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Kleine Briefe: Zu großen Geheimnissen des Korans
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Ebook363 pages4 hours

Kleine Briefe: Zu großen Geheimnissen des Korans

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About this ebook

Gibt es ein Leben nach dem Tode? Wo liegen die Hölle und das Paradies? Und warum wurde der Mensch aus dem Paradies ausgewiesen? Kann jemand Muslim sein ohne zu glauben? Warum lässt Gott auch unschuldige Menschen, sogar Tiere leiden? Gibt es eine absolute Gerechtigkeit?

Diese und hunderte weitere essenzielle Fragen werden in dem über 6.000 Seiten starken Gesamtwerk Risale-i Nur des bedeutenden Gelehrten Bediuzzaman Said Nursi (1877-1960) beantwortet. Das Werk gilt als einer der originellsten und außergewöhnlichsten Korankommentare, die je verfasst wurden.

Das Buch Mektubat - Die Briefe - ist ein Kernstück dieses Werkes. Es wurde bereits in viele Sprachen übertragen, auch auf Deutsch sind mehrere Übersetzungen erhältlich. Kennzeichnend für unsere Ausgabe Kleine Briefe zu großen Geheimnissen des Korans (Briefe 1-15) sind:

ein besonderes Augenmerk auf Verständlichkeit unter Berücksichtigung des türkisch-osmanischen Ursprungstextes,

Kommentare, Kurzportraits der wichtigsten Personen und Erklärung von über 200 Fachbegriffen, ohne die sich der Text dem Laien kaum erschließt,

eine Verknüpfung des Textes sowohl mit dem Leben in der Gegenwart als auch mit historischen Quellen.
Produktinformation

Broschiert: 288 Seiten (Kunstleder-Einband)
Verlag: Define (5. Juli 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3946463023
ISBN-13: 978-3946463023
Größe und/oder Gewicht: 14 x 2,4 x 21 cm
LanguageDeutsch
PublisherDefine Verlag
Release dateJul 1, 2016
ISBN9783946871200
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    Book preview

    Kleine Briefe - Bediuzzaman Said Nursi

    978-3-946463-02-3

    Einleitung

    Bediuzzaman Said Nursi - ein Mensch sui generis

    Vielleicht ergeht es ja jedem so, der einleitende Worte zu einem Werk schreiben möchte, dessen Verfasser eine Persönlichkeit war, die ihre eigene Lebenszeit weit überstrahlt hat. Ich persönlich jedenfalls empfinde diese Aufgabe als eine sehr schwierige Herausforderung. Über die Person, das Leben und die Visionen von Bediuzzaman Said Nursi wurden bereits mehrere dicke Bände verfasst. Da diese aber bisher nur zu einem geringen Teil in unsere Sprache übertragen wurden und das vorliegende Werk Kleine Briefe definitiv einer Einleitung würdig ist, möchte ich im Folgenden zumindest einige wenige Gedanken zur Person und zum Werk dieses Lehrmeisters zu Papier zu bringen.

    Said Nursi war ein Universalgelehrter, der in den 83 Jahren seines Lebens viele ganz unterschiedliche Rollen einnahm und sich in keine Schublade stecken ließ. Er war ein ungewöhnlicher, einzigartiger Mensch, weshalb ihm seine verblüfften Lehrer schon im Alter von 14 Jahren aufgrund seines Genies und seines starken Gedächtnisses den Beinamen Bediuzzaman (der Einzigartige des Zeitalters) verliehen. Bediuzzaman war eine Persönlichkeit sui generis im klassischen Sinne, höchst facettenreich und kaum zu kategorisieren. Um Ihnen in dieser kurzen Einleitung dennoch einen ersten Eindruck von seinem Wirken zu vermitteln, möchte ich mich ihm auf zwei Ebenen nähern: in seiner Eigenschaft als Mensch und in seiner Eigenschaft als Verfasser und Autor des Werkes Risale-i Nur. Zwangsläufig überlappen sich diese beiden Ebenen in vielen Punkten, trotzdem werde ich den Versuch unternehmen, ein wenig zu differenzieren.

