und Mißhandlungen durch eine Lehrzeit von beinahe drei Jahren völlig erlernte. Nach vollendeter Lehre wanderte ich als Handwerksbursche aus nach der Schweiz, wo ich mich ungefähr anderthalb Jahre meistens mit Beschäftigung aufhielt; von da fort kam ich durch die österreichischen Lande bis nach Ungarn und arbeitete dort den ganzen Sommer des betreffenden Jahres und begab mich dann nach Hause wo ich gerade eintraf, als die Losung zum Militär im Jahre 1847 stattfand. Ich zog damals eine der frühesten Nummern, darauf ging ich wieder fort und kam ich nach Graz und ließ mich zu den steirischen Freischützen anwerben."

    Tatsächlich ist Josef Anton Breuss, der zu einem stattlichen Mann von 1,80 m Größe und mit breitem Kinn8 herangewachsen war, am 1. Juli 1848 in Graz in das „1. Steyermärkische Freiwilligen-Schützen-Bataillon" eingetreten.

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