Der Schatten einer Lüge: Dr. Daniel 8 – Arztroman
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Der Tag war für Anke Richter bis jetzt ein einziger Streß gewesen. Schon vor fünf Uhr morgens hatte sie ihr Bett in dem kleinen Gasthof, in dem sie die letzte Nacht vor der Hochzeit verbracht hatte, verlassen. Kurz darauf war die Schneiderin gekommen, um ihr beim Ankleiden zu helfen, und dann hatte die Friseuse geklopft. Zu zweit waren sie um Anke herumgeturnt, so daß diese oft nicht mehr gewußt hatte, wo ihr der Kopf stand. »Sie sehen aus wie eine Prinzessin, Fräulein Richter«, erklärte die Schneiderin jetzt und zupfte pro forma an den perfekt sitzenden Ärmeln herum, strich noch einmal an der geraden Linie des Rückens entlang und nickte dann. »Prinzessin Diana hat bei ihrer Hochzeit um keinen Deut besser ausgesehen.« Aber vermutlich hatte sie ein reineres Gewissen als ich, mußte Anke unwillkürlich denken, während sie sich im Spiegel betrachtete. Irgendwie kam sie sich so fremd vor. Das bodenlange weiße Kleid mit dem enggeschnittenen Oberteil und dem weit ausladenden Rock ließ sie so erwachsen wirken. Dazu der zarte Schleier auf dem schwarzen Haar – sie kam sich vor wie das Dornröschen in dem Bilderbuch aus Kindertagen. »Sie sehen wirklich ganz bezaubernd aus«, versicherte die Schneiderin noch einmal, dabei hatte Anke jedesmal, wenn sie in den Spiegel blickte, das Gefühl, ein Gespenst sehe sie an. Weder Make-up noch ein Hauch von Rouge waren fähig gewesen, die fast krankhaft wirkende Blässe aus ihrem Gesicht zu vertreiben. Ich hätte es ihm sagen müssen, dachte sie wieder einmal. Schon längst hätte ich es ihm sagen müssen, aber… ich liebe ihn doch so sehr! »Kindchen, bist du soweit?« Die tiefe Stimme ihres Vaters riß Anke aus ihren trüben Gedanken. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, Vati, wir können gehen.«
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Der Schatten einer Lüge - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 8 –
Der Schatten einer Lüge
Marie Francoise
Der Tag war für Anke Richter bis jetzt ein einziger Streß gewesen. Schon vor fünf Uhr morgens hatte sie ihr Bett in dem kleinen Gasthof, in dem sie die letzte Nacht vor der Hochzeit verbracht hatte, verlassen. Kurz darauf war die Schneiderin gekommen, um ihr beim Ankleiden zu helfen, und dann hatte die Friseuse geklopft. Zu zweit waren sie um Anke herumgeturnt, so daß diese oft nicht mehr gewußt hatte, wo ihr der Kopf stand.
»Sie sehen aus wie eine Prinzessin, Fräulein Richter«, erklärte die Schneiderin jetzt und zupfte pro forma an den perfekt sitzenden Ärmeln herum, strich noch einmal an der geraden Linie des Rückens entlang und nickte dann. »Prinzessin Diana hat bei ihrer Hochzeit um keinen Deut besser ausgesehen.«
Aber vermutlich hatte sie ein reineres Gewissen als ich, mußte Anke unwillkürlich denken, während sie sich im Spiegel betrachtete. Irgendwie kam sie sich so fremd vor. Das bodenlange weiße Kleid mit dem enggeschnittenen Oberteil und dem weit ausladenden Rock ließ sie so erwachsen wirken. Dazu der zarte Schleier auf dem schwarzen Haar – sie kam sich vor wie das Dornröschen in dem Bilderbuch aus Kindertagen.
»Sie sehen wirklich ganz bezaubernd aus«, versicherte die Schneiderin noch einmal, dabei hatte Anke jedesmal, wenn sie in den Spiegel blickte, das Gefühl, ein Gespenst sehe sie an. Weder Make-up noch ein Hauch von Rouge waren fähig gewesen, die fast krankhaft wirkende Blässe aus ihrem Gesicht zu vertreiben.