    Der Mensch Said Nursi

    Bediuzzaman Said Nursi wurde im Jahr 1876 oder 1877 in dem kleinen Dorf Nurs in der Provinz Bitlis geboren, einer Kurdenregion des Osmanischen Reichs, und er starb 1960 in der türkischen Stadt Urfa. Fast jede Szene seines Lebens spiegelt den Sinngehalt seines Beinamens Bediuzzaman wider. Diese Einzigartigkeit, die ihn von der Kindheit bis zum Tod auszeichnete, bot genügend Substanz für einen Roman von fünf Bänden, und verfilmt wurde sein Leben mittlerweile auch bereits mehrfach. Wer die frühen Werke des Alten Said studiert (Alter Said nannte er selbst die erste Phase seines Wirkens), wird feststellen, dass er sich zunächst als ziviler Bürger unermüdlich engagierte. Er beschäftigte sich intensiv mit Politik und Gesellschaft des Osmanischen Reichs sowie auch beispielsweise mit den Medien. Und gerade aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, wie differenziert und aufrichtig er mit den Turbulenzen seiner Zeit umzugehen pflegte. Kein Zorn ließ ihn den Verstand verlieren, keine Grausamkeit verleitete ihn zu unmenschlichem Handeln. Nursis aufopferungsvoller Einsatz bei der Rettung armenischer Kinder und seine freimütige Kritik an den politischen Umständen weisen ihn als zutiefst ehrlichen, uneigennützigen Menschen aus. Eine empfehlenswerte Lektüre dazu ist der Dreizehnte Brief dieses Buches.

    Die Literaten unseres Lichterlandes Europa sind zumeist geneigt, die historischen Personen politisch zu kategorisieren. Daher gehört es dazu, einige Zeilen über die politische Haltung des Lehrmeisters zu diskutieren.

    Schon lange bevor das Osmanische Reich zusammenbrach, wurde Said Nursi mehrmals aufgrund seines Eintretens für eine parlamentarische Monarchie bzw. später wegen seines Republikanismus verhaftet. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass er den Sozialismus als weniger schädlich für Glauben und Religion befand als den Kapitalismus, der mit seinen Ungerechtigkeiten und seiner Konsumorientiertheit die Menschen davon abhalte, über den Sinn ihres Lebens nachzudenken und ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Über 50 Jahre lang stand er immer ausdrücklich auf Seiten der Demokraten in der Türkei, was ihn nicht daran hinderte, wenn nötig auch Stellung gegen explizit islamische Parteien zu beziehen. Wie aus dem Dreizehnten Brief hervorgeht, übte er scharfe Kritik an all jenen, die den Islam zu propagandistischen, parteipolitischen Zwecken missbrauchen, wofür er von zeitgenössischen Gelehrten wie oder Scheych ul-Islam Mustafa Sabri Efendi gerügt wurde. Seine Prinzipientreue bewahrte ihn immer wieder davor, sich von bestimmten Gruppen vereinnahmen und ausnutzen zu lassen. Folglich verbietet es sich auch, ihn als ausschließlich konservativ-liberal oder sozialistisch-konservativ zu definieren.

    Der Autor und sein Werk, das Risale-i Nur

    Das Risale-i Nur (Botschaft des Lichtes) liegt uns deshalb so am Herzen, weil es die islamischen Wissens- und Glaubensinhalte so einfach und gleichzeitig so tiefgründig und originell auf den Punkt bringt, wie kein anderes Werk in der islamischen Literatur es je vermocht hat. Die Glaubensinhalte des Islams finden heute sowohl in der Minderheits- als auch in der Mehrheitsgesellschaft kaum mehr Beachtung, da sich Medien und Öffentlichkeit auf Debatten um Terror, Kopftuch oder Schwimmunterricht fokussieren. Es ist verwunderlich, dass selbst in unserem Land, dessen Abend doch von Renaissance und Aufklärung erhellt wurde, fast ausschließlich über die sichtbaren Ausdrucksformen oder die geografischen Erscheinungsformen dieser Religion und der Religion allgemein diskutiert wird.

    Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand der Kerngehalt der Religionen, Weltanschauungen und Credos ganz oben auf der Agenda. Die großen Theorien beherrschten die Gedankenwelt, sie trugen zur Eskalation der politischen Debatte bei und entfesselten schreckliche Kriege. Angespornt von den Ausführungen dialektischer Materialisten wie Karl Marx und Friedrich Engels gewann das Proletariat in einigen Ländern die Oberhand über die Kapitalbesitzer, und damit verbunden streckte sich eine aggressiv-atheistische Ideologie nach der Weltherrschaft. Zwar können die Kriege jener Zeit nicht als Konfessionskriege bezeichnet werden, aber der Kerngehalt des Glaubens stand aufgrund des aggressiven Atheismus stets auf der Agenda. Glaube und Religion wurden vom Materialismus kategorisch abgelehnt. Und alle Glaubensrichtungen – Judentum und Christentum ebenso wie Buddhismus oder Islam – waren von dieser Bedrohung betroffen.

    Auf der politischen Ebene brachen große Monarchien wie das Kaiserreich, die K.-u.-k.-Monarchie und das Osmanische Reich zusammen, und während in Europa die Nationalstaaten auf der politischen Landkarte auftauchten, waren es auf der Landkarte des ehemaligen Osmanischen Reichs eher ‚fiktive‘ Nationen. Und Letztere sollten noch lange unter dem Joch des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kolonialismus ächzen. Eine bipolare Welt zwischen Kapitalismus und Kommunismus war entstanden.

    Parallel zu dieser Entwicklung beschäftigte sich Said Nursi in seinem Opus magnum Risale-i Nur intensiv mit den Kerninhalten des Glaubens, dem Sinn des Lebens, der Quelle der Ethik und einer Erneuerung des Islams. Ganz im Gegensatz übrigens zu den zeitgenössischen Islamgelehrten, deren ganze Konzentration nach der Abschaffung des osmanischen Kalifats den politischen Auseinandersetzungen und Verwicklungen galt.

    Die Themen des Risale-i Nur, ein Überblick

    Das Risale-i Nur beginnt mit der Auslegung der ersten Worte des Korans - Bismillāh, im Namen Gottes -, deren Bedeutung bis dato nahezu alle Muslime quasi als Selbstverständlichkeit hingenommen hatten. Said Nursi hingegen wusste ihnen Inhalte zu entnehmen, die niemandem zuvor in den Sinn gekommen waren. Seine Ausführungen zur Besmele sind eine vom Koran inspirierte Lektüre, die in ihrer Beweisführung die Entstehungsprozesse in der Natur ebenso berücksichtigt wie das gesellschaftliche und persönliche Leben des Menschen. Es gelingt ihm scheinbar mühelos, den Gehalt der Besmele auf eine umfassende, sinnbeladene und originelle Weise darzustellen, die für seine Leserinnen und Leser leicht nachvollziehbar ist.

    Im Gegensatz zur klassischen Literatur des qīl we qāl, einer Sammlung von verschiedenen Lehrmeinungen, schildert er seine eigene Meinung zum Thema im Lichte eines Koranverses, ohne andere Meinungen und deren Vertreter ausdrücklich zu erwähnen. Ganz sicher ist das Risale-i Nur kein klassisches Tefsīr-Werk. Zwar verfasste Said Nursi während des Zweiten Weltkriegs einen arabischen Kommentar zu den ersten 33 Versen der Sure El-Baqara und zur Eröffnung des Korans, der unter seiner fachkundigen Leserschaft durchaus Resonanz fand. Doch damit auch das einfache Volk von seinem Werk profitieren konnte, bevorzugte er ansonsten die osmanische Sprache.

