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Proflexionen
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Proflexionen

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About this ebook

Nach Inkonsistenzen, Evidenzterror, Splitter und Subjekt und Wahrheit setzt der Philosoph Marcus Steinweg mit den Proflexionen sein eigensinniges Denken fort und nimmt den Leser mit auf den Weg. In prägnanten und hochverdichteten Kurztexten, Denkbildern, Bemerkungen und Miniaturen zu Autoren wie Simone Weil, Georg Trakl, Fernando Pessoa, Etel Adnan, Peter Handke, Franz Kafka, Jean-Luc Nancy oder Ludwig Wittgenstein kristallisiert sich seine unabschließbare Arbeit an den Antinomien des Denkens. Motive wie ›Manhattan‹, ›Kindheit‹, ›Gespenster‹, ›Liebestheologie‹, ›Diätetik‹, ›Schnee‹, ›Professorenphilosophie‹, ›Märchenstunde‹, ›Freundschaft‹ dienen ihm nicht als Reflexionsgrund, sondern als Anlass zu Proflexionen: Affirmationen nicht des Bestehenden, sondern seiner Inkonsistenz. Immer geht es Steinweg darum, Denken als Vorwärtsdynamik statt als Rückversicherung zu praktizieren.
LanguageDeutsch
Release dateMay 10, 2019
ISBN9783957576620
Proflexionen

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    Proflexionen - Marcus Steinweg