Ich hätte es ihm sagen müssen, dachte sie wieder einmal. Schon längst hätte ich es ihm sagen müssen, aber… ich liebe ihn doch so sehr! Und er würde mich niemals heiraten, wenn er wüßte, daß ich…
»Kindchen, bist du soweit?«
Die tiefe Stimme ihres Vaters riß Anke aus ihren trüben Gedanken. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Ja, Vati, wir können gehen.«
Herbert Richter bedachte sie mit einem langen, prüfenden Blick.
»Wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß Rainer deine große Liebe ist, dann würde ich denken, du gehst eine Scheinehe ein«, erklärte er, während er liebevoll nach der Hand seiner einzigen Tochter griff. »Was ist denn nur los mit dir, Kleines? Heute ist doch dein Hochzeitstag. Da solltest du vor Glück nur so strahlen.«
Anke seufzte leise. »Ach, Vati, ich bin ja auch glücklich, und ich liebe Rainer mehr als alles andere, aber…« Sie zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich bin ich einfach nur nervös. Mach dir keine weiteren Gedanken darüber.«
Wieder blickte Herbert Richter in das blasse, ernste Gesicht seiner Tochter, und er spürte, daß Anke ein schweres Problem mit sich herumschleppte. Doch solange sie sich ihm nicht anvertraute, konnte er ihr nicht helfen – so sehr er es sich auch gewünscht hätte.
Eine blumengeschmückte weiße Kutsche, vor die vier prächtige Schimmel gespannt waren, brachte Vater und Tochter zum Standesamt, denn eine Sondergenehmigung erlaubte es dem jungen Brautpaar, an diesem Samstag sowohl standesamtlich als auch kirchlich zu heiraten.
Die Kutsche hielt vor dem alten, mit sehr plastisch wirkenden Wandmalereien versehenen Rathaus an, und Herbert Richter half seiner Tochter beim Aussteigen. Und dann war auch schon Rainer Bergmann an ihrer Seite.
»Wunderschön siehst du aus, Liebling«, flüsterte er ihr zu, und dabei fühlte er sich neben seiner bezaubernden Braut nahezu unscheinbar, obwohl er in seinem anthrazitfarbenen Anzug und dem blütenweißen Hemd blendend aussah.
Überhaupt war Rainer Bergmann ein ausgesprochen gutaussehender Mann. Dichte hellbraune Locken umrahmten ein scharfgeschnittenes Gesicht mit markanten, sehr männlichen Gesichtszügen. Tiefblaue Augen blickten so forschend in die Gegend, als könnte ihnen nichts verborgen bleiben. Diese Augen waren auch der Spiegel seiner Seele – kalt und unerbittlich, wenn es um die Firma ging, zugleich aber zärtlich und liebevoll seiner Verlobten und baldigen Ehefrau gegenüber.
Jetzt legte er Ankes schmale Hand in seine linke Armbeuge und betrat mit ihr das Rathaus. Die wenigen auserwählten Gäste, die bei der standesamtlichen Trauung zugegen sein durften, folgten dem jungen Brautpaar.
Und während Anke an Rainers Arm die Treppe ins erste Stockwerk hinaufging, wurde ihr richtiggehend übel bei dem Gedanken, daß sie ihre Ehe mit einer Lüge begann.
*
Dr. Robert Daniel war – wie jeden Samstagmorgen – der erste, der in dem rustikal eingerichteten Eßzimmer erschien. Gewohnheitsmäßig griff er nach der Tageszeitung, die schon für ihn bereit lag, und überflog die Schlagzeilen, während seine ältere Schwester Irene in der Küche werkelte, um das Frühstück auf den Tisch zu bringen.
Dr. Daniel war ein sehr attraktiver Mann, dem man seine fünfzig Jahre nicht ansah. Er war groß und hatte sich durch regelmäßigen Sport seine athletische Figur bewahrt. Dichte blonde Haare umrahmten sein markantes Gesicht, und es gab so manche Frau, die nach einem Blick in seine tiefblauen Augen förmlich dahinschmolz. Nun war Dr. Daniel keinesfalls ein Frauenheld – ganz im Gegenteil. Die Tatsache, daß er beim weiblichen Geschlecht solche Reaktionen hervorrief, machte ihm oft schwer zu schaffen, zumal er durch seinen Beruf praktisch ausschließlich mit Frauen zu tun hatte: Er arbeitete nämlich schon seit vielen Jahren als Gynäkologe in Steinhausen.