    Von jenem Bismillāh über die Tahiyyēt, Friedensgrüße an den Schöpfer, bis hin zu Salawāt, Friedensgrüßen an den Propheten des Pflichtgebetes, behandelt Said Nursi in seinem Werk sechs Pfeiler des Credos/Īmān in aller Ausführlichkeit: den Glauben an den Schöpfer, die Engel, die offenbarten heiligen Schriften, die Propheten, den Jüngsten Tag und die Vorherbestimmung Gottes. Hinzu kommen noch die ersten drei Säulen des Islams: das Glaubensbekenntnis, das Gebet und das Fasten. Jedoch widmet sich Said Nursi diesen Themen anders, als es die Katechismen, die Bücher der islamischen Normlehre, üblicherweise tun. Bei ihm steht nie das „Wie? im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern immer das „Warum?. Oder mit anderen Worten: Ihm geht es stets darum, die Weisheit und den Sinn und Zweck jener Pfeiler und Säulen herauszuarbeiten, und das mit rationalen Argumenten, die sich dem Verstand erschließen. Wer im Risale-i Nur Informationen über gottesdienstliche Handlungen und deren formelle Gültigkeit bzw. Ungültigkeit sucht, wird enttäuscht werden. Wer hingegen erfahren möchte, woher man weiß, ob es überhaupt einen Gott gibt und welche Attribute Er besitzen soll, darf sich auf eine höchst anregende Lektüre freuen.

    Eine thematisch geordnete Aufstellung zu einigen Fragen, die im Risale-i Nur aufgeworfen und beantwortet werden, folgt am Ende dieser Einleitung. Diese und Hunderte weitere Fragen mehr werden im Risale-i Nur ausführlich beantwortet. Den übrigen Säulen des Islams - Pilgerfahrt und Zekāt - hingegen räumt das Werk nur relativ wenig Platz ein (lediglich im Rahmen einer Abhandlung über Sinn und Zweck der Ambivalenz in der islamischen Normlehre). Wie an den unten aufgeführten Fragestellungen ersichtlich wird, sind die Themen des Risale-i Nur auch für die Menschen unseres Zeitalters von großer Relevanz.

    Die Originalität von Nursis Werk

    Der Originalität von Said Nursis Werk in vollem Maße gerecht zu werden, übersteigt meine intellektuellen Kapazitäten. Stattdessen möchte ich sie Ihnen exemplarisch am Beispiel seines Projekts der Gründung einer Universität, der Ez-Zehra-Universität in Van, verdeutlichen.

    Said Nursi genoss zwar nur etwa drei bis vier Jahre lang eine Medrese-Ausbildung, aber schon in dieser extrem kurzen Zeit verdiente er sich den Titel eines Lehrmeisters - und eigentlich auch den Ehrenmantel, der den erfolgreichen Absolventen symbolhaft überreicht wurde. Weil er zu diesem Zeitpunkt jedoch erst 14 Jahre alt war und nicht einmal das Alter der Pubertät erreicht hatte, weigerten sich die Gelehrten des osmanischen Kurdistans, ihm den Mantel auszuhändigen. Fortan wurde Said Nursi zum Autodidakten. Im Gegensatz zu anderen Gelehrten fokussierte er sich nicht ausschließlich auf die islamischen Wissenschaften, sondern interessierte sich auch für Naturwissenschaften. Er beschäftigte sich mit Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Geografie und verfasste auch einige Abhandlungen auf diesen Gebieten. Zehn Jahre blieb er in der Stadt Van, und in dieser Zeit reifte in ihm der Entschluss, eine Universität zu errichten, in der neben den religiösen Wissenschaften sowohl Geisteswissenschaften als auch Naturwissenschaften unterrichtet werden sollten. Denn die Natur- und Geisteswissenschaften betrachtete er als „das Licht der Vernunft und die religiösen Wissenschaften als „den Strahl des Gewissens und des Herzens. Die Wahrheit trete erst dann hervor, wenn diese beiden Lichter eine Verbindung eingehen. Said Nursi betonte auch, dass die Natur ein Buch Gottes sei, in dem sich Seine Kunstfertigkeit in all ihren Facetten widerspiegle. Die heiligen Bücher und insbesondere der Koran wiederum seien so etwas wie Zusammenfassungen des Buches der Natur.