    Marcus Steinweg

    PROFLEXIONEN

    INHALT

    1. Kritzeln

    2. Immanenzdichtung

    3. Notiz zu Handke

    4. Schreiben

    5. Ausweglos

    6. Notiz zu Pessoa

    7. Exzesse der Hellsichtigkeit

    8. Träumen

    9. Qui suis-je?

    10. Überflug

    11. Schwimmen

    12. Sekunde

    13. Gier

    14. Lesen

    15. Schaukel

    16. Problem

    17. Notiz zu Wittgenstein

    18. Schwelle

    19. Hunger

    20. Selbstverausgabung

    21. Schwarz

    22. Unterwegs

    23. Ungerettet

    24. Spiel

    25. Notiz zu Musil

    26. Denkraum

    27. Aporien

    28. Hotelzimmer

    29. Indifferenz

    30. Traurig

    31. Notiz zu Robert Walser

    32. Null

    33. Brennpunkt

    34. Schulden

    35. Ein Kartesianer des Dunklen

    36. Feuer

    37. Kunstwerk

    38. Angst

    39. Notiz zu Kierkegaard

    40. Stein

    41. Strumpf

    42. Brief

    43. Gewährenlassen

    44. Wüste

    45. Wasser

    46. Unbestimmtheitsgleichung

    47. Absolution

    48. Existenz

    49. Beatitudo

    50. Notiz zu Jaspers

    51. Versuchung

    52. Geiz

    53. Puppen

    54. Notiz zu Cavell

    55. Kafka an Felice

    56. D.

    57. Sprachmüll

    58. Tränen

    59. Frau

    60. Märchenstunde

    61. Komplexe Realität

    62. Notiz zu John Berger

    63. Lektion

    64. Autofahren mit Lacan

    65. Perlen

    66. Notiz zu Genet

    67. Unterschied

    68. Manhattan

    69. Schwert

    70. Appell

    71. Kaninchen

    72. Gras

    73. Glückliche Tiere

    74. Ozean

    75. Müdigkeit

    76. Notiz zu Adorno

    77. Wille

    78. Come on!

    79. Geschwister

    80. Begriff

    81. Sieben Tropfen Glück

    82. Kreativität

    83. Antigone

    84. Linie

    85. Neues Licht

    86. Notiz zu Ingeborg Bachmann

    87. Ressentiment

    88. Nacht

    89. Crazy

    90. Journal

    91. Liebe

    92. Fucked up

    93. Ja

    94. Notiz zu einer Notiz

    95. Was kann Literatur?

    96. Schmerz

    97. Ergriffen

    98. Notiz zu Trakl

    99. Grotesk

    100. Form

    101. Sentimentalität

    102. Subjekt

    103. Notiz zu Heiner Müller

    104. Dichter

    105. Bühne

    106. Nein

    107. Manchmal

    108. Gespensterphilosophen

    109. Ermutigung

    110. Linien, Löcher, Knoten

    111. Beten

    112. Schraube

    113. Nichtidentität

    114. Tiere

    115. Notiz zu Nancy

    116. Postkarte

    117. Paraphrase

    118. Schreiben

    119. Leid der Transparenz

    120. Gewöhnung

    121. Unterschied

    122. Rettung

    123. Professorenphilosophie

    124. Mutter

    125. Notiz zu Kafka

    126. Ideologiekritik

    127. Daedalus ohne Ikarus

    128. Inexistenz

    129. Mond

    130. Baustelle

    131. Notiz zu Hegel

    132. Komik

    133. Lob des Losers

    134. Differenzidiotie

    135. Freundschaft

    136. Diätetik

    137. Vor der Tür

    138. Insel

    139. Pretty?

    140. Erschöpft

    141. Dummheit

    142. Scheu

    143. Aussichtslos

    144. S. W.

    145. Glück

    146. Trottel

    147. Haargenau

    148. Es kostet mehr, als es kostet

    149. Liebestheologie

    150. Idiot

    151. Lawine

    152. Nackt bei offenem Fenster

    153. Summen

    154. Diätetik 2

    155. Molotowcocktail

    156. Boden

    157. Analyse

    158. Kind

    159. Streuner

    160. Notiz zu Zwetajewa

    161. Faszination

    162. Monotonie = Anorexie?

    163. Vereinigung

    164. Kritizismus

    165. Traum

    166. Magie

    Anmerkungen

    KRITZELN

    Von Friederike Mayröcker kann man lernen, dass Schreiben Kritzeln heißt. Das gilt auch für die Philosophie. So konsistent sie auft ritt, so sehr bleibt sie Experiment. Ohne Beiläufigkeit ist sie nichts. Statt Bälle wirft sie Wörter in die Luft. Kritzeln heißt Krakeln. Spuren zeichnen in den Wind. Es geht um Kontingenzvertrauen, ums Zerreißen der vertrauten Sprache und um ihre Rekomposition. Wie Karten werden die Gedanken neu gemischt. Man darf nicht zu behutsam mit ihnen umgehen. Man soll sein Denken nicht schonen. Wer nicht mit hohem Einsatz spielt, denkt nicht. Das kritzelnde Denken ist ein ποιεῖν = ein Hervorbringen des Unbekannten im Akt des Schreibens. Auch der Schreibgrund bleibt nicht unangetastet. Das Schreiben ist die Dynamik seiner Durchlöcherung. Wie Vögel oder Insekten schwirren die Wörter durch den Raum. Das heißt nicht, dass sie keiner Regel folgen, aber regelmäßig mit den Regeln brechen. Darin liegt ihre Regelhaftigkeit. Zum kritzelnden Denken gehört Unbekümmertheit. Nie geht es darum, Fehler zu vermeiden. Es geht darum, mit ihnen zu spielen. Sich von ihnen kitzeln zu lassen. Wer kritzelt, tut es im Abseits der Bedeutung. Von hier aus rührt er an den Sinn. Sinn, der dem Nichtsinn verbunden bleibt, dem Loch in der Matrix, der ontologischen Inkonsistenz, die der Inexistenz Gottes korreliert. Kritzeln heißt, mit der Präzision der Dichtung denken, indem man Zeichen nahezu blind koagieren lässt, bis sie eine Wahrheit generieren, die den Schleier der Bedeutung zerreißt. Das Ergebnis ist eine neu erschlossene Wüste: »wo? befindest, du, dich?«¹