»Guten Morgen, Robert«, grüßte Irene und stellte das Frühstückstablett auf dem großen runden Tisch ab. Hätte man nicht gewußt, daß Irene Hansen und Robert Daniel Geschwister waren, so wäre man bestimmt nicht auf diesen Gedanken gekommen, denn mit ihren ehemals dunklen, jetzt schon leicht ergrauten Locken und den üppigen Körperformen war Irene das genaue Gegenteil ihres Bruders.
Dr. Daniel legte die Zeitung zur Seite.
»Guten Morgen, Irene«, erwiderte er. »Schlafen die Kinder noch?«
Für ihn waren es noch immer »Kinder«, obwohl sein Sohn mittlerweile vierundzwanzig Jahre alt war und seine Tochter in wenigen Monaten zweiundzwanzig werden würde. Im übrigen wohnten die beiden schon seit ein paar Jahren nicht mehr bei ihrem Vater, sondern in einer gemeinsamen Studentenwohnung in Schwabing.
Irene schüttelte den Kopf. »Karina ist im Bad, und Michael mault, weil er auch hinein möchte.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Wie immer, wenn die beiden daheim sind. Aber nachdem sie schon aus den Federn gefunden haben, warten wir mit dem Frühstück wohl besser auf sie.«
Irene nickte. »Ich habe das Stövchen gleich mitgebracht. Schließlich wollen wir ja keinen kalten Kaffee trinken.«
Mit einem fröhlichen »Guten Morgen allerseits« kam Karina Daniel ins Eßzimmer.
Dr. Daniel lächele sie liebevoll an, und dabei wurde ihm wieder einmal bewußt, daß Karina ihrer verstorbenen Mutter immer ähnlicher wurde. Das goldblonde Haar, das in weichen Wellen um ihre schmalen Schultern fiel, die ausdrucksvollen blauen Augen und die zierliche Figur – ja, so hatte Christine damals auch ausgesehen, als Robert Daniel sie kennengelernt hatte.
Doch der Arzt hatte keine Gelegenheit, sich noch länger seinen Erinnerungen hinzugeben, denn in diesem Augenblick kam auch Stefan ins Eßzimmer und ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf seinen Stuhl fallen. Er trug einen bunt gemusterten Morgenmantel und schien auch geduscht zu haben, doch seine dunklen Locken sahen nicht so aus, als hätte er sie gekämmt. Jetzt murmelt er ein mißmutiges »Morgen« vor sich hin.
Dr. Daniel zog etwas mißbilligend die Augenbrauen hoch. Er schätzte ein solches Benehmen nicht besonders.
»Wie wär’s, wenn du dich zu einem anständigen Gruß aufraffen würdest?« tadelte er seinen Sohn.
Stefan errötete. »Guten Morgen, Papa, guten Morgen, Tante Irene.« Dann wies er zu seiner Schwester hinüber. »Die da habe ich schon begrüßt.«
Seufzend schüttelte Dr. Daniel den Kopf, dann wandte er sich Irene zu. »Sag mal, haben wir beide uns auch immer ständig in den Haaren gelegen?«
Seine Schwester schmunzelte. »Sag bloß, du weiß nicht mehr, welch ein Flegel du damals warst.«
»Danke, daß du mir das in Anwesenheit meiner Kinder sagst«, entgegnete Dr. Daniel mit einer Spur von Sarkasmus. »Jetzt ist meine Autorität vollständig dahin.«
»Unsinn, Papa«, mischte sich Karina lächelnd ein. »Glaubst du vielleicht, wir wüßten nicht, daß du ein ganz normaler Junge warst? Immerhin hast du selbst uns schon etliche deiner Lausbubenstückchen erzählt.«
Dr. Daniel mußte lachen, dann griff er nach einer Semmel, schnitt sie auseinander und bestrich sie mit Butter und Marmelade. Karina und Irene taten es ihm gleich, nur Stefan saß