    Während er noch in der Medrese von Van unterrichtete, reiste er nach Istanbul, um für seine Universität zu werben. Van als Standort betrachtete er vor allem deshalb als ideal, weil es genau im Zentrum der Region von Aserbaidschan und Kaukasien, dem Irak, der Türkei und den kurdischen Gebieten lag. Der Name seiner Universität sollte Medreset ez-Zehrā lauten, und sie sollte ein Gegenstück zur berühmten Dschāmi‘el-Ezher in Kairo bilden. Zusammen würden die Absolventen von Ez-Zehrā und El-Ezher - so Nursis Vision - die ganze muslimische Welt befruchten und eine neue intellektuelle Aufklärung hervorbringen. Tatsächlich wurde sein Projekt genehmigt; einmal während der Regierungszeit von Sultan Mehmet Reşad 1914 und später erneut nach Gründung der Republik. Allerdings scheiterte es beim ersten Mal aufgrund des Zusammenbruchs in Folge des Ersten Weltkriegs, und beim zweiten Mal an der antiislamischen Politik der frühen Republik Türkei.

    Said Nursi fand einen neuen Weg über die Brücke des alten Ilm el-kelām (der islamischen Philosophie). In diesem Sinne war er ein Usūl-Gelehrter, der sich jedoch nicht in die Einzelheiten, sondern in die Grundprinzipien des Glaubens vertiefte. Allerdings kann der Weg, den er im Risale-i Nur verschriftlicht, kaum als klassische Kelām-Literatur bezeichnet werden. Seine Koran-Interpretationen orientierten sich überwiegend nicht an der klassischen Auslegung, sondern stellen, wie bereits unterstrichen, eine Sinn-inspirierte Auslegung dar.

    Said Nursis Ez-Zehrā-Projekt ließ sich zwar letztlich nicht realisieren, doch liest sich das Risale-i Nur wie das Curriculum dieser Universität. Es beinhaltet noch tiefgründigere Sinngehalte aus dem Bereich der Koranexegese als Zemachscherīs Werk El-Keschschāf und noch versöhnlichere Argumente aus dem Bereich der Aqīde (Glaubenslehre), als El-Matūridī und El-Esch’arī sie ins Feld führen. Es diskutiert El-Ghazzali und Descartes sowie eine Fülle von neuen Erkenntnissen aus dem Bereich der Gnostik (Irfān), insbesondere des Sufismus, und geht dabei sogar über die Werke von Ibn Arabī und Mewlānā Dschelāleddīn Rūmī hinaus. Kurzum, das Risale-i Nur baut auf dem reichen Vermächtnis der islamischen Literatur auf und entwickelt es weiter. Folglich kann es nicht überraschen, dass das Studium dieses Werks vom Laien große intellektuelle Anstrengungen erfordert.

    Eine Erwähnung wert ist außerdem, dass Said Nursi prinzipiell jede Art von Extremismus mied und fast immer den Mittelweg, den Weg der Vernunft lehrte. Zudem verzichtete er generell auf Pauschalisierungen und differenzierte überall dort, wo es ihm geboten schien; in Bezug auf Europa zwischen dem Europa der Aufklärung und der christlichen Werte und dem Europa des Kolonialismus, des Atheismus und der Weltkriege. Oder in Bezug auf das Schiitentum zwischen der Schia des Kalifats und der Schia der Gottesfreundschaft; das heißt: zwischen all denen, die den Vorzug von Imām Ali vor den anderen Gefährten darin sehen, dass er der alleinige und einzig legitimierte Führer der muslimischen Gemeinschaft sei, und all denen, die den Vorzug des Imam Ali in seiner persönlichen Eigenschaft als Gottesfreund sehen, ohne den anderen Gefährten damit Unrecht zu unterstellen.

    Daneben fördert das Risale-i Nur bei seinen Leserinnen und Lesern die Dialogbereitschaft, indem es sie dazu ermuntert, in vielen Bereichen des Lebens zusammenzukommen und miteinander zu reden. Said Nursi selbst scheute nie davor zurück, selbst die provozierendsten Fragen geduldig zu diskutieren. Das sollte auch jungen Musliminnen und Muslimen den Mut geben, aufgeschlossen für andere Standpunkte zu bleiben.