    IMMANENZDICHTUNG

    In seinem Fragment zu Friederike Mayröcker sagt Handke vom Lesen, dass es ein »Mitbuchstabieren, Entdecken, Welt- und Selbsterforschen sei.«² Statt in ihm ein Entschlüsseln auszumachen, Hermeneutik, plündernde Exegese, definiert Handke es als ein Begleiten, Sichüberraschenlassen, erwartungsloses Herausfinden. Lesen heißt Mitlesen. Das Lesen assistiert dem gelesenen Text, ohne ihn zu maßregeln. Es gibt ihm Zeit und Raum. Der Text selbst ist ein Raum-Zeit-Gebilde, eine »Konstruktion«³, die sich als solche ausstellt. Er verstellt sich nicht zum πνεῦμα, zum flüsternden Spiritus, Geist oder Lufthauch. Es reicht nicht aus zu sagen, dass Dichtung Fiktion sei und lüge. Wenn sie etwas taugt, dann ist sie wahr im Sinne einer Wahrheitskonstruktion, die ganz in diese Welt gehört. Vielleicht lässt sich von Immanenzdichtung sprechen. Ihre Transzendenzpunkte sind »Wortspalt[e]«⁴. Durch sie strömt ein Gespensteratem, der das Bekannte und Erklärte ebenso auseinander- wie zusammenhält. Das Mitbuchstabieren, von dem Handke spricht, impliziert die Bereitschaft, sich auf die Risse im Textgewebe einzulassen. Ein Text ist kein geschlossenes Gefüge. Er darf nicht verfugt sein, wie Handke einmal, Heidegger kritisierend, sagt: »Die dichte Fügung. Da ist alles richtig – und nichts.«⁵ Der Text besteht aus Löchern, durch die Luft geht, die ihrer Metaphorisierung widersteht. Nur Idioten machen aus ihr einen Götteratem. Dabei liegt die Leistung der Dichtung darin, die Ritzen im Text nicht zu schließen. Fürs Gedicht sind sie unverzichtbar. Ihr Geltenlassen betrifft das Lesen wie das Schreiben. Von Mayröcker sagt Handke, dass sie »die einzige deutschsprachige Dichterin« sei, »die weint. Und sie weint sachlich, mit den Sachen, den Dingen, den Menschen – in sachlicher Liebe.«⁶ Im Vorbeigehen gelingt ihm dabei eine Definition der Liebe: Sie muss sachlich sein, noch wenn sie zu Tränen führt. Sie ist Mitgehen mit dem Geliebten, nicht in ein Außerhalb, sondern in alternativloser Immanenz.

    NOTIZ ZU HANDKE

    Handke sagt, es ginge darum, dem »Aufsteigen der Leere«⁷ beizuwohnen. Im Schreiben tut sie sich auf. Es öffnen sich Zwischenräume. Der Raum der Bedeutungen und Sprachen erweist sich als rissig. In die Risse schlüpft das Subjekt. »Diese Momente, wo die Leere sich auftut, das sind Dauermomente, mit denen man – wie man in der Umgangssprache sagt – etwas anfangen kann.«⁸ Mit ihnen fängt der Schreibmoment an. In der Erfahrung gesteigerter Insignifikanz. Schreibend entzieht sich der Schreibende der Autorität der Rhetoriken und Zeichen. Er verlängert die Sprache in ihr Jenseits, lässt sie mit sich brechen, reibt sie gegen sich auf. Nicht indem er ihr Außenelemente einträgt, sondern indem er sie mit dem ihr inhärenten Außen vernäht. Erst in den Zwischenräumen der Sprache ist Sprache möglich, die sich der Wiederholung des Bekannten entzieht. Wie Rilke und Heidegger spricht Handke vom Offenen, das die Leere ist oder der Zwischenraum. Giorgio Agamben schreibt von der Notwendigkeit, sich dem »Mysterium«, auf dessen Kontaktverlust wir mit Sprache reagieren, nicht zu entziehen. Das Mysterium, das er, im Verweis auf Gershom Scholem, mit dem Feuer konnotiert, muss kein theologisches sein.⁹ Als Index seiner ontologischen Inkonsistenz ist es Bruch des Bekannten mit sich selbst, weshalb angesichts des Mysteriums »die künstlerische Schöpfung nur zu einer Karikatur werden«¹⁰ kann. Dass sich inmitten der Sprache Leere auftut, heißt, dass die Sprache über die Fähigkeit verfügt, inmitten der Immanenz aus sich herauszutreten. Statt um die Reaktivierung religiöser Transzendenz geht es um Resistenz gegenüber dem Immanentismus des Kausalen und Historischen, der seine Brüche ignoriert. Dies nennt Handke Erzählen ohne Dramaturgie und Plot. Daher die Nähe zu Cézanne.¹¹ Es ist ein Realisieren. Eine Verdopplung des Bestehenden, um es aus sich heraus ins Element des Textes oder der Farbe zu überführen. Statt Übersetzungsarbeit zu sein, erschafft es neue Realität inmitten der bestehenden. Dies ist die schöpferische Dimension der Kunst: ohne aus dem Bestehenden herauszutreten, es in etwas Neues zu verwandeln, das von ihm zeugt. Erst im Austritt aus der Geschichte tritt das Subjekt in sie ein. Die Dialektik von Mysterium und Historie erweist sich als komplex. Ein Name der Anerkennung dieser Komplexität, die sich sämtlichen Erlösungsversprechen sperrt, ist Literatur. Ein anderer Philosophie.