    Die Entstehungsgeschichte des Risale-i Nur

    Das Risale-i Nur Gesamtwerk wurde größtenteils zwischen 1926 und 1953 niedergeschrieben, in einer Zeit, in der sich Said Nursi insbesondere mit den wichtigsten Themen des islamischen Credos und der islamischen Ethik befasste. Da seine Schriften damals von der Ein-Partei-Regierung in der Türkei verboten wurden, musste ihre Vervielfältigung handschriftlich erfolgen, anfangs durch Lesekreise in Nachbarstädten, später in ganz Anatolien. An dieser anspruchsvollen Aufgabe beteiligten sich Frauen, Männer, Kinder und alte Menschen, Bauern ebenso wie Unternehmer. Bis 1950 dürften sage und schreibe ca. 700.000 Exemplare in osmanischer Schrift auf diese Weise vervielfältigt worden sein. Über 800 Klagen gegen das Werk wurden vor Gericht verhandelt und ausnahmslos abgewiesen. Ende der 50er Jahre - Said Nursi war damals noch am Leben - wurde das Risale-i Nur erstmals auch in türkisch-lateinischer Schrift herausgegeben und im mündlichen Vortrag auf Korrektheit überprüft.

    Letzten Endes etablierte sich Said Nursis Ez-Zehra-Universität also in den Herzen und Köpfen der Bewohner Anatoliens, auch wenn sie sich als Institution nicht wie geplant realisieren ließ.

    Zu unseren Kleinen Briefen, die Sie gerade in Händen halten

    Das Gesamtwerk des Risale-i Nur umfasst ein breites Spektrum der Glaubenswissenschaften. Vermutlich hatte Said Nursi ursprünglich gar nicht beabsichtigt, sein Wissen in dieser Form zu Papier zu bringen, als er sich aktuellen Problemen seiner Gesellschaft widmete oder auf die Fragen seiner Schüler einging. Letzteren schickte er seine Antworten als Briefe oder Abhandlungen und kontrollierte anschließend, ob sie mit deren Inhalt auch etwas anfangen konnten. Auf diese Weise entstand eine Art Feedback-Literatur, die er später in Teilen auch als Anhänge (Lâhikalar) zum Gesamtwerk veröffentlichen ließ.

    Einige Briefe oder Strahlen wie beispielsweise der Vierzehnte Brief wurden allerdings überhaupt nicht niedergeschrieben. Weiterhin fehlen der Fünfundzwanzigste Brief, in dem er die ersten 25 Verse der Sure Yā-Sīn kommentieren wollte, der Dreißigste Brief, in dem er 30 Teilkapitel des Korans zusammenzufassen gedachte, der Zweiunddreißigste Brief, der eigentlich den Titel „32 Flammen" tragen sollte, oder auch der Achtzehnte Blitz, dessen Abfassung er zukünftigen Schülern des Risale-i Nur überließ. (Auch mit anderen zunächst noch lückenhaften Passagen im Risale-i Nur verfuhr er ähnlich und legte ihre Bearbeitung zukünftigen Schülern ans Herz).

    Diese Vorgehensweise zeigt auch, dass Said Nursi ganz bewusst einem Lehrplan folgte, der seine Schülerinnen und Schülern zur aktiven Mitarbeit anregte und sie dazu motivierte, das Risale-i Nur auch als ihr eigenes Produkt zu betrachten und daran mitzuarbeiten. Dieser Ansatz wiederum sprengte den Rahmen einer bloßen Feedback-Literatur. Er eröffnete ganz neue Dimensionen und bestätigt im Nachhinein den einzigartigen Charakter der Lehrtätigkeit Said Nursis. Insofern ist das Risale-i Nur einerseits ein Produkt, andererseits aber auch ein Prozess.

    Die Briefe wurden zwischen 1929 und 1934 verfasst. Bediuzzaman ging es in diesen kleinen Briefen also zunächst einmal darum, die Fragen seiner Schüler zu beantworten. Daher sind sie in einem sehr persönlichen Stil gehalten, der keineswegs die Absicht erkennen lässt, sie irgendwann in

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