    SCHREIBEN

    Mit Kafka und Handke – vielleicht mit allen Schriftstellern und Dichtern – stellt sich Marguerite Duras die Frage, was Schreiben sei. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass zum Écrire Selbstentmächtigung gehört. Hier liegt seine Souveränität. Nicht im Gelingen, nicht in Könnerschaft, sondern in der Bereitschaft, sich im Schreibprozess verloren zu gehen. Schreiben bedeutet, sich auf diese Verlorenheit einzulassen. Schreibend umzirkelt Duras das Loch im Herzen der Realität.

    AUSWEGLOS

    Fernando Pessoa spricht vom »inneren Schlaf«¹², Duras vom »inneren Schatten«¹³. Es geht ums Nichts, ums Außen und um die Leere ohne Trost. Zuletzt ist eine Traurigkeit gemeint, die jedes Wort zerreißt. Jeder Satz ist von ihr heimgesucht, noch die Syntax wird von ihr zerstört. Zerstörung, die vom Leben handelt, vom Verlust, den es darstellt, vom Vergehen ohne Sinn. Nichts kann Pessoa vor diesem Schlaf retten, der noch die äußerste Wachheit kontrolliert. Im Traum zerfallen alle Konsistenzen. Liebe und Freundschaft erweisen sich als Chimären. Selbst die Gespenster sind nicht mehr gespenstisch. Sie sind Phantome, von denen der Träumende sich Exil erhofft, und dieser Hoffnung wird entsprochen, indem ihm jeder Ausweg genommen wird, das erträumte Jenseits, die Transzendenz: »ich will nicht einmal vor irgendetwas entfliehen.«¹⁴

    NOTIZ ZU PESSOA

    Im Buch der Unruhe stößt der Leser auf eine Passage, die »Ästhetik der Gleichgültigkeit«¹⁵ betitelt ist. Der Protagonist des Buchs, der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares, öffnet sich dem Gewaltcharakter der Realität. Was wir Wirklichkeit nennen, greift in die Substanz des Subjekts ein. Zur künstlerischen Existenz gehört spielerischer Umgang mit ihr. Nie beugt sie sich dem Imperialismus des Bestehenden. Zugleich darf sie seine Wirksamkeit nicht bestreiten. Kunst spielt keine Kinderspiele, aber sie spielt, d. h. sie öffnet sich der Kontingenz. Wie Friedrich Nietzsche wusste, beruht diese Öffnung auf leidenschaftlicher Indifferenz. Nietzsche kennt das Spiel mit dem Zufall, das nur diejenigen zu spielen wagen, die bereit sind, ins Unbestimmte zu gehen. Nietzsches amor fati hat nichts mit Determinismus zu tun. Es beschreibt eine an Gleichgültigkeit grenzende Offenheit fürs Nichtvorhersehbare. Pessoa schreibt vom »inneren Taktgefühl«, das die Neutralisierung subjektiver Empfindungen verlangt = rationale Noblesse = Widerstand gegenüber dem Pathos des Sentiments = Resistenz gegenüber der Versuchung, sich als Gefühlstier aufzuwerfen, das sich seinen Pathologien/Neigungen beugt. Zur künstlerischen Existenz gehört Gleichgültigkeit. Nie folgt sie dem Geschmack. Zugleich misstraut sie den Objektivierungen der Wissenschaft und folgt anderen Vorstellungen. Spiel und Ernsthaftigkeit verbinden sich in ihr. Im Übersehenen und Hässlichen entdeckt sie Schönheit. Ihre Gleichgültigkeit muss wörtlich genommen werden. Sie wertet nicht. Sie blickt. So widersteht sie ihrer eigenen Kultur, die das Dispositiv politischer, ästhetischer,

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